Tag 400: Irrtümer und Desinformation im Faktencheck

Ein Jahr in der Pandemie. Die Desinformation durch die AGES, das Gesundheitsministerium und die Regierung allgemein hat Spuren hinterlassen. Es fehlt weiterhin an Grundlagenwissen. Hier sind die wichtigsten Irrtümer zusammengetragen – die Richtigstellung erfolgt mit der “Truth Sandwich”-Methode. Das ist etwas aufwendiger als “Aussage und Fakt”, aber “the first frame wins”. Und wir haben den Scheinexperten schon zu viele erste Frames überlassen.

Fakt 1: Symptomfreie Übertragung ist der Hauptgrund dafür, dass die Pandemie nicht eingedämmt werden kann und konnte.

Falsch: Wer keine Symptome hätte, würde das Virus auch (kaum) übertragen können.

Die Übertragung geschieht vor allem in einem Zeitraum von 48 Stunden vor bis fünf Tage nach Symptombeginn. Dabei ist zwischen präsymptomatischen Übertragungen (symptomfrei, entwickelt später Symptome) und asymptomatischen (bleibt symptomfrei) zu unterscheiden. Aufgrund der Vielfalt an Symptomen sind echte asymptomatische Fälle selten. Zu Beginn hat man viele Symptome noch nicht gekannt und die Zahl der asymptomatischen Fälle höher eingeschätzt. Zudem ist es schwierig, symptomfreie Verläufe durchgehend am Patienten zu überwachen. Derzeit schätzt man 17-30% asymptomatische Übertragungen und rund 35% präsymptomatische Übertragungen.

Grund für symptomfreie Übertragung ist, dass normales Sprechen bereits so viele Aerosolpartikel produziert, dass man sich dadurch anstecken kann. Untersuchungen am Hermann-Rietschel-Institut in Deutschland zeigen, dass man beim Atmen 50 Partikel pro Sekunde produziert, beim Sprechen 200, lautes Sprechen 400 und Singen 4000. 99% der Partikel sind kleiner als 3 μm und können damit bis in die Lunge inhaliert werden. Symptome wie Husten oder Niesen sind also nicht notwendig, um infektiöse Partikel zu produzieren. Mit den ansteckenderen Varianten wie B.1.17 reicht ein kurzes Gespräch.

Fakt 2: Das Coronavirus wird über Aerosole übertragen. Diese verteilen sich mit der Zeit in Innenräumen und können auch mehrere Meter von der infizierten Person anstecken.

Falsch: Das Virus wird über Tröpfchen übertragen. Alleine im Raum bin ich sicher.

Hauptübertragungsweg sind Aerosole. 99% der ausgestoßenen Partikel sind unter 3 Mikrometer groß. Bei ruhender Luft dauert es Stunden, bis sie zu Boden sinken (Schwerkraft). Bei bewegter Luft werden sie wieder nach oben gespült und verteilen sich im Raum. Menschen fungieren dabei wie kleine Heizkörper, sorgen für lokalen Auftrieb. Wenn sich vor mir eine infektiöse Person im Raum befunden hat und etwa ein längeres Telefongespräch geführt hat, hat er längere Zeit infektiöse Aerosole in den Raum ausgestoßen. Dann hängt es von der Belüftungsart (Fenster, Verdünnungslüftung, Quelllüftung, Luftreiniger) ab, wie hoch die Aerosolkonzentration im Raum ist.

Beste Lüftungsart ist die Quell-Lüftung bei gleichzeitig hohen Räumen: Saubere Luft wird von unten eingebracht, verunreinigte Luft steigt nach oben und wird oben abgezogen. Aber: Es muss genug von unten nachströmen, sonst sinkt die Dicke der kontaminierten Luft wieder ab. Alternativ: Personenanzahl reduzieren.

Im eigenen Büro kann man die Lüftungsart erfragen, aber bei fremden WC-Örtlichkeiten oder im Aufzug weiß man das weniger. Daher: FFP2-Maske tragen – auch dann, wenn man alleine in einem Raum ist, in dem sich andere vor einem aufgehalten haben und man sich nicht sicher sein kann, ob sie Maske getragen haben.

