
Quelle: https://just-the-covid-facts.neuwirth.priv.at/
“Europa ist derzeit das Epizentrum, auch in Israel, einst Corona-Vorzeigeland, gab es eine explosionsartige Zunahme. Die zweite Welle ist gewaltiger als die erste. Den Grund kennen wir noch nicht.”
Gesundheitsminister Anschober am 21. November 2020 in der “Kronenzeitung”
Anschobers Statement acht Monate nach Beginn der Pandemie ist eine Bankrotterklärung für ihn, sein Ministerium, die Sektion für Öffentliche Gesundheit der AGES und letzendlich auch für die Regierung. Ich verstehe so vieles im Land nicht. Vielleicht bin ich da im Irrtum, aber Koalitionen in anderen Ländern sind vielmehr mit gemeinsamer und nicht mit gespaltener Stimme. In Österreich ist eine Koalition eher wie eine Zweckehe, zwei völlig konträre Parteien arbeiten zusammen, jeder behauptet über den anderen, “das ist deren Verantwortung”, als ob es keine gemeinsame Absprache geben würde, hier: als ob gegensätzliche Ansichten für die Bewältigung einer gesundheitlichen Ausnahmesituation selbstverständlich sind und hingenommen werden. Kanzler Kurz stellt sich jetzt hin und sagt, er hätte den Lockdown schon viel früher gewollt. Während sich Kurz bei der Nichtaufnahme von 100 Flüchtlingskindern bei den Grünen ebenso durchsetzen konnte wie bei der Nichtanhebung des Arbeitslosengeldes, schafft er es in einem wesentlichen Aspekt der Pandemiebekämpfung nicht – oder wollte er es doch nicht so dringend, weil das die Wirtschaft- und Tourismuslobby erzürnt hätte?
Ich habe Anschober lange verteidigt, nicht zuletzt wegen seinem klaren Nein in der Frage, ob man Lehrlinge in Ausbildung abschieben dürfe. Auch während der ersten Welle fand ich die Position der Grünen richtig und wichtig, keine totale Ausgangssperre zu verhängen, wie sie Kurz gewollt hatte, sondern das Recht auf Spaziergänge zu behalten. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht bewusst, wer in der AGES und in anderen Gremien die Regierung wirklich berät und welche folgenschweren Trugschlüsse gezogen worden sind. Inzwischen schmerzt es mich beinahe körperlich, dass ausgerechnet ein Minister der Grünen konsequent den Herdenimmunitätsansatz der Great Barrington-Befürworter mitträgt, der darauf hinausläuft, dass es eine enorme Übersterblichkeit bei älteren Mitmenschen gibt, aber wegen der anhaltenden Überlastung der Spitäler aber auch hunderte Tote bei wesentlich jüngeren Menschen. Jeder fünfte infizierte Mensch in Österreich wird anhaltende Symptome entwickeln mit Langzeitfolgen, manche davon dauerhaft, zumindest aber längere Zeit schwer die Lebensqualität, die Leistungsfähigkeit und die Psyche beeinträchtigen (Long Covid).
Zusammenbruch des Gesundheitssystems war eine Frage der Zeit
Die Regierung hat einen zweiten Lockdown an die Überlastung der Spitalskapazitäten gekoppelt, auch bei der Coronaampel wurden die Spitalskapazitäten wesentlich höher gewichtet als andere Faktoren, wie etwa die Zahl der Neuinfektionen oder funktionierendes Contact Tracing. Wenn man erst handelt, wenn die Intensivkapazitäten am Anschlag sind, ist es zu spät. Kanzler Kurz, aber auch andere in Regierungsverantwortung und deren Versteher rechtfertigen das späte Handeln damit, dass die Bevölkerung keine härteren Maßnahmen in einer Zeit mitgetragen hätte, wo die Zahlen noch niedrig waren. Doch genau das hat ja in der ersten Welle hervorragend funktioniert, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten und die Zahl der Neuinfektionen über viele Wochen so niedrig zu halten, dass man im Anschluss wieder stärker lockern konnte, wenn auch zu stark. Da setzt mein Verständnis dann aus, denn Österreich hatte die Erfahrung aus der ersten Welle, die Regierung hätte den Nutzen erkennen müssen, frühzeitig reinzufahren, bevor die Zahlen zu hoch werden. Österreich ist über sein eigenes Präventionsparadoxon gestolpert und die Scheinexperten haben kräftig mitgeholfen.
