
Heute Abend habe ich mich das erste mal testen lassen. Nach tagelanger Magenübelkeit kam heute nach dem Aufwachen subjektiv Fieber hinzu, die Stirn glühend heiß, dazu Abgeschlagenheit. Der Körper spielte mir aber einen Streich (und das Infrarotthermometer war zu ungenau), Fieber war es in der Schnupfenbox keines. Egal, ich wollte auf Nummer sicher gehen. Der Antigentest, ein Nasenrachenabstrich, fiel negativ aus. Die Ursachensuche geht also weiter, aber zumindest stammen die Symptome eher nicht von Covid19. Ich sag es wie es ist, und zwar, es ist mühsam alles. Der Alltag ist lästig und monton zugleich. Keine Höhepunkte mehr, nicht einmal das Essen (bald “feiere” ich ein Jahr ohne Kantinen). Früher hab ich mich nach lästigen Arzt- oder Behördenterminen oft damit belohnt, ins Kaffeehaus frühstücken zu gehen. Auch das ist weggefallen. In der Fahrt mit dem Regionalzug ständig die nervigen Durchsagen wegen FFP2-Maske, erst auf Deutsch, dann auf Englisch. Inzwischen sollte das doch jeder mitbekommen haben?! Warum keine Plakate? Nicht nur mich machen 20 Durchsagen in 45 Minuten Fahrtzeit latent aggressiv.
Wiener Alltag ein Jahr nach Pandemiebeginn
Ich sag es ungern, aber ich vermisse ein bisserl den Trubel am Flughafen. Als Arbeitsplatz wirkt er momentan eher wie ein Friedhof. Man blickt in leere Gesichter. Ja, Fliegen war immer schon auch Stress, aber es gab auch viel Freude. Jetzt will wieder jeder nur möglichst schnell weg. Das Koffergeschäft hat als erstes geschlossen, ob es der Zeitschriftenhändler überlebt? McDonalds ist unverständlicherweise zu, dabei ging TakeAway gerade dort ganz gut. Sonst ist Gastronomie tote Hose. Am Abend in Landstraße in die U-Bahn umsteigen, kaum Menschen, immer mehr psychisch kranke, immer mehr, auch junge Leute, die die Zeit im Alkoholismus zuschlagen. Ein trostloser Anblick. Ausstieg am Donaukanal, es fehlt die typische Abendstimmung einer Großstadt. Die Leute, die abends weggegangen sind, in den Clubs nachts durchfeierten, als Ventil braucht man das. Jetzt feiern sie stattdessen in den Wohnungen, stecken sich an. Statt Abendleben gibt es nur noch arbeiten und schlafen, zwischendurch Einkaufen. Aber ein Merkur oder Interspar ist nicht so erfüllend wie ein Afterwork-Bier oder ein kleines Jazzkonzert. Ich war ja nie der große Konzertgänger wegen sozialer Phobie, aber kurz vor dem Lockdown wollte ich wieder öfter gehen. So banal, wie die Pandemie lehrt, nichts zu verschieben, was man irgendwie gleich machen kann. Verdammter Schweinehund. Ich war nie ein Partygänger, hab Clubs gehasst, Menschenmassen, laut, nicht meine Musik. Und trotzdem vermisse ich es – für die vielen Leute, denen es abgeht. Die jetzt was anderes machen müssen. Es nimmt einen Teil dieser vermissten Normalität heraus – für jeden ist es etwas anderes. Ich vermisse auch das Reisen sehr stark. Inlandstourismus heißt für mich den kürzeren zu ziehen. Die öffentlich gut erreichbaren Destinationen sind schnell ausgebucht und selbst ruhige Ecken waren letzten Sommer dank der übertriebenen Werbung wochenlang ausgebucht. Mir wäre lieber, die vielen Inlandstouristen, die sonst im Ausland sind, könnten wieder dorthin, damit ich im Inland meine Ruhe habe. Dass ich keinen Stress hätte, wenn ich – wie früher – spontan entscheide, wo ich hinfahren will, denn durch meine Wanderungen bin ich wetterabhängig.
Aber danach schaut es so schnell nicht aus. Jetzt sind die elends langen Wochen bis zur Impfung zu überbrücken.
Das Infektionsgeschehen nimmt wieder zu: Die dritte Welle kommt.
“Either you set this goal [elimination] and you don’t achieve it, but in the
Premierministerin von Neuseeland, Jacinda Ardern
process, you certainly are reducing the number of lives lost. The alternative is
to set a lesser goal and then still misfire.”
