Unbequeme Wahrheiten

Der Knick in der Lebenserwartung durch die Pandemie

Wir haben uns seit dem Variantensprung von DELTA (2021) auf OMICRON (2022) sehr teuer eine hohe Bevölkerungsimmunität mit mehreren OMICRON-Subvariantenwellen (BA.1/BA.2, BA.5, mixed variants und XBB.1.5) in Europa erkauft, die nicht von Beständigkeit sein wird. Sehr teuer deswegen, weil es über 22000 Tote, hohe Übersterblichkeit und viele Opfer mit teilweise unheilbaren Langzeitfolgen gibt. Teuer auch, weil man innerhalb kürzester Zeit fast alle Kinder und Jugendlichen mehrfach durchseucht hat, ohne vorher aufrichtig und mit politischen Willen für die Impfung (gesunder) Kinder zu werben und aufzuklären. Das Ergebnis war und ist darwinistische Auslese: Survival of the fittest and wealthiest.

Statt sie durch regelmäßige Auffrischimpfungen nun zu festigen, wird die Durchimpfungsquote in den kommenden Wintern in Österreich lediglich um die 15% wie bei Influenza liegen. Blöderweise zirkuliert SARS-CoV2 ganzjährig durch Cluster, nicht nur in wenigen Wintermonaten wie Influenza. Es hätte nämlich Alternativen gegeben, eine bevölkerungsweite Immunität aufzubauen, indem man in allen Altersgruppen breite Impfkampagnen gefahren wäre, und zwar unabhängig von Risikofaktoren. Im Sommer 2021 blieb die Impfkampagne im Kanzleramt liegen. Wir wissen seit der Machtübernahme durch Ex-Kanzler Kurz und dessen bis heute regierendendem Team, dass ihnen an den Menschen außerhalb ihres Wählerkreises nichts liegt. Mit einer hohen Impfquote hätte man bereits die DELTA-Welle deutlich abmildern können. Die misslungene Einführung der Impfpflicht beim Übergang zu OMICRON war das Anfang vom Ende jeglichen Bemühens um Erhöhung der Impfquoten, während man gleichzeitig die Gefahr für Kinder und generell gesunde Menschen heruntergespielt hat. Bereits im Frühjahr 2022 war der auf BA.1 angepasste Impfstoff fertig.

“Nachdem die Intensivstationen aber nicht überlaufen waren, baten die Zulassungsbehörden in den USA und Europa die Hersteller, zunächst klinische Studien für verschiedene angepasste Impfstoffe durchzuführen. »Der Druck war raus«, sagt ein politischer Insider.

SPIEGEL-Bericht, 08.08.22

Die Zulassung wurde auf den Herbst 2022 verschoben, weil die falsche Ziel- und Steuerungsgröße (Intensivbettenkapzitäten) herangezogen wurde, und das bereits seit der zweiten Welle im Herbst 2020. Im Herbst 2022 war BA.1 aber schon längst Geschichte und selbst die Zirkulation von BA.5 nahm ab, als die auf BA.5 angepasste Impfung gleichzeitig zugelassen wurde. In der Schweiz war überhaupt nur BA.1 erhältlich, in Österreich sprach man offiziell nur vom “OMICRON-Impfstoff”, ohne die Bevölkerung aufzuklären, dass der neueste angepasste Impfstoff am sinnvollsten sein würde und längst mehrere Untervarianten von OMICRON zirkulierten. Millionen Menschen sind in Europa (und in den USA) durch ungebremste Infektionswellen im Jahr 2022 zu Schaden gekommen, verstorben, unheilbar erkrankt, weil man auf den falschen Indikator Intensivbetten gesetzt hat als Rechtfertigung, es weiter laufen zu lassen.

