Tag 942: Kampf gegen die Desinformation

Zahl der Patienten im Krankenhaus in Österreich seit Pandemiebeginn – mit der jeweiligen Virusvariante, Das sind nur Covid19-Patienten. Dazu kommt der massive Personalmangel durch covidkranke Mitarbeiter (oft 2 Wochen lang), Pflegefreistellung wegen kranker Kinder und andere Aufnahmegründe (“Kollateralschäden”). Quelle: Our World in Data, 12.10.22

Nur ein Beispiel für den aktuellen Zustand des österreichischen Journalismus. Der ORF schreibt über “Erkältungssaison trifft auf CoV-Herbstwelle” und bemüht dabei wissenschaftsfeindliche bzw. faktenwidrige Argumente, um offenbar mit Biegen und Brechen den “günstigsten Fall” des Variantenmanagementplans herbeizureden. Wir erinnern uns – die Expertinnen und Experten der Future Operations haben mit ihrem Arbeitspapier die Vorarbeit für die Verharmlosung der OMICRON-Varianten geleistet.

Im Originaltext um 08 Uhr MESZ standen diese beiden Sätze:

“Für Optimismus sorgt bei den Experten jedenfalls, dass neben der derzeit dominanten Omikron-Subvariante BA.5 kaum andere – und schon gar keine neuen – Varianten in Sicht sind.”

“Auch wird auf andere Länder verwiesen, die keine Maskenregelungen mehr haben, auch weil unklar sei, was die Maske in der Pandemiebekämpfung insgesamt bringt.”

Nach massiver Twitterkritik wurde der Text um 10:30 Uhr erstmals abgeändert:

Für Optimismus sorgt bei den Experten jedenfalls, dass neben der derzeit dominanten Omikron-Subvariante BA.5 kaum andere in Sicht sind. Unter Beobachtung steht die BA.5-Subvariante BQ.1.1.

“Auch wird auf andere Länder verwiesen, die keine Maskenregelungen mehr haben, auch weil unklar sei, was eine Maskenpflicht in punktuellen Settings in der Pandemiebekämpfung insgesamt bringt.”

Um 11:55 Uhr wurde erneut nachgebessert:

“Auch wird von Kritikern auf andere Länder verwiesen, die keine Maskenregeln mehr haben. Während die Maske unbestritten individuellen Infektionsschutz bietet, sei – so die Kritik – nicht ganz klar, was eine Maskenpflicht in punktuellen Settings in der Pandemiebekämpfung insgesamt bringe.”

Wie sie es auch schreiben – es ist falsch. Ich teile die Ansichten von ORF-Politikchef Bürger vielfach nicht, aber hier sprach er viel aus, was man sich als Bürger lange dachte:

“Das war für mich sicherlich die schwierigste Zeit im Unternehmen. Der ORF hat irgendwann einmal klargemacht – nicht nur der ORF, auch die Opposition am Anfang –, dass wir die Gesundheitspolitik der Bundesregierung nicht ganz groß infrage stellen. (…)”

Das Interview vom 15.09.22 ist mir offenbar entgangen.

ORF- “Bollwerk gegen Fakten”?

Fakt 1: Es sind zahlreiche Varianten am Horizont, die ähnliche Mutationen aufweisen und auf erneuten Immun Escape hinauslaufen, der nicht nur den Schutz durch die (angepasste) Impfung besser umgehen kann, sondern auch therapeutische Antikörper wie Evusheld und Bebtelovimab nutzlos macht. Inzwischen sind auch internationale Experten auf die rekordhohen Inzidenzen und stark steigenden Hospitalisierungszahlen in Österreich aufmerksam geworden und beobachten vor allem einen steilen Anstieg der BQ.1.1-Variante, die von BA.5 abstammt. In den USA hat sie inzwischen ~ 9% Anteil, in Singapur sorgt die von BA.2 abstammende XBB-Variante für signifikante Anstiege, vergleichbar mit der BA.2/BA.5-Welle.

Die neuen Varianten, ihre Abstammung und die verbleibende Wirkung der therapeutischen Antikörper.
alle Varianten mit 5+ Schlüsselmutationen in der rezeptorbindenden Domain zusammengefasst als “Pentagon-Gruppe”, Quelle: @JPWeiland

Daraus geht klar hervor: Selbst wenn die BA.5-Welle abflaut, baut sich im Hintergrund die nächste Welle auf, so wie bei allen Varianten vorher auch – nur, dass jetzt mehrere Varianten gleichzeitig um die Dominanz konkurrieren.