Mit Testen könne man einen Lockdown verhindern, dachte die Regierung. Dabei testete auch die benachbarte Slowakei eine Million Menschen pro Woche und steht trotzdem mit dem Rücken zur Wand. Ähnliche Fehler wie bei uns. Mehr unzuverlässigere Antigentests, weniger PCR-Tests (in Oberösterreich und Kärnten z.B. nur noch wenige PCR-Tests). Die Hersteller von Antigentests raten ihren Gebrauch nur an Orten mit hohen Inzidenzen. Anwenden müsste man ihn halt auch richtig. Das Anleitungsvideo des Ministeriums für die Nasenbohrtests bezieht sich jedoch auf eine veraltete Herstellerinformation – der entscheidende Schritt fehlt: Sich vor dem Testen zu schnäuzen!
Labormediziner Oswald Wagner erwähnte bei der letzten Pressekonferenz mit Kurz am 17. Februar die NoCovid-Strategie von Deutschland und dass Österreich hier einen anderen Weg gehe. Der Pferdefuß der österreichischen Strategie:
Testen *verhindert* Ansteckungen nicht, sondern nur Kontakte reduzieren.
Wenn sich positiv getestete Personen nicht absondern, nicht selbst sofort Kontakte informieren, wenn keine Bemühungen stattfinden, Quellcluster ausfindig zu machen, sondern erst in ein oder zwei Wochen nach Kontakten/Situationen gefragt wird, wenn dabei Aerosole wieder vergessen werden, wenn Kinder als K2 nicht in Quarantäne müssen, sondern weiter zur Schule gehen dürfen, wenn Quarantäne nicht eingehalten wird und die Inzidenzen durch die Decke schießen, dann sind die massenhaften Tests zwar eine nette DOKUMENTATION des Infektionsgeschehen, erfüllen aber nicht den eigentlichen Zweck, nämlich Infektionsketten durchbrechen, effektives Contact Tracing.
Der Effekt des erhöhten Testgeschehens sollte jedoch nicht überschätzt
Aktuelle Risikoeinschätzung der Corona-Kommission, 25.2.21
werden. Schätzungen ergeben, dass nicht mehr als 10-15% der aktuell detektierten
inzidenten Fälle darauf zurückgeführt werden können
Das Interview mit Anschober muss vor dem Ergebnis der Kommission zustandegekommen sein.
Die Anfang Februar gewährten Lockerungen dürften es eher nicht sein. Eine entscheidende Rolle spielt, dass die britische Mutation des Virus wie in ganz Europa auch hierzulande stark auf dem Vormarsch ist – […] Aber ein Teil des Anstiegs ist wohl auch mit der Ausweitung der Tests zu erklären – bis Montag sollten wir wissen, wie groß dieser Anteil ist. Dann haben wir ein klares Bild.
Gesundheitsminister Anschober, 25.2.21
Das Bild ist klar genug: Die Ausweitung der Tests machen nur einen Bruchteil der Neuinfektionen aus. Und natürlich spielen die Lockerungen eine Rolle. Denn wer testet, der findet auch nur dann mehr, wenn das Infektionsgeschehen zunimmt. Die Labor-Tsunami-Diskussion sollten wir längst hinter uns gelassen haben. In der letzten Woche gab es erheblich mehr Berichte von Clustern in Kindergärten und Volksschulen – zufälligerweise dort, wo die Maßnahmen am wenigsten strikt sind, etwa keine Maske für 6-10jährige im Klassenzimmer. Dabei scheint es, als ob die Infektionsrate bei Kleinkindern und ErzieherInnen ähnlich hoch ist, bei Volksschulen tendenziell mehr Pädagogen. In höheren Altersstufen mit Hybridunterricht und FFP2-Maske scheint es eher Einzelfälle zu geben. Die besseren Masken scheinen hier also tatsächlich einen Mehrwert zu machen. Mehr dürften wir erfahren, wenn die nächste Runde der PCR-Gurgelstudie des Mikrobiologen Michael Wagner in den Schulen startet. In Österreich werden Maßnahmen ja leider nicht begleitend wissenschaftlich evaluiert. Und den Erkenntnissen der AGES-Clusteranalysen traue ich nicht mehr. Hier ging zu viel Vertrauen durch gezielte Desinformation verloren.
Gerade aufgenommen: männlich, 40 Jahre. Kindergarten der 3jährigen Tochter wurde vor 1½Wo gesperrt, seit vorigem Wochenende Frau mit Fieber, er Husten, beide positiv getestet. Er jetzt auch Atemnot. “Alle haben gesagt, Kinder stecken sich nicht an. Das haben wir halt geglaubt.” Fuck Regierungsdesinformation!
Internist Wolfgang Hagen
Wie gefährlich wird die dritte Welle?
