Kolumne 10/01: Respektlosigkeit

“The Vertlartnic”: Wie kommt es, dass so viele Menschen Masken tragen? Gibt es etwas, was wir nicht wissen wollen?

Michael A. Osborne, Professor für Machine Learning, von LongCOVID betroffen

Stellt Euch vor, ihr geht zu einer Beratung im Sozialbereich, weil Euch der Schuh drückt und ein Teil des Problems ist der Umgang der Bevölkerung mit dem Infektionsrisiko durch SARS-CoV2. Ihr seit gut informiert, weil ihr euch auskennt oder jemanden kennt, der sich auskennt. Daher wisst ihr, dass die Abwasserinzidenzen stark am Steigen sind. Ihr habt ebenso Augen und Ohren, bekommt das Gehuste in den öffentlichen Verkehrsmitteln, am Arbeitsplatz und beim Einkaufen mit, und natürlich die vielen Krankenstände im Umfeld, Absagen von Veranstaltungen und Konzerten. Daher ist für Euch völlig logisch, und das sagt Euch der Hausverstand: In geschlossenen Räumen nur mit FFP2-Maske. Mit der aufgesetzten Maske betretet ihr die Beratungseinrichtung, wo euch die maskenlose Empfangsdame die Tür öffnet. Der Desinfektionsspender der Nächstenliebe steht gleich neben dem Eingang. Er ist immerhin halbleer, denn seit Jahren spatzen es die Pfeifen in der Regierung, dass Handhygiene die wichtigste Maßnahmen gegen eine Infektonskrankheit sein würde, die überwiegend über die Inhalation winziger Aerosole übertragen wird. Am Widerspruch stört sich niemand, denn Vuaschrift ist Vuaschrift. Die Beraterin kommt entgegen, auch sie trägt keine Maske. Sie führt dich wortlos ins Zimmer. Sie fragt immerhin nicht, ob man positiv oder krank sei und deswegen Maske trägt. Sie fragt aber auch nicht, ob sie sich eine aufsetzen soll, geschweige denn es automatisch zu tun, wie man es sich erwartet hätte.

Das Fenster ist geschlossen. Der Raum schmal und klein. Du hast natürlich an alles gedacht und auch Dein CO2-Messgerät mitgenommen. Die Werte steigen innerhalb der Beratungsstunde über 1000ppm. Unhealthy. Doch das ist gerade Deine geringere Sorge, denn die mangelnde Rücksichtnahme am Beginn der Stunde nagt an Deinem Vertrauen in die Beratung. Jetzt meidest Du das Thema Pandemie, Infektionen vermeiden, Maske tragen, weiterhin aufpassen. Das hinterlässt jedoch ein unbefriedigendes Gefühl. Du suchst schließlich nach Verständnis für Dein Anliegen, für Deine Belastung. Dann sprichst Du es doch an, ringst mit den Worten, stammelst herum, denn jetzt musst Du Dich behutsam des Pudels Kern nähern. Dir ist klar, dass die Beraterin zu den Unwissenden gehört. Die das tut, was ihr von oben vorgegeben wurde. Die es nicht für selbstverständlich hält, in sensiblen Settings Maske zu tragen. Denn es ist ein sensibles Setting, dieses Zwiegespräch in einem geschlossenen Raum und schlechter Durchlüftung. Hat sie sich vorher getestet? Warum sagte sie nichts? Das hätte Dich beruhigt, auch wenn Du weißt, wie wenig aussagekräftig Schnelltests oft sind. Dennoch – eine Käsescheibe mehr. Es ist auch sensibel, weil Du vulnerabel bist. Sonst säßest Du nicht hier, sondern würdest Dich vielleicht von der eigenen Partnerin oder Freunden beraten lassen. Offenbar brauchst Du externe Hilfe. Vielleichst ist es eine staatliche Einrichtung, die Menschen mit einer Behinderung berät – dann sind es erst recht vulnerable Menschen, die sich dorthin wenden.

