Das Schweigen

Die Lebensspanne reicht von der Geburt bis zum Tod. Die Lebenserwartung hängt von vielen Faktoren ab. Kein Unfall, keine Naturkatastrophe, keine lebensbedrohliche Krankheit, kein Mord oder Anschlag. Die Lebensqualität hängt noch viel mehr davon, dass all diese Faktoren nie schlagend werden, und eben auch davon, wie gut man verdient und ob man sich eine gute Gesundheit leisten kann. Chronische Erkrankungen oder Behinderungen beeinträchtigen die Lebensqualität, aber bedeuten nicht, dass man kein erfülltes Leben mit Behinderung führen kann. Viele Behindernisse und Hürden sind nämlich behördlicher und gesellschaftlicher Natur. Barrierefreiheit, niederschwellige Hilfsangebote und wohlwollendes Entgegenkommen sind der Grundstein dafür, trotz schwerem Rucksack im Leben gut zu leben. Ein erfülltes Leben führen wollen. Darunter versteht jeder etwas anderes. Ein Leben, das nur aus Verbitterung und Hass besteht, ist kein erfülltes Leben, ebenso wenig, wenn es ein ewiger Kampf gegen soziale und gesundheitliche Ungerechtigkeit ist. Dieses allgemeine Blabla hier ist in den Grund- und Menschenrechten verankert. Keine Benachteiligung aufgrund einer Behinderung und Recht auf Gesundheit. Selbstverständlichkeit, in der Theorie zumindest.

Mir muss entgangen sein, dass wir diesen Grundkonsens mit der Pandemie aufgekündigt haben. Er stand vorher schon auf wackligen Beinen. Grund- und Menschenrechte werden Menschen anderer Hautfarbe (“Racial Profiling”), anderen Geschlechts und Herkunft, aber auch mit chronischen Krankheiten und Behinderungen verwehrt, Hilfsmittel verweigert, ein ewiger Kampf eben. Infolge der Pandemie hat man das auf die gesamte Bevölkerung ausgerollt – nun wurde auch Menschen der Gesundheitsschutz verweigert, die mangels ausreichender Informationen gar nicht wissen, dass sie selbst gefährdet sind. Schlimmer noch, über Jahre hinweg hat man alle Menschen einzureden versucht, dass sie gar nicht gefährdet wären und eine Infektion unvermeidbar sein würde. Bei der Mehrheit der Bevölkerung hat die Desinformation Früchte getragen.

Ich gehöre zur Minderheit, die sich weiterhin streng an die Fakten hält und an das, was sie mit den eigenen Augen und Ohren wahrnimmt. Damit droht mir allerdings ein Schicksal wie dem ungarisch-österreichischen Chirurgen und Geburtshelfer Ignaz Semmelweis (1818-1865), der entdeckte, dass dreckige Hände von Ärzten und Pflegern bei Patienten Fieber und Tod verursachten. Das Ergebnis seiner Entdeckung war allerdings nicht die flächendeckende Umsetzung der Handhygiene, sondern er wurde gemieden, verhöhnt und verlor seine Arbeit, bis er schließlich in der Psychiatrie landete. Es dauerte rund fünfzig Jahre, bis das Hände waschen im Gesundheitswesen anerkannt wurde. Über 150 Jahre nach seinem Tod ereignet sich die SARS-CoV2-Pandemie, von der wir schon frühzeitig im Laufe des ersten Pandemiejahres klare Beweise hatten, dass das Virus über die Luft übertragen wird – 239 Wissenschaftler haben die WHO Anfang Juli 2020 aufgefordert, die Aerosol-Übertragung anzuerkennen. Im April 2021 hat die WHO auch Aerosol-Übertragung berücksichtigt, erst an Weihnachten 2021 ist die Tröpfcheninfektion aus der Übertragungsdefinition verschwunden.

Not sure I believe that coronavirus droplets fall to the ground within a few feet, while measles, chickenpox, and tuberculosis can travel ~100 feet, but why do people think this?