Fakt 3: Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft werden alle Atemwegsinfekte über Aerosole übertragen. Tröpfcheninfektion spielt nur eine untergeordnete Rolle.

Falsch: Der Hauptübertragungsweg sind Tröpfchen. Aerosole kommen nur in bestimmten Situationen vor.

Ja ich weiß, die WHO schreibt und auf der AGES-Webseite steht es auch. Quelle der folgenden Erläuterungen: Seit 1887 wusste Dr. Charles V. Chapin (1856-1941), Pionier der Public-Health-Forschung, dass Krankheiten über die Luft übertragen werden konnten, z.B. Scharlach. 1910 schrieb er sein berühmtes Buch, wo er bemerkte, dass die meisten Übertragungen stattfanden, wenn die Menschen in engem Kontakt waren und wenig Hinweise für Luftübertragung sprechen würden, wahrscheinlich kam er daher auf Tröpfchen. Zu dieser Zeit zeigten Studien ausgespuckte Bakterien innerhalb 2,5m Entfernung wachsen. Auf diesen Schlussfolgerungen basieren die Empfehlungen der WHO (und der AGES) bis heute. Bei größeren Entfernungen musste es Kontaktinfektion sein (fomites). 1936 kamen Dr. Wells and Wells (Ehepartner), die die Luftübertragung studierten. Sie schlussfolgerten, dass das Virus über die Luft übertragen wird und symptomfreie Ausbreitung es aufrechterhält. UV in Schulen stoppte die Übertragung.

Bei Masern gab es die gleiche Diskussion (Tröpfchen vs. luftgestützt), doch als ein paar Ausbrüche geschahen, die mit Tröpfchen nicht erklärt werden konnten, akzeptierte man widerwillig luftgestützt. Bei Tuberkulose genauso. Doch Wells stellte Meerschweinchen auf die Dächer von Kabinen, in denen Tuberkulose-Patienten untergebracht waren, und als die Schweine Tuberkulose bekamen, konnte man es nicht leugnen: Auch Tuberkulose wird über Aerosole übertragen. Bei Pocken ähnlich, dabei hatte Chapin schon 1887 gesagt, dass man wusste, dass es über Entfernungen übertragen werden konnte. Windpocken werden allgemein ebenfalls als luftgestützte Übertragung akzeptiert. Das CDC Manual listet zahlreiche weitere Erkrankungen als “luftgestützt” (airborne) auf.

Aerosol-Übertragungen werden auf Spitäler eingeschränkt, wo Aerosol Generating Medical Procedures (AGMPs) eingesetzt werden. Allerdings werden dort nicht zwingend Aerosole produziert (O’Neill et al., 2017). Mit der Prozedur sind lediglich mehrere Gesundheitsarbeiter anwesend. Die Vorstellung ist, dass beim Intubieren vermehrt Tröpfchen aus dem Mund fliegen. Allerdings tun sie das nicht mehr als Husten. In Flugzeugen sah man Infektionen über zwei Meter Entfernung. Doch statt die Tröpfchenübertragung zu überdenken sagte man, es kam von den Rücksitzen. In UK gab die Regierung zu, dass 2m vs. 1m Distanz wirtschaftliche Überlegungen zugrundelagen.

Jetzt kam es wiederholt zu Berichten über Ansteckungen in Quarantänehotels (getrennte Zimmer, kein direkter Kontakt). Mit Tröpfchen ist das nicht erklärbar. No way.

Fakt 4: Abstand halten reicht nicht, Maskentragen ist wichtig.

Falsch: Wir haben uns drinnen getroffen, aber Abstand gehalten.

Siehe Erklärungen über Aerosole und Durchlüftung. Aerosole schweben deutlich weiter als 1-2m Abstand. Ein sicheres Indoor-Treffen geht nur, wenn beide FFP2-Masken tragen. Am sichersten ist ein Outdoor-Treffen mit FFP2-Masken.

Fakt 5: Einzelne Ansteckungen wurden auch im Freien beobachtet.

Falsch: Im Freien kann ich mich nicht anstecken.

