Das Gesamtkonzept betrübt mich. Ich kenne die Rechtfertigungen der Grünen inzwischen zur Genüge. Eine ÖVP-Minderheitenregierung wäre nach dem erzwungen Aus der schwarzblauen Koalition kein Thema gewesen. Die SPÖ war (und ist) zu schwach und innerlich gespalten. Es blieb nur die grüne Partei übrig. Das Koalitionsabkommen sieht den gleichen Kuhhandel wie bei schwarzblau vorher vor. Die Grünen stimmen widerwillig mit den Schwarzen, gegen ihre Überzeugungen und den Wählerwillen, um Schlimmeres zu verhindern. Eine Koalition des kleineren Übels. Die großen Projekte, die direkt die Lebensqualität der Bevölkerung verbessern würden, etwa im Arbeitsrecht, im Fremdenrecht, in der Bildung und in der Gesundheit, scheitern alle am schwarzen Widerstand. Sie haben keine Mehrheit, die herrscht mit den Blauen bzw. mit den NEOS. Die Justizministerin Alma Zadic macht einen fantastischen Job und die Umweltschutzvorhaben von Gewesseler sind sicherlich durchdacht, aber was die direkten Auswirkungen der Pandemie betrifft, überwiegt der Schaden, den die ÖVP mit ihrem sturen neoliberalen Kamikazekurs anrichtet.
Logische Widersprüche
Maskenpflicht im Supermarkt, Bank und Post – da stört es keinen, aber im Tourismus? Bloß nicht die Bequemlichkeit der zahlenden Gäste und der armen Mitarbeiter stören, dabei wäre eine Verpflichtung auch Selbstschutz. Kein seriöses Hotel kann es sich derzeit leisten, wegen eines Covid-Ausbruchs einen Imageschaden zu erleiden. Es ist im Eigeninteresse, lieber auf Bequemlichkeit zu verzichten als wochenlang keine Gäste oder gar Stornierungen zu haben. Was dabei herauskommt, wenn die Gefahren heruntergespielt werden, sieht man aktuell in St. Wolfgang, wo es über 50 bestätigte Fälle gibt. Die Urlauber haben sich natürlich im ganzen In- und Ausland verteilt und damit auch das Virus – analog zu Ischgl. Es ist völlig inakzeptabel, dass die gleichen Fehler wieder gemacht wurden: Die Gefahr für Gäste herunterspielen, keine verpflichtenden Tests für Mitarbeiter, schleppende Tests für Gäste, während diese bereits ausreisen und das Virus sich ungehindert verbreiten kann, insbesondere dann, wenn die Betroffenen noch oder durchwegs symptomfrei bleiben. Wir wissen das schon seit Monaten, dass man selbst ohne Symptome ansteckend ist. Sonst hätte es mit der Einführung der Maskenpflicht am 6. April die explizite Aufforderung gegeben, diese nur zu tragen, wenn man Symptome hat. Oida, denkts doch bissl mit, heast! Davon abgesehen sind immer mehr Wissenschaftler inzwischen der Überzeugung, dass Aerosole der treibende Mechanismus der Pandemie sind und nicht die größeren Tröpfchen.
Ohne Schulden machen keine Rettung
Der neoliberale Privatisierungskurs ist zum Scheitern verurteilt. Wie schlecht ein totgespartes Gesundheitssystem ist, sah man in den stark betroffenen Ländern Italien, Spanien und Großbritannien. Japan hat eine Staatsverschuldung von knapp 240% vom BIP, erwirtschaftet aber einen hohen Überschuss über den Außenhandel. Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt – so wie Tonnen an Kohlendioxid und Methan im Permafrost lauern, gilt das auch für den Reichtum bei den über 145 000 Millionären in Österreich (Stand: Juli 2019), der mangels Vermögens- und Erbschaftssteuer nie angezapft wurde, um eine Investitionsoffensive zu starten. Inzwischen fordern manche Millionäre selbst höhere Steuern, damit sie ihren Beitrag zur Krise leisten können. Wo sonst soll man das Geld holen? Bei Arbeitslosen mit 55 % Ersatzrate vom Nettolohn? Noch dazu fordern sowohl Kogler (Grüne) als auch ÖVP ein degressiv gestaltetes Arbeitslosengeld, um Anreize zu schaffen, das allgemeine Lohnniveau weiter zu senken und den prekären Arbeitsmarkt zu vergrößern.
Ich erinnere immer wieder daran, dass mit Beginn der Pandemie, als auf behördliche Anordnung hin der Großteil der Geschäfte schließen musste, das dafür vorgesehen Epidemiegesetz gekübelt wurde. Die Geschädigten bekamen keine Entschädigung, sondern wurden zu Bittstellern. Das Finanzamt hätte alle Daten der Betroffenen zwecks zeitnaher Auszahlung der Soforthilfe gehabt, doch über die WKO verzögerte es sich und ist wegen dilettantischer Fehler mehrheitlich gar nicht bei den Betroffenen angekommen. Die Konsequenzen mag keiner hören, aber sind für eine Wirtschaftspartei brutal: Viele Geschäftsmodelle, die seit jeher auf tönernen Füßen standen und knapp kalkulieren mussten, gerade in der Gastronomie, sind bei drei Monaten Stillstand und einem restlichen Jahr mit deutlich verringerter Auslastung von der Pleite bedroht. In Spanien mussten 40000 (13%) aller Gastronomiebetriebe dauerhaft schließen. In Österreich wird es den Städtetourismus (Wien) am stärksten treffen, aber auch in den anderen Regionen kann der Inlandtourismus bei weitem nicht den Wegfall der großen Tourismusnationen USA, Russland, China und Saudi-Arabien kompensieren. Im kommenden Winter werden Großbritannien und die skandinavischen Länder fehlen, ebenso die reichen russischen Skitouristen. Für viele Inländer ist ein Skiurlaub unerschwinglich und mit den explodierenden Arbeitslosenzahlen und vielen in Kurzarbeit wird die Kaufkraft nicht höher. Ein weiterer, wenig beachteter Faktor ist die angeordneten Quarantäne für viele Verdachtsfälle, was das Kontingent an Urlaub und Pflegefreistellungen weiter schmelzen lässt. Wenig Beachtung in der Öffentlichkeit findet auch der Fortbestand des Universitätsbetriebs. Bestimmte Fächer lassen sich einfach nicht vernünftig über E-Learning unterrichten, gerade Naturwissenschaften, und wir werden die kommenden Jahre Forscher und Entwickler brauchen, um die Folgen der Klimaerwärmung stemmen zu können. Nun kommt aber ein noch gravierenderes Problem: Viele Studenten haben ihre typischen Studentenjobs verloren und können sich ihr Studium nicht mehr finanzieren. Auch das wird ein Loch reißen in die Zukunft der Wissenschaft in Österreich. Asylwerber haben wegen dem besonders strengen Asylrecht in Österreich schon vorher wenig Chancen auf einen dauerhaften Aufenthaltstitel und Arbeit gehabt. Jetzt konkurrieren sie mit einer explodierenden Zahl an neuen Arbeitslosen. Der durch die Fusion ohnehin geschädigten Kasse entgehen weitere Einnahmen, insbesondere wenn Unternehmen pleite gehen und Angestellte ihren Job verlieren. Gleichzeitig steigen die Ausgaben. Die Liste ließ sich noch endlos fortsetzen – die Essenz ist, dass der Staat mehr Schulden machen muss, um die Pleitewelle abzufedern und gleichzeitig massiv zu investieren, um neue Jobs zu schaffen.
Ohne nachhaltiges Wirtschaftssystem keine Rettung
Die ÖVP unter Kurz passt weder in den Fortschritt noch in das Zeitalter einer Pandemie, sie passt genau genommen nirgends hin, ein Anachronismus, der in seiner Absurdität, aber auch schamlosen Chuzpe, mit der die Demokratie missachtet wird, zeitlos ist. Jetzt sparen – wofür? Wir werden in wenigen Jahren die 1,5-Grad-Marke der Klimaerwärmung überschreiten, bis 2050 wahrscheinlich die 4-Grad-Marke. Die Gefahr, dass die Zivilisation durch die unkontrollierte Erhitzung des Planeten bis zum Ende des Jahrhunderts ausgelöscht wird, ist real. Vorstellbar sind viele Gründe: Weitere Pandemien durch den Anpassungsdruck in der Tierwelt mit weitaus tödlicheren Viren, die Vergrößerung der Wüstenzonen auf ein Fünftel der Erdoberfläche, der steigende Meeresspiegel, die Veränderung der Klimazonen mit Missernten und Hungersnöten, tödliche Hitzewellen und letzendlich auch die ausgelösten Verteilungskriege um verbleibende Ölressourcen, Trinkwasser und Anbauflächen. In jedem Fall wäre es anzuraten, dass wir JETZT alles dafür tun, dass es nicht so schlimm wird und wir uns eine günstigen Ausgangslage verschaffen, also nachhaltig wirtschaften, nicht mehr so, dass die Smartphones alle zwei Jahre hin sind oder Waschmaschinen alle fünf Jahre. Die Kosten der Klimaerwärmung werden jene der Pandemie um das Vielfache übersteigen. Ein anderes Problem ist natürlich der feudale Ständestaat, den die ÖVP schleichend einführt. Die wohlhabende Bevölkerung soll die besseren Voraussetzungen haben, die Krisen der nächsten Jahrzehnte zu überstehen. Die Mehrheit der Bevölkerung wird unter Armut und Massenarbeitslosigkeit leiden und soll gezwungen werden, jede noch so schlecht bezahlte Arbeit unter miesen Bedingungen und kürzerer Lebenserwartung anzunehmen. Ich übertreibe nicht – man muss sich nur anschauen, wie Schlüsselkräfte derzeit behandelt werden. Keine Anerkennung in Form von Lohnerhöhung, geschweige denn besseren Arbeitsbedingungen. Am schlechtesten werden immer noch Ausländer behandelt, obwohl der Lockdown offengelegt hat, dass ohne LKW-Fahrer, Erntehelfer, Paketboten, Essenslieferanten, Supermarkt-Angestellte, Krankenschwestern und -pflegerinnen und vielen anderen nichts gegangen wäre. Würde der ÖVP zudem wirklich etwas an den Nicht-ÖVP-Wählern liegen, würde sich das auch in einem wertschätzenderen Umgang mit Risikogruppen zeigen, die offenbar zuhause bleiben sollen, nachdem die Gastronomie und Tourismus ohne Maskenpflicht bleiben.
Es ist absehbar, dass das Virus noch länger zirkulieren wird und selbst ohne Impfstoff wäre es leicht, was dagegen zu tun: Masken, Abstand halten und Hände waschen.

Quelle: Eric Topol
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