Tag 503: Faktencheck: Warum der Chefredakteur vom FALTER ZeroCOVID nicht verstanden hat

Geschätzte Zahl der Halb- und Vollwaisen in Österreich seit Pandemiebeginn, Quelle: Imperial College London

Ich beziehe den Falter seit knapp zwei Monaten nicht mehr und habe meine Entscheidung nicht bereut. Jetzt wurde mir ein Text von Chefredakteur Florian Klenk [Falter & Meinung, FALTER 30/21, 28. Juli 2021] zugespielt, den ich ausnahmsweise wieder einem Faktencheck unterziehen möchte. Zuerst die Aussagen, denen ich zustimmen kann:

Vier Tage bin ich vergangene Woche durch Österreich gereist und nur ein einziges Mal hat jemand meinen Impfpass oder meinen Test ernsthaft kontrolliert. In Restaurants, Taxis und Cafés immer die gleiche Sorglosigkeit. “Sads eh gimpft?” – “Jo.” – “No donn passts.” In meinem Hotel trug niemand Maske, in Klagenfurt drängte mich ein Taxler dazu, “den Fetzen” abzunehmen. Er, die Nase draußen, beruhigte mich: “Mich stört’s wirklich nicht!” Ich: “Mich schon.” Zugleich erreichen uns in der Redaktion E-Mails, wie sich Testzertifikate für den Grünen Pass fälschen lassen und wie man Stempel im Impfpass erschwindeln könne. Die Ärztin im Austria Center Vienna riet mir im Aufklärungsgespräch vergangene Woche übrigens dezidiert von der “Kreuzimpfung” ab, die in Deutschland explizit empfohlen und praktiziert wird. Sensiblere Gemüter wären möglicherweise nachhause gegangen. PCR-Gurgeltests gibt es fast nur in Wien, wir schaffen es zwar, jeden Österreicher mit Medizin zu versorgen, aber bei Salzwasserflakons und Labordiagnostik hört die Logistik auf.

Ja, die Sorglosigkeit und Schleißigkeit bei Kontrollen ermüdet mich auch, ebenso die Versuche, sinnvolle Regelungen zu umgehen. Die widersprüchlichen Aussagen zu den Impfstoffen hilft nicht. Das mangelnde österreichweite Testangebot verschleppt die Eindämmung der DELTA-Variante und verursacht unnötige Opfer, darunter auch viele junge Menschen.

Soweit so gut – hätte der FALTER auch im Sommer und Herbst 2020 so energisch für die Einhaltung der Maßnahmen in den Schulen (Masken, PCR-Tests für Kinder) argumentiert, dann hätte ich mein Abo womöglich gar behalten und könnte den Falter als eines der wenigen Medien positiv hervorheben, dass sich pro Wissenschaft geäußert hat. Hat es aber nicht. Zum FALTER gab es die Addendum-Beilage, die den Schwedischen Weg bejubelt hat, die Wissenschaftsbeilage mit Aussagen von Covid-Verharmloser Sönnichsen, und die Weigerung, Aerosole als wichtigen Übertragungsweg anzuerkennen – begründet wurde das mit den Aussagen der “renommierten Wissenschaftler Streeck und Allerberger, die Experten auf ihrem Gebiet wären”, was sie aber nicht sind. Streeck ist HIV-Experte und Allerberger Durchfallexperte – eigene Aussage von Allerberger bei einem Vortrag am 12. Februar 2020 auf der Uni Salzburg:

Und wenn Sie irgendwo googeln und schauen, wer über was publiziert, dann werden Sie sehen, Allerberger Coronaviren Null Result, also bitte ja nicht missverstehen, was ich Ihnen sage. Ganz sicher kein Experte.“

Ich hatte übrigens tatsächlich gegoogelt und bin so auf das Video gestoßen – den bezahlten Journalisten des FALTERs ist das bei der Recherche zu Allerberger offenbar entgangen – ach was red ich, zu renommierten Experten muss man nicht recherchieren, denen glaubt man einfach so.