Draußen werden die Aerosolwolken durch den Wind rasch verdünnt und können sich nicht akkumulieren wie in Innenräumen. Superspreader-Events werden damit extrem unwahrscheinlich. Wenn man im Freien aber zu nahe beieinander steht, während man sich unterhält, kann die Konzentration der Aerosolwolke dennoch ausreichen, um sich infizieren – anekdotisch geschieht das häufiger mit der ansteckenderen B.1.1.7-Variante.

Fakt 6: Öffentliche Verkehrsmittel sind großteils sicher, wenn alle gut sitzende FFP2-Masken tragen.

Falsch: In öffentlichen Verkehrsmitteln kann man sich praktisch nicht anstecken.

Ein öffentliches Verkehrsmittel ist ein geschlossener Raum mit mehr oder weniger guter Klimaanlage. Bei voller Auslastung können Mindestabstände nicht eingehalten werden. Aerosolwolken ausatmender oder telefonierender Mitfahrgenossen können sich im Gesichtsfeld der empfänglichen Person konzentrieren. Bei längeren Fahrtzeiten nimmt die Viruskonzentration allgemein zu. Meine privaten Messungen mit einem mobilen CO2-Messgerät ergaben in der U-Bahn Werte um 800ppm, in den Regionalzügen aber bereits bei mäßiger Auslastung oft über 1000 bis 2000ppm. Ohne dichtsitzende FFP2/3-Maske würde ich hier nicht mehr mitfahren wollen. Mangels verpflichtender TrackingApp und ohne Reservierungspflicht in Fernzügen lässt sich bei uns nicht nachvollziehen, ob es in öffentlichen Verkehrsmitteln tatsächlich zu Ansteckungen kommt.

Nachdem die Deutsche Bahn medizinische Masken (OP-Masken) als Alternative zu FFP2-Masken erlaubt, habe ich mir die siebenstündige Heimfahrt bisher immer verkniffen, da diese Masken eine zu große Leckage haben.

Fakt 7: Ein schwerer Verlauf kann unabhängig von Alter und Vorerkrankungen auftreten, er ist nur mit steigendem Alter häufiger und wird mit den Virusvarianten vermehrt auch in jüngeren Altersgruppen beobachtet.

Falsch: Im Spital landen nur Menschen mit Vorerkrankungen.

Mehrere Studien zeigten eine erhöhte Hospitalisierungsrate mit B.1.1.7, z.B. in Dänemark oder in UK. Doch auch beim Wildtyp zeigte sich immer wieder ein schwerer Verlauf bei vorher gesunden jungen Menschen. Eine Studie an syrischen Hamstern zeigte schwere Verläufe bei Aerosol-Übertragung, nicht aber bei Schmierinfektion. Die Art der Übertragung entscheidet neben Risikofaktoren, wie schwer ein Verlauf wird. Dazu passen simple Überlegungen: Die Dosis macht das Gift – und Aerosole lassen sich leichter tief in die Lunge einatmen als ein paar Tröpfchen. In der ersten Welle erkrankten viele Ärzte und PflegerInnen in der Lombardei schwer, weil es an Schutzausrüstung fehlte. Wenn ich mich also längere Zeit in unmittelbarer Nähe zu einem hochinfektiösen Menschen aufhalte und sozusagen eine Extradosis infektiöser Aerosole abbekomme, würde mein Risiko für einen schweren Verlauf steigen. Das betrifft dann wohl auch die ein oder andere Geburtstagsparty oder Osterfeier, aber auch PädagogInnen im Unterrichtsraum etwa in Volksschulen oder Erzieherinnen im Kindergarten. Gandhi and Rutherford (10/2020) beobachteten in Settings, wo Masken getragen wurden, häufiger asymptomatische Verläufe als ohne Masken:

In an outbreak on a closed Argentinian cruise ship, for example, where passengers were provided with surgical masks and staff with N95 masks, the rate of asymptomatic infection was 81% (as compared with 20% in earlier cruise ship outbreaks without universal masking).

Fakt 8: Kinder erkranken seltener schwer als Erwachsene, aber mit den Varianten nimmt ihre Anzahl zu.

Falsch: Kinder können nicht schwer erkranken.