Sonst vollzieht sich alles, wie seriöse Experten vorhergesagt haben: Das Infektionsgeschehen verlagert sich in die jüngeren Altersgruppen, das Durchschnittsalter auf den Intensivstationen sinkt. Die geringe Durchimpfungsrate reicht mitnichten aus, um eine dritte Welle zu stoppen.
“Es liegt auf der Hand, dass jene, die nicht geimpft sind, eher krank werden. Die Sorge ist, dass die Jüngeren unvorsichtig werden. Es gibt auch junge Patienten, die ernsthaft krank werden. Und man sollte nicht vergessen, dass es Long Covid gibt. Vergessen wir auch nicht Diabetiker, Menschen, die Erbkrankheiten haben, diese müssen nicht alt sein.”
Epidemiologe Eric Feigl-Ding, 20.02.21, Presse am Sonntag
Long COVID ist ein großes Problem in allen Altersgruppen. Glücklicherweise ist das inzwischen auch den Experten der Coronakomission angekommen:
Nach den zehn Tagen vorgeschriebener Quarantäne seien etwa 60% der PatientInnen noch nicht beschwerdefrei. Langzeitfolgen hätten außerdem nichts mit dem Alter oder Vorerkrankungen zu tun und nur wenig mit der Schwere des Verlaufs.”
Allgemeinärztin Susanne Rabady, Gesundheitsausschuss des Parlaments, 22.02.21
Die in Österreich weit verbreitete Mutation B.1.1.7 ist jedoch nicht nur um 35% ansteckender, sondern auch virulenter als der Wildtyp. Daten aus UK, Dänemark und Israel zeigen eine 60-70% erhöhte Wahrscheinlichkeit für schweren Verlauf und Tod. Auch schwangere Frauen sind gefährdet.
Das heißt – das Virus ist ansteckender, damit nimmt die absolute Zahl an Patienten zu, die ins Krankenhaus müssen. Jetzt ist aber auch die Viruslast erhöht, damit steigt die Wahrscheinlichkeit für Überweisung auf die Intensivstationen. Und weil davon nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen und vor allem das Personal vielfach schon über die Grenzen belastet ist, viele auch selbst erkrankt und arbeitsunfähig geworden sind, wird sich das nicht ausgehen, wenn wir nicht rasch entgegen wirken.
A propos entgegenwirken, da war doch was ….

” …. und sollte ein Bundesland einen Wert von 200 erreichen, in der 7-Tages-Inzidenz, dann müssen wir natürlich dringend besprechen, wie wir weiter vorgehen, weil das ist eine Grenze, wo die Alarmglocken schrillen sollten …”
Kanzler Kurz am 1. Februar, Pressekonferenz
Wie kann es da noch ernsthaft um Lockerungen wie in der Gastronomie gehen? Stattdessen nicht einmal strikte Quarantäne für Hermagor wie damals Kuchl oder Arlberg!
Damit es jetzt nicht zu lang wird: Ich hab am Tag 290 (28. Dezember 2020) erläutert, weshalb die zweite Welle so eine Wucht hatte. Haben wir aus den damaligen Fehlern gelernt? Nr. 3, 5, 6, 7, 8, 9,10, 13 und 14 sind nach wie vor nicht viel besser geworden. Wenn also morgen kein klares Signal zur Verschärfung bzw. Rücknahme der bisherigen Lockerungen kommt, dann seh ich schwarz.
Nachtrag, 01. März 2021: Natürlich gab es kein klares Signal für Verschärfungen, sondern im Gegenteil weitere Lockerungen. Kurz gibt erstmals offen zu, dass es die höchsten Ansteckungszahlen bei Schülern gibt. Sonst sind alle weiter auf Great-Barrington-Kurs – das politische Narrativ vom “alte/vulnerable schützen/impfen, für den Rest ist nicht gefährlich” wird aufrechterhalten. Die Regierung fährt weiterhin das größte Eugenetikprogramm der Zweiten Republik.
Es ist schwer, ein „Gefällt mir“ dazulassen. Ich freue mich trotz allem für Dich, dass Du negativ bist.
Seit fast einem Jahr lebe ich auch in einem „Ausnahmezustand“ und es macht mich traurig zu sehen, dass die Zahl der Neuinfektionen einfach nicht abnimmt. (Ich habe langsam den Eindruck, dass die ständig verfügbaren kostenlosen Tests zu falschen Sicherheitsgefühlen verleiten. So nach dem Motto: „Ich bin negativ, lassen wir uns treffen. Gehen wir ruhig gemeinsam Mittagessen.“)
Ich werde mir diese Woche eine Pause von „Twitter“ nehmen müssen, es regt mich alles nur mehr auf.
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