Tag 261: Hohe Erwartung an die Impfung

Glückskatze: Ein frommer Wunsch, denn Glück haben wir mit unseren Politikern derzeit nicht.

Die Regierung hält am 7. Dezember als letzten Lockdown-Tag fest, als ob es nicht um Inzidenzen, Überlastung der Spitäler und Langzeitstrategien ginge, sondern abwechselnd um den Handel, um die Adventsmarktstandler, deren Geschäft sich mit jedem Tag ohne Öffnung weniger rentiert, um offene Schulen, die man braucht, damit der Handel öffnen kann, weil man sich um alternative Betreuungsformen keine Gedanken machen will, um den so bedeutenden Wintersporttourismus, weniger um den Städtetourismus, und weil die Massentests schließlich jedem ein frohes Weihnachtsfest bescheren sollen. Wesentliche Aspekte einer umfassenden Aufklärung der Bevölkerung fehlen selbst knapp neun Monate nach Beginn der Pandemie in Österreich, hier sind uns viele Länder voraus, die weitaus bessere Zahlen als wir haben, z.B. Island, Uruguay, Neuseeland, Finnland, Norwegen, Australien, Ghana, Ruanda, Südkorea, Vietnam, Mongolei, etc. Nicht alles davon sind Inselstaaten, Diktaturen oder haben zwingend demographische Vorteile. Und selbst wenn es so wäre: Sich nicht einmal mit den erfolgreichen Strategien dieser Länder zu befassen, sondern gleich abzuwehren mit der Ausrede “das funktioniert bei uns nicht” ist nicht nur präpotent, sondern auch fahrlässig. Jeder Hinweis auf eine funktionierende Strategie, auf eine weitere Käsescheibe zwischen Virus und Wirt, hilft uns, die Fallzahlen herunterzubringen.

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Tag 257: Absurdistan

Römischer Trauergenius (geflügelter nackter Knabe mit gesenkter Fackel) aus dem 3. Jahrhundert, romanische Rundkirche St. Laurenzi, Buchberg (Wienerwald)

Die Pandemie verlangt psychische Höchstleistungen von jedem Einzelnen. Das sollte hier auch einmal erwähnt werden. Unabhängig davon, dass ich mir als Autist noch schwerer mit tiefgreifenden Veränderungen tue wie Nichtautisten, ist es seit Monaten eine schmale Gratwanderung zwischen Resignation, Verzweiflung, Resilienz und innerem Schweinehund überwinden. Ich beschäftigte mich die Wochen vor dem ersten Lockdown offenkundig nicht so intensiv mit dem Virus, um nicht vom Lockdown kalt erwischt zu werden. Um ehrlich zu sein, habe ich kaum noch Erinnerungen an die Zeit vor dem Lockdown, die letzte Woche ja. Ende Februar wars schon ein Bangen, ob sich die geführte Schneeschuhtour mit Übernachtung noch ausgehen würde. Bei einer letzten gemeinsamen Wanderung am 5. März im Wienerwald kehrten wir noch auf der Sonnenterrasse der Ochsenburger Hütte ein. Mir ist nichts in Erinnerung von besonderer Vorsicht. Es ist wie ein Blackout, als ob mich mein Gedächtnis daran hindern will, die gute alte Zeit so in Erinnerung zu behalten wie ich sie vor der Pandemie wahrgenommen habe.

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Tag 256: Massentests sollen uns retten?

Auszeit am Wochenende im Pielachtal, Mostviertel

Inmitten der rasch steigenden Infektionszahlen, die offensichtlich zu einer Überlastung des Gesundheitssystems geführt haben, kommen die führenden Regierungspolitiker in Erklärungsnöte. Da platzte Bundeskanzler Kurz in der ORF-Pressestunde am Sonntag, 15. November, mit geplanten Massentests der gesamten Bevölkerung heraus. Nur: Von seinem Masterplan hatte er vorher offenbar niemandem erzählt. Keiner wusste irgendetwas. Das lässt eher vermuten, dass mit dem Thema Massentests vom grundlegenden Regierungsversagen bei der Pandemie, aber auch des Innenministeriums bei den Terroranschlägen in Wien abgelenkt werden sollte. Was auch geglückt ist. Ich habe meine starken Bedenken, vor allem aufgrund der seit März missglückten Kommunikation an die Bevölkerung. In meinen Augen werden völlig überzogene Erwartungen an den Erfolg der Massentests geweckt: Der Druck ist nämlich enorm.

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Tag 254: Die zweite Welle

Zahl der Hospitalisierten, Intensivpflichtige und Todesfälle bis 21. November 2020,
Quelle: https://just-the-covid-facts.neuwirth.priv.at/

Europa ist derzeit das Epizentrum, auch in Israel, einst Corona-Vorzeigeland, gab es eine explosionsartige Zunahme. Die zweite Welle ist gewaltiger als die erste. Den Grund kennen wir noch nicht.”