In Frankreich stieg die Hospitalisierungsrate mit B.1.1.7 bei Kindern an. Mikrothrombosen wurden auch bei symptomfreien Kindern nachgewiesen, die Folgen sind noch unklar. Berichte mit schweren Verläufen gibt es aus Schweden. In Stockholm wurde inzwischen eine Krankenstation für Kinder und Jugendliche eingerichtet, um Langzeitfolgen zu therapieren – die ebenso wie bei Erwachsenen auch nach symptomfreien oder milden Verläufen auftreten können. In UK wurden Anfang Februar 100 Kinder pro Woche wegen MIS-C hospitalisiert, 3/4 davon haben Migrationshintergrund, 4/5 von ihnen hatten keine Vorerkrankungen. In Österreich waren bis Ende Jänner 360 Kinder hospitalisiert, 20 wegen MISC/PIMS auf der Intensivstation. Berichte gibt es auch aus Deutschland. In einer großen Beobachtungsstudie mit 510 Kindern haben nur 10% ihre ursprüngliches Aktivitätslevel erreicht.

Fakt 9: Kleinkinder übertragen das Virus.

Falsch: Kleinkinder übertragen das Virus nicht.

Kindergarten- und Volkschulkinder wurden bisher außen vor gelassen. Das war bequem, denn während ältere Schulkinder auch mal eine Zeit lang alleine betreut werden können, ist das bei kleineren Kindern schwieriger bis unmöglich. Statt Sonderbetreuungszeit und Pflegefreistellung auszuweiten, was den Arbeitgebern teurer zu stehen gekommen wäre, hat man behauptet, Kleinkinder würden nicht übertragen. Kindergärten und Schulen konnten damit offen bleiben, Eltern weiterhin arbeiten. Problem gelöst.

„Wir warnen vor der Vorstellung, dass Kinder keine Rolle in der Pandemie und in der Übertragung spielen. Solche Vorstellungen stehen nicht im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen.“ (Gesellschaft für Virologie in Deutschland, 6. August 2020)

Beispiel: Inzidenzen pro 100 000 Einwohner nach Altersgruppen für die Ostregion vom 5. März bis 18. April 2021

Die Heatmap zeigt vor allem im Burgenland einen starken Anstieg bei Kindern unter 5 Jahren. In allen drei Bundesländern sind die Inzidenzen bei den 5-14jährigen extrem hoch (über 400). Seit den erneuten Schulschließungen gehen die Inzidenzen zurück. Überproportional stark ist auch die Elterngeneration betroffen (bis 45). Die Einteilung der Altersgruppen ist leider nicht ideal, interessant wäre der Anteil der Infizierten bei den Kindern unter 10 Jahren – jene, die laut Empfehlung der ÖGKJ im Herbst nicht getestet werden sollten.

Fakt 10: Intensivpatienten in andere Spitäler zu verlegen ist riskant.

Falsch: Es sind noch genug Spitalsbetten frei, da verschiebt man halt ein bissl hin und her.

Tetris auf der Intensivstation – was ein Intensivtransport bedeutet – intubierter Patient.

Eine weitere Erläuterung kommt von einer Intensivmedizinerin:

“Der Patient ist intubiert, das bedeutet ein Schlauch 1 vom Tubus zur Beatmungsmaschine. Zusätzlich dünner Schlauch 2 zur CO2 Messung. Dann invasive Blutdruckmessung, Schlauch von Arterienkanüle 3 zum Transducer, von dort zum Pressure bag, Kabel 4 zum Monitor. Dann Zentralvenöser Kather meist mit 4 (5,6,7,8) Schläuchen, alle mit Medikamenten. Dann Harnkatheter 9, dann Magensonde 10. EKG 3 Kabeln (11,12,13), Dann Sauerstoffsättigung- Messung ,14. Das ist die Schlauch- und Kabelmindestmenge eines intubierten Patienten.