Am 14. Juli 2021 schrieb Klenk in einem Tweet:

“Bhakdi ist also der Meinung Israel sei schlimmer als NS-Deutschland. Vielleicht wird jetzt klarer, wieso wir diesen Mann im Falter nie ernst genommen haben.”

In einem FALTER-Text vom 03. März 2020 hieß es allerdings ….

“In ihrem Buch „Schreckgespenst Infektionen“ zeichnen die beiden Mediziner Sucharit Bhakdi und Karina Reiss nach, dass die Reaktionen auf gesundheitliche Risiken oft schädlicher waren als die Krankheit selbst.”

Den Leiter der Public Hell Abteilung der AGES, Franz Allerberger, kann man allerdings auf eine Stufe mit Bhakdi stellen – spätestens seit er der COVID-Leugner-Plattform von Wodarg, OvalMedia, am 21. Juni 2021 ein Interview gab.

„Wenn es weltweit keine PCR-Tests gegeben hätte, wäre es nach meinem Dafürhalten niemandem aufgefallen .“

Allerberger ist im März 2021 auch beim „Corona.Film“ von Robert Cibis und Bert Ehgartner, einem Impfgegner, aufgetreten, u.a. mit Bhakdi, Wodarg, Haditsch, Raphael Bonelli und John Ioannidis. Der von Klenk weiter unten zitierte “Medizinjournalist Kurt Langbein” war als Co-Autor gemeinsam mit Ehgartner an einem populistischen Buch über Medizin beteiligt, wo ebenfalls AIDS geleugnet wird, und sie sich dabei auf Aidsleugner Christian Fiala berufen haben. Fiala schrieb wiederum gemeinsam mit FALTER-Kolumnist und ehemaligen PROFIL-Herausgeber Peter Michael Lingens ein Buch über AIDS.

Wie gut, dass niemand weiß, wie tief dieser Sumpf aus Verharmlosung, Leugnung und stützenden Journalismus in Österreich ist.

Wie sehr Klenk im Anschluss aber die Befürworter von ZeroCovid verunglimpft, ist beschämend. Da trifft der Kommentar von @BaraWeber den Nagel auf den Kopf:

“Was für eine Gesellschaft, die nicht auf andere schaut und sich über die lustig macht, die es tun.”

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Tag 500: Herdenmüdigkeit

Ich nahm letzte Woche eine kleine Auszeit von der digitalen Welt und deinstallierte Twitter für ein paar Tage vom Handy und befüllte auch den Blog mal nicht mit den neuesten Erkenntnissen über das Virus oder die skandalösen politischen Vorgänge im Land. Natürlich blieb ich im Inland und hatte angesichts von DELTA schon ein schlechtes Gefühl, die paar Tage Wanderurlaub durchzuziehen. Der Zug war leer, der Bus auch dünn besetzt, die Anreise kein Problem. Bis auf die 2km Fußweg zur Unterkunft, die öffentlich nicht angebunden ist. Autofahrer können übrigens im Tal überall kostenlos mit der Gästekarte parken, aber für den nur 3-4x am Tag fahrenden Bus zahlte man Zwei Euro Fünzig für 5 Minuten Fahrtzeit. Nun ja, so lockt man Sanften Tourismus nicht an. Beim Gasthof angekommen empfing man mich mit den Worten, dass ich die Maske absetzen könnte, denn die Maskenpflicht sei im Juli gefallen. An der Rezeption gleich nochmal, aber ich ließ sie lieber auf. 3G wurde dafür strikt im Gastgarten kontrolliert und indoor gabs kein Service. Das Frühstück war buffet-artig im riesigen Frühstücksraum aufgebaut, von denen die sechs Tische für Übernachtungsgästen alle dicht beieinander standen. Warum den ganzen Platz ausnutzen, wenn nur EIN METER vorgeschrieben sind? Draußen frühstücken war zum Glück kein Problem.