Die Überlebenden dienten als Aushängeschild für die hochstilisierte Hybrid-Immunität – ein immunologischer Begriff, den es erst seit der Pandemie gibt und vor allem dazu dient, die Infektion zu verharmlosen bzw. als gleichwertig zur Impfung darzustellen. Mit der “breiten Bevölkerungsimmunität” rechtfertigte man schon 2022 den sukzessiven Abbau sämtlicher Pandemiemaßnahmen, obwohl die WHO bis heute mit deutlichen Worten davor gewarnt hat. Die Pandemie ging auch im Sommer 2022 nicht zu Ende – im Gegenteil, es gab zwei große BA.5-Wellen. Sie ging auch im Winter nicht zu Ende, da kamen die gemischten Varianten, überlagert von einer starken Influenzawelle. Sie ging auch im Spätwinter 2023 nicht zu Ende, da kam XBB.1.5. Jetzt Ende Juni 2023 haben wir erstmals sehr niedrige Abwasserwerte und mutmaßlich niedrige Raten an Neuinfektionen, weil sich noch keine neue Variante im Hintergrund aufbaut. Zwar gibt es mehrere Kandidaten (z.B. Deltacron in Australien, XBC, oder FU.1. – XBB.1.16.1.1.), aber noch sieht man keine Wiederanstiege im Abwasser. Praktischerweise läuft die Meldepflicht für SARS-CoV2 in Österreich am 1. Juli 2023 aus – damit ist fraglich, ob die wöchentlichen Abwasserzahlen weiterhin veröffentlicht werden.

Spätestens ab dem Zeitpunkt, wo LongCOVID weltweit als erhebliches Problem einer Infektion neben schweren Akutverlaufen wurde, hätte es eine weitere “Operation Warpspeed” geben müssen. Nach der erfolgreichen Impfstoffentwicklung in nur sechs Monaten hätte man auf die Entwicklung von Schleimhautimpfstoffen setzen müssen, um auch Ansteckung und symptomatische Verläufe zu verhindern. Ohne Covid auch kein LongCOVID – simple as that. Wir aber hatten die falschen Berater für rechtslibertäre Regierungen, die nicht langfristig denken können. Die glaubten, für die Wirtschaft kurzsichtige Entscheidungen treffen zu müssen, aber am Ende die Arbeitskraft für die Gesamtgesellschaft riskierten. Selbst im vierten Pandemiejahr – inzwischen oder schon immer sitzen die falschen Berater und deren Empfänger genehmer Botschaften überall in den Schlüsselpositionen von Politik, Medien, Gewerkschaften, Fachgesellschaften – reden wir zwar über monovalente Impfstoffe, aber beschränken die Impfstoffbeschaffung auf Risikogruppen ab 65 Jahre aufwärts. Kinder zu impfen spielt keine Rolle mehr, aber auch bei “gesunden” Erwachsenen eilt es nun nicht mehr. Dass hunderttausende LongCOVID-Betroffene nun zur “vulnerablen Gruppe” hinzugekommen sind, wird im Gesundheitsministerium geflissentlich ignoriert. Das ist natürlich eine Zirkelschluss-Argumentation: LongCOVID zu verhindern ist nicht das Ziel der derzeitigen Impfstoffgeneration. Daher braucht man auch gesunde Menschen nicht mehr zu impfen, denn gegen schwere Akutverläufe und Tod seien sie ohnehin geschützt, so die nationalen Impfgremien und Regierungen.

Nicht hinzu gesagt wird, dass die Impfung das LongCOVID-Risiko zumindest reduziert. Und dass auch hohe Durchimpfungsraten die Infektionswellen abmildern würden, weil doch für ein paar Wochen ein gewisser Ansteckungsschutz besteht (Tan et al. 2023) – zumindest auf Bevölkerungsebene kann man dadurch Ansteckungszahlen verringern, auch wenn es auf individueller Ebene keine Sicherheit vor Ansteckung gibt. Um Individuen ging und geht es in unserer rechtslibertären Pandemiebekämpfung nie. Daher blieben auch die Toten namenlos, kein Denkmal, kein Mahnmal, keine Erinnerungen. LongCOVID-Betroffene wurden zum “individuellen medizinischen Problem” abgewertet.

“Der Oberste Gerichtshof (OGH) veröffentlicht auf seiner Web-Site, dass den Bund keine Haftung für das Multiorgan versagen in Ischgl 2020 treffen würde. Er bestätigt die Ersturteile, wonach das Epidemiegesetz nur die Allgemeinheit schütze und nicht den Einzelnen.”

Presseaussendung vom Verbraucherschutzverein, 01.06.23

Neben Impfung hätte man mit neuen Richtlinien zum Infektionsschutz (saubere Luft, Masken, Tests, Isolation, etc.) weiterhin möglichst vielen Menschen wenigstens die Chance erhalten können, sich vor der nächsten Infektion impfen zu können, statt die Infektion nun schicksalsgebunden zu sehen, gegen die man ohnehin nichts ausrichten kann – speziell wenn es im Haushalt schulpflichtige Kinder gibt.

Die breite Immunität scheint jetzt insofern zu existieren, dass die Abwasserwerte nurmehr punktuell steigen (siehe vor allem einzelne Kläranlagen in Tirol), aber meist rasch wieder zurückgehen. Größere Städte bleiben stabil. Das könnte man wohlwollend so interpretieren, dass es nurmehr lokal beschränkte Cluster gibt, etwa durch größere Veranstaltungen, aber keine überregionale Ausbreitung mehr. Nachdem Österreich keine überragend hohe Impfquote erreicht hat, muss es die berüchtigte Immunität durch (mehrfache) Infektion sein, die hier schlagend wird. In Deutschland sind die Zahlen nicht so gut, dort hält die Übersterblichkeit auch im Juni weiter an und die Zahl der Neuinfektionen bewegt sich geschätzt bei rund 20000 am Tag. Das ist nicht wenig.

Die Verharmlosung von Covid-Infektionen hat auch zu beträchtlichen Kollateralschäden bei anderen Viruserkrankungen geführt. Nicht nur hat Covid19 zur starken RSV-Welle 2021/2022 beigetragen (Wang et al. 2023), ohne Schutzmaßnahmen gab es zudem im Frühwinter 2022/2023 eine starke Influenzawelle mit hoher Übersterblichkeit in Österreich. Die hätte man verhindern können, wir wissen ja, dass man mit Maske tragen und konsequenter Isolation, sowie sauberer Luft Influenza effektiv bekämpfen kann. Der allgemeine Tenor in der Politik (alle Parteien) und der meisten Interessensvertretungen, darunter auch Ärztekammer, scheint zu sein: Wir wollen so viele Kranke und Tote wie vor der Pandemie haben. Wo kämen wir denn hin, die jetzt auch noch zu verhindern?

Wie geht es nun weiter? Die ohnehin sehr heterogen verteilte Immunität in der Bevölkerung wird zwangsläufig abnehmen, das ist epidemiologische Gewissheit. Gleichzeitig bleibt der Mutationsspielraum hoch genug für neue Varianten. Das Virus wird sich also weiterhin “seine” Opfer suchen. Die bestellten Impfstoffe für den Herbst durch Gesundheitsminister Rauch werden nicht ausreichen, um neue Infektionswellen abzumildern, wenn man schon keine sonstigen Maßnahmen mehr ergreifen will. Denn ohne Infektionsschutz in Kindergärten und Schulen werden neue Infektionswellen durchrauschen. RSV, Influenza und Covid19 gleichzeitig oder abwechselnd – ohne Pause für die Eltern, Pädagogen und Haus- und Spitalsärzte, wo bekanntlich verbreitet eklatanter Personalmangel herrscht. In manchen Spitälern gibt es bereits so wenig Anästhesisten, dass Patienten selbst nach einem Knochenbruch eine Woche auf die OP warten müssen.

Dabei lautet das Ziel gar nicht, ALLE Toten und Kranken durch Virusinfekte zu vermeiden – das wird aber als beliebtes Strohmannargument missbraucht, um zu 2019 zurückzukehren und nichts dazu zu lernen für ein besseres 2023. Wir haben gesehen, wie leicht es gegangen wäre und künftig gehen könnte, wenn wir ein bisschen langfristig denken und in Prävention investieren, wie das unsere Nachbarstaaten wie Frankreich, Italien, Belgien, Irland, aber auch die USA schon längst tun. Am 20. September 2023 findet die erste Indoor Air Conference der WHO Europa statt. Es gibt ja auch bei uns Pandemiepläne für Influenza, die sehr wohl die Schließung von Bildungseinrichtungen zur Verhinderung der Ausbreitung von Influenza vorsehen! Bei anderen Infektionskrankheiten wie Scharlach oder Läuse, für die beide weiterhin Meldepflicht besteht, ist es völlig selbstverständlich, Infizierte zu isolieren. Da spricht auch niemand von Freiheitsberaubung und Entzug der Grundrechte!

Ideologisch aufgeladene und politisierte Maßnahmendiskussionen, vermittelt durch wissenschaftlich blanke Medienredaktionen, waren der Todesstoß für vernunftgesteuerte, wissenschaftliche Pandemiekämpfung und haben das Fundament entzogen, um auch künftig vernunftgesteuert vorzugehen. Ohne die Fähigkeit zur Selbstreflexion brauchen wir da auch nichts mehr erwarten.

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