Mangelnde Begleitmaßnahmen
Und hier kommt etwas ins Spiel, was zu einem kleineren Teil in Anschobers Verantwortung fällt, zu einem viel größeren aber Kurz und seinen ÖVP-Ministern unterliegt. Etwa die dilettantische bürokratische Hilfe für die betroffenen Unternehmen, nachdem türkisgrün das Epidemiegesetz ausgehebelt haben und die Geschäfte und Gastronomie, die unverschuldet schließen mussten, um ihre Entschädigungen gebracht wurden. Sie wurden plötzlich zu Bittstellern, aber nicht beim Finanzamt, wo die relevanten Daten bekannt gewesen wären, sondern bei der WKO, die mit der Abwicklung der Hilfe überfordert war. Die Erhöhung der Arbeitslosen-Nettoersatzrate von 55 auf 70% wurde kategorisch abgelehnt, stattdessen wurde mit Einmalzahlungen abgespeist, die wieder an bestimmte Kriterien gebunden waren. Entweder haben die verantwortlichen Minister und ihre Berater zu diesem Zeitpunkt fälschlicherweise gedacht, dass die Krise bereits vorbei wäre oder es passt einfach ins Menschenbild der ÖVP, dass Arbeitslose grundsätzlich selbst Schuld sind, wenn sie ihren Job während einer Pandemie verlieren – durch Maßnahmen, die die Regierung beschlossen hat. Es war der parteilose Bildungsminister im Kabinett der ÖVP, der den ganzen Sommer keinen Plan für den Herbst entwickelte, um die Schulen sicher zu öffnen oder zumindest einen Mix aus Homeschooling, Distance Learning und ausgedünnten Klassen anzubieten. Die Gewerkschaften haben erst Anfang November vier zusätzliche Wochen Recht auf Sonderbetreuung verhandeln können, die im harten Lockdown obsolet wurden, weil die Schulen ja weiterhin offen haben. Erst Anfang November hat Faßmann die Bestellung von FFP2-Masken mit Ventil (!) für Lehrpersonal veranlasst, warum nicht schon zu Beginn des Sommers? Die psychologischen Folgen der Krise wurden seit März unterschlagen, daran ändert auch wenig, dass in der aktuellen Ausgangsregelung der Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung gestattet ist.
Ich behaupte: Ein Großteil der Ängste in der Bevölkerung resultieren aus der Unsicherheit, welche die Regierung vermittelt. Sie setzt keine klaren Kennzahlen, ab der gelockert oder die Zügel wieder angezogen werden, während in Ländern wie Deutschland die Inzidenz der Neuinfektionen herangezogen wird. Es ist bei uns keine klare Strategie erkennbar, spätestens das wurde mit der überraschenden Lockerung ab Mitte Juni deutlich. Länder, die eine erfolgreiche ZeroCovid-Strategie gefahren sind, haben auch nach dem Lockdown nicht sofort weitreichend gelockert, selbst als die Zahlen schon herunten waren. Sie sollten auch unten bleiben, damit das Contact Tracing Neuinfektionen bewältigen und rasch Infektionsketten unterbrechen kann.

Warum spielt das Thema Prävention in dieser Pandemie überhaupt keine Rolle, etwa dazu raten FFP2-Masken zu tragen, gratis FFP2-Masken für Vorerkrankte und Ältere? Oder Nasen- und Rachensprays zu benutzen, um die Viruslast zu verringern und das Virus an der Vermehrung in den oberen Atemwegen zu hindern? Warum gibt es gerade jetzt keine Pressekonferenz mit anwesenden Allgemeinmediziner, die sagen, was man im Fall einer Covid-Erkrankung beachten sollte, wenn man sie zuhause auskuriert – z.b. medikamentöse Unterstützung (Vitamin C/D, Zink, Aspirin, etc.), dass man ab der zweiten Erkrankungswoche ein Puls-Oxymeter verwenden sollte, um Happy Hypoxia rechtzeitig zu erkennen (kritischer Abfall der Sauerstoffsättigung, welchen die Betroffenen nicht bemerken).
Dazu wurden etliche relevante Gruppen in der Bevölkerung vernachlässigt, neben den Schulen als Orte des Infektionsgeschehens (indoor mit 25 fremden Haushalten ohne ausreichendes Lüften) keine regelmäßigen Tests für Gesundheitspersonal, wovon ich selbstverständlich ausgegangen wäre. Ich war erschüttert, als ich Mitte Oktober von einem Spitalsmitarbeiter in Wien erfuhr, dass es keine regelmäßigen Tests gab und erst seit Mitte November “alle zwei bis drei Wochen” einen Schnelltest.
