
Hopium fürs Volk – dann klappts auch mit der Hochinzidenzstrategie in der Pandemie, könnte man in diesen Wochen meinen, nachdem OMICRON zunehmend außer Kontrolle gerät. Oberösterreich stellt das Contact Tracing ein. Positiv getestete Personen sollen ihre Kontakte selbst informieren. Antigentests werden wieder zugelassen als Selbsttests, weil die PCR-Kapazitäten außerhalb von Wien an ihre Grenzen gekommen sind. Erst ab April soll es laut GECKO österreichweit ein PCR-Testnetz geben. Bis dahin haben sich hunderttausende weitere Menschen mit OMICRON infiziert. Der Schutz der Kinder steht weiterhin als letzter Stelle, ebenso kommen LongCOVID-Betroffene nicht vor oder werden wie im letzten GECKO-Bericht durch folgende Aussagen verhöhnt:
“Die Datenlage ist noch unsicher, wird aber aufgrund der Wichtigkeit von GECKO
laufend beobachtet. Es ist davon auszugehen, dass jüngere Kinder seltener an Long-COVID erkranken
als ältere.”
Die Datenlage ist ausreichend genug, um eine Niedriginzidenzstrategie bei Kindern zu fahren. Selbst bei 1-10% Betroffenen sind das bei den riesigen Inzidenzen bei Kindern viele, viele Betroffene.
Davon abgesehen sieht es nach einer Ablösung von BA.1 durch BA.2 mehr aus. Mehr zur Subvariante und weshalb die Hospitalisierungsrate in Österreich möglicherweise stärker steigen wird als der Blick nach Südafrika der Dänemark das glauben lassen mag, in diesem Blogartikel:
Das Virus breitet sich immer von niedrigen in höhere Altersgruppen aus
Die erste Welle war noch von einer gänzlich anderen Dynamik geprägt: Reiserückkehrer und Wintersportler, meist im mittleren Alter, wobei sich der Großteil der Fälle auf Tirol konzentriert hat. Die Schulen waren geschlossen.
Ich kann mich noch gut an die öffentliche Diskussion im Spätsommer 2020 erinnern, als viele Pseudoexperten und Politiker mit einer flacheren zweiten Welle gerechnet haben, weil die Hospitalisierungszahlen lange Zeit stabil blieben. Tatsächlich infizierten sich im Sommer 2020 vermehrt die jungen, mobilen Menschen und mit Schulbeginn im Herbst 2020 wurden die Infektionen dann wieder in die älteren Bevölkerungsschichten getragen.

Wir kamen mit hohen Infektionszahlen aus der Wildtyp-Winterwelle, denn im Lockdown war Wintertourismus weiterhin erlaubt und im Dezember gab es bis Weihnachten eine SARS-CoV2-Karenz für die Händler. Mit der dritten ALPHA-Welle im Frühjahr 2021 wiederholte sich die Dynamik, denn im Februar 2020 öffneten die Schulen wieder. Wiens Bürgermeister Ludwig damals: “Wir gehen ins Risiko” – ein verheerender Irrtum, der in den sogenannten “Ost-Lockdown” gipfelte. Nach der Sommerpause 2021, die wegen DELTA und dem frühzeitigen Wegfall vieler Maßnahmen (v.a. Maskenpflicht, Obergrenzen bei Veranstaltungen, offene Gastronomie) kürzer als 2020 ausfiel, zeigte die DELTA-Welle im Herbst und Frühwinter 2021 erneut einen rapiden Inzidenzanstieg von jüngeren zu älteren Altersgruppen. Da die Maßnahmen in Schulen perfiderweise an die Intensivbettenbelegung gekoppelt wurde, stiegen die Inzidenzen bei den Schülern auf Rekordwerte. Mit hohem Hintergrundgeschehen, mangelnden Schutz- und Testmaßnahmen und Impfverweigerern unter ErzieherInnen in Kindergärten waren auch die 0-4jährige schutzlos ausgeliefert. Der Abstand zwischen der abklingenden DELTA-Welle und der explosiven OMICRON-Welle ist minimal – die Schulen blieben offen. Es zeigt sich jedoch erneut die Ausbreitung ins höhere Alter, wo es immer noch genügend Ungeimpfte gibt, was sich auf die Hospitalisierung auswirken kann.
Gründe für milde Verläufe
Ich hab das nochmal so ausführlich beschrieben, weil es viele Gründe geben kann, weswegen eine neue Virusvariante (oder auch dasselbe Virus) zunächst harmloser erscheinen kann:
- Das Virus wird intrinsisch (ohne externe Faktoren) milder. Das scheint auf OMICRON zuzutreffen (Davies et al., 2022)
- Die Hospitalisierungsraten sind niedriger, weil die Mehrheit der Infizierten bereits geimpft oder infiziert war. Sie profitieren von der Grundimmunität, die durch Kontakt mit dem Erreger über Impfung oder Infektion einhergeht. Gerade in Südafrika rechnet man aufgrund der hohen Dunkelziffer (Übersterblichkeit) damit, dass viele Bewohner bereits mehrfach infiziert waren, bevor sie in Kontakt mit OMICRON kamen.
- Die Hospitalisierungsraten sind (anfangs) niedrig, weil die Mehrheit der Infizierten jung ist. Das trifft auf Südafrika generell zu, wo der Altersdurchschnitt der Bevölkerung deutlich niedriger als in Europa ist. Es würde aber auch bei uns zutreffen, wenn ein signifikanter Anteil der Infizierten Kinder und Jugendliche [Schüler!) sind! Das würde aber bedeuten, dass – sobald sich wieder vermehrt ältere Mitmenschen infizieren – die Hospitalisierungsraten wieder zunehmen.
- Hospitalisierungsraten und Todesfälle können aber auch in Südafrika niedriger erscheinen, weil durch die vorhergehenden Wellen bereits viele Menschen aus der “vulnerablen” Gruppe dahingerafft worden sind. Bei uns hat man zynisch gesagt “Ohne Covid wären sie eben durch die Influenza gestorben.” In Südafrika sind viele durch vor OMICRON gestorben.
- Unabhängig von all diesen Faktoren ist seit Beginn eine Zeitverzögerung von 1-2 Wochen, bis sich eine Krankheitsverschlechterung so auswirkt, dass Patienten hospitalisiert werden müssen.

Unter den oben genannten längst nicht vollständigen Aussagen, die falsche Hoffnungen geweckt haben, möchte ich daher Nr. 20 herausgreifen: OMICRON würde so rasant wachsen, dass es keine Nahrung in Form von neuen Wirten mehr finden könnte und daher der Höhepunkt der Infektionswelle früher kommen würde.

Als die Fallzahlen in Dänemark für ein paar Tage stagnierten, riefen zahlreiche Medien das Ende der Pandemie mit OMICRON aus. Der Peak würde viel früher erreicht und damit würde die Welle rasch wieder abflachen. Tatsächlich steigen die Inzidenzen in Dänemark trotz hoher Impfquote erneut stark an. Wir sollten uns also eher fragen, warum Südafrika wieder fallende Zahlen hatte.
Dr. Lisa Iannattone, Kanada, analysiert die Situation so (wesentliche Punkte von mir ins Deutsche übersetzt):
OMICRON traf Südafrika Ende November. Am 9. Dezember schlossen die Schulen wegen der Sommerpause. Mitte Dezember verließen zudem hunderttausende Arbeitsmigranten und Touristen Gauteng. Eine Woche später erreichte die Welle ihren Höhepunkt. OMICRON brachte zwar weniger Krankenhausaufnahmen als DELTA und BETA, aber immer noch mehr als der Wildtyp.
Im Westen entstanden wilde Debatten:
“Mild”, “So ansteckend, dass man es nicht aufhalten kann”, “Jeder wird es kriegen”, “So ansteckend, dass OMICRON nach vier Wochen keine Wirte mehr findet.”, “Gute Nachrichten, sobald wir alle diese milde Variante bekommen haben, ist die Pandemie vorüber.”
Die Kampagne sollte die Untätigkeit der Regierungen normalisieren und Masseninfektion (“Durchseuchung”) alternativlos erscheinen lassen. Und jetzt sind die Leute verwirrt, weil wir so viele Hospitalisierungen und Tote sehen. Ist unsere Bevölkerung älter? Sind die Südafrika-Daten unvollständig?

Tatsächlich hat sich nichts geändert: Mehr Fälle führen zu mehr Krankenhausaufnahmen und zu mehr Toten. Die verringerte intrinsische Schwere wird durch die raschere Verbreitung des Virus wettgemacht. Dieses Ergebnis war vorher bekannt und die OMICRON-Welle daher verhinderbar. Stattdessen haben die rot markierten Aussagen dazu geführt, dass man geglaubt hat, es wäre in Ordnung, wenn die Zahlen jetzt explodieren, weil die Hospitalisierungen ohnehin viel niedriger sein würden. Stagnierende oder fallende Inzidenzen können auch in Zusammenhang mit überschrittenen Kapazitätensgrenzen für PCR-Tests auftreten.
Dazu könnten FFP2-Masken gegen OMICRON effektiver sein als gegenüber früheren Varianten, weil OMICRON sich in den oberen Atemwegen stärker vermehrt und dort größere Partikel produziert werden als in der Lunge, die von Masken besser gefiltert werden können (Bagheri et al., 07.12.21) Zudem ist das Serienintervall wahrscheinlich geringer als bei DELTA (Kim et al. 2,2 Tage – UK-Daten vom Imperial College zeigen rund 3-4 Tage), der Zeitraum von Beschränkungen müsste also kürzer sein, um einen Effekt zu erzielen. Doch ohne Distance Learning macht ein Lockdown keinen Sinn und senkt die Inzidenzen nicht weit genug, um die errungene Atempause effektiv zu nutzen (siehe Heinsohn et al.,2022) – also Contact Tracing ausbauen, Lüftungsmaßnahmen in Kindergärten, Schulen, öffentlicher Raum, Booster-Impfungen beschleunigen, etc.
Die OMICRON-Welle hätte also deutlich gebremst werden können, wenn man die Schulen geschlossen hätte. Das kann man insgesamt daraus ziehen.
Nach BA.1 kommt BA.2

OMICRON ist nämlich leider nicht nur OMICRON. OMICRON besteht aus zwei geltungssüchtigen Brüdern: BA.1 und BA.2. Bei uns ist derzeit noch BA.1 dominant, während BA.2 aber schon aufgeholt hat. Am 20. Jänner war BA.2 bereits für die Hälfte aller dänischen OMICRON-Fälle verantwortlich. Beide Varianten teilen sich 32 gemeinsame Mutationen, aber BA.2 besitzt auch 28 einzigartige Mutationen – das ist mehr als bei allen früheren Varianten vor OMICRON. Die nicht so gute Nachricht, die die Hopium-Aussagen Nr. 6,14,19 und 20 außer Kraft setzt: Man kann sich mit BA.2 anstecken, nachdem man BA.1 gehabt hat – laut Virologe und Chefarzt der Dänischen Public-Health-Behörde Anders Fomsgaard in Dänemark. Eine deutschsprachige Zusammenfassung zu BA.2 gibt es von Klaus Taschwer im STANDARD.
Vieles wissen wir also noch nicht. Vor allem: Was bedeutet BA.2 für den geplanten omicron-spezifischen Impfstoffbooster? Hat es Einfluss auf Medikamente wie monoklonale Antikörper, die bereits gegen BA.1 nicht mehr so gut wirken? Und entkommt sie der Immunantwort noch leichter in den oberen Atemwegen und verbreitet sich deswegen schneller? Welche Auswirkungen hat das auf Kinder, die wegen dem verringerten Durchmesser der Atemwege anfälliger für schwere Infekte sind? Sind immungeschwächte Menschen noch stärker gefährdet (Carr et al., 20.01.22)?
BA.1 unterdrückt Interferon-Antwort
Bei BA.1 hat man jetzt immerhin geklärt, was den gesteigerten Immun Escape gegenüber früheren Varianten begünstigt:
Eine Studie von Shalamova et al. (20.01.22) weist erstmals einen Interferon (IFN)-Escape nach. Molekularbiologe Elling erklärt das einigermaßen verständlich auch für Laien in diesem Thread. Interferone sind Proteine, die eine immunstimulierende, antivirale Wirkung entfalten. Interferon sendet noch vor dem Aktiv werden von B- und T-Zellen ein “SOS”-Signal, das Nachbarzellen vor Infektion warnt. DELTA und noch stärker OMICRON unterdrücken die IFN-Produktion in infizierten Zellen und stören das Signal. In den oberen Atemwegen ist die Interferonproduktion normalerweise stärker, daher kann sich das Virus besser vermehren und die Infektiösität nimmt schneller zu.
Nachtrag: Die APA hat heute eine Studie von Bojkova et al. (21.01.22) veröffentlicht, die das genaue Gegenteil aussagt: Interferonproduktion würde NICHT unterdrückt, daher wäre OMICRON milder.
Interessant in dem Zusammenhang ist nämlich, dass man bereits bei DELTA einen Tag nach einem negativen PCR-Test ansteckend sein konnte (Li et al., 2021), weil derzeit oft so getan hat wird, als wäre das mit OMICRON neu.
Ob es in Zusammenhang mit BA.2 erneut zu Änderungen bei den Symptomen kommt, ist ebenfalls unklar. Bei BA.1 konnte nachgewiesen werden, dass der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn deutlich seltener auftritt als bei DELTA. Nicht bestätigt hat sich die Vermutung, dass Schnupfensymptome häufiger geworden wären. Dafür besteht mit zunehmender Influenzaaktivität nun auch die Gefahr, sich mit Influenza und OMICRON gleichzeitig zu infizieren – bei ALPHA und Wildtyp ist das aufgetreten (Bai et al., 2021). Davon abgesehen kann eine starke Influenza-Welle im Spätwinter die Krankenhauskapazitäten zusätzlich belasten, nachdem die Impfquote für Influenza weiterhin sehr gering ist.