Ich war die Tage meistens draußen, bin gewandert, war einmal auf einer Berghütte draußen ein Supperl essen. Drinnen trug ich die Maske, nicht als einziger Gast, und im Gegensatz zum Vorjahr wurde ich nicht deppat angemacht deswegen, was sehr angenehm war. Die Unterkunft selbst zwar nicht glücklich gewählt. Zu spät Frühstück, zu früh Küchenschluss und tagsüber ein Ausflugslokal für Gäste aus der ganzen Welt. Das Hallstatt der Steiermark (naja, jetzt kommt ihr eh drauf, wo ich war ….), aber von den internationalen Gästen gingen nur wenige in den Gastgarten wegen der streng kontrollierten 3G-Regel (offenbar 2500 Euro Strafe pro Person, wenn 3G nicht kontrolliert würde).

Im Vorjahr schon hatte ich mir mit einer funktionierenden Public-Health-Behörde in Kooperation mit einem verantwortungsbewussten Tourismus- und Gesundheitsministerium gewünscht, dass man Tourismusbetriebe und Gasthäuser fördert bzw. extra bewirbt, die Schutzmaßnahmen (über) erfüllen und damit selbst werben. Heuer hätten das Betriebe sein können, die mit geimpften Mitarbeitern werben oder dass Mitarbeiter täglich getestet werden. Outdoor-Frühstück statt Indoor. Maskenpflicht fürs Personal und Gäste indoor, usw. Das hätte Covidioten abgehalten und verantwortungsbewusste Gäste angelockt – eine win-, win-Situation, und dafür dann eine staatliche Förderung oder extra Werbung an prominenter Stelle. Ja, Anreize schaffen, anders geht es nicht in einem Land voller Egoisten.

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Tag 491: Die Welt fliegt uns um die Ohren

Mittwoch, 14. Juli 2021, als in Luxemburg, Belgien, Saarland, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen die Welt unterging – an etlichen Flüssen gab es ein 100 jährliches Hochwasser, in der Folge liefen Talsperren über und Dämme brachen (Quelle Niederschlagsmenge: Kachelmannwetter)

Waldbrände in Sibirien, Waldbrände in den USA und Kanada. Hitzerekorde knapp an die 50°C in Kanada, am dritten Tag zerstört ein Wildfeuer den Ort. Arktis schmilzt, Antarktis schmilzt. Höchstwerte in der Polarregion bis zu 20 Grad über dem Mittel für Wochen. Verheerende Fluten in Benelux und Westdeutschland, über 140 Tote und mehr als 600 Verletzte. Größte Naturkatastrophe seit 100 Jahren. Unermessliche Schäden an der Infrastruktur mit zerstörten Gasleitungen, Bahnstrecken, Straßen und Brücken. Gleichzeitig Dürre am Alpenostrand und im Südosten, Dürre im Westen der USA. Dürre auch in Südeuropa. Hitzerekorde in Skandinavien. Wärmster Frühling in Japan, usw.

Die Wettermodelle hatten den Starkregen hervorragend erfasst. Die Abflussprognosen für die Bäche und Flüsse waren laut DWD-Meteorologen eindeutig auf Disaster programmiert. Speziell die Flutkatastrophe im Ahrtal war keineswegs ein Präzedenzfall. Im Jahr 1488 wurden Brücken zerstört, 1582 gab es Flutschäden in Bad Neuenahr, 1761 wurden die Gebiete nahe Ahrweiler nahezu vollständig zerstört. Am 21. Juli 1804 verwüsteten Sturzfluten Altenburg im Ahrtal. 63 Menschen starben. Am 12. Juni 1910 zerstörten Sturzfluten die gleichen Orte. 52 Menschen starben. In Erftstadt, wo der Fluss Erft in eine nahegelegene Kiesgrube floss und dadurch massive Bodenerosion auslöste, die mehrere Häuser zum Einsturz brachte und Todesopfer zur Folge hatte, könnte man ebenso noch von einem “hausgemachten” Problem sprechen, aber wie die Klimaforscher schreiben – das Ausmaß der Überflutungen ist es, was schockiert. Spannend dazu dieses Paper von Kahraman et al. (2021), das genau das Thema ortsfeste Starkregenereignisse über Europa im Zeichen des Klimawandels behandelt.

