“The covid-cautious are bearing the heavy emotional load of knowing what has been done to us all.”
Michael A. Osborne, Professor für Machine Learning, von LongCOVID betroffen
Stellt Euch vor, ihr geht zu einer Beratung im Sozialbereich, weil Euch der Schuh drückt und ein Teil des Problems ist der Umgang der Bevölkerung mit dem Infektionsrisiko durch SARS-CoV2. Ihr seit gut informiert, weil ihr euch auskennt oder jemanden kennt, der sich auskennt. Daher wisst ihr, dass die Abwasserinzidenzen stark am Steigen sind. Ihr habt ebenso Augen und Ohren, bekommt das Gehuste in den öffentlichen Verkehrsmitteln, am Arbeitsplatz und beim Einkaufen mit, und natürlich die vielen Krankenstände im Umfeld, Absagen von Veranstaltungen und Konzerten. Daher ist für Euch völlig logisch, und das sagt Euch der Hausverstand: In geschlossenen Räumen nur mit FFP2-Maske. Mit der aufgesetzten Maske betretet ihr die Beratungseinrichtung, wo euch die maskenlose Empfangsdame die Tür öffnet. Der Desinfektionsspender der Nächstenliebe steht gleich neben dem Eingang. Er ist immerhin halbleer, denn seit Jahren spatzen es die Pfeifen in der Regierung, dass Handhygiene die wichtigste Maßnahmen gegen eine Infektonskrankheit sein würde, die überwiegend über die Inhalation winziger Aerosole übertragen wird. Am Widerspruch stört sich niemand, denn Vuaschrift ist Vuaschrift. Die Beraterin kommt entgegen, auch sie trägt keine Maske. Sie führt dich wortlos ins Zimmer. Sie fragt immerhin nicht, ob man positiv oder krank sei und deswegen Maske trägt. Sie fragt aber auch nicht, ob sie sich eine aufsetzen soll, geschweige denn es automatisch zu tun, wie man es sich erwartet hätte.
Das Fenster ist geschlossen. Der Raum schmal und klein. Du hast natürlich an alles gedacht und auch Dein CO2-Messgerät mitgenommen. Die Werte steigen innerhalb der Beratungsstunde über 1000ppm. Unhealthy. Doch das ist gerade Deine geringere Sorge, denn die mangelnde Rücksichtnahme am Beginn der Stunde nagt an Deinem Vertrauen in die Beratung. Jetzt meidest Du das Thema Pandemie, Infektionen vermeiden, Maske tragen, weiterhin aufpassen. Das hinterlässt jedoch ein unbefriedigendes Gefühl. Du suchst schließlich nach Verständnis für Dein Anliegen, für Deine Belastung. Dann sprichst Du es doch an, ringst mit den Worten, stammelst herum, denn jetzt musst Du Dich behutsam des Pudels Kern nähern. Dir ist klar, dass die Beraterin zu den Unwissenden gehört. Die das tut, was ihr von oben vorgegeben wurde. Die es nicht für selbstverständlich hält, in sensiblen Settings Maske zu tragen. Denn es ist ein sensibles Setting, dieses Zwiegespräch in einem geschlossenen Raum und schlechter Durchlüftung. Hat sie sich vorher getestet? Warum sagte sie nichts? Das hätte Dich beruhigt, auch wenn Du weißt, wie wenig aussagekräftig Schnelltests oft sind. Dennoch – eine Käsescheibe mehr. Es ist auch sensibel, weil Du vulnerabel bist. Sonst säßest Du nicht hier, sondern würdest Dich vielleicht von der eigenen Partnerin oder Freunden beraten lassen. Offenbar brauchst Du externe Hilfe. Vielleichst ist es eine staatliche Einrichtung, die Menschen mit einer Behinderung berät – dann sind es erst recht vulnerable Menschen, die sich dorthin wenden.
Du sprichst es endlich aus, was Dich bedrückt und die Reaktion ist wie erwartet, vielmehr befürchtet. Relativ emotionsfrei, fast kühl, und letztendlich folgen die Stehsätze, die Du zuvor schon dutzende Mal gehört hast: Die Pandemie ist offiziell vorbei. Es gibt keine verpflichtenden Maßnahmen mehr. Es steht Dir frei Dich selbst zu schützen, aber Du hast keinen Anspruch darauf, geschützt zu werden. Das mag stimmen, aber Du hattest natürlich gehofft, dass Dein Gegenüber aus freien Stücken mehr tun würde als vorgeschrieben ist. Sie könnte ein CO2-Messgerät verwenden und öfter lüften, sie könnte einen Luftreiniger aufstellen. Sie könnte eine Maske aufsetzen, weil Du eine trägst. Nicht, weil sie glaubt, sich anzustecken, oder weil Deine Maske nicht ausreicht, sondern weil es auch einen relevanten psychologischen Effekt hat: Du fühlst Dich nicht mehr alleine. Du bist nicht mehr das Alien wie an den anderen 300 Tagen im Jahr, wo Du das Haus verlässt. Dir wird signalisiert, dass Du das Richtige tust, das Vernünftige in dieser Situation. Das Gegenüber zeigt Dir aber auch den Respekt, der Dir zusteht. Denn in Deiner aktuellen vulnerablen Lage brauchst Du eine zusätzliche Virusinfektion nicht auch noch. Und: Du kennst die potentiellen Folgen von SARS-CoV2, Du kennst Deine eigenen Grunderkrankungen. Eine weitere Verschlechterung wäre mitunter fatal, nicht nur gesundheitlich, sondern auch für Deine Arbeitsfähigkeit, für den Lebensunterhalt.
