Leben im Krisenmodus

Wien-Spittelau letzten Sonntag mit dem Rad

Die Wienliebe ist Geschichte. Ich lebe seit elf Jahren hier, zwei Jahre war ich in Salzburg, aber wollte schon nach wenigen Monaten wieder zurück nach Wien. Die geschlossenen Bundesgärten im ersten Lockdown waren nicht die Schuld der Stadtregierung, sondern Landwirtschaftsministerin der ÖVP, die die Gärten geschlossen hielt, um dem roten Bürgermeister eins auszuwischen (denn die Stadtparks blieben offen). Wien fuhr lange einen strengeren Kurs als die anderen Bundesländer, aber nie aus Nächstenliebe oder mehr wissenschaftlichem Verständnis, sondern um die Wiener Spitäler nicht zu überlasten. Flatten the Curve, Great Barrington-Kurs. Wien hat viel in ein gutes Testangebot für seine Bürger und Touristen investiert, durch das kostenlose Gurgelset zuhause war (und ist man noch bis etwa Juni) man in der Lage, seine Mitmenschen vor einer Ansteckung zu schützen – wenn man es rechtzeitig bemerkt und sich isoliert hat. Tests waren aber nie dafür gedacht, Impfung, Lockdowns oder Maske tragen zu ersetzen. Tests dokumentieren Infektionen, verhindern aber nur Zweitansteckungen. Dabei hätte das Ziel immer sein müssen, so viele Menschen wie möglich infektionsfrei bis zur Impfung zu bringen. Das haben weitaus mehr Erwachsene als Kinder geschafft.

Ich hab mir die Pandemie in Etappen eingeteilt. Erstmal den ersten Lockdown durchhalten, dann bis zur Impfung durchhalten. Dann zur zweiten Impfung durchhalten. Dann kam DELTA und ich zog die dritte Impfung. Dann kam OMICRON und dann war es leider aus. Seit Ende der Lockdowns gab es nie mehr diese Phase, wo man sich risikoarm frei bewegen konnte in der Stadt. Mit der Maskenpflicht war zumindest noch die Mobilität gewährleistet. Das ist seit März auch weggefallen. Jetzt essen und trinken viele wieder in den Öffentlichen Verkehrsmitteln, was zumindest in der U-Bahn eigentlich verboten ist. Seit Fall der Maskenpflicht sehe ich auch wieder viele Kontrolleure und Security. An Personal für Kontrolle der Maskenpflicht hat es also nicht gefehlt, sondern am Willen, diese auch durchzusetzen. Seit der unseligen Debatte um das angebliche Maskenverbot trägt fast niemand mehr Maske. In einer 2-Millionen-Stadt am Höhepunkt der SARS-CoV2- und in einer Influenza-B-Welle, die auch junge, gesunde Menschen ins Spital bringt. Dazu zahlreiche andere Viren, die momentan kursieren. Ich hab seit Pandemiebeginn noch nie quer durch alle Altersgruppen so viele Menschen husten gehört.

Entsprechend ist mein Bedarf auf Ausflüge momentan auf ein Minimum reduziert. Ich weiß zwar, dass mich meine FFP3-Maske schützt, aber die Ignoranz, Dummheit und Unwissenheit auszuhalten verlangt einiges an Resilienzfähigkeit ab. Lieber bin ich jetzt schon zwei Mal aufs Rad gestiegen und habe eine Runde gedreht. Wenn es wärmer wird, kann man zumindest in einem Gastgarten einkehren. Der Krisenmodus beginnt, sobald ich die Wohnung verlasse: FFP3 im Stiegenhaus, in den Öffis, bei stark frequentierten Straßen auch im Freien, im Supermarkt, im Handel. Für mich ist die Maske so selbstverständlich wie meine Brille. Sie bedeutet Freiheit – nämlich meine Lebensqualität bewahren, wandern und radfahren gehen zu können, liebe Menschen zu besuchen, die ich nicht anstecken will. Ich versteh den Hype um den Infektionsfetisch nicht. Er entzieht sich vollkommen meinem rationalen Denken. Ein Beispiel: Ich hab über sechs Jahre wegen Gallenbeschwerden massive Probleme mit Essen und Trinken gehabt und lebe seit der Gallenblasen-Entfernung nun über ein halbes Jahr schon fast beschwerdefrei. So viel Lebensgewinn. Eine mögliche, häufige LongCOVID-Folge sind Diabetes Typ I und Mastzellenaktivierungssyndrom (MCAS), was entsprechende Umstellung bzw. deutliche Einschränkung beim Essen erfordert. Ebenso entzieht es sich meinem Hausverstand, was so toll an der Normalität von 2019 war, dass man im Winterhalbjahr ständig krank war. Jetzt sind alle mit allem krank, es fehlt an Medikamenten, und viele taumeln von einer Infektion in die nächste. Das ist selbst dann mühsam, wenn man selbst gesund bleibt, aber es sind im Umfeld einfach alle ständig krank. Man kann nichts mehr planen, es krankt an allen Ecken und Enden, egal ob Handwerker, Arztbesuch – sogar die Weltmusiker sind ständig krank und müssen ihre Auftritte und Tourneen absagen.

Wie viele Runden braucht die Bevölkerung, bis sie einsieht, dass wir nicht in die Normalität von 2019 zurückkönnen, weil wir jetzt 2023 haben? Weil wir immer noch in der Pandemie sind, mit wiederkehrenden Wellen alle drei bis vier Monate und selbst in den Talsohlen hohe Grundinfektionsraten, sodass es nie mehr so entspannt ist wie im Sommer 2020, selbst Frühsommer 2021. Der weitere Wegfall von Test- und Maskenpflicht im Gesundheitsbereich gefährdet alle Menschen mit erhöhtem Risiko für schweren Verlauf oder LongCOVID. Covid19 kann nämlich bestehende Grunderkrankungen verschlechtern. Soll der einzige Trost sein, nicht daran zu versterben, wenn man durch Covid19 invalide wird und in die Armut rutscht? Wie wird das ab Juni weitergehen, wenn das Gurgeltest-Angebot der Stadt Wien enden wird? Wenn die Meldepflicht für SARS-CoV2 fällt? Denn eines ist sicher: SARS-CoV2 wird bleiben und weiterhin mit vielen Wellen zirkulieren, auch im Sommer. Wir werden es nurmehr im Abwasser bemerken und an der Prävalenz für Hustenanfälle im Alltag. Wie soll man seine Mitmenschen dann schützen, wenn man nurmehr mit Antigentests testen kann, die symptomlos häufig nicht anschlagen? Wie sollen Risikopatienten schnell zu Paxlovid kommen, wenn es keine PCR-Tests mehr an Wochenenden und Feiertagen gibt? Weil Arztpraxen geschlossen und Ambulanzen überlaufen sind? Werden dann künftig erst Recht infizierte Patienten mit vulnerablen Personen im Wartezimmer sitzen? Wie es jetzt schon mit Influenza der Fall ist – eine Lehre, die man aus der Pandemie hätte ziehen können, dass wir genauso auf Influenza testen sollten, denn die Impfquote ist jedes Jahr lausig und die Verläufe können für alle Altersgruppen schwerwiegend sein. Nichts gelernt hat man. Die Maske ist zum Feindbild stigmatisiert worden.

Es war nie besonders heldenhaft, zu Zeiten der Maskenpflicht trotzig keine Masken zu tragen. Diese Personen haben – wissentlich oder unwissentlich – andere gefährdet, die keine Masken tragen können: Säuglinge und Kleinkinder, und vor allem ältere Menschen, die die Maske zu locker trugen, weil sie sich sonst mit der Atmung schwertaten. Die maskenlose Öffifahrer haben sich aus der Solidargemeinschaft absentiert. Jetzt trägt die überwältigende Mehrheit keine Maske mehr, obwohl SARS-CoV2 weiterhin gefährlich ist und jede Woche mindestes ein Reisebus voller Menschen an Covid19 verstirbt, und viele Erkrankte Wochen brauchen, um sich zu erholen – LongCOVID tritt nach wie vornach der Infektion auf, auch bei 4fach Geimpften. Jetzt sind die Maskenträger in der Minderheit, und das sind die eigentlichen Helden, die stark bleiben, obwohl sie exponiert sind und dafür immer häufiger bepöbelt und abwertend belächelt werden. Die Maskenträger gefährden niemanden – im Gegenteil, sie schützen vorbildhaft alle vor einer Infektion, und schützen auch ihre Mitmenschen im Haushalt oder Freunde. So wie der Nichtraucher die Raucher nicht mit sauberer Luft verpestet.

Ich versteh es wie gesagt nicht. Um so zu denken, muss man nicht einmal besonders viel wissen. Es hat doch auch kein Arbeitgeber etwas davon, wenn die Mitarbeiter ständig krank sind und sich möglicherweise nicht mehr von ihrer Infektion erholen, produktiv und kognitiv eingeschränkt bleiben – bei ohnehin vorherrschendem Personalmangel. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind dramatisch. Warum seid ihr gerne krank? Habt ihr die Zeit nicht genossen, wo ihr nie krank wart? 2020 gab es keine Influenzawelle, auch keine RSV-Welle. Je später Kleinkinder an RSV erkranken, desto höher die Chancen für mildere Verläufe und ausbleibende Spätfolgen (verringerte Lebenserwartung durch chronische Lungenerkrankungen). 2021 war die Influenzawelle flach, RSV schon ein größeres Problem, weil die Schulmaßnahmen gelockert wurden. Seit letztem Spätsommer feiern alle Viren Kirtag, und das eben durchgehend jetzt bis in den Spätwinter. RSV ist zwar vorbei, aber der Rest noch nicht und das wechselhafte Wetter der nächsten Wochen wird daran wenig ändern. Der Reiseverkehr tut sein übriges. Für den einen Reisen, für den anderen abgesagte Urlaube, oder krank zurückkommen. Was ist so toll daran? Warum will man das und findet es unerträglich, stattdessen für verhältnismäßig kurze Zeit Maske zu tragen im Alltag?

One thought on “Leben im Krisenmodus

  1. Ich sehe das ganz ähnlich: die Ignoranz, das Unwissen und die Rücksichtslosigkeit der Mitmenschen sind wirklich schwer zu ertragen.

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