Dann muss der Patient fit für den Transfer sein, d.h. nicht gleich sterben, wenn man ihn auf eine Transportliege hebt. Dann braucht es erfahrenes Personal für den Transport und dementsprechende Fahrzeugaustattung. Dies ist sehr wenig vorhanden. Das impliziert eine Wartezeit.. Es braucht gute Kommunikation zwischen der schickenden und nehmenden Abteilung, ein ausführlicher Brief ist notwendig. So ein Transfer ist Hochrisiko. Für den Patienten. Auch wenn so getan wird, dass so alle, die es brauchen ein Bett kriegen, ich mag Patienten behandeln und keinen Hochrisikoösterreichrundflug organisieren. Ich rede von Covid und non Covid Patient*innen. Addendum: Vorausschauende Verlegung oft bei Covid sehr schwer, verschlechtern sich schnell. Atemwegssicherung = Intubation für den Transport oft notwendig. Natürlich ist das alles möglich, und auch in nicht Pandemiezeiten unser Job. Es ist keine Genussreise und das war es nie.” (Traveleve, Intensivmedizinerin)

Es ist nicht nur kritisch, wenn Intensivbetten ausgelastet sind, sondern auch Normalbetten:

“Auch schon zur zweiten Welle waren die meisten COVID-Pat. auf der Normalstation. Auch da waren Behandlungen z.B. wegen Krebs eingeschränkt, weil die meisten Stationen mit COVID-Patienten belegt waren. Auch Spezial-Stationen.” (Marc Hanefeld, Hausarzt und Notfallmediziner)

Die meisten “freien” Betten sind ein Optionsgut und in diesem Sinne in Verwendung. Mit anderen Worten, sie werden als Puffer für Unfälle, akute Verschlechterungen von regulären Patienten etc verwendet.” (Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom)

Fakt 11: Wer auf die Intensivbetten schaut, handelt zu spät.

Falsch: Die Inzidenz alleine sagt wenig aus. Entscheidend ist die Belastung der Intensivbetten.

1 Wer nur auf die Intensivbetten schaut, übersieht die Verzögerung von 2-3 Wochen, mit Inkubationszeit + Verschlechterung der Symptome, bis die Infizierten ins Spital müssen.

“Wenn ich nach den Intensivbetten-Zahlen schaue und dann Massnahmen treffe, treffe ich die Massnahmen, die ich vor einem Monat hätte treffen müssen.” (Virologin Isabella Eckerle, 9.10.20)

2 “Niemand verlässt die Intensivstation so, wie er reingekommen ist”. Die Menschen sind gezeichnet fürs Leben.

3 Long Covid. Ein Teil der Patienten nach milden Verläufen muss später ins Krankenhaus wegen Lungen- oder Herzsymptomen, teils auch neurologische Symptome. Ein großer Teil der LongCOVID-Patienten braucht monatelang ärztliche Hilfe. Das Gesundheitssystem bleibt belastet, die Versorgung der Normalpatienten ist nicht mehr gewährleistet (Knappheit für beide).

Fakt 12: Ein negativer Test schließt eine Infektion nicht aus und ich kann sehr wohl ansteckend sein.

Falsch: Wenn mein Antigentest negativ ausfällt, bin ich sicher und kann andere nicht anstecken.

Mit der Ankunft der ersten Schnelltests herrschte in der Regierung schnell die Euphorie, sich künftige Lockdowns zu sparen. “Testen oder Lockdown”, “aus dem Lockdown freitesten” das damalige Motto. Ein negativer Antigentest heißt aber nur, dass man wahrscheinlich nicht hochansteckend ist. Man kann zu diesem Zeitpunkt bereits infiziert sein. Es können am Abend, spätestens am nächsten Tag, bereits Symptome auftreten. 48 Stunden Gültigkeit, wie es selbst der Wiener Gesundheitsverbund für seine Ambulanzen vorschreibt, sind also deutlich zu lang, und wiegen die negativ getestete Person in falscher Sicherheit.

Die sicherste Art, andere nicht anzustecken, ist sich nach Letztkontakt zu isolieren und regelmäßig zu testen. Dieser individuelle Lockdown würde ironischerweise die Fallzahlen stärker drücken, wenn jeder so handeln könnte und würde.

Fakt 13: Antigentests sind (leider) am genauesten bei Symptomen und fischen die infektiöse Phase vor Symptombeginn schlechter heraus.

Falsch: Antigentests sind schneller als PCR-Tests und daher besser.