Gesundheitsminister Anschober am 21. November 2020 in der “Kronenzeitung”

Anschobers Statement acht Monate nach Beginn der Pandemie ist eine Bankrotterklärung für ihn, sein Ministerium, die Sektion für Öffentliche Gesundheit der AGES und letzendlich auch für die Regierung. Ich verstehe so vieles im Land nicht. Vielleicht bin ich da im Irrtum, aber Koalitionen in anderen Ländern sind vielmehr mit gemeinsamer und nicht mit gespaltener Stimme. In Österreich ist eine Koalition eher wie eine Zweckehe, zwei völlig konträre Parteien arbeiten zusammen, jeder behauptet über den anderen, “das ist deren Verantwortung”, als ob es keine gemeinsame Absprache geben würde, hier: als ob gegensätzliche Ansichten für die Bewältigung einer gesundheitlichen Ausnahmesituation selbstverständlich sind und hingenommen werden. Kanzler Kurz stellt sich jetzt hin und sagt, er hätte den Lockdown schon viel früher gewollt. Während sich Kurz bei der Nichtaufnahme von 100 Flüchtlingskindern bei den Grünen ebenso durchsetzen konnte wie bei der Nichtanhebung des Arbeitslosengeldes, schafft er es in einem wesentlichen Aspekt der Pandemiebekämpfung nicht – oder wollte er es doch nicht so dringend, weil das die Wirtschaft- und Tourismuslobby erzürnt hätte?

Ich habe Anschober lange verteidigt, nicht zuletzt wegen seinem klaren Nein in der Frage, ob man Lehrlinge in Ausbildung abschieben dürfe. Auch während der ersten Welle fand ich die Position der Grünen richtig und wichtig, keine totale Ausgangssperre zu verhängen, wie sie Kurz gewollt hatte, sondern das Recht auf Spaziergänge zu behalten. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht bewusst, wer in der AGES und in anderen Gremien die Regierung wirklich berät und welche folgenschweren Trugschlüsse gezogen worden sind. Inzwischen schmerzt es mich beinahe körperlich, dass ausgerechnet ein Minister der Grünen konsequent den Herdenimmunitätsansatz der Great Barrington-Befürworter mitträgt, der darauf hinausläuft, dass es eine enorme Übersterblichkeit bei älteren Mitmenschen gibt, aber wegen der anhaltenden Überlastung der Spitäler aber auch hunderte Tote bei wesentlich jüngeren Menschen. Jeder fünfte infizierte Mensch in Österreich wird anhaltende Symptome entwickeln mit Langzeitfolgen, manche davon dauerhaft, zumindest aber längere Zeit schwer die Lebensqualität, die Leistungsfähigkeit und die Psyche beeinträchtigen (Long Covid).

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Tag 250: Experten und Scheinexperten

Die zweite Welle wurde auch in ihrer Wucht bereits frühzeitig von Experten vorhergesagt. Die Regierung hat entgegen ihren Warnungen und Empfehlungen zu begleitenden Schutzmaßnahmen (z.b. Maskenpflicht) gehandelt. Wir erinnern uns an die ersten Diskussionen um “Flatten the Curve” – die Neuinfektionen niedrig halten, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, an die Warnung vor dem Besuch der Großeltern durch die Enkelkinder, an die überraschende Lockerung bei der Maskenpflicht im Juni.

Grafik durch Anklicken vergrößern

An dieser Stelle möchte ich auch auf die engagierte Zivilgesellschaft verweisen, eine Handvoll Menschen, die sich nicht mit den offiziellen Informationen zufrieden geben wollten.

  • Der pensionierte Statistiker Erich Neuwirth, der uns seit Monaten mit übersichtlichen und nachvollziehbaren Daten und Grafiken versorgt und diese für uns interpretiert.
  • Ebenso die Seuchenkolumnen des Virologen Robert Zangerle, ebenso pensioniert, aber unermüdlich.
  • Die Journalistin Isabelle Daniel von “Ö24”, die ebenfalls seit Monaten solide und seriös über das Virus berichtet und offenkundig mehr internationale Studien liest als ihre Kollegen vom vermeintlich qualitativ hochwertigeren FALTER.
  • Die Medizinjournalistin Anita Gross für ihre wichtigen Interviews mit dem Mikrobiologe Michael Wagner und dem Genetiker Penninger, und Recherchen
  • Meine Twitterbubble mit engagierten Menschen aus allen Fachbereichen – DANKE!
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Tag 248: Was ist vernünftig? – Verordnung vs. Vernunft

