Heute ist Mittwoch. Vor drei Wochen, nach der letzten Wandertour in Freiheit, fing ich an zu bloggen, das war mein Tag 0. Für andere begann Tag 1 erst mit dem offiziellen Erlass und der Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Inzwischen bin ich kreativ werden und suche trotz der beschränkten Mobilität nach Möglichkeiten, meine Fitness aufrechtzuerhalten und gleichzeitig in der Natur zu sein. Heute ging ich daher zu Fuß vom zweiten Bezirk über den Ring entlang der Linie 49 bis nach Hütteldorf. Gehzeit knapp 1,5 Std. bis Baumgarten. Die letzten drei Stationen bin ich dann doch in die Straßenbahn eingestiegen, weil die Füße schon wehtaten. Dann schaute ich bei einer Bekannten vorbei, wir unterhielten uns über ihr Zimmerfenster. Das war mein zweiter “vis-à-vis”-Sozialkontakt seit dem 15. März. Wenn ich mich dazwischen nicht unbemerkt infiziert habe, dürfte ich also “clean” sein, up and about. Sozialkontakte weiter reduzieren geht für mich also nicht.
Der Hinweg gestaltete sich mühsam, weil Wien seit dem Erlass zur Autofahrerstadt geworden ist. Wäre Kogler Kanzler statt Kurz, hätte man betonen können, wie gesund und wichtig jetzt das Rad als Fortbewegungsmittel ist. Stattdessen wird suggeriert, dass nur der private PKW vor dem Virus schütze (hallo, Unfallrisiko?!) und Radfahren wird gleichzeitig verteufelt. Die Auswirkungen dieser policy kann man sich in der Stadt gut anschauen: Statt einzelne Fahrspuren am Ring zu sperren, fährt der verbleibende Verkehr halt schneller, weil mehr Platz ist. Alle Gassen sind zugeparkt, für die Fußgänger ist kaum Platz genug, um mit Sicherheitsabstand von 1m aneinander vorbeizugehen. Für die Radfahrer sind die oft schmalen Radstreifen viel zu eng, denn der Radverkehr hat definitiv zugenommen. Das ist insgesamt unbefriedigend und eine verpasste Chance, auch im Hinblick auf die Sensibilisierung für die Umwelt und das Klima. Aber es regiert eben nicht Kogler, sondern weiterhin das neoliberale Gesicht eines untergehenden Wirtschaftssystem.
Zurück zur Wien-Querung. Heute ist Mittwoch und offizieller Beginn der Maskenausgabe in den Lebensmittelmärkten und Drogerien. Ob es speziell daran liegt oder nun allgemein ein gestiegenes Bewusstsein herrscht, wie ernst die Situation ist, sei dahingestellt – jedenfalls waren deutlich mehr Menschen mit Mundnase-Schutzmasken zu sehen als vorher, im Schnitt mehr Frauen als Männer und unabhängig der Herkunft. Tendenziell eher jüngere als ältere Männer. Gleich auf den ersten Metern überholte ich eine mittelalte Frau, die gerade telefonierte:
“Die Hirnwixerei ist unabsichtlich. Abends kommt sie dann und ich denk mich zu Tode.”
Später in Hütteldorf vor einem Supermarkt, eine ältere Frau redet mit zwei jüngeren Leuten:
“Du musst auch an die anderen Leute denken, nicht nur an die, die wos gnuag verdiena und sich Rücklogen schaffn.”
Die weiteren Gespräche gingen meist um irgendwas von der Regierung, mit der Maskenpflicht, oder drehten sich um das Thema Bundesgarten, selbst als ich schon den Wienerwald erreichte.
Im SPAR bei der Endhaltestelle des 49ers bekam ich dann von einer Mitarbeiterin eine MNS-Maske ausgehändigt. Ziemlich unpraktisch als Brillenträger. Ich hab die Brillengläser vorher mit einem Brillenputztuch saubergemacht, aber das hat auch nicht verhindert, dass sie durch die Maske voll beschlugen und ich kaum etwas gesehen habe.
Ein Bub regte sich auf, dass er mit den MNS-Masken nicht gut atmen kann und nicht sieht, was unterhalb seiner Nase ist. Überhaupt dachte ich mir, wie sinnvoll die Masken wohl bei Radfahrern und Joggern seien, die ich auch zunehmend damit sehe. Wenn jetzt jeder Masken auch draußen trägt, dann könnte man den Eindruck gewinnen, dass Virus über die Luft übertragen wird und nicht über Tröpfcheninfektion. Beim Einkauf und in den öffentlichen Verkehrsmitteln halte ich sie für sinnvoll, aber generell zu tragen? Nach einigen Minuten sind sie durchgeschwitzt, und Frischluft bekommt man damit eben auch nur begrenzt – deswegen gehe ich ja nach draußen!
Über den idyllischen Dehnepark stieg ich auf den Satzberg, sehr viele Familien, hier oben darf noch gelacht und gespielt werden, mit den Eltern, Ballspiele mit den Geschwistern. Dazwischen einzelne Alte, die im Wald spazierten. Einige Mountainbiker. Der Parkplatz bei der Jubiläumswarte fast vollgeparkt – wer in diesen Wochen oder Monaten ein Auto hat, ist im Vorteil. Wer nicht so verrückt wie ich ist und den Großteil der Strecke zu Fuß geht, kommt nicht hin. Ja, der einzelne Radfahrer schon, aber Familienausflug mit dem Rad quer durch Wien? Nicht zu empfehlen bei dem Verkehr. Bei der Kreuzeichenwiese war etwa soviel los wie sonst an einem Sonntag, dennoch konnte man weit genug Abstand halten und sich auf die Wiese im wärmenden Sonnenschein knotzen und die HundebesitzerInnen beim Spielen mit ihren Hunden beobachten. Ab Heuberg hatte ich ein paar Minuten für mich alleine, dann stieg ich nach Neuwaldegg ab.

