Message Control im ORF: Pandemie und Endemie

Während die Wellen von BA.5 und der Variantensuppe zwischen Juli 2022 und Jänner 2023 einen endemischen Zustand suggerierten, zerstört XBB.1.5 diese Illusion erneut, denn es es handelt sich hier klar um eine epidemische Welle. Quelle: Boston University

Für manche ist es eine Diskussion um des Kaisers Bart, für andere ist es hingegen wichtig, wissenschaftlich korrekt zu bleiben, um nicht die Regierungsnarrative zu übernehmen. Grundsätzlich gilt: Ob wir es Pandemie oder Endemie nennen, ändert nichts am akuten Handlungsbedarf. Wir leben auf Dauer nur mit einem weiterem Virus, wenn wir aus der Pandemie lernen und Schutzmaßnahmen dauerhaft übernehmen. Bei Cholera war das sauberes Trinkwasser und die beiden Hochquellwasserleitungen in Wien, in Afrika und Asien sind es Moskitonetze bei endemischer Malaria. Niemand käme dort auf den Gedanken zu sagen, man entfernt die Moskitonetze, weil Malaria endemisch sei.

Die Boston University definiert endemisch als “gewöhnliche Häufigkeit einer Krankheit an einem bestimmten Ort”. Eine Epidemie ist eine Zunahme der Häufigkeit über der endemischen Rate. Epidemie und Ausbruch sind synonym zu verstehen. Pandemie bezieht sich auf zahlreiche Epidemien weltweit. Auch das ist selbstverständlich noch erfüllt. Die Definition Pandemie hat übrigens nichts mit der Schwere der Erkrankung zu tun.

Das Regierungsnarrativ lautet: Seit OMICRON ist das Virus so mild, dass wir keine Maßnahmen mehr brauchen. Mit OMICRON erleben wir endemische Wellen, die Pandemie ist vorbei. Schutzmaßnahmen daher unverhältnismäßig, weil die Spitäler nicht mehr überlastet sein würden. Ich möchte im Folgenden diese Narrative anzweifeln:

OMICRON ist als “Ticket in die Endemie”?

Logarithmischer Inzidenzverlauf der gesamten Pandemie: Quelle: AGES, Darstellung: Erich Neuwirth, Beschriftung und Adaption von mir

Die Debatte um die exakte Benennung des Zustands begann schon mit der Durchsetzung der ersten OMICRON-Varianten. Am 08. Februar 2022 interviewte Lenglinger in der ZibNacht Virologe Nowotny: “Jetzt mit dieser Omicron-Variante, das ist bereits ein Ausstiegsszenario in die richtige Richtung, nämlich hin von einem pandemischen Virus zu einem saisonalen Virus, das wir jeden Herbst und Winter sehen werden und wo wir uns dann durch eine Auffrischimpfung im Herbst gut schützen können.”

Die BA.2-Welle und die Sommer-BA.5-Welle wurden sowohl von der Politik als auch von den Medien ignoriert, es drehte sich wochenlang, monatelang nur um die “Vorbereitung” auf den Herbst, die darin bestand, immer neue Ausflüchte zu erfinden, um keine Maskenpflicht einführen zu müssen. Im Herbst 2022 änderte man zudem die Zählweise im Krankenhaus (nach zwei Wochen gelten Covid-Patienten nicht mehr als solche und fallen automatisch aus der Statistik), so konnte man mit Verweis auf die niedrigen Hospitalisierungszahlen erst recht öffentlich beruhigen, dass die Situation noch nicht dramatisch sei.

Am 27. Dezember 2022 gab Virologe Drosten das berühmte Tagesspiegel-Interview:

“Ja, wir erleben in diesem Winter die erste endemische Welle mit SARS-CoV2, nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei.”

Zum Zeitpunkt seines Interviews lief gerade die Variantensuppenwelle ab, wo sich keine neue Variante durchsetzen konnte, sondern mehrere Varianten mit ähnlichen Spike-Mutationen koexistierten. Wenige Tage später im NDR-Corona-Update ruderte Drosten zurück: Das Pandemie-Ende lasse sich nicht vorab ankündigen, man könne dies nur im Nachhinein – also nach dieser Welle – betrachten.

