
Entgegen meiner Ankündigung vor drei Tagen schaffe ich es doch nicht, zwei Wochen Blogpause einzuhalten. Eher hat der richtige Zeitpunkt bisher gefehlt, um bloggen zu können. Zwischendrin erreichte mich noch ein nettes Mail, was mich bestärkte, weiterzumachen.
Es gibt da ein kleines Problem in der öffentlichen Kommunikation von Studienergebnissen: Wir haben es eigentlich mit drei Pandemien zu tun. Mit einer Wildtyp-Pandemie (wo ich jetzt einmal darüber hinwegsehe, dass in der europäische erste Welle bereits die D614G-Mutation stattgefunden hat), eine ALPHA (B.1.1.7)-Welle von Februar bis April und eine DELTA (B.1.167.2)-Welle ab Juli.
ALPHA hat sich zumindest auf der Nordhalbkugel verbreitet durchgesetzt, dann DELTA. ALPHA war weitaus ansteckender und führte auch zu schwereren Verläufen. DELTA ist noch viel ansteckender mit R(0) um 6, und damit so ansteckend wie Windpocken (Feuchtblatterln). Anekdotische Berichte sprechen ebenfalls von schwereren Verläufen, bereits nach wenigen Tagen besteht Sauerstoffbedarf und die Intensivstationen leeren sich früher, weil die (ungeimpften) Erkrankten früher den Kampf gegen Covid19 verlieren. Zudem trifft es Kinder und Jugendliche in viel größerer Zahl und es kommt auch hier viel häufiger zu schweren Verläufen. Selbst Säuglinge sind betroffen.
Selbst, wenn DELTA keine schwereren Verläufe machen würde, gilt das, was zu Beginn bei ALPHA auch gesagt wurde: Ein Virus, das mehr Menschen infiziert, ist sogar schlimmer als ein Virus, das nur kränker macht, denn die absoluten Zahlen an Schwerkranken steigen in größerem Ausmaß und dann kollabiert das Gesundheitswesen früher – etwa schlicht damit, dass Sauerstoffmasken und Sauerstoffmengen knapp werden, und banaler durch den Umstand, dass das Gesundheitspersonal weniger wurde seit der letzten Welle, weil immer mehr das Handtuch werfen angesichts der Arbeitsbedingungen.
Wenn wir also heute Studienergebnisse lesen, die sich auf einen Beobachtungszeitraum VOR der DELTA-Welle beziehen, müssen wir die Interpretation sehr mit Vorsicht genießen. Sie beziehen sich auf eine weniger ansteckende und wahrscheinlich auch weniger krankmachende Virusvariante. Der Anteil an Hospitalisierten, Versterbenden und Betroffenen mit Langzeitfolgen (LongCOVID, PostCOVID) wird vermutlich mit DELTA ansteigen.
Das gilt leider auch für die Wirksamkeit des Impfschutzes: Es gilt zwar relativ gesehen weiterhin die Aussage, dass Impfstoffe das Risiko für schwere Verläufe und Tod sowie LongCOVID deutlich senken, aber mit DELTA steigen die absoluten Zahlen an “Durchbruchsinfektionen” an – einfach aus dem Grund, weil eine Virusvariante, die 1000fach mehr Viruslast produziert, sich besser im Körper vermehren kann, ehe die Armee an neutralisierenden Antikörpern zuschlagen kann. Ebenso unterläuft ein besser replizierendes Virus den großen Erfolg der mRNA-Impfstoffe, auch die Übertragung deutlich zu reduzieren, die durch die (überraschend) hohe Zahl an IgG-Antikörpern in den Atemweg-Schleimhäuten zustande kam – das heißt, dass auch Geimpfte in steigender Zahl das Virus übertragen können.
Geht es um das individuelle Risiko, trifft man als Vollgeimpfter bestenfalls andere Vollgeimpfte. Das hat sich nicht geändert. Der Vollgeimpfte wird selbst bei bei einer DELTA-Infektion tendenziell kürzer infektiös sein als im ungeimpften Status:

Wenn man sicher gehen will, sich trotz Impfung nicht anzustecken, weil einem die Risikoreduktion nicht ausreicht, weil man seinen AK-Status nicht weiß und/oder Grunderkrankungen hat, kann man vor dem Treffen einen PCR-Test machen und sich dann treffen. Solange der Pool an ungeimpften Menschen groß genug bleibt, um signifikante Erkrankungswellen zu verursachen, wird es das Angebot an PCR-Tests bestehen bleiben und gratis sein MÜSSEN.