Schutz vor Infektion und schwerer Erkrankung
Zu LongCOVID wissen wir wie üblich am wenigsten. Anekdotisch verlaufen Reinfektionen teilweise schwerer. Man darf nicht vergessen, dass vorher gesunde Covid-Überlebende, die aufgrund der COVID-Erkrankung (Intensivaufenthalt oder LongCOVID) neue “Vorerkrankungen” erhalten haben, sich plötzlich bei den “vulnerablen” Gruppen wiederfinden und ihr Risiko für einen schweren Verlauf steigt – möglicherweise auch bei anderen Atemwegsinfekten. Ebenso scheinen manche LongCOVID-Betroffene einen Defekt der zellulären Immunantwort aufzuweisen, sie konnten keine gute Grundimmunität gegen eine neuerliche Infektion aufbauen. Reinfektionen fallen aber in der öffentlichen Diskussion ebenso wie LongCOVID weitgehend unter den Tisch, und auch, was die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit zehntausender Menschen langfristig für unsere Gesellschaft bedeutet.
Gesamtgesellschaftlich positiver sind folgende Ergebnisse:
- Die Viruslast ist bei OMICRON verglichen mit DELTA nicht höher (Puhach et al., 11.01.22), eventuell sogar etwas geringer als bei DELTA (Hay et al., 13.01.22). Bei früheren Varianten ging höhere Viruslast auch mit gestiegener Krankheitsschwere einher.
- Bei Dreifachgeimpften sind die Ct-Werte deutlich höher (niedrigere Viruslast) als bei 2fach Geimpften, der Schutz vor symptomatischer Infektion liegt bei 66% (Accorsi et al., 21.01.22), bzw. bei 50% (Abu-Raddad et al., 21.01.22). Jeder Zweite entwickelt also Symptome, ist aber wie schon bei Zweifachimpfung gegen DELTA tendenziell kürzer ansteckend.
- Erwachsene über 65 sind nach der dritten Teilimpfung zu 90% gegen Krankenhausaufnahme geschützt – selbst 10 Wochen nach der Impfung!
- Nach OMICRON-Infektion ist man als Geimpfter ein bisschen besser gegen DELTA geschützt, für Ungeimpfte gilt das jedoch nicht (Sigallab, 17.01.22)
Immer am neuesten Stand im Submenü OMICRON.
Eine sehr gute Zusammenfassung zur aktuellen Lage auch in diesem englischsprachigen Interview mit Eric Topol vom 14.01.22
Was heißt das jetzt konkret im Alltag?
Ich schrieb bewusst gesamtgesellschaftlich, weil wenn jeder Zweite trotz Boosterimpfung Symptome entwickeln kann, dann ist das ziemlich viel und deutlich sichtbar. Gefühlt ist derzeit der gesamte Bekanntenkreis betroffen und zwar alle mit Kindern. Anekdotisch haben sich auch schon Kinder, die im Dezember eine DELTA-Infektion hatten, jetzt mit OMICRON infiziert. Herdenimmunität my ass! Was ist mit Langzeitfolgen bei Kindern?
Selbst wenn prominente Virologen nun bisweilen widersprüchliche Aussagen treffen, ich möchte die Infektion auch mit OMICRON lieber vermeiden. Und wenn ich es bekomme, möchte ich die inhalierte Viruslast so gering wie möglich halten. Daher weiterhin FFP3-Maske außerhalb meiner Wohnung. Innenräume ohne Maske meiden, Kontakte möglichst frisch PCR getestet. Wie lange das noch so weitergeht – ich hab keine Ahnung. Zumindest so lange, bis es handfeste Daten gibt, dass die Dreifachimpfung LongCOVID verhindert.
Langfristig glaube ich immer noch, dass wir einen Paradigmenwechsel brauchen:
- Covid is airborne – und alles was, damit zusammenhängt (CO2-Messgeräte, Lüftungsmaßnahmen, besserer Schutz für Arbeitnehmer im Krankenstand – der Kündigungsschutz in Österreich ist sehr lasch diesbezüglich)
- Long COVID zur Priorität machen, nach initial schweren und milden Verläufen – Zielausrichtung der Öffentlichen Gesundheit muss die Infektionsvermeidung sein wie bei schweren Infektionskrankheiten in den letzten Jahrzehnten auch: Masern, Polio, etc. )
- Ohne gerechte Impfstoffverteilung und Kampagnen in Entwicklungsländern geht es dauerhaft nicht – es werden immer neue Varianten entstehen. Es wird immer genug Menschen geben, die durch die Impfung alleine nicht ausreichend geschützt sind.