Du sprichst es endlich aus, was Dich bedrückt und die Reaktion ist wie erwartet, vielmehr befürchtet. Relativ emotionsfrei, fast kühl, und letztendlich folgen die Stehsätze, die Du zuvor schon dutzende Mal gehört hast: Die Pandemie ist offiziell vorbei. Es gibt keine verpflichtenden Maßnahmen mehr. Es steht Dir frei Dich selbst zu schützen, aber Du hast keinen Anspruch darauf, geschützt zu werden. Das mag stimmen, aber Du hattest natürlich gehofft, dass Dein Gegenüber aus freien Stücken mehr tun würde als vorgeschrieben ist. Sie könnte ein CO2-Messgerät verwenden und öfter lüften, sie könnte einen Luftreiniger aufstellen. Sie könnte eine Maske aufsetzen, weil Du eine trägst. Nicht, weil sie glaubt, sich anzustecken, oder weil Deine Maske nicht ausreicht, sondern weil es auch einen relevanten psychologischen Effekt hat: Du fühlst Dich nicht mehr alleine. Du bist nicht mehr das Alien wie an den anderen 300 Tagen im Jahr, wo Du das Haus verlässt. Dir wird signalisiert, dass Du das Richtige tust, das Vernünftige in dieser Situation. Das Gegenüber zeigt Dir aber auch den Respekt, der Dir zusteht. Denn in Deiner aktuellen vulnerablen Lage brauchst Du eine zusätzliche Virusinfektion nicht auch noch. Und: Du kennst die potentiellen Folgen von SARS-CoV2, Du kennst Deine eigenen Grunderkrankungen. Eine weitere Verschlechterung wäre mitunter fatal, nicht nur gesundheitlich, sondern auch für Deine Arbeitsfähigkeit, für den Lebensunterhalt.

Du ärgerst Dich, denn die Person, die Dich berät, die Menschen, wie Dich berät, sollte das wissen und darauf Rücksicht nehmen. Du solltest nicht darum bitten müssen, respektvoll behandelt zu werden. Bitten und betteln musst Du im Alltag genug. Oft schluckst Du Deinen Ärger herunter und sagst nichts. Oft geht es gut, aber es belastet mental immens. Was ist, wenn es nicht mehr gut geht? Du kennst die Situation der Langzeitbetroffenen, die Schikanen durch die Ämter und Behörden, durch Krankenkassen und Versicherungen, durchs Arbeitsamt, durch den Arbeitgeber, der sich weigert, Teilzeit oder Homeoffice zu ermöglichen. Du kennst die deprimierenden Erzählungen von Betroffenen, die nicht mehr so fit werden wie vor der Infektion. Obwohl sie mehrfach geimpft waren. Doch das Virus ist der Impfung immer einen Schritt voraus. Einmal im Körper kann es dort noch Wochen und Monate wüten. Du kannst wenig dagegen tun, musst auf Glück hoffen, auf teure Offlabel-Therapien. Mit Schaudern denkst Du daran und tust daher das Richtige: Dich gar nicht erst anstecken. Warum versteht Dich Dein Gegenüber nicht? Wie kannst Du es erklären, ohne als überängstlich oder gar extrem zu erscheinen? Die Menschen wollen sich damit oft nicht mehr beschäftigen. Blocken gleich ab, bringen ihre Standardsätze, wechseln das Thema. Das macht es ungeheuerlich schwer, verstanden zu werden. Nur wenn man verstanden wird, versteht man auch die Belastung durch die aktuelle Situation der kollektiven Verdrängung. Diese beeinflusst eben alle Bereiche des Lebens, einschließlich derer, die einem in Krisensituationen eigentlich behilflich sein würden – der Urlaub, die Kur, soziale Anlässe, alles, das stundenlange Schmökern im Kaffeehaus. Die Unbekümmertheit ist weg, denn jetzt sind es potentielle Ansteckungsherde. SARS-CoV2 ist ein anderes Kaliber als bisherige endemische Viren, von Masern einmal abgesehen. Und Influenza, das aber in einem viel kürzeren Zeitraum aktiv ist.