Rathauspark

Lagerwiese Satzberg

Buntspecht-Weibchen, das beturltende Männchen nicht im Bild
Was bleibt zum Abschluss zu sagen?
Wir müssen jetzt aufpassen, dass wir uns nicht gegeneinander ausspielen. Die Pandemie hat mehrere Seiten, ist eine individuelle, menschliche, gesundheitliche, wirtschaftliche und globale Katastrophe. Jemand, der zur Risikogruppe gehört, hat einen sehr unmittelbaren Blick auf die Gefährdung des eigenen Lebens. Nicht zu vergessen jene mit Erkrankungen oder Behinderungen, die zwar nicht zur Risikogruppe gehören, aber um ihre Therapien umfallen. Und die mit hoher psychischer Belastung, sich verstärkenden Angst- und Depressionszuständen. Ein anderer, der zwar gesund und jung ist, fürchtet dafür um seinen Job, je länger der Ausnahmezustand andauert. Heute hat mich schockiert, als ich las, dass die Arbeitslosigkeit auf über 560000 angestiegen ist – so hoch wie seit 1946 nicht mehr. Die Regierung hat versagt, die “Soforthilfen” dauerten offenbar zu lange, sechs Wochen warten bis zur Kurzarbeit bzw. zwei Monate bis zu Auszahlungen, können sich viele nicht leisten. Dann gibt es die Seite des Gesundheitssystems. Nach Aussage von Ärzten wird in rund 10-14 Tagen der Punkt erreicht sein, wo alle Intensivkapazitäten ausgeschöpft sind und wie in Italien oder Frankreich entschieden werden muss, wer überleben darf. Der Punkt war wohl unvermeidlich in einer Demokratie, speziell nach dem schwerwiegenden Versagen in Tirol und durch die Sünden der Vorgängerregierung, die – unter Kurz -die seit 1945 bestehende Generaldirektion für öffentliche Gesundheit abgeschafft hatte. Pamela Rendi-Wagner dazu damals in der Tiroler Tageszeitung:
Diese habe sich besonders bei Krisen bewährt, zuletzt bei Pandemien wie Ebola, EHEC, Vogelgrippe, aber auch nach Kernkraftwerksunfällen wie jenem in Fukushima. “Dass wir dieses zentrale Krisenmanagement künftig nicht mehr in medizinischer Hand haben, halte ich für fahrlässig”.
Jedenfalls hat in dieser Situation jeder seine Angst und wenn man sagt, wir fahren die Wirtschaft nieder (was wir gerade tun), um Menschenleben zu retten, dann ist die Frage, wie lange wir tatsächlich retten und ab wann wir anfangen mehr zu verlieren als wir je hätten retten können. Was sind die gesundheitlichen Folgen von Massenarbeitslosigkeit, von aufgeschobenen Behandlungen und Operationen? Das aktuelle Krisenmanagement ähnelt zu sehr der Selbstinszenierung der Vorgängerregierung als wirklich Vertrauen zu schaffen im Hinblick auf eine höchst unsichere Zukunft. Inzwischen haben die meisten begriffen, dass ab Ostern nicht wieder alles normal wird, sondern dass wir viel länger damit zu tun haben. Es ist leicht zu sagen, die paar Wochen, die Leute sollen sich zammreißen, aber man steckt nicht in der Haut aller persönlicher Krisen, es steht uns nicht, zu zu (ver)urteilen, das gilt in jede Richtung.
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