
Wenn es nach den Arbeitgeberinteressen alias Parteispenderinteressen ginge, würde man die Pandemie wie in Schweden oder Brasilien oder vielen osteuropäischen Ländern einfach durchlaufen lassen. Es wären möglichst wenige Maßnahmen in Kraft, die Arbeitnehmer daran hindern, ihrer Arbeit nachzugehen oder die den Konsum einschränken – also keine negativ konnotierte Maskenpflicht, so wenig Quarantäne wie nötig, billige und schnellere Testverfahren vor qualitativ hochwertigeren, die zudem länger dauern. Kindergärten und Schulen müssen offenhalten, damit arbeitende Eltern nicht daheim bleiben müssen. Offiziell definierte Abstände sollten möglichst klein sein, damit der Quadratmeter Verkaufsfläche maximal ausgenutzt werden kann. Zur Effizienzsteigerung gehört auch, nicht mehr Impfstoffe einzukaufen als notwendig wären, wenn man eine möglichst große Zahl der Bevölkerung durch Infektion immunisieren kann. Selbst wenn diese alle geboostert werden müssten, halbiert man die Zahl der einzukaufenden Impfstoffe.
Jetzt haben diese lobbystarken Interessensverbände aber ein Glaubwürdigkeitsproblem: Wie passen geringe Präventionsmaßnahmen und gefährliche Infektionskrankheit zusammen? Die Lösung dieses Dilemmas sind die mächtigen Verbündeten im Gesundheitswesen in Österreich, die die Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 von Beginn an herunterspielen.
Warum werden Kinder durchseucht?
Es ist im Prinzip eine banale Hausverstandssache: Wenn es ein neues Virus mit unbekannten Spätfolgen gibt, dann bleibt man auf der vorsichtigen Seite. Wenn ein Ballonfahrer in drei Stunden fahren möchte, aber das Wetterradar eine anrückende Gewitterfront zeigt, wird man ihm auch nicht sagen, dass sich die Gewitter in Wohlgefallen aufgelöst haben, bis er in der Luft ist. Man wird ihm sagen, dass er zwei Stunden bzw. unmittelbar vor dem Start noch einmal anrufen soll – erst dann weiß man, ob es gefährlich wird oder nicht. Wir sagen aber seit Pandemiebeginn dauernd: Fahr ruhig, wird schon nichts sein, die Gewitter lösen sich ganz sicher auf. Noch eindeutiger wird es, wenn es um Kinder geht. Ich habe selbst keine Kinder, aber hey, meine besten Freunde haben Kinder! Wir setzen kleine Kinder nicht ohne Helm aufs Dreirad, lassen sie nicht ohne Schwimmweste ins Schwimmbecken. Seit wann handeln wir nach dem Motto “wird schon nichts sein, wird alles gut gehen.”? Jetzt haben wir ein Virus, von dem man von Beginn an keinen Grund sah, warum Kinder nicht infiziert werden sollten.
Wissenschaftsjournalistin Helen Branswell am 27. Februar 2020 über die Rolle der Kinder bei der Übertragung:
“If they are infected, there is no reason to believe that they will not transmit,”
Malik Peiris [Coronavirus-Experte der Hong Kong Universität]
Außerdem wissen wir schon seit über 40 Jahren, wie Coronaviren übertragen werden (über Aerosole), dass sie über die Nase das Gehirn erreichen können, dass die hohe Viruskonzentration im Blut Erkrankungen in anderen Organen hervorrufen kann, dass die Zerstörung der Gefäßinnenwandzellen Gefäßentzündungen hervorruft und dass es chronifizierte Verlaufsformen (LongCOVID) gibt. Wir wissen, dass die gewöhnlichen Coronaviren (“Erkältungsviren”) selbstverständlich unter Kindern zirkulieren. Jungeltern, vor allem Jungväter, können das bestätigen, die praktisch dauernd erkältet sind, sobald die Kinder in die Kindergärten und Volksschulen kommen. Warum hätte das bei SARS-CoV-2 anders sein sollen?