Heute wissen wir: Die erste Winterwelle blieb nicht die letzte Winterwelle. XBB.1.5 verursacht dramatisch mehr Infektionen, und zwar in der Größenordnung der BA.2-Welle, wenn man das Abwassermonitoring heranzieht. XBB.1.5 breitete sich in den USA zuerst aus und schwappte dann auf Europa über, war also geographisch nicht beschränkt. Das widerspricht der Definition des endemischen Zustands – es ist weiterhin eine Pandemie. Ob wir den endemischen Zustand im Sommer erreichen, ist ungewiss.

Während der DELTA-Welle (November 2021) schrieb die australische Pandemiexpertin Raina MacIntyre, dass SARS-CoV2 niemals endemisch werden würde. Es sei eine epidemische Krankheit und würde es immer sein. Das heißt, das Virus findet ungeimpfte oder zu wenig geimpfte Wirte und verbreitet sich in diesen Gruppen rasch. Es wird das typische Auf- und Ab-Muster einer epidemischen Erkrankung zeigen. Auch Ende Februar 2023 zeigt SARS-CoV2 noch dieses Erscheinungsbild mit großen epidemischen Wellen. Selbst wenn man es endemisch nennen würde, wäre das auf hohem Niveau (Inzidenz 150 in den Talsohlen), wobei die Abwasserlast wesentlich höhere Inzidenzen vermuten lässt.

Pandemie oder Endemie? Die WHO sagt: Pandemie

Nach dem vielfach verkürzten Drosten-Sager war für Politik und Medien klar: Pandemie wurde beendet. Man hatte sogar die Chuzpe zu behaupten, “dass die meisten Fachleute” die Pandemie für beendet erklärt hätten . Ohne diese namentlich zu nennen, ohne dazu zu sagen, dass weder Politiker noch random Wissenschaftler den Status der Pandemie verändern können.

Am 23. Jänner 2023 verlängerte die WHO die Gesundheitskrise internationalen Ausmaßes (PHEIC), die international koordinierte Eindämmungsmaßnahmen notwendig macht. Am 16. Februar 2023 erläuterte WHO-Epidemiologin Maria van Kerkhove, dass wir uns immer noch in einer Pandemie befinden.

Am 08. Februar 2023 behauptete Epidemiologin Schernhammer: “Weil sich nichts abzeichnet, das darauf hinweist, dass die Pandemie noch einmal an Tempo zulegt, sondern eher vielleicht in eine Phase kommt, die andere endemisch bezeichnen, aber die jedenfalls weniger Aufmerksamkeit von uns erfordern wird.”

Das Gegenteil war der Fall: Mit XBB.1.5 sind die Fallzahlen, Krankenstände und auch die Spitalsbelegung wieder deutlich gestiegen.

Am 14. Februar 2023 Infektiologe Wenisch: “Da freu ich mich, dass das jetzt wirklich vorbei sein wird, weil die Durchseuchung so gut ist, dass nicht so viele Patienten auf einmal wieder ins Spital kommen.”

Die Durchseuchung kam allerdings zu einem Preis: Über 20000 Tote und – wenn man die Größenordnung in Bayern übernimmt – rund 350 000 LongCOVID-Betroffene. Und es werden täglich mehr. Am 27. Februar wurden 1485 Covid-Patienten auf den Normalstationen gemeldet, 143 mehr als am Vortag. Das Virus zirkuliert auch in kleineren und größeren Clustern durch alle Spitäler und gefährdet dort Patienten, die wegen etwas anderem ins Spital aufgenommen wurden. 50 Todesfälle pro Woche, wobei Todesfälle durch PostCovid nicht eingerechnet sind (Herzinfarkte, Schlaganfälle, Lungenembolien).

Am 25. Februar 2023 behauptete Virologin Redlberger-Fritz im Ö1-Mittagjournal: “Nur, weil die Pandemie offiziell beendet wurde, ist das Virus ja nicht weg. Wir haben jetzt eine endemische Zirkulation. Das bedeutet, dass das virus weiterhin zirkuliert.”