Du hättest zum Ende der Stunde gerne etwas gesagt, aber die Gelegenheit kam nicht. Die Situation auszuhalten, das behutsame Herantasten an das Tabuthema Corona, das Aussprechen der empfundenen Belastung und die Reaktion, die anders ausfällt als erwartet – das kostete viel Kraft. Dabei wolltest Du Kraft aus dieser Stunde schöpfen. Solche Erlebnisse frustrieren, lassen an der Menschheit zweifeln.

Die geschilderte Situation basiert auf einer wahren Begebenheit. Viele SARS-CoV2-bewusste Menschen kennen das. Sie erleben es auch in anderen Settings, wo man besonders viel Fingerspitzengefühl erwarten würde. Beim Hausarzt, beim Facharzt, in der Notaufnahme, beim stationären Aufenthalt, vor der Operation, in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, in Vereinen und Redaktionen für Menschen mit Behinderung – bei allem, wo es sich im weitesten Sinn um Gesundheit dreht. Das ist bereits das absolute Minimum dessen, was erforderlich wäre. Denn ob jemand Risikofaktoren für einen schweren Akut- oder Langzeitverlauf hat, sieht man den Betroffenen meist nicht an. Viele wissen es selbst nicht. Viele Risikofaktoren, etwa für LongCOVID, kennen wir noch nicht. Dann trifft es zuvor kerngesunde Menschen, die mitten aus dem Leben gerissen werden, die vielleicht im Glauben, sie seien unverwundbar und das Virus inzwischen harmlos, seit zwei Jahren nicht mehr zur Auffrischimpfung gegangen sind. Und dann bereuen, denn sie können die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Sie müssen nun hoffen, dass die Zeit alle Wunden heilt – oder irgendwann Therapien gefunden und auch bezahlt werden, die ihnen helfen. Vielen Menschen könnte man dieses Schicksal ersparen, wenn man von sich aus – ohne auf gesetzliche Vorgaben zu warten – alles zu ihrem Schutz tun würde. Ob wir diesen Paradigmenwechsel noch erleben werden? In Österreich fehlt mir der Glaube daran, aber ich kämpfe weiter dafür.

Kolumne 09/01: Schutz der Kinder – Graustufen

Ich war auch einmal ein Kind und ging in den Kindergarten, in die Schule. Es gibt zweifellos Unterschiede zwischen der Kindesperspektive und der Elternperspektive. Die Sorgen und Nöte der Eltern bekamen wir als Kinder zwar mit, aber sich so richtig in sie hineinzuversetzen geht wohl nur als Elternteil, als Erziehungsberechtigter, der die Verantwortung, aber auch den hohen sozialen und finanziellen Druck erlebt, ein Kind großzuziehen. Sobald das Kind in der Schule ist und die Gruppendynamiken (Stichwort: Mobbing) zunehmen, bekommen die Eltern vieles nicht mehr mit. Insbesondere weil das Kind nicht mehr alles erzählt. Schulkarrieren verlaufen dann sehr unterschiedlich, je nachdem, wie das Umfeld des Kindes ist, wie sehr aufeinander Rücksicht genommen wird, und wie engagiert Schuldirektion und Lehrer sind, dass das auch so bleibt. Ich möchte damit sagen, dass die Kindheit alleine auf die Schulzeit bezogen nicht linear verläuft. Das können innere Faktoren wie Gruppendynamiken sind, aber auch äußere Faktoren wie die Krisen, die wir derzeit erleben.

Mein Zugang zur Pandemie war von Beginn an ein wissenschaftlicher. Im Laufe der Monate und Jahre änderte ich gelegentlich meine Ansichten und passte mich damit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen an. Manchmal waren es auch nur meine neuen Erkenntnisse – schließlich bin ich kein hauptberuflicher Alleswisser. Es war mir dank der Corona-Podcasts mit Virologe Drosten frühzeitig klar, dass Kinder ähnlich ansteckend sind wie Erwachsene und nicht aus der Übertragungsdynamik herausgenommen werden konnten, wie es das Hopium der Mehrheitsgesellschaft war. Die Kenner der Wahrheit waren ebenfalls von Beginn an mit hartem Widerstand konfrontiert. Wir erinnern uns: Schweden ließ die Schulen offen, um schneller Herdenimmunität zu erreichen – sie wussten sehr wohl, dass sich das Virus über Kinder und Jugendliche rasch in der Gesamtbevölkerung ausbreitete. Ebenso äußerte Epidemiologe Tegnell damals klar, dass Bildungseinrichtungen (Aufbewahrungsanstalten) offen bleiben mussten, damit die Eltern arbeiten können. Gleichzeitig fühlten sich die Eltern schutz- und machtlos gegenüber einer Ansteckung durch die Kinder, vor allem bei Kleinkindern, die keine Maske tragen konnten und gefühlt dauerkrank waren. Sie hofften daher sehr, dass Kinder von der Pandemie weniger oder gar nicht Teil des Infektionsgeschehens waren und nahmen jede Äußerungen von überheblichen oder ideologisch verbohrten Wissenschaftlern und Medizinern bereitwillig auf.

Nun ist, bzw. war es aber sehr wichtig, dass wir uns in der allgemeinen Bewältigung von Krisen nicht von Emotionen und Wunschdenken leiten lassen, sondern von wissenschaftlichen Faktoren und bewährten Konzepten. Wir sahen durchaus auch, dass die Schutzmaßnahmen in Bildungseinrichtungen funktioniert haben, von den halben Klassen über FFP2-Tragepflicht im Unterricht über Distance Learning im ersten Pandemiejahr. Es konnten sich aber auch die Erwachsenen nicht aus der Gleichung nehmen – sie waren zunehmend nicht mehr bereit zu verzichten. Hauspartys gab es schon im ersten Lockdown ebenso wie Garagentreffen und offene Hinterzimmer in den Gasthäusern. All das hat zugenommen in weiterer Folge, nachdem infolge des Präventionsparadoxons nicht erklärt wurde, weshalb wir so geringe Infektionszahlen gesehen hatten. Zurück zur Elternrolle: Wir hatten niederschwellige Testmöglichkeiten, FFP2-Masken, Isolationspflicht, Quarantäne, telefonische Krankschreibung, Pflegefreistellung, Homeoffice und noch ein paar Möglichkeiten mehr, die Infektionszahlen niedrig zu halten. Leider hat die ständige Desinformation dazu beigetragen, dass Kinder unter 10 Jahren nicht mehr getestet wurden. Das Ergebnis: Siehe Schweden. Im Herbst 2021 hat man lange gewartet, überhaupt eine Maskenpflicht am Sitzplatz einzuführen, von Distance Learning redeten wir da schon gar nicht mehr. Zur Erinnerung: Für Kinder unter 12 Jahren wurde die Impfung erst Ende November 2021 zugelassen – etwa zeitgleich mit der ersten Sequenzierung der Omicron-Variante. Kinder waren also vollkommen ungeschützt in der schweren Delta-Welle. Mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung hatte noch keine zweite Impfung zu einem Zeitpunkt, wo wir aufgrund der Delta-Variante bereits eine hohe Durchimpfungsrate mit drei Impfdosen gebraucht hätten.

Mit Omicron wurde in Kindergärten und Schulen rasch die Quarantäne gelockert, die Maskenpflicht schrittweise aufgehoben und schließlich die Testpflicht. Die Kinder wurden in vielerlei Hinsicht instrumentalisiert: Als Vektor für schnelle Herdenimmunität, mit offenen Schulen als Garant für aufrechterhaltene Arbeitsleistung der Eltern, als Infektionsradar, um die aktuelle Verbreitung des Virus abzuschätzen, aber auch ihre “psychische Belastung”, um gegen weitere Lockdowns oder sogar Maskenpflicht argumentieren zu können. Gegen diese Instrumentalisierung gab es nie Protest – im Gegenteil! Während es in Deutschland zumindest einzelne NoCovid-Initiativen gab, die für Schutzmaßnahmen in den Schulen eintraten, gab es in Österreich schon in der zweiten Welle Petitionen, die Schulen offen zu halten – allerdings mit unzureichenden Schutzmaßnahmen – dank der konsequenten Verharmlosung. Die NoCovid-Petition in Österreich erhielt wenige tausend Unterschriften.