Vernachlässigte Risikogruppen in allen Teilen der Bevölkerung
Eine weitere vernachlässigte Gruppe sind Menschen mit Behinderungen, etwa Down-Syndrom mit 10fach erhöhter Sterblichkeit und lernbehinderte Menschen.
Alte Menschen sind verdammt zum Sterben, das zeigt ein Kommentar im Standard, den Christine Syrowotka hier auseinander genommen hat. Und meine engagierte Mitstreiterin @gerlindeinaktiv zeigt, wie stark sich dieser Herdenimmunitätsansatz vor allem in Oberösterreich durchgesetzt hat:
“Wenn es um Kosten und Nutzen einer Maßnahme geht, wird unweigerlich die Frage zu beantworten sein, welchen wirtschaftlichen Wert eine Reduktion der Corona-bedingten Sterblichkeit mit sich bringt.”
Prof. Cocca von der JKU Linz am 14. Oktober 2020, berät ÖVP-LH Stelzer (OÖ)
Das ist nicht nur sozialdarwinistisch, sondern grenzt an Eugenetik.
Die Migranten-Community mit nichtdeutscher Muttersprache, insbesondere vom Balkan, der Türkei und anderen Ländern, wo öffentlich weniger und ungleich weniger fundiert berichtet wird als etwa in Deutschland, wurde ebenso nicht abgeholt. Das wäre die Aufgabe von Integrationsministerin Raab gewesen. Stattdessen werden Migranten ständig angepatzt, angefangen von “liebe Österreicherinnen und Österreicher” über subtilen Ausschluss “kauft regional!” (bei österreichischen Geschäften) und verwehrten Prämien und Gehaltssteigerungen im Niedriglohnsektor (bzw. Einstellung zusätzlichen Personals, was das Infektionsrisiko durch die Verringerung von langen Diensten gesenkt hätte) bis zu einseitigen Schuldzuweisungen (“Das Virus kommt mit dem Auto” [vom Balkan]), die Türkenhochzeiten [aber nicht das unveränderte Verhalten am Land mit Garagenparty, Wirtshausbesuch] und auch die Blockwartmentalität in der Bevölkerung (Maskenverweigerer vermeintlich häufiger bei Migranten, die im öffentlichen Raum – auch wegen beengter Wohnverhältnisse – nun mal sichtbarer sind, als die Gstopftenparty in der Villa am Stadtrand). Ich erinnere auch an die Abschaffung der telefonischen Krankmeldung zum ersten September, da war die Kurve schon deutlich im Steigen inbegriffen, was eine Folge der von ÖVP und FPÖ beschlossenen Kassenfusion war, durch die schwarz dominierten Arbeitgebervertreter die Mehrheit der Arbeitnehmer in der gesetzlichen Krankenkasse aushebelten.
Die vorher regierende ÖVP-FPÖ hat den Sozialstaat durch ihre rückwärts gewandte Reformpolitk massiv beschädigt, alleine die Wiedereinführung verpflichtender Noten als Leistungsnachweis in den Schulen hat es jetzt erschwert, den Unterricht einfach lockerer zu machen zu Zeiten in einer Pandemie, statt mit Gewalt Leistungsnachweise durchpeitschen zu müssen. Die systematische Schlechterstellung von Armutsbetroffenen, Selbständigen, Arbeitslosen, der tiefe Fall in die Mindestsicherung (Sozialhilfe), der schwache Kündigungsschutz – all das hat dafür gesorgt, dass die Bevölkerung neuerlich harte Maßnahmen nicht widerstandslos mitgetragen hätte und hat. Diese Asozialpolitik ging von der ÖVP (und FPÖ) aus, so sind wir in die erste Welle hineingekommen. Nur die Angstrhetorik (100000 Tote, Bilder aus Italien) hat zur breiten Mitarbeit der Bevölkerung bewogen, aber wenn alleinerziehende Elternteile bei einer Quarantäne oder Erkrankung ihres Kindes beim Zuhause bleiben ihren Job verlieren, oder viele schlecht bezahlte Migranten nur die Wahl haben, krank arbeiten zu gehen oder arbeitslos zu werden, dann werden sich viele dafür entscheiden, krank zu arbeiten. Und deswegen kommt Kurz bei mir nicht zu kurz, deswegen hat Anschober alleine die zweite Welle nicht verbockt.