Great-Barrington-Erklärung als Legitimation
Jenen Interessensverbänden, die seit Beginn für das weitgehende Durchlaufen der Pandemie Sturm laufen, sind die Folgen für die Betroffenen egal. Das muss man so hart sagen. Im Herbst 2020 wurde die Great-Barrington-Erklärung ins Leben gerufen. Es handelt sich um ein Dokument, was am American Institut for Economic Research in Great Barrington (Massachusetts) verfasst wurde. Am 04. Oktober 2020 wurde es von Martin Kulldorf, Sunetra Gupta und Jay Bhattacharya unterzeichnet. Es zielt auf Herdenimmunität durch natürliche Infektion (Durchseuchung) und den vermeintlich gezielten Schutz von Risikogruppen ab. Der vermeintlichen Mehrheitsbevölkerung mit geringerem Sterberisiko soll so ein weitgehend normales Leben erlaubt werden ohne Lockdown-Maßnahmen. Durch die Great-Barrington-Erklärung und ihren Vertretern auch aus der Wissenschaft und Medizin wurden die Interessen der Wirtschaftsverbände erstmals offiziell legitimiert. Das John-Snow-Memorandum, eine Denkschrift, die als Reaktion auf die Great-Barrington-Declaration am 15. Oktober 2020 erschienen ist, hat sich in Europa nie als Mehrheitskonsens durchgesetzt. Die Wissenschaftler plädierten darin für effektive Maßnahmen, um das Virus in allen Bevölkerungsgruppen einzudämmen. Priesemann et al. (18.12.20) spezifizierte die Denkschrift für Europa – konkret als Niedrig-Inzidenz-Strategie.
Die angesprochenen Verbündeten der Wirtschaftslobby (ÖVP) haben die Gefährlichkeit des Virus von Beginn an heruntergespielt:
- Petra Apfalter: “Neues Coronavirus ist keine große Gefahr für Österreich (23.01.20, OÖN)
- Wolfgang Graninger: “Das Coronavirus kann uns den Buckel runter rutschen, denn es hat praktisch keine klinische Konsequenz” (27.02.20, Krone-TV)
- Franz Allerberger: „Wir sollten versuchen, die derzeitige Sprachregelung bald zu ändern und möglichst schnell von der Botschaft ‘ganz gefährliches Virus’ wegkommen. Das Virus ist so weit verbreitet, dass alles andere dazu führen wird, alles lahmzulegen, was Kollateralschäden verursacht, die weit über Covid-19 hinausgehen. Jede Botschaft, die als ‘ganz gefährliches Virus’ missinterpretiert werden kann, ist kontraproduktiv. SARS-CoV-2 ist für über 80% der Bevölkerung nicht gefährlich.“ (14.03.20, im Beraterkollegium)
- Christoph Wenisch: “Mit Corona und den Kindern habe ich überhaupt keine Angst, das ist mir Powidl, weil die Kinder nicht gefährdet sind. Corona ist keine Kinderkrankheit, das ist etwas für Erwachsene.” (06.09.20, Frühstück bei mir, Ö3)
- Günter Weiss: „Es gelte nun, mehr Normalität zu wagen und von „überschießenden Ängsten“ wegzukommen“ (29.09.20, APA)
Wir wissen auch von Beginn an, dass das Virus symptomfrei übertragen werden kann:
Helen Branswell:
“Chinese health authorities said over the weekend they’ve recorded cases where transmission occurred before the transmitting person showed symptoms.” (28.01.20, Statnews)
Der Chef der Public-Health-Abteilung bis August 2021, Franz Allerberger, hat jedenfalls eine klare Haltung zu wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Ausland:
“Da lernen wir: Was wir lernen, ist von den 37 europäischen Patienten, den Rest
Vortrag Uni Salzburg, 12. Februar 2020
glauben wir oder glauben wir nicht. [….] China ist ja jetzt der, der unterrichtet und nicht mehr der, der unterrichtet
wird.”
Die Haltung der Verbündeten im Gesundheitswesen mit conflict of interests war bis zuletzt klar: Getestet werden sollen nur Verdachtsfälle mit Symptomen.
- Apfalter: “Die Kriterien für einen CoV-Test sind für Mediziner klar. Getestet werden solle „jemand, der symptomatisch ist, also eine kranke Person ist, und wo eine Differenzialdiagnose gestellt werden muss.” (23.05.20, OÖ ORF)
- Apfalter, Sprenger, Weiss, Allerberger, Niedermoser, Gattringer, etc: “Wir haben keine zweite Welle, sondern einen technischen Labor-Tsunami.” (18.09.20, APA)
- Thalhammer/Weiss: “Überträgerinnen und Überträger des neuen SARS-CoV-2 sind im Wesentlichen Personen, die bereits COVID-19-Symptome zeigen oder kurz davor sind, symptomatisch zu werden (1). Deshalb ist es für die Abschwächung der Pandemiefolgen wichtig, Menschen mit Symptomen zu testen und diese rasch, d.h. innerhalb von Stunden, abzuklären und zu isolieren.” (04.10.20, Stellungnahme ÖGIT)
Was hätte eine solche Teststrategie zur Folge gehabt? Dass symptomfreie Superspreader das Virus ungehindert weiterververbreiten und die Pandemie außer Kontrolle gerät. So ist es in der zweiten und dritten Welle passiert, so wird es in der vierten Welle ablaufen.
