Tag 350: Es geht aufwärts – leider nur bei den Infektionszahlen

Grafik: Erich Neuwirth, logarithmische Darstellung der Neuinfektionen im Wochenmittel

Heute Abend habe ich mich das erste mal testen lassen. Nach tagelanger Magenübelkeit kam heute nach dem Aufwachen subjektiv Fieber hinzu, die Stirn glühend heiß, dazu Abgeschlagenheit. Der Körper spielte mir aber einen Streich (und das Infrarotthermometer war zu ungenau), Fieber war es in der Schnupfenbox keines. Egal, ich wollte auf Nummer sicher gehen. Der Antigentest, ein Nasenrachenabstrich, fiel negativ aus. Die Ursachensuche geht also weiter, aber zumindest stammen die Symptome eher nicht von Covid19. Ich sag es wie es ist, und zwar, es ist mühsam alles. Der Alltag ist lästig und monton zugleich. Keine Höhepunkte mehr, nicht einmal das Essen (bald “feiere” ich ein Jahr ohne Kantinen). Früher hab ich mich nach lästigen Arzt- oder Behördenterminen oft damit belohnt, ins Kaffeehaus frühstücken zu gehen. Auch das ist weggefallen. In der Fahrt mit dem Regionalzug ständig die nervigen Durchsagen wegen FFP2-Maske, erst auf Deutsch, dann auf Englisch. Inzwischen sollte das doch jeder mitbekommen haben?! Warum keine Plakate? Nicht nur mich machen 20 Durchsagen in 45 Minuten Fahrtzeit latent aggressiv.

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Tag 348: Ihr habt es nicht besser verdient

Kanzler Kurz heute im Interview mit der deutschen BILD-Zeitung:


„Ich behaupte, würden die Zahlen explosionsartig steigen, dann wäre in der Bevölkerung auch wieder mehr Bereitschaft da und mehr Kraft da, um einen Lockdown mitzutragen, zumindest ist es bei uns so der Fall.“

Und mehr muss man über Österreich derzeit nicht wissen.

Tag 345: Österreichs Journalismus in der Krise

Am 19.02 hielt die Bundesregierung eine Pressekonferenz zum Rückblick auf ein Jahr Pandemie ab. Neben der ausgegebenen Devise, ab jetzt “mit dem Virus leben” zu müssen, sprach auch Infektiologe Weiss, der – wie mein Schaubild zeigt – bisher nicht durch besonders intelligente Aussagen und Ansagen zum Virusgeschehen aufgefallen ist. Covid19 ist tödlicher als Influenza und zudem ansteckender. Nachdem man – wie Oswald Wagner stolz verkündete – als eines der ersten Länder außerhalb Asiens (neben Tschechien) eine Maskenpflicht eingeführt hatte, wurde sie im Juni als eines der ersten wieder gelockert, empfohlen von Weiss, Allerberger und Lass-Flörl. Im September war Weiss Teil der “Labortsunami”-Connection, welche den erneuten Anstieg der Infektionszahlen herunterspielte. Weiss behauptete außerdem Anfang Oktober, dass PCR-Tests viele falschpositive Ergebnisse erzeugt. Neuseeland hatte bei 65000 Tests Null Neuerkrankungen zu verzeichnen, also Null Positive. Ende September warnte Weiss vor überschießenden Ängsten und wollte mehr Normalität wagen. Kurz vor dem Gipfel der zweiten Welle, als auch die Spitäler überlastet wurden, war ihm sehr wichtig zu sagen, dass die Zahlen zu hoch sind. Er war auch strikt gegen Schulschließungen, weil sie “eigentlich” nichts beitragen. Und uneigentlich? Ende November war offenbar auch seine Innsbrucker Intensivabteilung belastet, gleichzeitig warnte er vor der nie eingetretenen Influenzawelle. Kaum war die zweite Welle abgeklungen, fingen die Verharmlosung und Rufe nach Lockerungen wieder an. Er plädiert erneut nachdrücklich für mehr Normalität, obwohl ihm – wie er in einem Interview mit dem Regionalfernsehen zugab – sehr wohl bewusst ist, dass auch junge Menschen schwer erkranken können und lange an den Folgen leiden.

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Tag 341: Faktencheck Epidemiologin Schmid im Falter-Interview

Epidemiologin Schmid knappe sechs Wochen vor dem – viel zu spät gekommenen – Lockdown im Herbst 2020

Frühere Faktenchecks auf diesem Blog: Allerberger (Tag 231), Apfalter (Tag 238 und Tag 239) und Anschober (Tag 241).