Für mich als Exilfranke und Kenner der österreichischen Regierungspolitik war von Beginn an klar, dass die Pandemie zwar ein Brennglas auf die systematischen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft wirft, aber daraus keine hoffnungserweckenden Schlussfolgerungen gezogen werden würden. Das passt einfach nicht ins neoliberale Gesamtkonzept der ÖVP. Die Opposition hat allerdings genauso aufgegeben. Die SPÖ hat nie vehement Vermögens- und Erbschaftssteuern in Österreich gefordert, obwohl mit einer Handvoll Milliardären und über dreihunderttausend Millionären genug Kapital vorhanden wäre, um die Krise gemeinsam zu schultern, und nicht nur zur zulasten der Schlechtergestellten. Die Zweiklassengesellschaft im Land wird als Gott gegebener Fakt akzeptiert. Deswegen fordert Rendi-Wagner auch wider besseren Wissens die Öffnung der Schulen inmitten hoher Inzidenzen, und gefährdet damit die Lehrer, die Eltern und Großeltern und auch manche Kinder selbst, denn auch Kinder können, zwar seltener, schwer erkranken. Aber es ist offenbar viel bequemer, den status quo zu erhalten, statt das Bildungssystem grundsätzlich zu hinterfragen, ob man inmitten einer Pandemie Schulunterricht möglichst normal abhalten sollte, ob nicht der Leistungsdruck schon davor zu hoch war und dass es immer Kinder gibt, die abgehängt werden, doch erst, wenn alle betroffen sind, kommt der Aufschrei. Was sagt es uns darüber aus, wenn Österreich bei Schulmobbing europaweit führend ist? Was es sagt es uns darüber aus, wenn die Gewalt in den Familien ansteigt? Wenn Kinder halb verhungern, weil die Gratis-Mahlzeit in der Schule fest eingeplant war? Das Brennglas ist da, nur werden keine Konsequenzen daraus abgeleitet. Alles soll so normal wie möglich sein, dass wir ohne wesentliche Einschränkungen “zurück in die gewohnte Normalität” kehren können.
Warum ist die zweite Welle größer als die erste?
Ich bin nur ein kleiner dummer Meteorologe, der seit Ende Februar über das Coronavirus recherchiert und bloggt. Nach der ersten Welle wurde zu früh zu weitreichend gelockert, effiziente günstige Maßnahmen wie die Maskenpflicht vor allem indoor haben das Infektionsrisiko erhöht und den Fokus von Corona weggenommen (“keine Regeln, keine Gefahr”), geradezu naiv der Appell von Anschober an die Bevölkerung: “Auch wenn wir die Pflicht abgeschafft haben, ermutigen wir dazu, die Maske weiterhin zu tragen – Eigenverantwortung!”
In einer immer noch von Obrigkeitshörigkeit geprägten Gesellschaft wird ausgerechnet beim Umgang mit der Pandemie die Selbstverantwortung propagiert. Das ist nicht der Wunsch nach Freiheit, sondern die Delegierung von Verantwortung durch die Politik.
@docjosiahboone, 31. Mai 2020
Das ging natürlich schief, wurde aber bis zum Lockdown Light nicht erkannt. Hier ein skizzierter Ablauf aus meiner Sicht, ohne Anspruch auf Berücksichtigung aller Aspekte, der uns in die heutige Situation gebracht hat:
Das Virus war in der ersten Welle heterogen in der Bevölkerung verteilt, die Skitourismusgebiete waren ungleich stärker betroffen. Mit dem frühen Lockdown wurde die Mobilität stark eingeschränkt, die Cluster konnten rasch eingegrenzt werden, die Fallzahlen wurden deutlich gesenkt. Die Aufhebung der Maskenpflicht Mitte Juni kam zu früh, die Mobilität wurde auf ganz Österreich ausgedehnt. Dadurch konnte sich das Infektionsgeschehen auf ganz Österreich ausbreiten. Längere Zeit unbemerkt, da die Mobilität bei jüngeren Menschen größer war als bei älteren Menschen, die sich stärker einschränkten. Jüngere Menschen erkranken häufiger symptomfrei als ältere Menschen. Eine Rolle spielte wahrscheinlich auch die Öffnung der Schulen Mitte Mai – zwar kein Vollbetrieb, aber ohne Masken. Die Auswirkung auf das Infektionsgeschehen durch Schulöffnung macht sich nach Simulationen erst verzögert bemerkbar (Kinder überwiegend symptomfrei). Durch die offenen Schulen, die gestiegene Mobilität unter (jüngeren) Menschen, auch die ansteigende Reisetätigkeit und Tourismus im Sommer mit offenen Grenzen (alle Zero- bzw. LowCovid-Länder haben ein striktes Grenzmanagement) bei gleichzeitig zu wenig Testmöglichkeiten und teuren Privattests hat sich das Virus bis Anfang September homogen in der Bevölkerung verteilt. Dazu kam schon früh ein mangelndes Risikobewusstsein und zunehmende Sorglosigkeit in allen Teilen der Bevölkerung, das Virus wäre ja nicht so schlimm, “am Land gibts kein Corona” und solange das Wirtshaus offen hat, kann es nicht so schlimm sein. Ich habe selbst Mitte August in der Obersteiermark erleben dürfen, wie wenig ernst man das Übertragungsrisiko genommen hat.
