Ich habe in der Akutphase der Pandemie mit unerbitterlicher Standfestigkeit unzählige Faktenchecks verfasst, nach Ende des Gesundheitsnotstands aber selbst übertrieben mit der Gefährdungslage. Deshalb möchte ich in diesem Kapitel auf Strategien der Desinformation eingehen – auf cherrypicking, sonstige PLURV-Methoden und die Macht der Filterblasen, die für beide extreme Deutungsmuster der Pandemie gelten – zwar gegensätzliche Narrative, aber ähnliche Mechanismen.
Verschwörungserzählungen entstanden nicht nur bei Coronaleugnern, sondern auch bei jenen, die sich heute als ZeroCovid-Anhänger deklarieren und etwa eine Verschwörung vermuten, wenn Covid19 (aus gutem Grund) nicht bei steigenden Femziden, Rechtsruck und anderen sozialen Entwicklungen genannt wird. Beide Fanatiker ignorieren gerne die Qualität des Journals, in denen Fachartikel veröffentlicht und peer-reviewed werden, sie ignorieren Methodik und – ganz wichtig – Limitation/Discussion-Teil. Studien, die nicht ins Weltbild passen, werden nicht erwähnt. Wer widerspricht, wird beschimpft (ad hominem Beleidigungen zählen zu PLURV-Methoden) oder diskreditiert.
Eine zentrale Rolle beim Erkennen und Bekämpfung von Desinformation ist Medienkompetenz: Wie erkennt man, wer seriös ist, was seriös ist. Wesentlich ist aber auch die Fähigkeit, Irrtümer einzugestehen. Fanatiker haben immer Recht, sind unfähig zur Selbstreflexion. Es muss aber nicht einmal Fanatismus sein, um einen Tunnelblick zu entwickeln. Eigene Betroffenheit als hochvulnerable oder bereits an Long Covid erkrankte Person können dazu beitragen, dass (nachvollziehbare) Emotionen den Blick auf die Sache verstellen. Es hilft aber allen Betroffenen nicht, wenn wir die Definition von Long Covid auf alle nur denkbaren Symptome erweitern und damit die Studienpopulationen verfälschen. Mein eigenes Beispiel zeigt zudem, dass auch zu intensive, einseitige Beschäftigung mit einem Thema dazu führen kann, das big picture zu übersehen. Was passiert etwa langfristig mit der Lebenserwartung? Sinkt sie wirklich weiter? (tut sie nicht) Explodieren die Krankenstände durch die angebliche dauerhafte Immunschwäche? (tun sie nicht) Gibt es nun ganzjährig steigende Infektionszahlen aller viralen und bakteriellen Erreger (gibt es nicht)? Da muss man einen Schritt zurücktreten und innehalten, und sich fragen, ob man sich nicht vielleicht verrannt haben kann.