Umweltingenieurin Linsey Marr, 31. Jänner 2020 (Tweet)

Jetzt sind nicht nur im Alltag sämtliche Schutzmaßnahmen gefallen bis auf sporadisch anzutreffende Desinfektionsspender, sondern auch im Gesundheitswesen gibt es keine Masken mehr. Dadurch kann jeder infektiöse Besucher und Mitarbeiter die Patienten anstecken. Patienten sind per definitionem vulnerabel, denn niemand geht zum Arzt oder in ein Krankenhaus, wenn er gesund ist. Wir wissen, dass eine Infektion bestehende Grunderkrankungen verschlechtern kann auch die Heilung verzögern im Anlassfall, aus dem der Patient ins Krankenhaus gekommen ist. Und natürlich können auch Patienten, die aus anderem Grund als SARS-CoV2 im Krankenhaus sind, später LongCOVID entwickeln. Trotz der Beweislage, dass die Covid-Infektion gefährlich ist und Lufthygiene nicht nur gegen Covid schützt, sondern gegen alle über die Luft übertragenen Erkrankungen, ist das Leugnen stark. Der status prae quo, also vor der Pandemie, war, als wir es nicht besser wussten. Wenn die Luft, die wir einatmen, unhygienisch und krankmachend ist, sollten wir dagegen etwas tun. So wie man beim WEF in Davos auf modernste Lufthygienegeräte gesetzt hat (mobile Luftreiniger, UV-Licht), ebenso auf Maske tragen, engmaschige Testangebote und klare Regeln bei Verstoß oder positiven Tests. Aber wie schon zu Semmelweis-Zeiten haben die Leugner gewonnen. Zum Glück jetzt erst, und nicht schon, als die Wiener Hochquellwasserleitung als Antwort auf die Cholera-Epidemien kam, als die Müllabfuhr eingeführt wurde, als Hygienestandards in Restaurantbetrieben eingeführt wurden, als man eine weltweite Impfkampagne wegen Polio gemacht hat, obwohl nur 1% der Erkrankten die gefürchteten Spätfolgen entwickelt haben.

Doch warum hat man nicht aus der Vergangenheit gelernt? Warum redet man jetzt alle Schutzmaßnahmen schlecht, die soviele Menschen gerettet haben? Wiederholt wird jetzt behauptet, die Maske hätte keinen epidemiologischen Nutzen mehr. Ein Strohmannargument, das einzig und alleine auf dem nie hinterfragten Narrativ aufbaut, dass wir die Pandemie nur bekämpft haben, um die Intensivstationen zu schützen. Nicht das Gesundheitspersonal, nicht die Patienten, nicht die Gesundheit der Bevölkerung, nein die Intensivstationen, die Betten, das Mobiliar, die Gebäude sozusagen – nicht die darin zu schützenden Menschen. Die Gebäude errichteten aber nicht die Individuen, sondern sind staatliche Aufträge, wirtschaftliche Aufträge. Folglich wäre es auch Aufgabe des Staates, die Fürsorgepflicht, der Wirtschaft gewesen, die Hygiene innerhalb dieser Gebäude so zu verbessern, dass die darin sich befindlichen Menschen geschützt werden. Das betrifft nicht nur Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, sondern auch Betriebe generell und Bildungseinrichtungen, im neoliberalen Jargon auch Aufbewahrungsanstalten genannt. In öffentlichen Verkehrsmitteln hätte es genauso Lufthygienestandards gebraucht, die transparent für jeden Benutzer des Verkehrsmittels ersichtlich sind: welche Filter, welche Durchschnitts-CO2-Werte bei Vollbetrieb. Das wären notwendige Parameter, anhand der ein Bürger*in eigenverantwortliche Risikoabschätzung betreiben kann. Ich habe nie Maske getragen, um die Intensivstationen zu schützen, sondern um mich und meine Mitmenschen vor einer Infektion zu schützen. Ich hätte Gewissensbisse, jemanden anzustecken, der nachfolgend an der Infektion verstirbt oder lange darunter leiden muss. So wurde das aber nie kommuniziert.