Das Anfang vom Ende: Falsche Signale und Handlungen

Bundeskanzler Kurz verkündete am 13. Juni das Ende der Pandemie und lockerte am 15. Juni die Maskenpflicht weitreichend. Ebenso wurden Zusammenkünfte erleichtert, im Juli dann – folgenschwer – auch für geschlossene Gesellschaften, die für Superspreading Events prädestiniert sind. Davon wissen wir seit spätestens Mitte Juni, eher früher. Masken wirken, auch wenn das bis heute Scheinexperten abstreiten, sie wirken als Fremd- und Solidaritätsschutz, aber auch als Eigenschutz, indem sie die aufgenommene Viruslast verringern und dadurch einen schwächeren Krankheitsverlauf ermöglichen. Auch Kinder wollen lieber Maske als Lockdown, werden aber nicht gefragt. Masken haben aber auch eine psychologisch beabsichtigte Wirkung – sie zeigen, dass die Pandemie nicht vorbei ist, dass wir aufpassen müssen, weil das Virus keine Pause macht. Mit der Aufhebung der Maskenpflicht wurde signalisiert: Die Gefahr ist vorbei. Die vorübergehende Stabilisierung im Juli fiel in die Zeit strenger Maskenpflicht in Oberösterreich. Ab Ende August wurde die Maskenpflicht wieder dem bundesweit lockerem Niveau angepasst. Kurze Zeit später war Schulbeginn und in zwei Schüben kamen markante Kaltlufteinbrüche, die österreichweit Outdooraktivitäten ins Innere verlagerten. Es war auch der Beginn der Zeit, als die Ordinationshilfe das geöffnete Fenster im Wartezimmer mit den Worten “Um Himmels willen, nicht verkühlen!” schloss. Die Aufzählung hier ist natürlich unvollständig, zeigt aber einen Bruchteil der gemachten Fehler, von der unterschätzten Rolle der Kinder in den Schulen bis hin zur fehlenden Aufklärung über Aerosolübertragung durch die AGES. Dazu kommunikative Fehler noch und nöcher. Auch der neue Verordnungstext, der ab Dienstag, 17.11., 0 Uhr, gilt, sorgt für die genau gleichen Diskussionen, was man alles darf und was nicht.

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Tag 247: Lockdown ohne Perspektive?

Ich nutzte den Einkaufssamstag für eine Wanderung im Wienerwald

Die zweite Welle ist gewaltiger und dynamischer als die erste Welle im Frühling.“ Die Lage im Land sei dramatisch, die Zahl der Neuinfektionen steige seit zirka 23. Oktober „fast explosionsartig“. Darum müsse man nun die Notbremse ziehen. „Wenn wir jetzt nicht handeln, werde es zu Situationen der Triage in den Spitälern kommen“, so Anschober.

zib2, 14. November 2020

Ich muss mich wirklich beherrschen, ruhig zu bleiben, wenn ich so etwas lese. Es gibt bereits jetzt die Situation der Triage in vielen Spitälern. Unfallopfer, die einfach Pech gehabt haben. Covid-Kranke mit geringeren Überlebensschancen, die einfach Pech gehabt haben. Onkologiestationen wurden in Covid19-Stationen umgewandelt, Chemotherapien mussten verschoben werden. Auch das wird Leben kosten. Das Krankenhaus in Hall musste die Psychotherapiestation schließen. Auch das wird Leben kosten. Über die psychologischen Folgen der Krise, wachsender Armut, Verlust von Angehörigen an Covid und die Perspektivlosigkeit wird nicht gesprochen (Link zur Telefonseelsorge Österreich).

Lockdown is always indicative of failure to manage the pandemic In Israel, managing the pandemic based on the capacity of the healthcare system was the one major mistake from which all else followed. Define a capacity and you will reach it, at record levels and high death toll

Eran Segal, Genetiker am Weizmann Institut, Israel, 20. Oktober 2020

Selbst der harte Lockdown als Notbremse, der obskurerweise bis Dienstag Zeit hat, reicht nicht aus. Man muss weder ein brillanter Statistiker sein wie Erich Neuwirth, der uns seit Monaten täglich die Daten aufbereitet, noch Epidemiologie studiert haben, um zu erkennen, dass es eine zeitliche Verschiebung zwischen Neuinfektionen und Hospitalisierung gibt.

Quelle: Victor Tseng: Pulmonary & Critical Care, Physician-Scientist, „Mitochondriac“, Translational cardiopulmonary and vascular biology.