Fakt 2: Masken bieten nicht nur Individualschutz, sondern helfen auch auf Bevölkerungsebene. Der Effekt der Maskenpflicht tritt verzögert ein (Huang et al. 16.02.22) und ist daher als Sofortmaßnahme, um etwa die Infektionszahlen herunterzubringen, nicht ausreichend. Nachtgastronomie schließen, Großveranstaltungen unterlassen, Indoor-Veranstaltungen nur mit Tests und Masken, Distance Learning in den Schulen und FFP2-Masken im Unterricht – das flacht die Infektionskurve ab, und verringert die Zahl an schweren Verläufen, die in den überlasteten Spitälern aufschlagen. Keine Maskenpflicht im öffentlichen Raum heißt, dass vulnerable Menschen vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen werden.

Fakt 3: Das Gesundheits- (und auch das Bildungs)wesen SIND bereits massiv überlastet. In Deutschland wird darüber viel offener geredet (und auch dort passiert nichts, weil 80 Millionen Menschen in Geiselhaft einer 5% neoliberalen Schwurbelpartei sind), was das bedeutet, wenn zahlreiche Stationen gesperrt sind, wenn die Akutversorgung nicht mehr gewährleistet ist, wenn Physiotherapeuten für die Rehabilitation fehlen bzw. die Nachsorge allgemein auf ein Minimum heruntergefahren wird. Das ist schlicht nicht auf Dauer durchhaltbar. In der ersten und zweiten Welle gab es etwa Appelle an Freizeitsportler und Hobbyhandwerker, aufzupassen, defensiv zu bleiben und keine Unfälle zu riskieren. Die Masse an chronisch kranken Menschen, und dazu zählen mittlerweile auch hunderttausende Menschen mit LongCOVID, können aber kaum beeinflussen, wie sich ihr Gesundheitszustand entwickelt. Auch sie sind von erneuten Infektionen bedroht, speziell durch ihre pflegenden Angehörigen. Auch die Angehörigen selbst dürfen nicht schwer erkranken, als fürsorgende Unterstützung der LongCOVID/MECFS.

Update, 21:10: Wiens Bürgermeister Ludwig fordert die Ausweitung der Wiener Covid-Regeln auf ganz Österreich (sogar gestützt von Wackeldackel Nowotny). Die ZiB1 hält es nicht für nötig, darüber zu berichten.

Krankenstandswelle

Derzeit gibt es in ganz Österreich einen starken Anstieg an Rhinovirus-Infektionen, auch Enterovirusinfektionen, teils gibt es auch Doppelinfektionen mit Enteroviren, SARS-CoV2 oder Adenoviren. Gleichzeitig gibt es schon die ersten nicht importierten Influenzafälle, also Übertragungen ohne Reisevergangenheit, weswegen es sich heuer empfiehlt, früher als sonst die Grippeschutzimpfung zu holen. Die B/Yamagata/16/88-ähnliche Influenza-B-Linie wurde übrigens durch die weltweiten Maßnahmen vollkommen vom Erdboden getilgt. Das hatte man vorher nie für möglich gehalten.

Als heimtückisch könnte sich erweisen, dass die neue BQ1.1.-Variante mit mehr Magen-Darm-Symptomen einhergehen könnte, wie in den “Thailand Medical News” am 05.10.22 berichtet wurde. Ein pensionierter Arzt, der unter LongCOVID leidet, begründet in diesem Thread, weshalb er trotz der populistischen Aufmachung diese Quelle für seriös hält. Ich setze hier mal ein Fragezeichen dahinter, speziell, da Magendarmsymptome auch von den vorherigen Varianten bekannt sind.

So oder so sind derzeit *viele* Menschen krank, vor allem ihre Kinder sind stark betroffen, was ich auch anekdotisch mitbekomme. Wir haben übrigens erst Mitte Oktober – ein Monat, das dieses Jahr durchaus fünf Grad zu warm ausfallen könnte. Die wirklich kalten Wetterphasen kommen erst.

Komplexititätsforscher Peter Klimek: 

“Je höher jetzt die Virusaktivität im Sommer ist, desto niedriger kann dann die Herbstwelle ausfallen.” 