Die Folgen der massiven Desinformationsagenda sollten jedem bewusst sein, der darauf hereingefallen ist:

Blindflug bei den Varianten und Wirksamkeit der Impfung und Medikamente

Genomsequenzierung für Österreich von Ulrich Elling, 03.02.23

Noch bis Ende März 2023 darf Molekularbiologe Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) die Proben von bestätigten Einzelfällen auswerten. Dort sieht man aktuell, dass XBB.1.5 mittlerweile 26% der Proben ausmacht, BQ-Varianten umfassen rund 30%, CH.1.1 rund 10%, der Rest sind zahlreiche weitere Untervarianten von OMICRON, die großteils die gefährliche F486P-Mutation erhalten haben, die nicht nur dem durch Infektion und Impfung erzeugten Immunschutz entkommt, sondern auch ermöglicht, dass die Untervarianten noch ansteckender werden. Bisher ging höhere Ansteckungsfähigkeit meist zulasten der Immunflucht und umgekehrt.

Ob wir über künftige wöchentliche Abwassermonitoring so detailliert über das aktuelle Variantenspektrum informiert werden, sei dahingestellt. Was man dann nicht mehr nachverfolgen kann, ist, wie sich die Varianten beim Patienten auswirken. Wie gut schützt die letzte Impfung, verändern sich die Symptome, wie gut schlagen die Tests und Medikamente an? Wir wissen schon länger, dass die derzeitige Variantensuppe mit bis zu 700 verschiedenen Untervarianten monoklonale Antikörper als Therapie für immungeschwächte Patienten, bei denen die Impfstoffe nicht anschlagen, unwirksam macht (Qu et al. 2023).

Wir wissen, dass BA.1 von der Schwere der Erkrankung zwischen ALPHA und DELTA lag, also nicht so schwer wie DELTA, aber drei Mal so schwer wie der Wildtyp. Damit war OMICRON (BA.1) weder ein “Weihnachtsgeschenk” (O-Ton Infektiologe Wenisch) noch eine anhaltend neue Richtung zu einem harmloseren Virus, die SARS-CoV2 eingeschlagen hat.

BA.2 war um nichts harmloser als BA.1, in Hong Kong gab es im Spätwinter 2022 eine schwere BA.2-Welle, die bei ungeimpften älteren Menschen eine ähnlich hohe Todesrate wie beim Wildtyp verursacht hat. In England konnte man nachweisen, dass BA.2 gegenüber BA.1 wieder mehr Symptome und stärkere Beeinträchtigung im Alltag verursacht hat (Whitaker et al. 2022). BA.2 war die Variante, die in der Grafik von Elling die gesamte Fläche zwischen der 17. und 24. Kalenderwoche ausfüllt. In dieser Zeit haben sich viele Menschen das erste Mal infiziert, viele Kinder waren ungeimpft, Erwachsene im Schnitt zwei bis drei Mal geimpft.

Von BA.5 wissen wir, dass es vom Zelleintritt her wieder wie DELTA fungiert hat, d.h. es ging wieder stärker auf die Lunge und aufs Herz (Nchioua et al. 2022), letzteres traf bereits für BA.2 zu. Mehrere Studien wiesen nach, dass die Pathogenität von BA.5 gegenüber den vorherigen Varianten wieder größer war (z.B. Kislaya et al. 2022, Tamura et al. 2022, Kimura et al. 2022, Holm-Hansen et al. 2022).

Nur zur Erinnerung: Die nicht mehr verhohlene Durchseuchungsstrategie begann mit BA.1/BA.2, vor den beiden BA.5-Wellen wurden auch Masken- und Isolationspflicht gestrichen (bis auf Wien). Jetzt berichten Ärzten aus der LongCOVID-Ambulanz, aber auch HNO-Ärzte, dass die Zahl der LongCOVID-Betroffenen seit BA.5 wieder zunimmt, viele nach Reinfektion, sehr viele mit Fatigue nach PEM, kognitive Probleme, orthostatische Probleme (POTS), asthma-artige Probleme, Halsprobleme, Schmerzen, bei Ungeimpften zusätzlich deutlich schwerere Organschäden. Auch viele Kinder mit Problemen nach der zweiten Infektion, u.a. Fatigue, Konzentrationsstörungen, Lungenfunktionseinschränkungen, Schwindel, Fieberschübe, schlechte Blutgaswerte.