Diese Grafik habe ich am 06. April verbloggt, als die erste Welle noch im Abklingen war. Die zweite Welle verläuft analog zur ersten Welle, das ist keine große Überraschung. Mit Verzögerung schlagen die Neuinfektionen im Spital auf. Geplante Operationen müssen verschoben werden, ebenso notwendige Therapien. Aktuell fallen auch wieder Massagen und Physiotherapien aus. Die vierte Welle fällt verschärft aus, weil durch den zweiten Lockdown die wirtschaftlichen Schäden wesentlich höher ausfallen als durch den ersten Lockdown. Viele Unternehmen haben ihre Reserven aufgebraucht. Bereits im ersten Lockdown hätte man so reagieren müssen wie jetzt, mit 60-80% Entschädigung für Umsatzverluste. Die Regierung nennt kein plausibles, rationales Ziel des zweiten Lockdowns, außer die Rettung des Weihnachtsgeschäfts. Es ist unfassbar und mir fehlen die Worte für soviel KURZsichtigkeit. Immerhin hat Kurz zugegeben, dass Schulen sehr wohl am Infektionsgeschehen teilnehmen und schließt beinhart entgegen den Empfehlungen der Ampelkommission und der Berater des Gesundheitsministers.

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Tag 245: Harter Lockdown mit Ansage

Morgen Abend wird also der Kanzler einen neuerlichen harten Lockdown, vergleichbar mit März, verkünden. Details sind schon durchgesickert, mich am ehesten betreffen wird das Thema Öffis benutzen dürfen ja oder nein. Ich ging im Mai noch davon aus, so eine Situation nie wieder erleben zu müssen. Autofahren habe ich nur wegen dem gesellschaftlichen Druck erlernt, aber schon vier Jahre später wieder aufgegeben. Die letzten vierzehn Jahre war ich stolz darauf, vieles öffentlich zu machen. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, in einer mit einem so gut ausgebauten öffentlichen Netz ausgestatteten Stadt wie Wien ein Auto zu kaufen oder zu leihen, geschweige denn noch einmal Fahrstunden nehmen zu müssen. Im ersten Lockdown hatte mich die Benachteiligung ziemlich aufgeregt. Für viele Mitmenschen änderte sich dank Auto wenig an der Bewegungseinschränkung. Es war entsprechend leicht, aus der Stadt zu kommen und Orte aufzusuchen, die nicht von anderen Stadtbewohnern überrannt waren. Im März und April herrschte noch keine Maskenpflicht in den Öffis. So gesehen besteht mit konsequenter Maskenpflicht auch nicht die Gefahr von Clusterbildungen in Öffentlichen Verkehrsmitteln. Aber Öffis können natürlich dazu genutzt werden, von A nach B zu kommen, und andere zu treffen, was unterbunden werden soll. In jedem Fall wäre das eine erneut schwer zu verkraftende Einschränkung, nachdem mich das erzwungene reine Stadtleben schon ziemlich beklemmt die letzten Monate, wenn man überall Menschen begegnet, von denen derzeit ca. jeder 100. bereits infiziert ist.

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Tag 242: Gesundheit und/oder Schulen?

Raus in die Sonne, wenn sie da ist!

Die überwältigende Mehrheit der Menschen sieht Gesundheit als den höchsten Wert, den sie anstreben. Selbst in autokratischen Regimen wie China hat die Regierung massivste Unterdrückungsmaßnahmen ergriffen, um die Infektionsraten zu senken. Die Pandemie einfach laufen zu lassen, führt zu unannehmbaren gesundheitlichen Konsequenzen und ist ökonomisch auch am teuersten. Die effizienteste Kontrolle der Infektion ist die beste Vermeidung wirtschaftlichen Schadens. Sowohl medizinische als auch ökonomische Konsequenzen treffen Menschen aus finanziell schwachen Schichten am stärksten, was zu gesellschaftlichen Spannungen führen kann (siehe Madrid oder Neapel).

In diesem Beitrag versuche ich den Kontext zwischen Gesundheit, Notlage an den Spitälern und der Bedeutung offener Schulen herzustellen.

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Tag 241: Faktencheck Anschober, 7. 11., Ö1 Mittagjournal

Herbstfarben im Widerspruch zu meinem Gemütszustand

In den vergangenen Faktenchecks hab ich die Truth-Sandwich-Taktik angewendet. “The first frame wins” – darum steht die Wahrheit am Beginn. Die Lüge wird umformuliert, um nicht die gleiche Sprache wie der Lügner zu verwenden. Darunter wird erneut und nochmals betont auf die Wahrheit hingewiesen. In diesem Fall verzichte ich darauf, die Zitate umzuformulieren. Jeder soll das Gesagte selbst im Kontext der Wahrheit einordnen versuchen.

Wer bei der Lektüre ein déjà vu Gefühl hat: Ich habe gefühlt schon über alle Unwahrheiten geschrieben und keine Lust, das Rad dauernd neu zu erfinden.

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