Wenn man die Entwicklung im Sommer 2020 und 2021 vergleicht, dann wird das höhere Ausgangsniveau trotz über 50% Vollimmunisierten deutlich. Ob 50 oder 70% – die fiktive Herdenimmunitätsschwelle liegt bei 85% und höher, das ist simple Statistik – Der jetzige Impfstatus in Österreich reicht einfach nicht,um eine vierte Welle zu unterbinden. Und mit Schulbeginn Anfang September wird die vierte Welle von einem viel höheren Ausgangswert starten als im Vorjahr.
In den USA nimmt die Zahl an hospitalisierenden Kindern rapide zu, selbst die Kinder-Intensivstationen füllen sich und es sind auch schon mehrere Kinder gestorben. Am 8. August befanden sich 1450 Kinder im Krankenhaus (TheGuardian). Erschwerend kommt in den USA eine Welle mit RSV-Viren hinzu, weshalb die Betten für Kinder in den Spitälern knapp werden. Auch in Wien sind schon Kinder an Covid bzw. LongCOVID verstorben. In UK alleine leiden 34000 Kinder unter LongCOVID, wie eine Beobachtungsstudie zeigt.
Ausblick:
Bisher konnten sich die infektiöseren Virusvarianten durchsetzen. Mit steigender Immunisierung bei gleichzeitig hoher Inzidenz steigt aber die Gefahr von Fluchtmutationen, die den Impfschutz umgehen – dazu ein hervorragender Artikel der STANDARD-Journalistin Eja Kapeller, die mir seit einigen Monaten schon durch seriöse und qualitativ hochwertige Texte aufgefallen ist. Weiter so!
Diese Entwicklung wäre nicht überraschend – wir Laien wissen das seit dem 2. Jänner 2021, als ein angepisster anonymer Virologe darüber schrieb, wie man am effizientesten impfstoffresistente Virusvarianten erzeugen kann – nämlich genauso:
Zu glauben, mit der Impfkampagne wäre die Pandemie besiegt und für Vollimmunisierte vorbei. Indem man die lästige Maskenpflicht fallen lässt, wieder Nachtgastronomie und Großveranstaltungen zulässt und meint, ein 48 Stunden alter negativer Antigentest wäre ausreichend als Eintrittskarte in eine potentielle Superspreading-Situation.
Dazu kommen im Herbst die Schulöffnungen.
Die AGES hat aufgestockt und ein neues Institut für Infektionsepidemiologie gegründet, die von Epidemiologin Daniela Schmid geleitet wird, die u.a. durch folgende Aussagen aufgefallen ist:
20.9.20 : „Politik behindert Kommunikation der Ampel mit Aussagen wie Zweite Welle, exponentielle Zunahme und Lockdown.“ (ImZentrum)
22.10.20 “Wie das Virus in die Haushalte kommt, wissen wir nicht. Jeder Haushaltscluster hat einen Quellenfall, dessen Quelle wiederum ungeklärt.” (ORF-Text)
09.01.21 “Impfen, impfen, impfen”, denn sind erst einmal die vulnerablen Gruppen geschützt, wird sich die Lage insgesamt entspannen. ” (DerStandard)
17.02.21 “„Im Monat zwölf der Pandemie ein ganzes Bundesland abzuschotten und den Lockdown zu behalten, ist ja Gefängnis pur.“ “Die Realität hat einfach bewiesen, dass Schulen keine Infektionstreiber sind. Wir hätten die Volksschulen nie zusperren müssen.”
“„Wenn nur die Hälfte der Kinder in einer Klasse ist, brauchen sie keine Maske mehr zu tragen.“ „Es geht ab jetzt darum, mit dem Virus zu leben zu beginnen, zu versuchen, es in Schach zu halten und nicht, es auszurotten.” (FALTER)
14.03.21 Schmid: „Es gelte eine Balance zu finden zwischen der Kontrolle der Virusverbreitung und der Aussicht auf ein Leben, das von weniger Angst und mehr Frohsinn und Freude erfüllt ist.“ (DerStandard)
Ob sie die Gefahr durch DELTA angemessen behandeln wird? Ich habe Zweifel. Es gibt für Kindergärten und Volksschulen kaum ausreichende Schutzmaßnahmen – keine Luftfilter, CO2-Messgeräte, geschweige denn eine durchgehende FFP2-Maskenpflicht, die auch den Sitzplatz im Klassenraum umfasst. Es wird nicht ausreichen, zwei Wochen zu Schulbeginn intensiv zu testen – schon gar nicht mit Antigentests wie in den meisten Bundesländern.
Der Geschäftsführer der AGES sowie dessen Aufsichtsratschef sind Mitglieder der rechtsextremen Burschenschaft “Oberösterreicher Germanen Wien” (schon der Titel spricht Bände). Die AGES gehört zum Gesundheitsministerium, das gegenwärtig von den Grünen geführt wird, die früher nicht für ihre Sympathie für Rechtsextreme bekannt waren. Wir wissen, dass Great-Barrington-Befürworter die Teilnahme der Kinder am Infektionsgeschehen leugnen oder verharmlosen und eine unrealistische Herdenimmunität über natürliche Durchseuchung der Kinder und Jugendlichen erreichen wollen. In den USA wird die Impfstoffzulassung für Kinder unter 12 Jahren immer wieder verzögert – wohl nicht zufällig ist ein Mitglied der FDA-Kommission Great-Barrington-Anhänger. Hier treffen sich die libertäre Rechte und nationalistische Rechte.
Die Mitglieder und Wähler der Grünen scheinen bis heute nicht begriffen zu haben, WEN sie da unterstützen, indem sie die AGES die strategische Bewältigung der Pandemie überlassen – was Great-Barrington-Ideologie wie im Lehrbuch bedeutet – dazu reicht schon ein Blick in die “FAQ”. Es gab immer wieder Zeitpunkte, wo man entweder vom Gesundheitsminister und/oder von der AGES einen starken Appell an die Bevölkerung gebraucht hätte, sei es wegen Masken tragen, wegen Kinder schützen, wegen LongCOVID, wegen den ansteckenderen Varianten. Stille im Walde.
Tatsächlich ist es so, dass die grüne Partei eine unrühmliche Rolle in der Pandemie spielt, indem sie typische Aussagen der Great-Barrington-Anhänger wiederholt. Ich habe etliche Zitate von “unser Hauptziel ist es, die Intensivstationen nicht zu überlasten”, und zwar nicht nur von Mückstein und vorher Anschober, sondern auch von Maurer und Vizekanzler Kogler. Damit ignoriert man die Verzögerung von Infektionsanstieg und Hospitalisierung ebenso wie von Long COVID. Sogar, wenn sie selbst von Long COVID betroffen sind, wie Michel Reimon, ignorieren die Grünen die schiere Menge und die Schwere der LongCovid-Fälle in Österreich – für die es derzeit keine Heilung für alle Betroffene gibt, und das bei unzureichender oder falscher Behandlung zu MECFS werden kann. MECFS wird im Übrigen weiterhin ignoriert von der Politik und von vielen Ärzten.
Unverblümt ausgesprochen:
Das Ziel der gegenwärtigen Pandemiepolitik für Herbst und Winter ist klar: Kein weiterer Lockdown, die Schulen müssen offen bleiben, damit die Eltern arbeiten gehen können und die Unternehmen finanziell nicht weiter gestützt werden müssen. Um offene Schulen zu argumentieren, musste das Risiko von LongCOVID für Kinder heruntergespielt werden, und LongCOVID bei Erwachsenen als “gut behandelbar” deklariert werden, damit sich niemand fürchten muss.
Ich persönlich bezweifle, dass sich die Pandemiepolitik signifikant ändert, solange an den Schlüsselpositionen Great-Barrington-Vertreter oder inkompetente Leute sitzen. Über die Kurz-Partei wird man nichts bewegen – die bestehen aus purer Ideologie. Meine Hoffnung starb mit der Ignoranz der grünen Partei gegenüber jenen, die an Werte und Anstand geglaubt haben und sich jetzt zurecht verraten fühlen.
Zusätzlicher (G)rant:
Nicht nur beim Thema Pandemie (und Kinder), sondern auch Menschenrechte, Demokratie, unabhängige Medien (ORF-“Wahl”). Alles wird dem Klimaschutz untergeordnet, während man derzeit für 15 Euro bei Ryan Air durch die Weltgeschichte fliegen kann. Sollte es nicht einen Mindestpreis für Flüge geben? Beim Thema Abschiebungen nach Afghanistan, wo bald wieder die Taliban regieren werden, sind die Grünen stumm. Und da geh ich nicht mit, sorry – gegen einen wirtschaftlich übermächtigen Kurz können die kleinen Grünen höchstens etwas Klimaschutzkosmetik erreichen – als Oppositionspartei wären sie hoffentlich lauter, würden Fridays4Future mitnehmen und könnten die Klimakatastrophe ständig zum Thema 1 machen, an dem niemand mehr vorbeikommt. Wie sieht die Parteienlandschaft aber in 2 Jahren aus, wenn der ORF unter ÖVP-Kontrolle ist, die ÖVP-nahen Medien weiter großzügig unterstützt werden und sonst schlicht kein Medium zur Verfügung steht, um die Landbevölkerung zu erreichen? Meinen die Grünen ernsthaft, sie könnten an Stimmen gewinnen und das Verkehrsministerium halten? Ist das langfristig gedacht? Wird das wirklich langfristig große Klimaschutzprojekte ins Laufen bringen mit 40% und mehr Wähleranteil für die ÖVP? Nope.