Diese Folgen werden nicht weniger, wenn künftig noch weniger getestet wird und SARS-CoV2 nicht mehr meldepflichtig ist. Die Folgen werden bleiben. Momentan ist es so, dass ein LongCOVID-Patient maximal zwei Termine in einer LongCOVID-Ambulanz bekommt – oft nach mehrmonatigen Wartezeiten. Es ist aber gerade die erste Zeit nach der Infektion bedeutsam, wo man sich schonen und erholen sollte, um sein LongCOVID-Risiko zu minimieren. Wer seine Infektion nicht durch einen PCR-Test nachweisen kann, kriegt auch keinen Termin.

Wer krank ist, wird gefährdet

Wenn die Masken auch in den Arztpraxen fallen, muss man künftig vor jedem Termin erst einmal abklären, wie ernst es die Mediziner noch mit dem Infektionsschutz nehmen. Hoffen muss man, dass der Stammarzt, die Stammfachärzte zu den Vernünftigen zählen, die das Infektionsrisiko und dessen Folgen weiterhin ernstnehmen.

In den Spitälern wird das schwieriger. Ich hab selbst erlebt, wie ein leider nicht zu vernachlässigender Teil des Gesundheitspersonals die Maske nicht richtig getragen hat.

Patienten, die sich im Krankenhaus mit SARS-CoV2 infiziert haben (hospital acquired infection, HAI), England – Stand 2. Februar 2023 – innerhalb eines Monats haben sich von 19231 Spitalspatienten 6076 wahrscheinlich oder definitiv mit Covid angesteckt (Quelle: Twitteraccount von Intensivpfleger Tom Lawton)

Wie soll das künftig aussehen? Geplante OPs, Chemotherapie, Unfälle, chronische Schmerzpatienten… was man da auf keinen Fall gebrauchen kann, um gesund zu werden, länger zu leben, nicht kränker zu werden, ist eine verdammte Infektion. Warum geht das in keinen Schädel? Wer im Gesundheitsberuf keine Maske mehr tragen will, soll sich einen anderen Job suchen – so einfach. Das ist das Minimum des notwendigen Kommittments, wenn schon der Staat und die Rechtsverdreher versagen. Wenn ich mich nicht mehr darauf verlassen kann, dass eine Einrichtung, die existiert, um Menschen zu heilen, Leben zu retten, vor übertragbaren Krankheiten schützt, dann wird mir das Recht auf Gesundheit verwehrt, so wie damals Semmelweis darum gekämpft hat, dass sich Ärzte die Hände waschen, bevor sie nach der Leichensezierung Patienten behandeln.

Das Infektionsrisiko ist immer noch vorhanden

Ich habe mich noch nie so unsicher gefühlt wie jetzt, wo immer weniger getestet wird. Auch die 8% Wiener, die noch brav PCR testen, werden mit dem baldigen Ende von “Alles gurgelt” Geschichte sein. Ohne offizielle Zahlen gibt es nurmehr verzögerte Abwasserzahlen. Die Risikoabschätzung wird so schwierig. Ich halte mich für jemand, der nicht unnötig Risiken eingeht, die lebensbedrohlich sein können. Ich bin grobmotorisch eher unterbegabt und tu mir schwer, hohe Geschwindigkeiten zu kontrollieren, daher fahr ich ungern mit dem Rad oder Mountainbike steile Strecken bergab, ich fahr kein Ski und ich geh auch nicht rodeln. Ich bin lieber zu Fuß oder mit Schneeschuhen unterwegs, oder radel in der Ebene bzw. auf breiten Straßen mit nicht zu großem Gefälle. Das ist eine Risikoabschätzung. Ich kann ein erfülltes Leben führen, ohne je eine Skitour gemacht zu haben oder Downhill zu fahren. In Pandemiezeiten verzichte ich lieber auf Menschenansammlungen in Innenräumen, um mich nicht anzustecken. Genauso wie ich zu Kriegszeiten wie jetzt in der Ukraine bei Bombenalarm nicht radfahren würde. Das sagt der Hausverstand.

Um das abzuschließen – das politische Pandemieende kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Infektionszahlen dauerhaft hoch sind, inakzeptabel hoch und gewissermaßen auch erstaunlich hoch dafür, dass eine “Hybrid”-Immunität doch lang anhaltenden Schutz hätte bieten sollen. Doch die ständig mutierenden Virusvarianten vereiteln diesen Ansteckungsschutz.

Pandemieverlauf in Österreich (Daten von Erich Neuwirth) mit den einzelnen Wellen und Wirkung der Lockdowns bzw. Impfung, ab April 2022 eingeschränkt repräsentative Fallzahlen durch verringertes Testangebot und hohe Dunkelziffer vor allem außerhalb von Wien. Auffallend vor allem die steigende Grundinfektionsrate (Baseline). Unter einer tolerablen, endemischen Baseline würde ich 7-Tages-Inzidenzen von 5-20 verstehen, als etwa der Frühsommer 2021 nach Abschluss beider Teilimpfungen.
Inzidenzen bei den 5-14jährigen (Pflichtschulalter) in den Bundesländern seit Dezember 2022, klar erkennbar die deutlichen Wiederanstiege nach Schulbeginn – für viele Kinder bereits die dritte oder vierte Infektion
Das Durchschnittsalter der positiv getesteten Personen zeigt bis heute, dass die Welle immer bei den Kindern beginnt und sich dann über die Familie zu den Eltern und Großeltern fortpflanzt. Der Schlüssel ist bis heute, die Infektionen bei den Kindern und Jugendlichen gering zu halten, und damit die Infektionswellen im Keim zu ersticken.
Über die Toten redet niemand mehr. Seit “OMICRON ist mild” sterben wöchentlich zwischen 20 und 200 Menschen, seit dem Sommer und BA.5 sind es im Schnitt 50 bis 100 Menschen. Einige hier dargestellten Todesfälle sind Nachmeldungen, aber tot ist nun mal tot, und OMICRON definitiv nicht mild.
Die Übersterblichkeit verglichen zu den Jahren vor der Pandemie zeigt klar, dass auch seit der OMICRON-Dominanz dauerhaft mehr Menschen zu Tode kommen als vor der Pandemie. Im Winter 2022/2023 kommt die starke Influenzawelle hinzu, die man natürlich hätte abflachen können, wenn man die gleichen Maßnahmen wie bei SARS-CoV2 angewandt hätte. Leben wie vor der Pandemie heißt auch sterben wie vor der Pandemie, nur dank SARS-CoV2 häufiger als vor der Pandemie.

“Die Situation ist heute eine ganz andere” und “Maßnahmen wären jetzt nicht mehr verhältnismäßig”

Die Statistik und die Fakten zeigen, dass die Situation nur dahingehend besser ist, dass das Risiko, unmittelbar nach einer Infektion zu versterben, dank Impfung geringer geworden ist. LongCOVID-Folgen kann die Impfung leider nicht verhindern, weil wir weltweit die Infektionszahlen so hoch halten, dass das Virus stetig mutiert und sich besser an den Menschen anpasst. Für immungeschwächte Menschen, bei denen die Impfung nicht wirkt und die auf wirksame Medikamente angewiesen sind, hat sich wenig geändert. Die therapeutischen Antikörper wirken nicht mehr, bei anderen Medikamenten gibt es widersprüchliche Daten zur Wirksamkeit, Medikamente wie Molnuvirapir haben eine potentiell schädliche Wirkung (Butler et al. 2022) und begünstigen einzigartige Virusmutationen (Sanderson et al. 2023). Paxlovid ist nicht für jeden Patienten geeignet, der Dauermedikamente nehmen muss. Antivirale Medikamente wirken aber nur dann am besten, wenn man sie früh gibt. Wenn jetzt alle diese Menschen künftig nicht mehr zuhause testen können via Gurgel-PCR, sondern zum Hausarzt in die Sprechstunde oder ins Spital müssen, verlieren sie wertvolle Zeit.