Cluster wurden immer schwieriger eingrenzbar, die Rückverfolgungsquote der AGES sank deutlich ab, auch aufgrund zu gering bemessenen Tracingpersonals (sie rechneten ja nicht mit einer zweiten Welle). Inmitten der hohen Inzidenz in der Bevölkerung wurden ohne ausreichende Schutzmaßnahmen und ohne Kenntnis von Aerosolübertragung in den Ministerien (siehe Corona-Leitfäden von Arbeits-, Bildungs- und Gesundheitsministerien) die Schulen mit Normalbetrieb geöffnet. So gelangte das Virus in zahlreiche Haushalte. Laut Statistik Austria lebten im Jahr 2019 in Österreich knapp 2,5 Millionen Familien. Ende Oktober gab die AGES zu, dass sie nicht wüssten, wie das Virus in den Haushalt gelangt. Die Kinder konnten es nicht sein – auf Empfehlung der OÖ Ärztekammer, der Kinder- und Jugendärzte und der AGES-Experten wurden Kinder nicht als relevant gesehen und entsprechend weniger getestet. Kein Wunder, dass sich das in den Zahlen nicht widerspiegelte.
Wenn vermehrt Haushaltscluster lokal auftreten, spricht man von “Community Transmission”. Das bedeutet, dass das Virus in einer bestimmten Region so stark zirkuliert, dass einzelne Cluster nicht mehr voneinander abgegrenzt werden können und die Rückverfolgung einzelner Infektionsketten nicht mehr möglich ist.
“Heute”, 23. Oktober 2020
Spätestens jetzt trat das ein, worauf ich bereits am 07. September hinwies:
Es besteht dann die Gefahr, dass wir durch den Perkolationseffekt (erklärt durch Christian Drosten in Folge 54 des NDR-Podcasts) einen Schwellenwert an Neuinfektionen erreichen, ab dem die Pandemie unkontrollierbar wird, wie es in Israel frühzeitig geschah, als man die Schulen zu früh öffnete, und wie es in Spanien und Frankreich aktuell wieder geschieht, weil der Lockdown dort zu spät kam und zu viel stilles Hintergrundgeschehen bis in die Lockerungsphase aufrechterhalten wurde. Drosten erläuterte das anschaulich durch einen Kaffeefilter, bei dem kontinuierlich nachgegossen werde, bis er von einzelnen durchsickernden Tröpfchen in einen Schwall Kaffeewasser übergeht.
Tag 180: Der Herbst wird das Fürchten lernen
Ohne effektives Contact Tracing können Infektionsketten nicht durchbrochen werden und es kommt zum gefährlichen Perkolationseffekt, d.h., dass sich viele unabhängige Cluster durch die wachsende Zahl infizierter Sozialkontakte verbinden – wie von Wissenschaftlern des CSH (Complexity Science Hub Vienna) und MedUni Wien bereits Ende August vorhergesagt. Ausführlichere Erläuterungen im Anschober-Faktencheck von Tag 247.
Der starke Anstieg ist dann letzendlich banale Exponentialrechnung und gar nicht überraschend, schon gar nicht, wenn man rechtzeitig auf die Experten gehört hätte, die bereits im April auf die Gefahr einer zweiten, viel wuchtigeren Welle hinwiesen, wie meine Zitatsammlung zeigt. Im englischsprachigen Rantmodus geschrieben, habe ich schon am Tag 216 (13. Oktober) ausführlich dargelegt, weshalb Österreich die zweite Welle verbockt hat: