
Knapp ein Jahr nach Ischgl ist Österreich wieder prominent in den Schlagzeilen, wenn man kurz davon absieht, dass Mitte November vorübergehend die weltweit höchste Infektionsrate erreicht wurde. Spätestens jetzt sind nicht nur europäische Wissenschaftler beunruhigt, sondern die ganze Welt ist alarmiert worden. Gut so. Gesundheitsminister Anschober hätte an sich ein Durchgriffsrecht nach dem Epidemiegesetz, wie ein Verfassungsrechtler hier erläutert.
„Erstens hat man in Ischgl aus meiner Sicht sehr schnell reagiert, weil innerhalb von zehn Tagen ganz Tirol sozusagen leer gemacht worden ist und man hat schnell reagiert und das muss mir jemand zeigen, wie man innerhalb von zehn Tagen 250 000 Gäste aus dem Land bringt.“
Christoph Walser, Präsident Wirtschaftskammer Tirol, 07.02.21, zib2
Fahrlässig gehandelt und auch noch stolz darauf. Kein weiterer Kommentar notwendig.
Anschobers Kapitulation
Die Rechtfertigung Anschobers gestern in der zib2, weshalb er dieses nicht genutzt hat, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen:
“Wir haben die Situation, dass wir in der letzten Woche ein wirkliches Hochpushen der Stimmung in Tirol erlebt haben durch einzelne, die hier verharmlost haben, die die Stimmung hochgezogen haben, deswegen ist die Frage der Akzeptanz sehr schwierig, aber wir werden in den nächsten Tagen, und ich habe die Fachexperten, die besten Juristen Österreichs, bereits heute versammelt und morgen wird es noch eine Runde geben und da wird geklärt, was ist notwendig, was ist sinnvoll und vor allem, was ist rechtlich machbar.”
Nur ned hudeln! Wir haben ja Zeit. Warum sollte man eilen, wenn sich eine Mutation ausbreitet, gegen die der billige Impfstoff, den wir, besser gesagt EU-Impfstoff-Koordinator und Sonderbeauftragter des Gesundheitsministeriums, Clemens Auer, vor allem bestellt haben, kaum wirksam ist?
Der zweite Teil des Interviews ist an Absurdität nicht zu überbieten. Anschober betont, das er grundsätzlich nichts von diesen europäischen Rankings halten würde, sagt aber bei jeder zweiten Pressekonferenz das Gegenteil. Dann will er Armin Wolf allen Ernstes weiß machen, dass Österreich bei den Todeszahlen besser dastünde als Deutschland und bezieht sich dabei auf die letzten vier Wochen.

Ja, für diesen Zeitraum stimmt es, aber von September weg bis Jahresende lag Österreich weit darüber.
Der nächste Logikfehler ist, für Berufsgruppen 7 Tage alte Tests oder eine FFP2-Maske zu verlangen.

Masken und Tests sind zusätzliche Käsescheiben, hier gibt es kein entweder oder, sondern nur sowohl als auch. Jede Käsescheibe extra zwischen Virus und Wirt bringt mehr Sicherheit. Ein Antigentest, schlecht durchgeführt oder nicht in der hochinfektiösen Phase, übersieht eine Infektion, der Betroffene kann schon einen Tag später hochinfektiös sein, wird aber dann nicht getestet und muss keine FFP2-Maske tragen.
Wovon im Interview überhaupt nicht die Rede ist, sind die Mutationen, sowohl die ansteckendere und auch gefährlichere B117-Variante, die durch den sukzessiven Einbau der E484K-Mutation ebenso wie die B1351-Variante den “Immun Escape” aquiriert, also Antikörpertherapie und Impfung nicht mehr so gut wirken können. Gefährlicher deshalb, weil eine höhere Viruslast tendenziell mit schwereren Verläufen einhergeht. Die leichtere Anbindung an die ACE2-Rezeptoren bewirkt auch, dass Kinder, die weniger ACE2-Rezeptoren haben, jetzt mindestens so leicht infiziert werden können wie Erwachsene (dass sie es gleich häufig weitergeben können wie Erwachsene, ist ja schon viel länger bekannt).
Aerosole, wo sind sie?
Die AGES verbreitet weiterhin Falschinformationen über die wahren Übertragungswege, wo Aerosole die Hauptrolle spielen. In meinem Übersichtsartikel vom September habe ich die relevanten Mechanismen bereits erläutert.