Nun also das Interview der Journalistin Barbara Tóth mit der Chefepidemiologin der AGES, Daniela Schmid. Sie ist auch Sprecherin der Corona-Kommission, welche die Regierung berät, und wird von Franz Allerberger vertreten. Schmid hat das Lancet-Paper von Priesemann et al. (18.12.20) unterschrieben, das zum Ziel hat, die Pandemie in Europa rasch und nachhaltig einzudämmen.

Das Interview beginnt damit, dass sich Schmid an jenem Montag nicht in der Expertenrunde zur Maßnahmenbesprechung einfindet, sondern im Besprechungszimmer des FALTERs. Auch wurde kein Vertreter Schmids bestellt. Schmid wurde vor dem Interview getestet und nimmt die FFP2-Maske zum Gespräch ab.

Das liest sich schon seltsam befremdlich. Medieninterview wichtiger als die Pandemiebekämpfung? Kein Vertreter? Maske abnehmen? Was ist, wenn ihr Test falschnegativ war?

Vorab: Ich bin kein Virologe, kein Mediziner, aber als studierter Naturwissenschaftler mit wissenschaftlicher Methodik vertraut. Für meinen Faktencheck habe ich Medizinjournalistinnen, Mikrobiologinnen und zahlreiche Aussagen von anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herangezogen. Meine Arbeit sollten eigentlich Wissenschaftsjournalisten machen. Ich mache das hier in meiner Freizeit. Ich gehöre keiner Partei an und auch keiner politischen Organisation. Wie immer gilt: check, recheck, double-check.

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Tag 338: Einfach laufen lassen ist keine Lösung

In Österreich folgt derzeit ein Skandal nach dem anderen. Keine Zeit zum Luft holen. Ich nehme sie mir derzeit trotzdem und gehe an freien Tagen wandern, um ein paar Stunden abzuschalten. Die dreifache Belastung fordert ihren Tribut. Warum dreifach? Mein Brotberuf ist in Gefahr, die Luftfahrtbranche schwer angeschlagen. Es ist absehbar, dass Reisefreiheit im engeren Sinne erst wieder zurückkommt, wenn es global eine ausreichende Durchimpfungsrate gibt. Derzeit laufen wir wegen den Mutationen dem Virus immer hinterher, nicht einmal die reichen, westlichen Länder sind schnell genug. Österreich wird EU-weit am schlechtesten aus der Pandemie aussteigen. Wir steuern bereits in den dritten Lockdown, nachdem die Mutationen schnell an Boden gewinnen und die Gegenmaßnahmen zu halbherzig sind. Und das ist die dritte Belastung: Diese Regierung, diese ÖVP, aber auch die nicht hilfreichen Grünen.

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Tag 333: Uneinsichtigkeit und Fehlverhalten

Epidemiologe Eric Feigl-Ding, tätig Washington DC, 430 000 Follower auf Twitter in einem Rant.

Knapp ein Jahr nach Ischgl ist Österreich wieder prominent in den Schlagzeilen, wenn man kurz davon absieht, dass Mitte November vorübergehend die weltweit höchste Infektionsrate erreicht wurde. Spätestens jetzt sind nicht nur europäische Wissenschaftler beunruhigt, sondern die ganze Welt ist alarmiert worden. Gut so. Gesundheitsminister Anschober hätte an sich ein Durchgriffsrecht nach dem Epidemiegesetz, wie ein Verfassungsrechtler hier erläutert.

„Erstens hat man in Ischgl aus meiner Sicht sehr schnell reagiert, weil innerhalb von zehn Tagen ganz Tirol sozusagen leer gemacht worden ist und man hat schnell reagiert und das muss mir jemand zeigen, wie man innerhalb von zehn Tagen 250 000 Gäste aus dem Land bringt.“

Christoph Walser, Präsident Wirtschaftskammer Tirol, 07.02.21, zib2

Fahrlässig gehandelt und auch noch stolz darauf. Kein weiterer Kommentar notwendig.

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Tag 330: Wie groß ist der Einfluss des Wetter auf das Infektionsgeschehen?

Am 03. Februar erschien auf Science ORF eine Zusammenfassung eines Papers über den Einfluss des Wetters auf Infektionswellen. Ich halte die dort gezogenen Schlussfolgerungen in meiner Expertise als Meteorologe für problematisch. Generell ist für mich die Begründungen für saisonale Effekte nicht nachvollziehbar. Es wird dabei oft argumentiert mit der Stabilität des Virus bei bestimmten Wetterverhältnissen (Temperatur und relative Feuchte). Dabei übersieht man in meinen Augen aber einen wesentlichen Punkt der Übertragung: Geschieht sie outdoor oder indoor? Wetter findet outdoor statt, also impliziert der Einfluss geänderter Wetterverhältnisse eine erhöhte Übertragung im Freien. Dafür gibt es seit Ende März nur eine geringe Evidenz. Selbst Superspreader sind im Freien nicht effizient.

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Tag 326: Wo steckt man sich eigentlich an?

Österreich: Stochern im Nebel

Zur gestrigen Pressekonferenz, die bei allen seriösen Experten und allen mit erhöhtem Erkrankungsrisiko Entsetzen ausgelöst hat, mag ich mich heute nicht ausführlicher auslassen. Anschober hatte am 08. Jänner in einer Pressekonferenz bereits angekündigt, dass es das erklärte Ziel der Regierung sei, “dass dieser Lockdown bei dem Termin endet, den wir angekündigt haben”. Nach der informellen Expertenrunde beim Kanzler am 16. Jänner wurde der Regierung eigentlich klargemacht, dass der Lockdown erst schrittweise gelockert werden könnte, wenn die 7-Tages-Inzidenz pro 100 000 Einwohner mindestens auf 50 oder weniger absinkt. Jetzt beträgt unsere Inzidenz weiterhin über 100 und die ansteckendere B117-Variante wird in ganz Österreich in den PCR-Labors bzw. Abwasserproben gefunden. Statt über die betroffenen Regionen mit der sich ausbreitenden B1351-Variante in Tirol und Salzburg eine strikte Quarantäne zu verhängen wie man es am Arlberg nach dem Ischgl-Desaster getan hat, erklärten Politiker und Experten gestern unisono, dass die B117-Ausbreitung nicht mehr aufzuhalten wäre. Bei B1351 regiert offenbar das Prinzip: Was ich ignoriere, verschwindet von selbst.

Gegen B117 wirken die Impfstoffe vorerst noch besser als gegen die südafrikanische B1351-Variante, welche teilweise der Immunantwort entkommt – im Verdacht ist dabei die E848K-Mutation. Nun die schlechte Nachricht: Diese Mutation wurde nun auch vereinzelt bei der B117-Variante nachgewiesen (technischer Bericht in UK). Selbst wenn sich B1351 nicht so stark ausbreitet wie B117 und möglicherweise nicht so ansteckend ist, kann die B117 ähnliche Eigenschaften entwickeln. Das kann zum Problem werden, weil 1. viele Menschen in den nächsten Monaten nur eine Impfdosis erhalten und der Impftiter nicht ausreichen könnte, um eine Erkrankung zu unterdrücken, 2. der Astra-Zeneca-Vektor-Impfstoff nicht so leicht auf Varianten adaptiert werden kann wie mRNA-Impfstoffe (dafür müsste die Auffrischimpfdosis einen anderen Vektor benutzen, bzw. mRNA gegeben werden, wozu es aber noch keine Studien gibt) und 3. der NovaVax-Impstoff bei B1351 nur 50% Wirksamkeit hat. Bei hoher Viruszirkulation und (langsam) steigender Impfrate steigt der Selektionsdruck, das Virus wird sich immer besser anpassen, wir würden immer hinterhinken mit Impfstoff anpassen.

When our goal is to select resistant viruses in laboratory experiments, we maximize viral population size and diversity, and then titrate in selection pressure.

Virologe Paul Bieniasz, 31.12.20

Die Antwort auf all das lautet ZERO COVID oder NO COVID. Manche Kritik daran kann ich schwer nachvollziehen. Schlägt man NOCOVID vor, wären es die theoretischen Hirngespinste phantasierender Epidemiologen. Schlägt man ZERO COVID vor, wo es mit flankierenden politisch und sozioökonomischen Maßnahmen untermauert wird, wäre es zu politisch aufgeladen, zu linksradikal. Dabei hat ihr Konzept berechtigte Kritikpunkte.

No matter what party we vote for, they should not get us killed. They should just tell us what’s going on, translate the science, and let everyone get on with their jobs.

Indi Samarajiva, 03. Juni 20

und

“Either you set this goal [elimination] and you don’t achieve it, but in the process, you certainly are reducing the number of lives lost. The alternative is to set a lesser goal and then still misfire.”

Premierministerin von Neuseeland, Jacinda Ardern, 16.12.20

Genug der sinnlosen Appelle. Hier soll es jetzt darum gehen, wo sich vermeintlich vorsichtige Menschen noch anstecken können:

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