Tag 263: Erinnerungen an die (alte) Normalität

Es ist schon eine Laune des Schicksals, wie das Leben innerhalb kurzer Zeit durch eine Pandemie völlig auf den Kopf gestellt wird. Aus beruflichen Gründen verließ ich nach sechs Jahren Wien Anfang 2017 nach Salzburg (Stadt). Nach kurzer Zeit fühlte ich mich dort schon unwohl, zwei harte Jahre ohne Auto, angewiesen auf Salzburgs öffentlichen Verkehr. Der Massentourismus in der Stadt, im Salzkammergut und im angrenzenden Berchtesgadener Land machte mich fertig. Ich wollte wieder zurück nach Wien, wo man auch ohne Auto ziemlich mobil ist und wo einem zahlreiche Wanderziele offenstehen. Was nützten mir die hohen Berge in Salzburg, wenn ich mangels öffentlicher Anbindung kaum hinkam? Ich wollte auch zurück wegen der Kultur, wegen der Nähe zu Bratislava, der Anbindung nach Prag, die durchaus von Wien erreichbaren Ziele der slowakischen Tatra. Natürlich spielte der in Wien beheimatete Freundeskreis auch eine wichtige Rolle in den Rückkehrerabsichten. Im April 2019 kehrte ich zurück und war negativ überrascht, wie stark der Massentourismus sich auch in der (Inneren) Stadt und bei den üblichen Attraktionen gesteigert hatte. Viele der Gründe, weshalb ich nach Wien zurückgekehrt bin, habe ich vor Ausbruch der Pandemie nicht mehr in die Tat umgesetzt, ich war nicht im Ausland, ich ging auf nur wenige Konzerte, und so manche geplanten Wanderungen in erreichbarer Nähe scheiterten an einer ausheilenden Fußverletzung. Ich möchte die alte Normalität hier nicht verklären, die in ihren gesellschaftlichen Grundsätzen seit jeher abnormal war, die soziale Ungleichheit, bestehende Diskriminierung, Alltagsrassismus, usw. Ich habe seit 2013 immer wieder darüber gebloggt.

Hier geht es um meine persönlichen Gefühle, wenn aus normalem Alltag Erinnerungen an eine Zeit werden, wo man sich frei bewegen durfte, wo man keine aufsteigende Panik bekam, wenn sich drinnen mehrere Menschen ohne Maske in der Nähe aufhielten. Ich hab volle Verkehrsmittel und Menschenmassen schon vorher gemieden, aber manchmal toleriert, um ein Ziel zu erreichen. Seit achteinhalb Monaten schränke ich mich ein, tolerieren heißt derzeit erhöhte Ansteckungsgefahr. Es war auch klar, dass der Massenflugtourismus, der in Orten wie Innsbruck, Salzburg, Hallstatt oder Dürnstein und zuletzt eben auch in Wien ein unerträgliches Ausmaß erreichte, so nicht weitergehen konnte. Dennoch vermisse ich zumindest ein bisschen davon. Das Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen. Als ich vor Jahren immer wieder in der Innenstadt von Wien unterwegs war, aber auch an anderen Orten mit vielen Touristen, hätte ich nicht gedacht, wie schnell, innerhalb weniger Jahre, meine Aufnahmen historisch werden könnten, ein Zeitdokument einer alten Normalität, nach der sich viele zurücksehnen – und damit meine ich nicht die bestehende und sich unter türkisgrün noch verschärfende sozioökonomische Ungleichheit, bei der auch die Hilfen für eine darbende Wirtschaft, für Langzeitkranke und seelische Unterstützung für Angehörigezu kurz kommen, sondern schlicht die von unserer Generation in der westlichen Demokratie nie anders gekannte Reisefreiheit.

Alle Bilder © wieneralltag.wordpress.com

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