Antigentests finden kaum noch Infizierte unter Geimpften und nur rund 20% bei symptomfreien Kindern. Gerade die wenig sensitiven Nasenbohrtests, aber auch Lolli-Antigentests waren nur ein Feigenblatt, um so zu tun, als würde man ernsthaft Maßnahmen ergreifen. Wer immer noch auf Antigentests bei Symptomfreien setzt, der lässt zu, dass unerkannte symptomfrei Infizierte das Virus weiterverbreiten.
Bettenkapazitäten als falschen Indikator für abzuleitende Maßnahmen
Wir wissen von Beginn an, auch in der ersten Welle, dass die Belegung der Normal- und Intensivbetten den steigenden Infektionszahlen hinterherlaufen. Auch das sagt der gesunde Hausverstand: Inkubationszeit und Zeitraum bis zu einem schweren Verlauf, der eine Hospitalisierung notwendig macht. Ältere Menschen kommen rascher auf die Intensivstation als jüngere Menschen, wenngleich gefährlichere Virusvarianten auch bei jüngeren Menschen diesen Prozess beschleunigt. Wir wissen, dass junge Menschen höhere Überlebensschancen haben und länger auf den Intensivstationen liegen. Die Folge ist klar: Die Normal- und Intensivbetten sind länger belegt, die Kapazitäten schneller erschöpft.
Anzahl der Intensivpatienten (blau) und Kapazität freier Betten laut AGES-Dashboard (grau), farbig unterlegt das Systemrisiko laut Coronakommission (kritisch ab 33%, Kritik von Epidemiologe Zangerle), Quelle
„Peinlich genau wurde deshalb darauf geachtet, dass auf den Intensivstationen stets genügend freie Betten zur Verfügung standen. Solange dies gegeben war, konnten Behörden und Regierung beschwichtigen und Kritik am schwedischen Sonderweg zurückweisen“ (11.10.20, Focus online)
Christoph Wenisch: “Ja, wenn man mehr Betten braucht, dann werden halt mehr aufgemacht.” (11.03.20, zib2)
Wenn Kurz jetzt behauptet, dass künftig die Bettenbelegung an den Intensivstationen statt der 7-Tages-Inzidenz als neuer Leitindikator für CoV-Maßnahmen verwendet werden sollen, dann ist das eine dreiste Lüge!
Von der Zielinzidenz 50 Mitte Jänner 2021 ging man schon Anfang Februar wieder ab, als klar wurde, dass dies nur erreichbar gewesen wäre, wenn man den Wintertourismus massiv eingeschränkt hätte und man die Schulen weiterhin geschlossen hätte halten müssen (ohne begleitende Schutzmaßnahmen). Die Schwellen-Inzidenzen für nötiges Handeln und Ausreisetests wurden im Spätwinter immer weiter hinaufgesetzt. Ausreisetests aus Bezirken verhindern natürlich auch keine Infektionen innerhalb der Bezirke.
Der ehemalige Gesundheitsminister Anschober am 22. März 2021:
„Heute haben wir einmal den Grundkonsens geschaffen, dass unser Hauptblickpunkt und unser Entscheidungskriterium die Situation auf den Intensivstationen ist.“ (zib2)
Die Frage wird jetzt erneut sein, wie die Regierung die prekäre Lage in den Spitälern wieder herunterspielen will, um nicht handeln zu müssen. Der Stufenplan sagt jedenfalls aus, dass erst gehandelt wird, nachdem die Schwellenwerte erreicht werden, und nicht vorher, damit sie gar nicht erst erreicht werden. Prävention ist ein Fremdwort. Das ist zutiefst unmenschlich und ein Schlag ins Gesicht aller Mediziner im Gesundheitswesen, die infolge der letzten Wellen über ihre Grenzen belastet wurden. Die Orientierung an den Intensivstationen heißt, man nimmt in Kauf, dass das Gesundheitspersonal erneut überlastet wird, dass Kollateralschäden durch verschobene Operationen und Triage-Situationen entstehen, die jetzt mehrheitlich zulasten der Geimpften gehen. Man nimmt die Spätfolgen bei Hospitalisierten in Kauf, von denen ein Drittel innerhalb eines Jahres erneut ins Krankenhaus muss. Man nimmt eine erhebliche Zahl an LongCOVID-Patienten in Kauf, für die es keine allgemein gültige Therapie und Heilungsschance gibt. Und man erhöht die Zahl an Halb- und Vollwaisen, die ihre ungeimpften Eltern durch die Infektion verlieren. Für die fatale Entscheidung der Angehörigen gegen eine Impfung können die Kinder nichts.
