
Morgen Abend wird also der Kanzler einen neuerlichen harten Lockdown, vergleichbar mit März, verkünden. Details sind schon durchgesickert, mich am ehesten betreffen wird das Thema Öffis benutzen dürfen ja oder nein. Ich ging im Mai noch davon aus, so eine Situation nie wieder erleben zu müssen. Autofahren habe ich nur wegen dem gesellschaftlichen Druck erlernt, aber schon vier Jahre später wieder aufgegeben. Die letzten vierzehn Jahre war ich stolz darauf, vieles öffentlich zu machen. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, in einer mit einem so gut ausgebauten öffentlichen Netz ausgestatteten Stadt wie Wien ein Auto zu kaufen oder zu leihen, geschweige denn noch einmal Fahrstunden nehmen zu müssen. Im ersten Lockdown hatte mich die Benachteiligung ziemlich aufgeregt. Für viele Mitmenschen änderte sich dank Auto wenig an der Bewegungseinschränkung. Es war entsprechend leicht, aus der Stadt zu kommen und Orte aufzusuchen, die nicht von anderen Stadtbewohnern überrannt waren. Im März und April herrschte noch keine Maskenpflicht in den Öffis. So gesehen besteht mit konsequenter Maskenpflicht auch nicht die Gefahr von Clusterbildungen in Öffentlichen Verkehrsmitteln. Aber Öffis können natürlich dazu genutzt werden, von A nach B zu kommen, und andere zu treffen, was unterbunden werden soll. In jedem Fall wäre das eine erneut schwer zu verkraftende Einschränkung, nachdem mich das erzwungene reine Stadtleben schon ziemlich beklemmt die letzten Monate, wenn man überall Menschen begegnet, von denen derzeit ca. jeder 100. bereits infiziert ist.
Zweiter Lockdown – vermeidbar, aber nicht mit dieser Regierung und seinen Scheinexperten und Medien ohne Wissenschaftsredaktionen
Überhaupt hätte ich nie gedacht, dass es noch einmal soweit kommen würde. Wie man einen zweiten Lockdown verhindern könnte, haben etliche Länder vorgelebt, mit Uruguay auch ein “Nichtinselstaat”. Hingegen wurde Mitte Juni die Maskenpflicht wieder gelockert und damit signalisiert, dass die gesundheitliche Krise überwunden wäre. Wie wir seit dem gestrigen zib2-Interview mit Statistiker Neuwirth wissen, begann ab dem Zeitpunkt auch das exponentielle Wachstum wieder, anfangs schleichend bei niedrigen Zahlen, spätestens ab August war das Problem aber sichtbar. Meine Befürchtung Anfang September sollte sich leider als wahr erweisen. Ausgerechnet im Frühherbst gab es noch etliche Scheinexperten, die uns mit veraltetem Wissen und Verharmlosung beglückten, sodass die zweite Welle richtig Fahrt aufnehmen konnte. Die letzten Beiträge von mir waren großteils Faktenchecks, weil die überlaufenden Spitäler ein klares Zeugnis vom Totalversagen der Verantwortlichen abgeben. Sich an der Bevölkerung abzuputzen ist zu leicht, wenn man sieht, welche führenden und reichweitenstarken Scheinexperten sich geäußert haben.