Ebenso hab ich schon hundert Mal geschrieben, dass das “Aufblasen des Babyelefanten”, wie es auch Virologe Bergthaler kritisiert, nicht ausreicht, denn ob ein oder zwei Meter Abstand – in der Realität lässt sich das ohnehin nie exakt einhalten und es spielt auch nicht die Rolle, wenn es in Wahrheit um Ventilation und Expositionsdauer geht. Das ist in dieser Übersichtsgrafik skizziert:

Es gibt auch Indikationen dafür, dass die klassische Schmierinfektion tendenziell leichtere Verläufe (symptomfrei oder milde Symptome) verursacht. Hände waschen und regelmäßig desinfizieren sollte man zwar beibehalten, zumal man damit auch robustere Viren wie Rhino-, Adeno- und Noroviren abfängt, aber der Fokus sollte auf Frischluftzufuhr und möglichst kurze Anwesenheit in geschlossenen Räumen liegen – übrigens unabhängig davon, ob man sich alleine oder mit mehreren Personen in einem Raum befindet.
Aerosol-Experte Gerhard Scheuch stellt im Deutschlandfunk richtig, dass Spazierengehen ein geringes Infektionsrisiko darstellt, solange man sich nicht gegenübersteht und redend stehenbleibt. Anstecken kann man sich dagegen, wenn man in einen Raum kommt, in dem Stunden zuvor eine infizierte Person war und nicht gelüftet wurde, z.b. Toiletten, Stiegenhäuser, Aufzüge oder Sozialraum. Mehr zu den typischen Ansteckungsgefahren im Beitrag von Tag 326.
Masken und Aerosole und Vorbildfunktion
Ein völlig falsches Vorbild liefern dann Politiker und sogenannte Experten, die sich so verhalten, als ob Aerosole nicht existieren. In jeder Pressekonferenz nimmt der Sprecher die Maske ab und setzt sie wieder auf, wenn er fertig ist. Sprechen produziert aber viel mehr Aerosole, sogar so viel wie Husten! Deutsche Zahnärzte wussten schon im Mai 2020 um die Ansteckungsgefahr durch Aerosole. Dass die Politiker und Wissenschaftler vor jeder Pressekonferenz wahrscheinlich getestet werden, weiß der Normalverbraucher nicht. Er sieht lediglich, dass es anscheinend ok ist, wenn man beim Reden oder Telefonieren die Maske abnimmt.
AGES-Public-Health-Chef Allerberger zeigte den grundsätzlichen Irrtum im berüchtigten Ö3-“Frühstück bei mir”-Interview auch optisch. Er sitzt zwar nach den Pressebildern zwei Meter von der Redakteurin entfernt, beide tragen aber keine Maske, und das während eines zweistündigen Interviews!
Allerberger setzt gerne im Rampenlicht demonstrativ die Maske ab, bevor er redet, so zuletzt in einem zib2-Beitrag vom 03.02.21


Kameramann und/oder Redakteurin im Raum scheinen egal, im Sitzen setzt man nach Logik des Public-Health-Experten die Maske ab, bevor man anfängt zu sprechen – als ob die Aerosole wundersam am Platz verbleiben würden.
Um es einmal ganz klar zu sagen: Das Verhalten eines Allerbergers geht gar nicht. Er kann privat nichts von Masken halten, Tegnell weiter verehren, aber in seiner Funktion als Public-Health-Chef der AGES und zuständig für so ziemlich alles hat er im Interesse der Bevölkerung zu agieren und das nach SERIÖSER WISSENSCHAFT. Stattdessen agitiert er in allen Aspekten der Pandemie gegen den wissenschaftlichen Konsens und lag bisher immer falsch, sei es ….
- Teststrategie
- Festlegung, welche COVID-Symptome einen Test nach sich ziehen
- Maskenpflicht
- Rolle und Erkrankungsrisiko der Kinder
- Long COVID
- erhöhtes Erkrankungsrisiko von Migranten
- erhöhtes Erkrankungsrisiko von Schwangeren
- Zweite Welle und Infektionszahlen im Herbst/Winter
Die AGES untersteht dem Gesundheitsministerium und fällt damit ins Ressort von Anschober. Das verzeihe ich den Grünen nie, dass sie nicht erkannt haben, wessen alternativen Fakten sie hier seit Beginn vertrauen und keinerlei Anstalten machen, ihn von seinem Posten zu entfernen. Allerberger wird im Mai ohne jede Kritik und Anklage in seinen Ruhestand entlassen werden.
Wichtiger Nachtrag: Nicht, dass das wieder als Vorwurf kommt – ich halte türkisgrün gemeinsam für verantwortlich für den freien Fall von Österreich im Zuge des Pandemieversagens. Kurz hat den Grundstein dafür mit seiner autoritären Spaltungspolitik schon vor vier Jahren gelegt. Jetzt ernten wir die Früchte jahrelanger Hetze gegen Teile der Gesellschaft und die Vereinnahmung “freier” Medien. Der Grund für die jetzige Pandemiemüdigkeit ist vor allem die für alle offenkundige Widersprüchlichkeit eines harten Lockdowns, in dem Skigebiete und illegal geöffnete Hotels der ÖVP-Klientel bedient werden, sonstige private Aktivitäten aber nicht erlaubt oder sogar diskriminiert werden (“rodelnde Migranten am Semmering”). Das untergräbt jegliche Motivation mitzumachen, wenn es dann keine klar kommunizierten Ziele gibt, die auf Dauer eine Verbesserung bringen, statt ständig auf und zuzusperren.