Dieser Artikel in Republik fasst den Wissensstand zu Kindern und Covid19 gut zusammen, und erklärt, weshalb es keine gute Idee ist, die Pandemie bei Kindern einfach durchlaufen zu lassen. Selbst wenn die LongCOVID-Häufigkeit bei Kindern überschätzt wurde (10-20%) und tatsächlich deutlich niedriger liegt (2-10%), sind das in absoluten Zahlen immer noch sehr viele Betroffene, dazu kommen eben auch schwere Verläufe und Todesfälle.
Schlussfolgerungen:
Fakt: Die Pandemie sollte nie effektiv eingedämmt werden.
Viele fragen sich jetzt (erneut), warum Kinder getestet werden, wenn positive Fälle dann keine Konsequenzen haben, wenn es keine Quarantäne gibt. Weil das nicht das Ziel ist. Es geht um Alibimaßnahmen. Ziel ist, dass die Eltern arbeiten können. Dazu kommen die Landtagswahlen in Oberösterreich. Die ÖVP sammelt seit der Übernahme durch Kurz Stimmen im rechten Wählerspektrum. Maßnahmengegner finden sich vor allem bei der FPÖ.
Fakt: Die Inzidenzen waren nie bundesweit ein relevanter Schwellenwert, um daraus Maßnahmen abzuleiten.
Am Anfang ging es um flatten the curve. Obwohl der erste Lockdown erfolgreich war und Österreich als eines der ersten Länder in Europa ZERO COVID errreichte (mit ganz geringen Infektionszahlen), machte man nichts aus diesem Vorsprung. Man hätte in vielen Bereichen länger offen halten können, inklusive Schulen, wenn man Contact Tracing massiv ausgebaut und die Bevölkerung wissenschaftsbasiert über das Virus aufgeklärt, ohne die Gefährlichkeit zu verharmlosen. Es hätte keine Kollateralschäden geben und kaum schwerwiegende psychosoziale Folgen. Österreich hätte seine Vorreiterrolle fortgesetzt und weitere Länder ins Boot für ZERO COVID ziehen können, mit Verweis auf die eigenen Erfolge und die weiterer ZeroCOVID-Länder. Das hätte eine Dynamik in Gang setzen können, die letzendlich auf eine Eliminationsstrategie hinausgelaufen wäre. Das hätte Europa als Wirtschaftsstandort langfristig gestärkt und nicht geschwächt. Doch man wollte diesen Weg nicht gehen, weil er nicht in die neoliberale Ideologie passte.
Alle Landeshauptleute und Opposition, anfangs auch Ludwig, haben nur auf Intensivbettenverteilung geschaut. Inzidenzbasierte Maßnahmen können nur NiedrigInzidenz-Strategie heißen. NiedrigInzidenz-Strategie wurde aber niemals ernsthaft in Betracht gezogen, sonst hätte man viel offensiver und proaktiver PCR-Tests bundesweit angeboten, und nie voreilig die FFP2-Maskenpflicht abgeschafft, und einige andere Versäumnisse. Es gibt nur wenige Länder mit FFP2-Maskenpflicht. Wir wissen, dass Übertragungen in geschlossenen Räumen damit verhindert werden. Wir könnten mehr Übertragungen verhindern, wenn man sie überall dort einsetzt, wo viele Menschen zusammenkommen – am Arbeitsplatz, in Schulen, bei Veranstaltungen. Das wurde lange Zeit nicht gemacht und nicht in jeder Situation, z.B. Volksschulen. Wer die Maske nur am Weg zum Sitz- und Arbeitsplatz trägt, nicht aber im Sitzen, kann das Virus natürlich übertragen – erst recht eine hochansteckende Variante wie DELTA. Beim Vergleich mit anderen Ländern mit niedrigerer Inzidenz ohne FFP2-Maskenpflicht muss man natürlich aufpassen – nur wenige Länder können sich genügend PCR-Tests leisten, und auch innerhalb von Österreich gibt es mangels Angebot eine große Dunkelziffer je nach Bundesland.
Fakt 3: Wer als Hauptziel setzt, Triage zu verhindern, wird Triage erzeugen.
Wer erst handelt, wenn die Intensivstationen kollabieren, erzeugt noch wochenlang so hohe Infektionszahlen, dass weitere Schwerkranke in die Spitäler kommen. Das ist bereits zwei Mal passiert.
Fakt 4: Masken tragen wird weiterhin als Bestrafung kommuniziert, nicht als Solidarakt, als gelindestes und effektivstes Mittel, die Ausbreitung zu verhindern, seine Mitmenschen zu schützen, ohne Bewegungsfreiheit einschränken zu müssen.
Wir wissen, dass man sich und andere mit FFP2-Masken am besten schützen können. Sie kosten inzwischen kaum mehr als einen Euro. Die Kostenfrage kann also nicht das Argument gegen eine FFP2-Maske sein. Wir wissen, dass es noch keinen Todesfall wegen FFP2-Maske tragen gegeben hat. Die längsten Tragezeiten hat man in der Stadt, wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist. Wer nur einkaufen geht, kann sie meist nach wenigen Minuten wieder absetzen, sobald er das Geschäft verlassen hat. Leidtragende sind am ehesten Handelsangestellte und all jene, die auf engem Raum zusammenarbeiten müssen. Je mehr Virus aber zirkuliert, desto gefährlicher ist es für Ungeimpfte, die Maske abzusetzen. Es ist also im eigenen Interesse, sich einerseits impfen zu lassen, und andererseits so lange wie möglich die Maske zu tragen, wenn das Risiko erhöht ist. Um das Risiko zu beurteilen, hätte man verstärkt auf CO2-Management setzen müssen – also CO2-Messungen in Innenräumen. Bei zu hohen Werten muss gelüftet werden, muss die Personenanzahl reduziert werden.
Ich bin doppelt geimpft und trage weiterhin FFP2-Maske. Es macht mir nichts aus. Dass man die Pandemie einfach laufen lässt und der Kanzler seit Juli, als ihm die Impfkampagne vom Roten Kreuz übertragen wurde, nichts mehr gemacht wird, das stößt mir sauer auf. Ich sehe es als Privileg und Solidarakt, dass ich andere vor einer Übertragung schütze, das galt schon vor. Ich kann mich trotz Impfung infizieren. Obwohl das Risiko eines Impfdurchbruchs gering ist, und dass einer Übertragung noch geringer, sehe ich das Maskentragen als effektives Mittel, um die Viruslast zu reduzieren. Selbst wenn ich mich anstecke, erhöhe ich die Chancen meines Immunsystems, durch Antikörperbildung mit DELTA fertig zu werden – statt eine Durchbruchs-Infektion zu provozieren, indem ich mich etwa mehrere Stunden ohne Maske in Innenräumen mit vielen Menschen aufhalte, etwa in einem Nachtclub oder bei einer Familienfeier. Ich werde das solange so praktizieren, bis ich meine Booster-Impfung erhalten habe, bzw. neue Virusvarianten den Impfschutz schwächen.
Masken tragen ist keine Bestrafung! Und es ist fatal, wenn man jetzt unterscheidet zwischen Geimpften und Ungeimpften. In der Praxis funktioniert das nicht. Viele Geimpfte tragen weiterhin FFP2-Maske, Ungeimpfte tragen keine Maske oder unter der Nase. Wer kontrolliert, wer geimpft ist und wer nicht?
Fakt 5: Die hohe Zahl an Ungeimpften ist die Schuld der Regierungskommunikation und der Medienberichterstattung
Die Impfskeptiker und -gegner kommen aus einem breiten politischen Spektrum – nicht nur aus der rechten Ecke, sondern auch aus der esoterischen Ecke gutbürgerlicher Menschen. Eine weitere Gruppe sind religiöse Menschen. Dazu kommen traditionelle Familien am Land, die weitgehend abgeschottet sind von wissenschaftlicher Berichterstattung. Österreich ist großteils ländlich geprägt. Eine Millionenstadt, ein paar wenige Städte über 100000 Einwohner, und viele ländliche, gebirgige Regionen, in denen es außer der Kronenzeitung und ÖSTERREICH keine Medienvielfalt gibt. Erhöhte Analphabetenraten, mangelnde Lesekompetenz, usw. Am Land ist auch in der vierten Welle das Gefühl spürbar, dass die Pandemie schon vorbei ist – oder nie ankam. Als Urlauber aus der Stadt zählt man zur Ausnahme, wenn man sich eine Maske aufsetzt beim Bestellen in der Berghütte.
Jetzt kommen die ersten Forderungen nach einer Corona-Steuer für Ungeimpfte, “Lockdown nur für Geimpfte” oder “Bei Triage Geimpfte bevorzugen”.
“Die Pandemie ist ein kollektives Problem und wir haben eine gemeinsame Verantwortung. Friss oder stirb ist nicht meine Haltung. Es gibt verschiedenste Gründe, warum sich jemand nicht impft. Unwissend, desinformiert, ignorant, kann sich wirklich nicht impfen, etc.” (Tweet, 04.09.21)
In meinen Augen fängt man hier bei der falschen Gruppe an. Es ist hochlegitim über Impfpflicht zu reden, in Gesundheits- und Lehrberufen, überall, wo erhöhte Verantwortung oder Kundenkontakt besteht. Alleine die Einführung in diesen Berufsgruppen wäre ein klares Signal für die Wirksamkeit der Impfung und der Gefährlichkeit durch das Virus.
Nachdem es aber nie eine ernsthafte Impfkampagne gegeben hat und in der AGES und in anderen Organisationen, von der Ärztekammer in Tirol und Oberösterreich über die ÖGIT, dem ÖGKJ bis hin zu politischen Ämtern, Verharmloser saßen und sitzen, sollte man zuerst einmal die Ursache für Impfskepsis angehen. Die liegt nicht darin, dass die Leute zu blöd sind – auch das sicherlich, aber nicht nur. Wer über eineinhalb Jahre im Bildungs- und Gesundheitsministerium, über die FAQ der AGES das Virus herunterspielt (Kinder, Schwangere, LongCOVID), die Übertragungswege auf Händewaschen und Tröpfcheninfektion reduziert und sich nicht einmal aktiv für das Tragen von FFP2-Masken einsetzt, der kann nicht erwarten, dass man auf “Bitte lasst Euch impfen!” sofort reagiert wie gewünscht. Warum sollten sich junge, gesunde Menschen impfen lassen, wenn ihnen vom Kanzler abwärts immer wieder eingeredet worden ist, sie wären nicht gefährdet? Warum sollten sie sich aus Solidarität für die Mitmenschen impfen zu lassen, wenn das Regierungsprogramm von Kanzler Kurz seit vier Jahren lautet, die Gesellschaft zu spalten? In Inländer und Ausländer, in böse Moslems und brave Christen, in faule Arbeitslose und fleißige Anständige? Wenn in einer Gesellschaft die Ellenbogenmentalität dominiert “nach mir die Sintflut”. Wenn – leider – in Österreich sich junge Menschen stärker von der FPÖ angesprochen fühlen als von anderen Parteien, und die Opposition versagt.
Neben den Politikern tragen die Medien maßgeblich mit FalseBalancing dazu bei, dass Impfgegner als äquivalent zu der großen Mehrheit an Wissenschaftlern und Medizinern dargestellt werden, die pro Impfung eintreten. Medien, die Schwurblern und Verharmlosern eine Bühne bieten, sollte man die Presseförderung kürzen und Inserate sofort stoppen. Ausgerechnet die Regierungsparteien tragen mit ihrer großzügigen Inseratpolitik aktiv dazu bei, dass rechtspopulistische Medien wie KRONE, HEUTE und ÖSTERREICH Impfgegnern viel Reichweite verschaffen. Sie befeuert damit die Impfskepsis und die Ablehnung von Maßnahmen – und jetzt will man das den Opfern dieser Desinformationskampagne umhängen? Weiss berät Platter, die OÖ Ärztekammer Stelzer, in fast jedem Bundesland findet man zweifelhafte Expertenmeinungen, die die Pandemie verlängern wollen.
Erst dann, wenn man alles versucht hat, kann man darüber nachdenken, bestimmte Leistungen für freiwillig Ungeimpfte kostenpflichtig zu machen. Vorher ist es verdammt nochmal die Aufgabe der Politiker und die Verantwortung der Medien, für seriöse Information zu sorgen. Wer sich dann immer noch gegen die Impfung entscheidet, muss die Konsequenzen selbst tragen. Über Pflichten und Kosten alleine erzeugt man auch künftig keine Bereitschaft, Maßnahmen im Interesse der Gesellschaft mitzutragen. Die Compliance wird sinken, sobald man die Bevölkerung wieder in die Eigenverantwortung entlässt. Daher: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung.