Abwassermonitoring
Beim Abwassermonitoring misst man die über den Stuhl ausgeschiedenen Virusfragmente. Das lässt grundsätzlich keinen Rückschluss darüber zu, ob der Patient noch infektiös ist. Virus kann noch wochenlang nach einer Infektion ausgeschieden werden.
Für ein zuverlässiges Monitoring würde man über 200 Anlagen in ganz Österreich brauchen. Von September 2021 bis August 2022 waren es 120 Anlagen, inklusive Schulmonitoring und private Labors. Später wurde diese Zahl mit dem „Nationalen Monitoring“ auf 24 reduziert und ab Februar 2023 auf 48 Anlagen erweitert. In Österreich messen nicht alle Bezirke in den Bundesländern, sondern nur einzelne ausgewählte Anlagen, die für 58% der Gesamtbevölkerung repräsentativ sein sollen. Die Proben werden von der Gerichtsmedizin der MedUni Innsbruck analysiert. Die Kurven sind aufgrund der Änderung der Messmethoden nicht über den Pandemieverlauf hinweg vergleichbar.
Um sicherzugehen, dass Vergleiche zuverlässig sind, sollte man immer parallel die Sentineldaten heranziehen, sowie Krankenstandsdaten, etwa von Versicherungen, Krankenkassen oder Spitalsaufnahmen.
Mehr zur Methodik in Österreich:
- Daleiden et al., Wastewater surveillance of SARS-CoV-2 in Austria: development, implementation, and operation of the Tyrolean wastewater monitoring program (07/2022)
- Amman et al., Viral variant-resolved wastewater surveillance of SARS-CoV-2 at national scale (07/2022)
Weitere Limitationen:
Vielfach gab es in den ersten zwei Pandemiejahren deutlich mehr Abwasseranlagen, die die Viruslast gemessen haben. Später wurde die Zahl deutlich reduziert, zum Teil dann nochmal erweitert. In Österreich messen nicht alle Bezirke in den Bundesländern, sondern nur einzelne ausgewählte, die mitunter nicht repräsentativ sind für lokale Cluster.
Als das Netz größer war, haben mitunter auch private Labors die Proben analysiert, bzw. in Österreich auch das Schulstandortmonitoring, mit unterschiedlichen Aufbereitungs- und Messmethoden. Seit dem Wechsel zum Gesundheitsministerium nurmehr ein Labor (Gerichtsmedizin MedUni Innsbruck).
Auch Genesene können weiterhin Virus ausscheiden, sowie LongCOVID-Betroffene mit chronischer Infektion.
Ein dritter limitierender Faktor ist der Meldeverzug. Von der Toilette zur Kläranlage sind es nur 1-2 Stunden, aber die Tagesproben werden meist nur 1x pro Woche zur Analyse geschickt. Abwassermonitoring ist also kein Frühwarnsystem.
Rückschlüsse auf die Inzidenz
Die Anzahl der infizierten Menschen ist schwer zu ermitteln, denn sie hängt u.a. von den Ausscheidungsraten ab (viral shedding), die unterscheiden sich stark von Person zu Person („Superspreader“ vs. asymptomatisch/low shedder), vom Stadium der Erkrankung und von Varianten. An dem Bericht über Abwassermonitoring waren über 80 Autoren unterschiedlicher Expertise beteiligt (Quelle). Die Abwasser-RNA-Konzentration ist u.a. temperaturabhängig und daher saisonal unterschiedlich (Hart and Halden 2020), hinzu kommt Verdünnung durch Niederschlagsereignisse. Sie hängt sehr stark von der Schwere der Erkrankung ab, unklar bleibt, warum.
In Deutschland ließ sich die Prävalenz in der Bevölkerung mit dem Projekt SentiSurv abschätzen. (Mohring et al. 2024). Weitere Surveillance-Projekte bzw. Kalibrierungsversuche gab es in UK (Winter CIS) sowie mithilfe von AMELAG (RKI). Ausführlichere Infos zur Methodik gibt es in den Seuchenkolumnen von Epidemiologe Zangerle im FALTER (online) sowie von Dominik Steiger (Schweiz, Twitter).
Die Abwasserwerte könnten die realen Inzidenzen ein wenig unterschätzen, was an bestimmten Mutationen seit der BA.5-Welle liegen könnte (Endo et al. 2024).
Abwassermonitoring in Tirol
Podcast: Ars Boni 516 (Covid-)Abwasserdaten als Umweltinformationen, Prof. Dr. Heribert Insam (30.07.24 – Gesundheitsministerium demnach im Winter 2022 völlig desinteressiert, Tirol-Daten sollten unter Verschluss bleiben, gegen alle WHO-Richtlinien)
Mikrobiologe und Universitätsprofessor Heribert Insam der Uni Innsbruck hat mit Kollegen der TU Wien für das Bildungsministerium bis Sommer 2022 das Corona-Abwassermonitoring durchgeführt. Das Nachfolgeprojekt umfasste nurmehr 25 statt 120 Kläranlagen. Das Land Tirol gab keine Abwasserdaten mehr an Insam weiter, weshalb er vor Gericht zog. Das Landesverwaltungsgericht gab ihm am 19. Juni 2024 Recht und schuf einen Präzedenzfall: Abwasserdaten zählen zu Umweltdaten laut dem Umweltinformationsgesetz (UIG). Das umfasst nicht nur Trink- und Seewasser, sondern auch dreckiges Wasser.
Alle vorhandenen Abwasserdaten kann demnach jeder Bürger von öffentlichen Stellen, Behörden oder öffentlichen Kläranlagen einfordern. Im September 2025 tritt zudem das Informationsfreiheitsgesetz in Kraft. Dann gibt es proaktive Informationspflichten der öffentlichen Hand. Unklar ist derzeit, ob jetzt auch die Daten jeder einzelner Kläranlage (wie in Vorarlberg z.B., Anm.) vom Land Tirol veröffentlicht werden. Bisher geben sich die Beklagten zurückhaltend. (Quelle: Salzburger Nachrichten, 05.07.24, Seite 16)
Die ganze Causa zeigt wieder einmal, wie wichtig es wäre, dass die Seuchenkontrolle bundesweit geregelt wird und nicht vom Förderalismus ausgehebelt wird. Das ist kein Einzelfall, der erst seit der Pandemie aufgetreten ist, sondern wurde bereits im November 2001 – ebenfalls in Tirol – schlagend, als eine Tourismusgemeinde einen Legionellenausbruch vertuscht hat (Schmid et al 2004).
Internationale Daten
- Variantenradar weltweit
- Tool für Varianten, Growth Rates weltweit (Empfehlung!)
- Lungfish Wastewater Mutation Surveillance
- Genom-Epidemiologie von SARS-CoV2 (Nextstrain)
- Kanada
- Sapporo (Japan)
- Neuseeland
- Australien
- Südafrika
Europa
- Abwasserdaten in Europa (und Monatsberichte)
- Deutschland
- Bayern
- Berlin
- Schottland (Aussagekraft unklar)
- Belgien
- Dänemark
- Wales (weekly Reports)
- Luxemburg (weekly reports)
- Irland (weekly reports)
- Übersicht Irland
- Niederlande
- Finnland
- Schweden
Andere Viren:
Grippemeldedienst Deutschland (darin angegeben auch Covid-Inzidenz)
Influenza weltweit (OWID)
RSV-Influenza-Covid in Pan-Amerika (PAHO)
Archivdaten
- Norwegen (keine neuen Daten)
- Schweiz (Alternative), veraltet
- Mortalitätsmonitoring (16.01.23)
- Independent SAGE is an interdisciplinary group of scientists who came together in May 2020 to provide clarity and transparency for the public in the fast-unfolding situation of the Covid-19 pandemic (62 reports, 50 short statements und 139 live-streamed briefings)
- Intensivregister Deutschland: (Bettenkapazitäten in der Intensivmedizin, bis 2023)
- Our World in Data (von wenigen Ländern, die weiterhin testen)