Und auch für mich seh ich weiterhin die LongCOVID-Gefahr, denn die Schwere eines Verlaufs kann niemand steuern. Ich kann nicht überall Maske tragen, und ab da ist es Covid Roulette, ob man viel oder wenig Virusmenge inhaliert.

Zur Verhältnismäßigkeit:

Im ersten Lockdown hat man nach dem Anfangspfusch in Ischgl vorbildlich reagiert (“be fast, have no regrets!”, Mike Ryan, WHO) und rasch gehandelt. Die Fragen um Verfassungs- und Verhältnismäßigkeit konnte oder wollte man aber nicht wissenschaftlich angehen, weil man früh die Kardinalssünde (“keine Überlastung der Intensivstationen”) als Zielgröße festgelegt hat. Ab diesem Zeitpunkt, als man die Zielgröße durch statistische Tricksereien ständig geändert hat (“Torpfosten verschieben”, PLURV-Methode), also fiktive (freie) Bettenanzahl erhöhen, Zählweise der Covid-Patienten ändern, waren zwangsläufig nicht mehr alle Schutzmaßnahmen in der gleichen Härte notwendig – aus Sicht des Staates und der Gegner der Lockdownmaßnahmen, wie vor dieser Festlegung auf die Zielgröße – die anfangs noch hieß “Verbreitung von SARS-CoV2 verhindern”.

Gegner der Maßnahmen haben so argumentiert, dass man den Menschen Maßnahmen aufs Aug gedrückt hat, die diese nicht wollten und die unnötig waren (dafür gibt es ja berechtigte Kritik, z.B. Bundesgärten schließen, Spiel- und Sportplätze sperren, während Skigebiete offen waren, Aufenthalt im Freien diskriminieren).

Jetzt ist es aber umgekehrt, jetzt verwehrt man Menschen, die es wollen oder brauchen, die notwendigen Maßnahmen, um sich weiter zu schützen. Stattdessen hätte man die Verhältnismäßigkeit an den Schwächsten der Gesellschaft orientieren sollen. Damit hätte man zugleich alle Menschen geschützt, denn wie wir wissen, funktioniert der neoliberale “Vulnerable schützen”-Ansatz nicht (Stoddard et al. 2023). Wo er offenbar sehr wohl funktioniert, ist bei den “Reichsten und Wichtigsten schützen”, wie in Davos, in Regierungsgebäuden weltweit oder in modernen Bürogebäuden. Der Pöbel soll hingegen weiter glauben, er wäre nicht schützenswert, weil die Pandemie vorbei ist. Wie scheinheilig. Und wie wenig hinterfragt leider von JournalistInnen.

Ich weiß nicht, wie ich mit dieser neuen Realität künftig umgehen kann. Nach allen mir bekannten Daten und persönlicher Kommunikation mit Spezialisten weiß ich nur Eines: Das Risiko ist mir eigentlich zu hoch, um mit diesem Kurs der “Null Maßnahmen” langfristig leben zu können. Jeder, ausnahmslos jeder mit LongCOVID rät davon ab und wenn man es hat, muss man darauf gefasst sein, keine Hilfe zu bekommen. Jeder, der das weiß, ist und gegen den politischen Kurs rebelliert und das gesellschaftliche Schweigen anprangert, ist vernünftig und vorsichtig, nicht verrückt und ängstlich.Was uns von den Verschwörungserzählern und Schwurbeln unterscheidet ist, dass wir Leben retten und Lebensqualität erhalten wollen. Wir wollen uns keinen unnötigen Risiken aussetzen, und bei täglichen Fallzahlen von 3000 bis 5000 mit 2-3facher Dunkelziffer, ist dieses Risiko nun mal sehr hoch. Dieser nun schon dreijährige K(r)ampf, wissenschaftlich und empathisch aufzuklären, hat leider seine Reibungsverluste, die auch ich nicht mehr überspielen kann.

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