Grund für die Hochwasserlage (anklicken zum Vergrößern)

Für die Unwetter heute abend in Österreich könnte ich eine fast identische Karte zeigen. Wieder eine Okklusion, ähnlich hohe Feuchte, labil geschichtet mit heftigen Gewittern und Nordostströmung mit Staueffekten. In Königssee/Berchtesgadener Land fielen in wenigen Stunden 122 l/qm, davon 50 l/qm in einer Stunde. Auch im Wiener Stadtgebiet verbreitet 50-80 l/qm und in weiten Teilen des südlichen Industrie- sowie Mostviertels 70-100 l/qm (Stand 22 Uhr).

Mehr dazu in einem gesonderten Beitrag.

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Day 487: It’s the ideology, stupid!

Richard Horton, Chief Editor of the scientific magazine „The Lancet“

“This word ‘experiment’ that’s been used is a very interesting word because the word experiment starts off from assuming a position of uncertainty. You do something in order to make a discovery or test a hypothesis, but that’s not what we’re doing here. We know exactly what is going to happen, by taking the course that the government is committed to. We know there will be an increasein infections. That’s not an experimental hypothesis to test. We know that hospitalisations are going up. We know that there will be an epidemic of Long Covid. And we know that we’re creating the risks for new variants. That is not indoubt. So what we have is a government that is pursuing an ideologically drivencomittment to force the population to accept a level of mortality and disability in order to release us from the situation we’re in currently. This has got nothing to do with data, nothing to do with experiments. This is ideology from the libertarian Right. And I think, until we confront that fact and explain that clearly to the public, that this is not about data, this is about ideology, then we’re not understanding what this government is about.“ (The Citizens)

Horton refers to the infernal announcement of Boris Johnson to get rid of all measures in UK by 19th July 2021 and letting the Delta wave ripping through the population where large portions are still unvaccinated (including children) or only partly vaccinated which is insufficient against DELTA (Planas et al., 08.07.21). Full immunization is still needed for about 80% of the population including already infected people to built up enough immunity to reduce the spread.

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Tag 484: Vierte Welle: Der”saisonale Effekt”?

Talsohle: 10. Mai (POR), 20. Mai (UK), 21. Juni (E), 23. Juni (L), 27. Juni (GR), 28. Juni (F, DK), 29. Juni (NL), 30. Juni (DE, CH, IR), 02. Juli (SLO), 03. Juli (AT)

Wir erinnern uns an das vermeintliche Wasser auf den Mühlen der Covidleugner, als eine Studie den saisonalen Effekt mit durchschnittlich 40% bezifferte. Sie bezog sich allerdings nur auf den Zeitraum vor der zweiten Welle und ohne die ansteckenderen Varianten. Und 40% sind natürlich nicht die Mehrheit, das hieß selbst beim Wildtyp bzw. mit der D614G-Mutation, dass man 60% zusätzliche Maßnahmen brauchte, um die Pandemie einzudämmen. In den USA wurde das Plateau (weniger eine Talsohle) am 12. Juni 2020 erreicht, dann begann bereits die zweite Welle, die den Höhepunkt am 22. Juli 2020 erreicht hat. In Österreich war die Talsohle um den 15. Juni 2020 erreicht, der Tag, an dem Bundeskanzler Kurz die Überwindung der “gesundheitlichen Krise” ausrief, um den 27. Juni 2020 wurde das Wachstum stärker, der nächste Sprung am 10. August, usw. Also inmitten des Sommers.

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