Mein letzter Stand war, dass der Absonderungsbescheid immer noch an den positiven PCR-Test gekoppelt ist, ebenso der Beginn des Contact Tracings. In anderen Ländern (z.b. UK) wird bereits bei positivem Antigentest abgesondert und nur bei Symptomen und negativem Antigentest nachgetestet. Der Vorteil durch das zeitnahe Ergebnis des Antigentests wäre damit dahin.

Das Fazit aus dem letzten Drosten-Podcast kam für viele überraschend: Es gibt eine Sensitivitätslücke bei den Antigentests und die umfasst den präsymptomatischen Zeitraum bis Symptombeginn (ca. 3 Tage), ansteckend ist man im Schnitt noch fünf Tage später, insgesamt also acht Tage. Während man die Menschen mit Symptomen aber relativ leicht herausfischen kann, machen uns gerade die ohne Symptome die größten Probleme, weil sie das Infektionsgeschehen aufrecht erhalten. Daher sind Antigentests bei symptomfreien Menschen nicht als Eintrittstests geeignet – man kann sie höchstens als Infektionskontrolle verwenden, darf danach aber nicht auf zusätzliche Käsescheiben (Lüftungskonzepte, FFP2-Masken) verzichten. Tests ersetzen Masken nicht.

Die Begründung für die Sensitivitätslücke:

“Wir testen auf tote Scheimhautzellen voller Nukleokapsid-Antigen, während 2-3 Tage vorher die noch lebenden, frisch infizierten Zellen massenweise infektiöses Virus rauspumpen. In dieser Phase wird das Antigen, das eigentlich ein Bauprotein des Virus darstellt, auch in frisch infektiöse Viruspartikel verbaut und bleibt nicht in den Schleimhautzellen liegen. In dieser Frühphase schmeißen wir das als Virus raus. In der späteren Phase bleibt das als Überschuss, als Bauschutt im Prinzip, in diesen abgeschilferten toten Zellen liegen. Und darauf testen wir im Antigentest, so kann man sich das erklären.”

Dazu kommt falsche Handhabung (kein Schnäuzen, Bedienungsfehler, nicht tief genug in die Nase) bei den Nasenbohrtests.

Daher sind PCR-Tests genauer. Aber der Zeitverlust? Zum Einen könnte man viel häufiger Gebrauch von gepoolten PCR-Tests machen, also Proben einzeln abgeben, dann werden alle zusammengeschüttet. Ist die gepoolte Probe positiv, werden die Einzelproben nachgetestet. Ist sie negativ, spart man sich das einzelne Nachtesten. Zum Anderen könnte man die gepoolten PCR-Tests zusätzlich machen. In der Wartezeit gilt das, was für alle gilt: FFP2-Maske tragen und keinen engen Kontakt zu haushaltsfremden Personen.

Fakt 14: Schulen sind Infektionsorte aufgrund der Innenraumbedingungen. Wer sein Kind liebt, der will es negativ wissen und nicht positiv getestet haben.

Falsch: Mit offenen Schulen erreicht man auch die Kinder von Familien, die sonst nicht testen gehen.

In letzter Zeit ein beliebtes Argument der “Kinder spielen keine Rolle”-Gläubigen. Schule als Ort der Infektionskontrolle, Schule als Infektionsradar. Worum geht es eigentlich wirklich? Die Präventionsleitlinie ist vom Oktober 2020! Ein Klassenraum ist ein geschlossener Innenraum – in den meisten Fällen, da nicht vorgeschrieben, ohne CO2-Monitoring. Ob alle 20 Minuten Lüften ausreicht, hängt davon ab, ob Masken getragen werden, wie viele SchülerInnen im Raum sind und wie die Lautstärke im Klassenraum ist. In Volksschulen gilt die Maskenpflicht nur beim Betreten der Schule und am Gang, nicht aber im Klassenzimmer. Ideale Superspreaderbedingungen. Kindergärten detto.

Das hat vornehmlich zwei Implikationen: Erstens sollte sich das Kind nicht anstecken wegen LongCovid (siehe oben) und zweitens ist die Second Attack Rate in Haushalten bei B.1.1.7 deutlich höher als beim Wildtyp, legt also die ganze Familie flach, mit allen bekannten Risiken für schwere Verläufe. Mit anderen Worten: Infektion beim Kind vermeiden, für die Gesundheit des Kindes und für die eigene. Testen schützt vor Infektionen nicht. Solange ist bei hoher Inzidenz und immer noch nicht ausreichenden Präventionsmaßnahmen die Schule kein sicherer Ort.

Fakt 15: Die COVID-19-Erkrankung dauert im Schnitt drei Wochen, bei LongCovid Monate bis Jahre.

Falsch: Die Krankheit dauert zehn Tage.

Manche verwechseln die Dauer der Quarantäne mit der Dauer der Krankheit. Dabei bezieht sich die Quarantäne lediglich auf die durchschnittliche Dauer der Infektiösität – also jenen Zeitraum, in dem der Kontakt mit immunologisch naiven Personen vermieden werden sollte. Das waren beim Wildtyp im Schnitt zehn Tage.

Mit B.1.1.7 dauert die akute Infektion länger. Nach Kissler et al. (19.02.21, Preprint) sind es 13 Tage, anekdotische Berichte deuten auch längere Zeiträume an. Unabhängig von der Infektiösität dauert die Erkrankung aber viel länger. Milde Verläufe im Schnitt drei Wochen. Schwere Verläufe enden im Spital, im schlimmsten Fall mit wochenlanger Intubation, ECMO und künstlichem Koma. Dann sind es mehrere Wochen.

Fakt 16: Ct-Wert um 30 ist bei rund ein Viertel immer noch ansteckend.

Falsch: Das Amt hat gesagt, mit Ct-Wert knapp unter 30 bin ich nicht mehr ansteckend, ich kann wieder arbeiten gehen.

Duration of infectiousness and correlation with RT-PCR cycle threshold values in cases of COVID-19, England, January to May 2020

Bei einem Ct-Wert von 33 waren 40 von 143 Proben (27%) immer noch infektiös. Erst bei Ct-Werten oberhalb von 35 sinkt die Infektiösität deutlich ab, ist aber erst über 40 nahe Null. Abgesehen von der Unsicherheit, ab wann man sicher nicht mehr infektiös ist, dauert die Erkrankung in den meisten Fällen deutlich länger als 14 Tage und man sollte sich entsprechend schonen, und wenn man es kann, nicht zu früh wieder arbeiten beginnen.

Fakt 17: LongCovid is a bitch.

Falsch: “Wenn die akute Krankheit vorbei ist, hab ich es geschafft.”

Viele Betroffene mit milden oder gar keinen Symptomen nach positivem PCR-Test berichten davon, dass die eigentlichen Beschwerden erst Wochen oder Monate später anfingen. Was unter anderem mit einer verschleppten Herzmuskelentzündung zusammenhängen kann (wie bei anderen Infektionen auch). Weitere Hypothesen für Long COVID sind: Das Virus verbleibt im Körper, andere Pathogene (z.B. Epstein-Barr oder Varicella zoster) im Körper erwachen erneut, das Immunsystem richtet sich gegen den Körper (Autoimmunstörung), das Gleichgewicht der Darmbakterien kommt durcheinander und Organschäden (Lunge, Herz, Gehirn).

Fakt 18: Nach einer Corona-Infektion sollte man mehrere Wochen (oder Monate) auf Sport verzichten.

Falsch: Ich hatte nur leichte (oder gar keine) Symptome, ich kann bald wieder Sport treiben.

Überaktivierung vermeiden. Nicht an die Grenzen der Belastbarkeit gehen, weil das zu einer Verschlechterung des Zustands führen kann und dauerhaft zu ME/CFS. Bei stärkeren Symptomen bis zu einem halben Jahr (Leistungs-)Sportverzicht und ggf. prophylaktisch Thrombozytenaggregationshemmung.

Fakt 19: LongCOVID machen rund 20-25% aller Infektionen aus (+/-10 %).

Falsch: Long COVID betrifft nur Einzelfälle.