Ich habe für vieles Verständnis, zumindest Mitgefühl, weil es eben viele Graustufen gibt. Das reicht von all jenen, die kein Homeoffice machen können (“Systemerhalter”) bis hin zu all jenen in beengten Wohnverhältnissen, sprich kein Platz, damit Kinder separat von den Eltern lernen können, kein eigenes Kinderzimmer, keine technische Ausstattung für Heim- oder Fernunterricht. Es geht da auch um die Arbeitsverhältnisse der Eltern in einem Land, wo man im Krankenstand leicht gekündigt werden kann – die sich eben nicht leisten können, mit kranken Kindern daheim zu bleiben oder selbst krank daheim zu bleiben. Das sind soziale Themen, an denen die ÖVP nie ein Interesse hatte und das war von Beginn an klar und nicht anders erwartbar. Anschober war damals nicht nur Gesundheits-, sondern auch Sozialminister und einer von vielen schweren strukturellen Fehlern war, beide Ministerien nicht zu trennen, mit einem Staatssekretär, der die Sozialagenden betreut, und in weiterer Folge einem Sekretär speziell für Pandemieagenden. Die andere Frage war natürlich der Spielraum mit einem türkisen Innen- und Wirtschaftsminister, aber passiert ist zweifellos zu wenig. In meinem Faktencheck zur ORF-Reportsendung über Schulschließungen im Herbst 2022 habe ich hervorgehoben, dass die ÖVP mit ihrer priviligierten Wählerschaft den Diskurs bestimmte, wie schmerzhaft die Schulschließungen waren – da geht es um die Stresstoleranz priviligierter Kinder und nicht um das bare Überleben von Kindern aus Migrantenfamilien, die finanzielle Sorgen haben, die überproportional von schweren Verläufen betroffen waren und für die Leistungsdruck in einer Pandemie noch schwerer zu bewältigen war als mit Eltern mit hohem Bildungsabschluss, die die Lehrerrolle besser ausfüllen konnten. Dieser Aspekt der Pandemie kommt zweifellos zu kurz, weil er nicht die Wählerklientel der ÖVP und großteils nicht der Grünen betrifft.

Ich habe auch Verständnis dafür, dass man irgendwann als Elternteil resigniert – so wie man vor der Pandemie schon resigniert hat, wenn die Kinder alle paar Wochen den nächsten Infekt aus Kindergarten und Schule nach Hause schleppten. Zu den Zeiten der vorhandenen Infrastruktur für niederschwellige Tests war es leicht, jeden Schnupfen zu testen, aber jetzt ist es das nicht mehr. Schon in den ersten Pandemiejahren hat man mit Gewalt versucht, den Schulstoff durchzupressen, der Leistungsdruck war immens und der Druck wuchs auf die Eltern, die Kinder auch mit Symptomen in die Schulen zu schicken, damit sie nicht den Lernstoff für die Klassenarbeiten verpassten. Es wäre die Aufgabe des Bildungsministeriums und der Bildungsdirektion gewesen, hier mehr Druck herauszunehmen – aber auch das passte nicht ins neoliberale Weltbild der ÖVP. Hier hätte ich mir ebenso mehr Proteste von Eltern erhofft, denn dann hätte man auch Schutzmaßnahmen wie Kinder länger zuhause zu lassen eher umgesetzt.

Was kann man als Elternteil im Jahr 2024 tun mit wiederkehrenden Infektionswellen – nicht nur SARS-CoV2?

Wir haben hier ein Dilemma, denn wir wissen, dass sich das Virus auch dann überträgt, wenn man noch keine Symptome hat. Das gilt übrigens auch für Influenza! Ebenso wissen wir, dass wir auch ohne Fieber ansteckend sein können. Kinder mit Husten, Schnupfen, Hals- und Kopfweh in die Schule oder den Kindergarten schicken ist bereits ein No-Go. Gleichzeitig ist klar, dass sich mit den Gesetzen weder Eltern langen Krankenstand oder Pflegefreistellung noch Kinder lange Unterrichtsabwesenheit wegen dem Leistungsdruck leisten können. Das ist mir vollkommen bewusst und ich verurteile Eltern nicht, wenn sie krank arbeiten oder ihr Kind krank in die Schule schicken müssen, weil sie keine andere Wahl haben, insbesondere auch alleinerziehende Elternteile.