(Grafik durch Anklicken vergrößern, um den Text zu lesen)
Der Lockdown war dafür gedacht, sich Gedanken zu machen, wie man sich bestmöglich auf eine zweite Welle vorbereiten kann. Pandemie statt Wintertourismus. Doch selbst der zweite Lockdown gilt weniger den überlasteten Spitälern als dem Weihnachtsgeschäft, bestenfalls noch dem verkaufsoffenen Feiertag am 8. Dezember. Wenn sich die Wirtschaftslobby da nicht irrt, denn die Zahl der Neuinfektionen wird noch mindestens zehn Tage weiter steigen und die der Hospitalisierungen noch einige Tage mehr. Die rar gewordenen Intensivbetten bleiben eher vier bis sechs Wochen auf hohem Niveau, eher länger. Überhaupt war es ein riesiger Fehler, die Ampel mit der Spitalsauslastung der verknüpfen. Die Ampel hätte so simpel bleiben sollen wie von den CSH-Forschern inoffiziell in Betrieb genommen – entscheidend ist einzig und alleine die Zahl der Neuinfektionen, weil nur die darüber entscheidet, wo Infektionsgeschehen zunimmt und frühzeitig unterbunden werden muss. Von den Neuinfizierten werden rund 25% einen Verlauf mit Komplikationen erleben, das heißt einer langwierigen Heilung mit vielen Rückfällen und längerem Krankenstand, bei 20% entwickeln sich psychiatrische Erkrankungen. Das österreichische Gesundheitssystem ist auf diese Betroffenen nicht vorbereitet. Die neoliberale Leistungspolitik der letzten Jahre hat die Zweiklassenmedizin forciert, psychologische Unterstützung ist chronisch unterfinanziert und was die Pandemie und die Jobverluste in der Psyche anrichten, war und ist seit März weitgehend tabu. Rund 20% der Neuinfektionen landen im Spital und 1-2% auf der Intensivstation. Bei gegenwärtig täglich 10000 Neuinfektionen kann sich jeder selbst ausrechnen, dass sich das nicht ausgeht.
Was bedeutet Triage – Klarstellung von Dr. Marton Széll (13.11.20)
“Als Infektiologe und Notfallmediziner muss ich hier zu diesem Begriff einiges klarstellen. Der Begriff „Triage“ wird in und außerhalb der Medizin uneinheitlich verwendet ist daher missverständlich. In der aktuellen Diskussion wird fälschlicherweise das Bild vermittelt, dass es zu Situationen kommt wo man sich entscheiden muss wer von zwei Patienten das eine freie ICU-Bett bekommen soll. Der 50jährige Covid-Erkrankte oder der 50jährige mit Polytrauma. Das ist aber nicht die Realität.
Die Realität ist, dass man auf das eine freie ICU-Bett den 50jährigen Covid legt und dann 2 Stunden später, wenn der andere 50jährige nach Verkehrsunfall kommt, für den einfach kein Bett mehr vorhanden ist. Das ist keine „Triage“, sondern nur „Pech gehabt“. Dieses „Pech gehabt“, um es zynisch zu formulieren, findet schon längst in vielen Krankenhäusern statt. Hören wir auf ständig den Begriff „Triage“ als mögliches Bedrohungsszenario zu verwenden. Wir sind bereits längst in der rue de la caque.”
Überlastung des Gesundheitssystems.
Wir schreiben Mitte November und das, was befürchtet und prognostiziert wurde, ist eingetroffen. Da hilft keine österreichische halbe Lösung. Keine halboffenen Schulen, zumal Schulen eben doch am Infektionsgeschehen teilnehmen, wie auch die ersten Ergebnisse der Gurgelteststudie zeigen.
- Berichte aus Spitälern: “Irgendwann war da nur mehr Chaos”
- Eindringliche Appelle aus Tirol als Videobotschaft
- Warnungen aus Oberösterreich vor dem Kollaps
- Intensivmedizinerin Friesenecker aus Innsbruck spricht über Triage und Patientenverfügung

Katastrophal ist die Situation in Oberösterreich, wo es bald zu Engpässen bei den PCR-Tests kommt, wo Kinder unter 10 schon seit Mitte September aufgrund einer Empfehlung des ÖGKJ nicht mehr getestet werden, wo Apfalter und Ärztekammer dramatisch verharmlost haben (und immer noch im Amt sind!). Das Bundesland sollte ähnlich drakonisch abgeriegelt werden wie der Arlberg Mitte März und Kuchl vor ein paar Wochen. Aber selbst das wird zu spät kommen, es werden sich furchtbare Szenen in den nächsten Wochen bieten.
Aus dem Lockdown lernen
Was man im kommenden Lockdown machen müsste, außer die ganze Regierung entlassen, die AGES auflösen, staatliche Fördergelder für Wissenschaftsredaktionen/journalisten in den Medien und einige Ärzte und Wissenschaftler vor Gericht stellen, die mit ihren verharmlosenden Aussagen das Gemeinwohl gefährdeten, ist konstruktiv an Lösungen zu arbeiten, einen dritten Lockdown zu verhindern. Am allerwichtigsten sind die Kindergärten und Schulen, an oberster Stelle steht ihre Gesundheit und die ihrer Eltern und Großeltern.
Ist ja nicht so, als ob es keine guten Vorschläge geben würde:
- Das müsste in Österreichs Schulen mindestens umgesetzt werden (12.11.)
- Zoë Hyde: COVID-19, children and schools: overlooked and at risk (25.10.)
- Positionspapier: Lüftung von Schul- und Unterrichtsräumen – SARS-CoV-2 (08.09.)
- Risk reduction strategies for reopening schools (June 2020)
Massiv ausgebaut werden sollte die psychosoziale Unterstützung in den Schulen, aber auch der Eltern, um sowohl Gewalt in den Familien während des Lockdowns, als auch Gewalt in der Schule (Mobbing) aktiv zu bekämpfen. Jedes Kind zählt, niemand soll zurückfallen, vor der Pandemie haben die Benachteiligten herzlich wenig Unterstützung bekommen.
Kollektivschuld
Wirklich schockiert bin ich über den Umstand, dass eine lautstarke Minderheit hier zur Mehrheit erhoben wurde. Aus der Kollektivschuld kommt keine Partei mehr heraus. Selbst Mr. harter Lockdown nicht, der und dessen Finanzminister so sehr für den Wintertourismus warben, dessen Bildungsminister beim Schutz der Schulinsassen versagt hat, dessen Arbeitsministerin bei der finanziellen Unterstützung der schuldlosen Jobverlierer versagt hat. Dessen Integrationsministerin versäumt hat, die schlechter gestellte Bevölkerung mit Migrationshintergrund adäquat zu informieren und zu unterstützen. Auch die Grünen kommen da nicht raus. Weder der Witzekanzler, der völlig in der Versenkung verschwunden ist, noch Anschober, der ein halbes Jahr Zeit hatte zu bemerken, dass er auf die falschen Experten hört. Auch die Neos können sich nicht so leicht abputzen, denn sie wollten Allerberger als leitenden Experten in der Regierung, sie wollten den schwedischen Weg gehen, um die Wirtschaft zu schützen, nicht unsere Gesundheit. Sie plappern unkritisch alles nach, was die AGES sagt. Auch die SPÖ wird geradestehen müssen dafür, dass ihre Chefin, Ärztin. Epidemiologin bis gestern behauptet hat, dass Schulen offen bleiben können, weil Kinder eine sehr geringe Rolle spielen, obwohl das die lückenhaften AGES-Daten gar nicht hergeben und etliche Studien dagegensprachen. Und ALLE Parteien werden dafür gerade stehen müssen, dass 10-25% aller (!) Infizierten Langzeitschäden davon tragen, Job verlieren, Lebensqualität, psychische Folgen, und sich mit der Dreiklassenmedizin viele ihren alten Lebensstandard nicht mehr zurückholen werden können. Die “Österreich war Opfer”-Schuldumkehr zieht dieses Mal nicht so gut. Denn man kann alles nachlesen, was die Beteiligten in den letzten Monaten von sich gegeben haben. Das kann man keine Jahrzehnte verleugnen.
Pandemiewut statt Pandemiemüdigkeit
Die Regierung lernt nichts aus ihren Fehlern. Die neuen Maßnahmen, die ab Dienstag gelten werden, sickern wieder über Leaks unabsichtlich oder absichtlich an die regierungstreuen Medien (Kurier). Es ist die dümmste und gefährlichste Art der Kommunikation, verunsichert extrem und schürt unnötige Ängste und Spekulationen. Jeder Autist könne besser kommunizieren als die Regierung, schrieb ich Ende Oktober, als eine Pressekonferenz die nächste Pressekonferenz ankündigte. Ich weiß nicht, wohin das Ganze die nächsten Wochen führt. Ich fürchte eine Ansteckung stärker als der Teufel das Weihwasser, denn ICH kenne die Folgen und eine Chance von 1:4 für einen schweren bzw. Longcovid-Verlauf ist ein Russisch Roulette, das man nur verlieren kann, wenn man es mehrfach hintereinander spielen muss.