Zu unterscheiden ist hier das Post-Acute-Covid-Syndrom nach einem schweren Verlauf (Hospitalisierung) mit Organschäden (häufig Herz und Lunge) vom Long COVID-Syndrom, das unabhängig von der Schwere der Akutinfektion auftritt.

Post-Covid: 70% der Hospitalisierten haben sich fünf Monate nach der Entlassung noch nicht erholt, 10% sterben innerhalb von Monaten nach der Entlassung, rund 15% werden erneut eingeliefert.

In UK haben nach 3 Monaten immer noch rund 700 000 Menschen Symptome, nach einem Jahr sind es 70000. Das NHS rechnet mit 1 Million LongCOVID-Patienten nach der Pandemie. Von 236 379 Covid19-Überlebenden entwickelt jeder Dritte eine neurologische oder psychiatrische Störung.

Fakt 20: Die Varianten sind sehr wahrscheinlich auch tödlicher, zumindest bei B.1.1.7

Falsch: Die Varianten sind nur ansteckender.

Daten aus UKDänemark und Israel zeigen eine um 60-70% erhöhte Wahrscheinlichkeit für schweren Verlauf und Tod. Das zeigen auch erste Beobachtungen in österreichischen Spitälern. Laut Beobachtungen auf Intensivstationen in Südtirol gibt es bei jüngeren Menschen häufiger schwere Verläufe mit B.1.351 als beim Wildtyp.

Vor kurzem dann im ORF ein Hinweis auf eine Studie von Frampton et al. (12.04.21), dass schwere Verläufe nicht gehäuft bei B.1.1.7 auftreten würden.

Zur Limitation der Studie:

Es handelt sich um eine Krankenhausstudie. Da kommen Übersterblichkeitseffekte weniger zum Tragen, etwa ob aufgrund der Überlastung der Spitäler überhaupt rechtzeitig ein Bett zur Verfügung stand. In der Krankenhausstudie werden nur Patienten angeschaut, die ein Bett bekommen haben. Da ist die Sterblichkeit nicht höher, das spricht für das Krankenhaus. Auf Bevölkerungsebene gelten weiterhin die Ergebnisse der anderen (Populations)-Studien. (Drosten, 13.04.21, Nr. 84)

Fakt 21: Wer sich nicht einmal auf hilfreiche Strategien zur Eindämmung einlässt, ist verdammt zum Scheitern.

Falsch: Wir sind keine Insel wie Australien oder Neuseeland. ZeroCovid kann nicht funktionieren.

Österreich ist ein Binnenstaat, weist überdurchschnittlich viele Pendler auf und ist auf den Tourismus angewiesen. Das heißt aber nicht, dass wir die Pandemie durchlaufen lassen müssen. Österreich ist kein Entwicklungsland, auch wenn man beim Ausmaß der Korruption und Postenschacherei im Land diesen Eindruck bekommen kann.

  • TestPFLICHT am Arbeitsplatz erwischt alle Pendler, auch die, die an den Grenzen durchrutschen.
  • HomeofficePFLICHT verhindert unnötiges Pendeln vor allem im Inland.
  • PCR-Testpflicht beim Einreisen reduziert Einschleppen von Virusvarianten. Konsequente Quarantäne danach reduziert dieses Risiko weiter.
  • Wenn Schulen geöffnet sind, dann nur mit zusätzlichen Gurgel-Tests zu den Antigentests.

Ganz allgemein sollte man sich fragen, ob man im Lockdown (geschäftlichen) Tourismus zulassen muss. Priorität sollte die Reduktion der Inzidenz sein auf ein Niveau, das kontrollierbar ist und die Sicherheit aller Ungeimpften steigert sowie jener, die sich aufgrund medizinischer Gründe nicht impfen lassen können oder schwer bzw. keine Antikörper bilden (non-responder). Erst, wenn das Risiko für alle wieder überschaubar ist und bleibt, kann man an Öffnungsschritte denken.

„Either you set this goal [elimination] and you don’t achieve it, but in the process, you certainly are reducing the number of lives lost. The alternative is to set a lesser goal and then still misfire.“

(Jacinda Ardern, Premierministerin von Neuseeland)

„Indem wir wenigstens den Willen zum Scheitern haben, kommen wir vorwärts.”

(Thomas Bernhard)

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