Du ärgerst Dich, denn die Person, die Dich berät, die Menschen, wie Dich berät, sollte das wissen und darauf Rücksicht nehmen. Du solltest nicht darum bitten müssen, respektvoll behandelt zu werden. Bitten und betteln musst Du im Alltag genug. Oft schluckst Du Deinen Ärger herunter und sagst nichts. Oft geht es gut, aber es belastet mental immens. Was ist, wenn es nicht mehr gut geht? Du kennst die Situation der Langzeitbetroffenen, die Schikanen durch die Ämter und Behörden, durch Krankenkassen und Versicherungen, durchs Arbeitsamt, durch den Arbeitgeber, der sich weigert, Teilzeit oder Homeoffice zu ermöglichen. Du kennst die deprimierenden Erzählungen von Betroffenen, die nicht mehr so fit werden wie vor der Infektion. Obwohl sie mehrfach geimpft waren. Doch das Virus ist der Impfung immer einen Schritt voraus. Einmal im Körper kann es dort noch Wochen und Monate wüten. Du kannst wenig dagegen tun, musst auf Glück hoffen, auf teure Offlabel-Therapien. Mit Schaudern denkst Du daran und tust daher das Richtige: Dich gar nicht erst anstecken. Warum versteht Dich Dein Gegenüber nicht? Wie kannst Du es erklären, ohne als überängstlich oder gar extrem zu erscheinen? Die Menschen wollen sich damit oft nicht mehr beschäftigen. Blocken gleich ab, bringen ihre Standardsätze, wechseln das Thema. Das macht es ungeheuerlich schwer, verstanden zu werden. Nur wenn man verstanden wird, versteht man auch die Belastung durch die aktuelle Situation der kollektiven Verdrängung. Diese beeinflusst eben alle Bereiche des Lebens, einschließlich derer, die einem in Krisensituationen eigentlich behilflich sein würden – der Urlaub, die Kur, soziale Anlässe, alles, das stundenlange Schmökern im Kaffeehaus. Die Unbekümmertheit ist weg, denn jetzt sind es potentielle Ansteckungsherde. SARS-CoV2 ist ein anderes Kaliber als bisherige endemische Viren, von Masern einmal abgesehen. Und Influenza, das aber in einem viel kürzeren Zeitraum aktiv ist.
Du hättest zum Ende der Stunde gerne etwas gesagt, aber die Gelegenheit kam nicht. Die Situation auszuhalten, das behutsame Herantasten an das Tabuthema Corona, das Aussprechen der empfundenen Belastung und die Reaktion, die anders ausfällt als erwartet – das kostete viel Kraft. Dabei wolltest Du Kraft aus dieser Stunde schöpfen. Solche Erlebnisse frustrieren, lassen an der Menschheit zweifeln.
Die geschilderte Situation basiert auf einer wahren Begebenheit. Viele SARS-CoV2-bewusste Menschen kennen das. Sie erleben es auch in anderen Settings, wo man besonders viel Fingerspitzengefühl erwarten würde. Beim Hausarzt, beim Facharzt, in der Notaufnahme, beim stationären Aufenthalt, vor der Operation, in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, in Vereinen und Redaktionen für Menschen mit Behinderung – bei allem, wo es sich im weitesten Sinn um Gesundheit dreht. Das ist bereits das absolute Minimum dessen, was erforderlich wäre. Denn ob jemand Risikofaktoren für einen schweren Akut- oder Langzeitverlauf hat, sieht man den Betroffenen meist nicht an. Viele wissen es selbst nicht. Viele Risikofaktoren, etwa für LongCOVID, kennen wir noch nicht. Dann trifft es zuvor kerngesunde Menschen, die mitten aus dem Leben gerissen werden, die vielleicht im Glauben, sie seien unverwundbar und das Virus inzwischen harmlos, seit zwei Jahren nicht mehr zur Auffrischimpfung gegangen sind. Und dann bereuen, denn sie können die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Sie müssen nun hoffen, dass die Zeit alle Wunden heilt – oder irgendwann Therapien gefunden und auch bezahlt werden, die ihnen helfen. Vielen Menschen könnte man dieses Schicksal ersparen, wenn man von sich aus – ohne auf gesetzliche Vorgaben zu warten – alles zu ihrem Schutz tun würde. Ob wir diesen Paradigmenwechsel noch erleben werden? In Österreich fehlt mir der Glaube daran, aber ich kämpfe weiter dafür.
You must be logged in to post a comment.