Aber die Pandemie wurde offiziell (WHO) gar nicht beendet. Daher haben wir noch keine endemische Zirkulation. Das verschriftlichte Interview (eine Aufzeichnung, denn der ORF-Artikel erschien weit vor dem gesendeten Interview) behauptet:

Aus der Pandemie ist eine Endemie mit sich regelmäßig wiederholenden Infektionswellen geworden – wie auch aktuell zu beobachten ist.” und weiter:

“Endemie bedeutet, dass sich eine Krankheit nicht mehr über die Grenzen von Kontinenten hinweg ausbreitet, sondern regional begrenzt in einem bestimmten Zeitraum.”

Nochmal: XBB.1.5 hat sich im Nordosten der USA ausgebreitet und kam dann nach Europa. Neben dem ganzen üblichen Geschwurbel bestätigt das sogar Virologe Nowotny in ORF-Kärnten vom 27.02.23. Dort steht außerdem:

“Die Pandemie sei noch nicht beendet. Ende Jänner erneuerte die WHO ihre Einschätzung eines internationalen Gesundheitsnotstands. Ein Ende der Pandemie sei aber in Sicht, so WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesu.”

Message Control?

Am 25. Februar gab Lungenfacharzt Arschang Valipour vom Klinik Floridsdorf in der Wien-“heute”-Sendereihe “Bei Budgen” ein ausführliches Interview. Der ORF titelte “Endemie statt Pandemie: CoV bleibt da.”

Valipour wird zitiert mit:

Die Pandemie sei „in die Endemie übergegangen, was bedeutet, die Pandemie ist vielleicht zu Ende, aber die Endemie bedeutet, Covid-19 ist jetzt unter uns, bleibt da und damit müssen wir uns dauerhaft auseinandersetzen und es erkennen und behandeln“,

Doch hat er das so gesagt? In der Kurzfassung (07:50min) fällt der obige Satz. In der Langfassung sagt er aber noch etwas anderes:

Valipour: “Die wichtigste Botschaft ist sicherlich: Das Ende der Pandemie – sofern man das überhaupt als beendet erklären möchte, ich würde das ja noch gar nicht tun, ist aber sicherlich der Beginn der Endemie.”

Budgen: “Das heißt, die Pandemie ist nicht vorbei, um das noch einmal zu sagen?”

Valipour: “Also aus Sicht auch der WHO ist die Pandemie ja formal noch nicht für beendet erklärt worden.”

In der Kurzfassung wurden beide Aussagen herausgeschnitten, in der Zusammenfassung bezieht man sich nur auf die Kurzfassung. Ein Schelm, wer böses denkt…

Auf Nachfrage (wegen der Kurzfassung) antwortete mir Valipour so:

“Mein Punkt: COVID-19 bleibt vorerst. Ob das jetzt per Definition eine Endemie mit epidemischen Ausbrüchen, eine Hyperendemie, oder eine Pandemie ist, sollen andere diskutieren.”

Und er benennt ja auch klar, was es dafür braucht. Auch wenn ich zum jetzigen Aufklärungsstatus der Pandemie vehement widersprechen muss, es mit Eigenverantwortung und Freiwilligkeit zu versuchen. Aufklärung und Information gut und schön, aber sie existieren nicht, von wem auch. Und daher klappt das ja mit dem Maskentragen trotz Rekordwelle nicht. Selbst manche Ärzte und deren Assistenten in den Praxen werden schleißig, oder lüften das Wartezimmer nie, wodurch RisikopatientInnen gefährdet werden. Also offenkundig braucht es die Pflicht, aber bessere Erklärungen dazu als “nur sinnvoll, wenn die Intensivstationen am Kollabieren sind”. Oder wie die Autorin Julya Rabinowich treffend sagte: “Wann wurde aus schau auf mich, schau auf dich ein scheiss auf dich?”

Beim anfangs von ihm postulierten Übergang in die Endemie bezieht er sich auf die CDC-Definition:

„Endemic refers to the constant presence and/or usual prevalence of a disease or infectious agent in a population within a geographic area.

Auch hier: XBB.1.5 hat sich weltweit verbreitet, ist nicht auf ein geographisches Gebiet beschränkt, und löst unterschiedlich hohe Wellen aus. Mit der Höhe der XBB.1.5-Welle hat wohl kaum einer gerechnet, denn unisono wird seit Wochen, besser gesagt Monaten, von der “breiten Immunisierung der Bevölkerung” geredet. Nicht breit genug offenbar, sodass über 50 000 Menschen aktiv an Covid19 erkrankt sind, und wöchentlich mindestens 50 Covid-Erkrankte daran versterben.

Zusammenfassung:

Weder haben “alle”, “viele” oder “einige” Fachleute die Pandemie für beendet erklärt, weil sie das gar nicht können. Die World Health Organization ist dafür zuständig, da eine Pandemie per definitionem besteht, wenn zahlreiche Epidemien weltweit auftreten. XBB.1.5 ist von einem anderen Kontinent auf Europa übergeschwappt, auch in Australien ist XBB.1.5 aktiv. Es handelt sich also um eine weitere epidemische Welle.

Die Politik hat die Pandemie längst beendet, und zwar schon seit vergangenem Spätwinter, als man trotz hoher Infektionszahlen begonnen hat, sukzessive alle Eindämmungsmaßnahmen abzubauen. Begonnen von der Verkürzung der Isolationszeit über die Abschaffung von 2/3G, der Maskenpflicht, dem Testangebot, der Impfpflicht, der Isolations- und Quarantänepflicht bis hin zur Testpflicht im Gesundheitswesen.

Die Politik reagierte auch nicht darauf, dass OMICRON aus mehreren Subvarianten besteht, von denen BA.1 die am wenigsten pathogene war. BA.2 war schon wieder schwerer, BA.5 noch schwerer und die konvergenten Varianten sowie XBB.1.5 sind immerhin so schwer, dass trotz 4facher bis 5facher Impfung signifikante Symptome auftreten können. Weit entfernt von einem Schnupfen, und leider eben auch weiterhin mit langwierigen Heilungsverläufen. Alleine der Umstand, dass eine Infektion trotz mehrfacher Impfung immer noch ordentliche Symptome verursacht, spricht doch dagegen, dass OMICRON immer milder werden würde. Intrinsisch – also ohne Immunschutz durch Infektion/Impfung – ist sie übrigens ähnlich schwer wie der Wuhan-Stamm.

Alle seriösen ExpertInnen sagen klar: Das Ende einer Pandemie ist der Beginn der Endemie, und so wie bei Malaria braucht es dauerhaft Schutzmaßnahmen. Wenn wir bei den jetzigen Inzidenzen von 100 bis 150 als Talsohle in die Endemie übergehen würden, dann bräuchten wir viele dauerhafte Schutzmaßnahmen, eben auch die Maskenpflicht im öffentlichen Raum, und zwar nicht nur im Winterhalbjahr, sondern ganzjährig. Das ist schon der Minimumschutz, denn es bräuchte noch viel mehr, z.B. Gratis FFP2-Masken für alle Risikogruppen, einschließlich LongCOVID/MECFS-Betroffene und deren Angehörige, sowie gratis Zugang für PCR-Gurgeltests. Sonst haben “vulnerable Gruppen” nämlich keinen niederschwelligen und raschen Zugang zu Paxlovid. Für die Allgemeinheit gilt: Wer keinen PCR-Test als Nachweis hat, wird nach einer Infektion und LongCOVID-Symptomen Probleme bekommen, wenn er einen Termin in einer LongCOVID-Ambulanz braucht, ebenso beim Einschluss in (Therapie)-Studien, aber auch bei Kassen, PVA, Rehageld, etc.

Man bräuchte noch viel mehr, worüber ich aber schon tausendfach geschrieben habe – und das gilt, da geb ich Arschang Valipour vollkommen Recht – unabhängig davon, ob man es jetzt Pandemie, Endemie oder Hyperendemie mit epidemischen Wellen nennt. Aber die Politik hat nun mal das Pandemieende und damit auch das Maßnahmenende ausgerufen und daran darf nicht mehr gerüttelt werden – leider wurde das nie kritisch hinterfragt in der österreichischen Medienlandschaft.

Wundern tut mich das schon lange nicht mehr.

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