Zib1-Sprecher: “Dadurch werden auch die fehlenden Impfungen kompensiert.” (09.06.22)

Gleichschritt bei den täglichen Neuinfektionen pro Million Einwohner in den westlichen Schwurbelhochburgen Deutschland, Österreich und Schweiz, Stand 12.10.22

Klimeks Orakel hat sich nicht bewahrheitet. Die zweite BA.5-Welle ist höher als die erste BA.5-Sommerwelle, sie ist sogar auf dem Niveau von DELTA, und wenn man berücksichtigt, dass viel weniger getestet wird bei gleichzeitig hohen Positivraten, dann haben wir DELTA deutlich übertroffen. Wozu führt diese Politik des Wegschauen, Verdrängen, Verharmlosen, die das vermeintliche Wohl der Wirtschaft über alles stellt? Zum Kollaps des Gesundheitswesens – wie derzeit in UK berichtet wird. Was nützen “freie” Intensivbetten (ohne Personal), wenn die Normalstationen krachen?

Es hilft übrigens keiner Genesung – KEINER -, wenn sich Patienten, die aus einem anderen Grund im Krankenhaus aufgenommen werden, zufällig oder dort mit Covid19 infiziert haben. Auch sie müssen isoliert werden, auch sie können einen schweren Akutverlauf haben, LongCOVID entwickeln oder Komplikationen bei der Grunderkrankung bzw. dem Anlass, aus dem sie aufgenommen wurden.

Warum sollte man sich infizieren, um sich nicht zu … infizieren?

Seit wann ist es normal geworden, krank zu sein? Twitter-Meldungen von Experten, die dazu aktiv forschen bzw. mit Patienten arbeiten:

“It drives me nuts. At no point in medical school did they ever teach us that “pathogens make you stronger”. It’s wild and horrifying for me watching how easy it is for pseudoscientific nonsense to go mainstream these days.”

Dermatologin Dr. Lisa Iannattone, 11.10.22

“I think its BS. I do not know who came up with the stupid idea that infections are good for you. (Except for very special cases, where infection with a specific mild pathogen may prevent infection with a related specific severe pathogen.)”

Virologe Florian Krammer, 04.10.22

“Do not let anyone convince you that you need to get sick to be healthy. This is very silly.”

Notfallmedizinerin Kristen Panthagani, 01.01.22 mit einem ausführlichen Thread dazu, weshalb “Kontakt zu Mikroben” nicht gleichbedeutend sein soll mit “Kontakt zu Pathogenen, die dich krank machen”, um das Immunsystem zu trainieren. Man braucht nicht krank werden, um Mikroben ausgesetzt zu sein, man ist bereits voller Mikroben (Trillionen Bakterien, Viren, Pilze, die auf und in einem leben).

“Wien hat die Hochquellleitung gebaut, um uns gegen Pandemien zu schützen, die im Wasser übertragen wurden. Gegen absurde Argumente haben sich visionäre Geister durchgesetzt und wir alle sind dankbar. Niemand von uns trinkt aus dem Donaukanal, wenn Durchfall gerade selten ist.”

Molekularbiologe Ulrich Elling, 10.10.22

Es ist tatsächlich keine gute Idee, über eine Infektion eine nur kurzlebige Immunität gegen erneute Infektion aufzubauen, da die Risiken von Langzeitschäden unverhältnismäßig hoch sind – sogar bei Kindern. Selbst bei wieder genesenen Kindern nach milder Covid19-Infektion wurde eine anhaltende Störung der Sauerstoffaufnahme beobachtet (Heiss et al., 20.09.22). Zudem werden erhöhte Fallzahlen von Lungenembolien, Herzmuskelentzündung, venösen Thromboembolien, Nierenversagen und Typ-1-Diabetes nach einer Covid19-Infektion bei 0-17jährigen beobachtet (Kompaniyets et al., 05.08.22). Von den Covid-Langzeitfolgen bei Kindern und Jugendlichen liest man aber kaum etwas.

Kinderärzte berichten auf Twitter:

“Erhöhte Leberwerte, verschobene Gerinnungs-Werte, total verschobenes T-Lymphozyten-Verhältnis mit viel zu vielen CD8/CD3- und viel zu wenigen CD4-Lymphozyten, deutlich zu hohe LDH, hohe EBV- und CMV-Titer (IgM), zu hohe oder zu niedrige Cortisol-Spiegel, auffälliges EKG mit T-Negativierung von V1-V6, viele Lymphknoten-Pakete im Abdomen-Sono, Hautausschläge an den unterschiedlichsten Stellen (die in kein Bild passen), plötzliche Urtikaria zusammen mit Fieberschüben, usw., usf…. Das Verrückteste ist aber: In vielen Fällen waren diese Kinder zuvor stationär oder im Notdienst, oder in anderen Kinderarztpraxen.”

Generell sind auch gehäufte Herzerkrankungen selbst nach milden Verläufen dokumentiert (Puntmann et al., 05.09.22, Roca-Fernández et al., 04.04.22, Tereshchenko et al., 29.12.21). Vor kurzem schrieben Monje und Iwasaki (06.10.22) darüber, wie Covid19 auf sechs verschiedene Arten das Gehirn schädigen kann. Auch nach milden Verläufen ohne klassische LongCOVID-Symptome treten noch monatelang verringerte Konzentration und Gedächtnisstörungen auf (Zhao et al., 19.01.22). Viele Genesene schonen sich nicht ausreichend und riskieren dadurch LongCOVID-Symptome. In den USA häufen sich “Covaccidents” genannte Unfälle, die durch LongCOVID-Symptome mutmaßlich verursacht wurden. Auch in Deutschland gibt es mehr Unfallopfer als vor der Pandemie.

Globale Folgen anhaltender Infektionswellen:

Viele Patienten kommen aber nicht in die Ordination und sagen, sie hätten Long/Postcovid, sondern sie sagen, sie hätten komisches Herzrasen oder Schwindel, sind so erschöpft, immer wieder Halsschmerzen. Es gehört eine umfangreiche Diagnostik gemacht. Wenn junge Menschen plötzlich kognitive Probleme bekommen, ist ein MRT Pflicht.

Ein Leitfaden zu LongCOVID für Hausärzte gibt es hier.

“I don’t give a shit” wurde im Westen normalisiert

“People minimize Covid because they don’t think they will be the ones suffering irreversible harm from it, and they don’t give a shit about people who are harmed by it.”

Molekularbiologin Denise Dewald, 08.10.22

“In dieser Aufmerksamkeitsverteilung zeigt sich ein interessanter Mix aus Schicksalsergebenheit und Egozentrismus, der für einige vor allem bedeutet, andere bereitwillig ihrem Schicksal zu überlassen, weil man glaubt, so die Kosten für sich selbst gering halten zu können.”

Politikwissenschaftlerin Elvira Rosert, 08.10.22

Anders in China. Ja, China. Dort berichtet Naomi Wu (@RealSexyCyborg) auf Twitter über das Leben in China und die Hintergründe der ZeroCovid-Strategie:

“We already have a huge looming demographic crisis because people my age and older, raised under the One-Child laws are expected to be able to support our parents in old age- that’s the sole social security net for many aging Chinese, their single child. Even a tiny increase in working-age death and disability would lead to massive social upheavals as aging parents looked for someone to blame and a financial relief system that is at least a decade from being realistically implemented. I’ve told you again and again- there is a social contract, every time Chinese feel that contract has been violated we see localized riots- because usually the violation is local. If the social contract is broken nationally, there will be national upheaval- and not for the better. Workers aren’t going to sit on the line while their parents are dying- they’re going back home to their province. No worker is going to work when their parents have died from being refused care at a full hospital. Everything you consume comes from China. Your shelves will be bare. No you cannot tool up within 1 year or even 5 to make what we can no longer send- you can’t get enough people to work in service let alone minimum-wage manufacturing. It would be a disaster for China and for you.It’s not because of Xi’s “face” or the Party Congress or the “Mandate of Heaven” It’s because the social upheaval from COVID ripping through China would cause deprivation and hardship *worldwide*. Medical equipment, agricultural, pharmaceutical- all rely on Chinese parts.”

Diese Hintergründe liest man aber beim wöchentlichen ORF-Bashing der “Nullcovidstrategie”, die gebetsmühlenartig die Probleme der Weltwirtschaft auf Chinas Lockdowns zurückführen will, nie.

Leave a Reply

Please log in using one of these methods to post your comment:

WordPress.com Logo

You are commenting using your WordPress.com account. Log Out /  Change )

Twitter picture

You are commenting using your Twitter account. Log Out /  Change )

Facebook photo

You are commenting using your Facebook account. Log Out /  Change )

Connecting to %s

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.