Dennoch gibt es auch hier Graustufen zwischen völliger Resignation, Verdrängung und Egoismus und “Kinder wegen jedem Schnupfen einsperren”. Zur Erinnerung: Kinder, die lange krank sind oder ständig krank, verpassen ebenso Schulstoff. Kinder mit schwerem LongCOVID können mitunter gar keinem Unterricht mehr folgen. Mit leichtem LongCOVID würde Fernunterricht noch gehen. Auch krank in der Schule sind Kinder weniger konzentriert und leistungsfähig. Kranke Lehrer können nicht unterrichten. Unterrichtsausfälle tragen nicht zur Verringerung des Leistungsdrucks bei. Aushilfslehrer ohne angemessene pädagogische oder fachliche Ausbildung steigern die Qualität nicht. Infektionskrankheiten ungebremst durchlaufen zu lassen hat eben auch seine Kehrseiten. In England war (und ist?) die Zahl der Fehlzeiten bei Kindern nach Ende der Schulschließungen höher als vor der Pandemie.

Auch wenn man Infektionen in Bildungseinrichtungen nicht völlig verhindern kann, gibt es doch mehr als “Schulen ständig zuzusperren”. Obwohl es politisch extrem polarisiert wurde, erwähne ich es trotzdem:

  • Kinder-FFP2-Masken – wenigstens dann tragen, wenn die Kinder Symptome haben, um es nicht weiterzuverbreiten, wenn man die Kinder trotz Symptome in die Schule schickt.
  • Luftreiniger in allen Unterrichtsräumen: Das reduziert die Gesamtzahl der Keime, aller Krankheitserreger und die Gesamtzahl der Infektionen. Es bleibt natürlich ein Restrisiko, aber es kann bereits dafür sorgen, sich nur 1-2x im Jahr mit irgendeinem Erreger anzustecken als zehn bis zwölf Mal im Jahr.
  • Moderne Lüftungsanlagen mit Frischluftzufuhr sind wichtig, weil stickige Luft (Kohlendioxid) die Konzentration- und Leistungsfähigkeit behindert. Fenster öffnen reicht oft nicht oder wird bei Kälte nicht toleriert.

Im ersten Pandemiejahr hatte ich mir noch gedacht, dass es auch einen Systemwandel braucht, wie Ferienzeiten gesetzt werden. Denn in einer Zeit mit dauerhaft erhöhtem Infektionsrisiko sollten wir die warme Jahreszeit besser nutzen, wo Innenräume häufiger gelüftet werden. Mehr Ferien also im Winter als im Sommer. Natürlich äußerst unpopulär. Mit zunehmenden Wärmeperioden in der kalten Jahreszeit durch die globale Erderwärmung (siehe sommerlichen Oktober 2023) erübrigt sich diese Option ohnehin bald.

Was ich mir von Eltern wünschen würde:

Die Situation derzeit ist wie sie ist. Wiederkehrende Infektionen sind nicht verhinderbar, mit all dem damit verbundenen Leid, aber auch folgenreichen Ansteckungen vulnerabler Verwandter, die daran versterben können, oder infiziertes Gesundheitspersonal, das dann vulnerable Patienten ansteckt, die versterben können. Es ist nicht für alle Eltern bzw. Kinder einfach umsetzbar, das Kind ständig zuhause zu lassen, ständig zu testen, auf keine Kindergeburtstage mehr zu schicken, hermetisch abzuschotten, um jede Infektion zu vermeiden. Es schafft auch nicht jedes Kind mental, als einziges Kind eine Maske zu tragen in der Schule, und bei Kleinkindern geht es sowieso nicht, wenn man nicht gerade in Singapur aufwächst (Aerosole sind auch bei Kleinkindern nicht größer, insofern ist der Nutzen von Stoffmasken da fraglich).

Was aber möglich ist: Sagen, was ist. Das Thema nicht verdrängen, verleugnen, Infektionen verheimlichen, andere nicht zu informieren, dass das Kind gerade positiv ist. Für all jene, die sich weiter schützen müssen und wollen ist es eine große psychische Belastung, mit niemanden darüber reden zu können, abgeblockt zu werden, ignoriert zu werden bis hin zu Gaslighting und aktiver Blockade von sinnvollen Maßnahmen wie Lüften, Luftreiniger und Maske tragen. Das trifft Erwachsene natürlich genauso im (Berufs-)Alltag, ebenso wie Patienten im Gesundheitswesen.

Eltern können Infektionen kaum vermeiden, aber sie können für Schutzmaßnahmen eintreten, die realistisch sind. Luftreiniger kosten ein Bruchteil dessen, was wir durch Korruption und Freunderlwirtschaft im Staat jährlich verlieren. Es ist sehr wohl möglich, auf diesem Weg die Gesamtzahl der Infektionen, von denen eine einzelne folgenreich sein kann, zu verringern. Das ist das Ziel. Da liegt der Fokus.

Kernbotschaft:

  • zugänglich bleiben für Gespräche und Diskussionen, wie man Kinder besser schützen kann und warum man Infektionen vermeiden sollte
  • aktives Engagement und sei es nur durch kleine finanzielle Beiträge für Initiative und Vereine, die für den Schutz eintreten (z.B. bei der Initiative Gesundes Österreich)
  • selbst diesen Schutz leben, so es möglich ist – man muss sein Kind nicht von Kindergeburtstagen fernhalten, aber man kann sie in die warme Jahreszeit verlegen, sodass sie dabei draußen sind

Kolumne 08/01: Wir lagen von Beginn an falsch.

Impfraten bei SARS-CoV2 und Influenza in Österreich (links) und ausgewählten europäischen Ländern (rechts), aus der Seuchenkolumne von Epidemiologe Zangerle – seither wurden weniger als 0,5% zusätzlich geimpft.

Ein Kardinalfehler von Beginn an war, das neuartige Coronavirus wie eine Grippe-Pandemie zu behandeln. Europa war schlecht auf eine Pandemie vorbereitet. Als Blaupause diente der Influenza-Pandemieplan. Zielgröße waren und sind die Spitalskapazitäten (“flatten the curve”) und nicht eine generelle Eindämmung der Pandemie, um mit dem Virus NICHT leben zu müssen. Die frühere Coronabeauftragte des Weißen Hauses, Dr. Deborah Birx, kritisierte kürzlich in einem Interview das CDC (Center of Disease Control), dass man zu spät damit begonnen habe, Testkapazitäten hochzufahren und über asymptomatische Übertragung zu sprechen. Zudem sei man sehr spät dran gewesen, die Aerosol-Übertragung dieses Virus zu thematisieren. LongCOVID durch wiederholte Infektionen werde unterschätzt. Hätte man MECFS früher ernstgenommen, könnten wir jetzt schon Therapien für LongCOVID haben.

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Kolumne 01/07: Ich bin zu empathisch, daher kann ich nicht zum Vorher zurückkehren

Visualisierung: Epidemiologe Robert Zangerle, 06.01.24 Bei den Kleinkindern ist die COVID-Welle vorbei, dafür hat Influenza und RSV zugenommen. Im Vorjahr begünstigte eine vorherige SARS-CoV2-Welle eine RSV-Welle mit schwereren Verläufen. Bei Erwachsenen wird aus den Spitälern gemeldet, dass Influenza nach Covid teilweise schwerer verläuft – auch bei sonst gesunden Menschen. Bei den Hochbetagten dominiert weiterhin COVID. Achtung Dunkelziffer (“Sonstige”) und Einfluss der Weihnachtsferien, welche als “regulärer Lockdown” die Ausbreitung dämpfen.

Meine Beschäftigung mit der Pandemie dauert nun schon bald vier Jahre und das ohne größere Unterbrechungen. Sobald ich die Wohnung verlasse, werde ich daran erinnert. Sobald ich medizinische Versorgung in Anspruch nehmen muss, werde ich daran erinnert. Es haben übers ganze Jahr gesehen mehr Menschen respiratorische Symptome, mit chronischem Reizhusten, und es gibt in Summe mehr Krankenstände als vor der Pandemie. Es bemerken aber selbst all jene, die nicht mehr darüber reden wollen: Konzerte, die kurzfristig ausfallen, weil die Künstler erkranken. Profisportler, die ihr vorzeitiges Karrierende bekanntgeben, weil sie wegen Spätfolgen einer SARS-CoV2-Erkrankungen nicht mehr gesund wurden bzw. ihr altes Leistungsniveau nicht mehr erreicht haben. Plötzliche Todesfälle bei Prominenten, von der Queen über mutmaßlich auch Ostbahn-Kurt, die nach ihrer Infektion ebenfalls noch länger gesundheitlich beeinträchtigt waren. SARS-CoV2 als direkte Todesursache wird in den Medien selten namentlich genannt, aber die Übersterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist inzwischen längst mehrfach bewiesen – und trifft vor allem auch Personen im erwerbsfähigen Alter. Wir erleben Personalmangel durch SARS-CoV2 bedingte Krankenstände, doch wird dieser als “zurück zum Alltag” und “nach der Coronakrise” widerspruchslos akzeptiert. Medien jubeln über die Normalisierungen im Tourismus, dass der internationale Reiseverkehr wieder den Stand vor der Pandemie erreicht hätte, das fette Nächtigungsplus trotz Inflation (in anderen Ländern viel niedriger als in Österreich), doch wie lebens- und erstrebenswert ist es, im gemeinsamen Frühstücksraum zu sitzen, während die Gäste am Buffet niesen und husten?

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Long COVID und Prävention: Offener Brief an die Alpenvereine

Ausblick von der Großen Kanzel am Silvestertag auf das Hochnebelmeer im südlichen Steinfeld bis Rosalia, Bucklige Welt und Günser Gebirge.

Liebe Mitglieder und Führungsebene bergaffiner Vereine,

ich wende mich heute zum Jahresbeginn 2024 mit einer großen Bitte an Euch – lasst Eure Mitglieder nicht im Stich, die Euch seit Jahren und Jahrzehnten treu die Stange halten. Klärt sie über die Gefahren am Berg auf, aber auch darüber, wie wichtig die Gesundheit ist, um weiterhin in die Berge gehen zu können.

Mitte September startete ich eine Benefizaktion für Betroffene der schweren neuroimmunologischen Erkrankung MECFS (Myalgische Enzephalitis, Chronic Fatigue Syndrom), eine sehr schwere chronische und bis heute unheilbare Erkrankung, bei der schon geringe körperliche und geistige Aktivitäten zu einer Zustandsverschlechterung führen können. Die Erkrankung ist schon seit über 50 Jahren bekannt, wird aber mangels Erfahrung von vielen Ärzten und Anlaufstellen kaum diagnostiziert und hierzulande kaum erforscht. Vor der SARS-CoV2-Pandemie waren in Österreich über 25 000 Menschen betroffen, seit Pandemiebeginn wird mit mindestens 60 000 weiteren Betroffenen gerechnet. Auslöser sind zumindest Virusinfekte wie Epstein-Barr-Viren, aber auch Influenza und jetzt SARS-CoV2. Für meine Benefizaktion sammelte ich vom 01. September bis 31. Dezember 2023 pro erwanderten Höhenmeter 10 Cent. Am Ende ist eine Spendensumme von 1905 Euro for die Österreichische MECFS-Hilfe zusammengekommen.

MECFS geht uns alle an

Unter den Betroffenen sind auch viele ehemalige bergsportbegeisterte Menschen, Top-Alpinisten und Sportkletterer wie etwa Mason Earle. Menschen wie Du und ich, die gerne ihre Grenzen erweiterten, gemeinschaftliche Touren genossen oder einfach nur alleine am Berg unterwegs sein wollten. Es war meine große Hoffnung in den ersten Pandemiejahren, dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und das anfangs solidarische Bewusstsein zur Regel machen: Wer Symptome hat, bleibt zuhause und geht nicht in die Berge. Man setzt sich mit Symptomen eines beginnenden Infekts nicht in eine Hüttenstube oder übernachtet im vollbesetzten Lager, man frühstückt nicht gemeinsam mit allen anderen, wenn man bereits dauernd niesen und husten muss.

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