Schwierige Zeiten

Bedrohliche Wolken, nicht nur am Horizont, sondern schon mitten über uns.

SARS-CoV2 verschwindet nicht, nur weil radikale Islamisten Anschläge verüben und Rechtsextreme Wahlen gewinnen und sich der ganze Diskurs längst dorthin verschoben hat, wo die Rechten schon seit Jahren die Deutungshoheit haben, weil sie die Medienklaviatur besser zu bespielen wissen. Frustrierend ist, wie einfach es den Rechten gemacht wurde, sich Mehrheiten zu erarbeiten, und dass das nach vielen Jahren immer noch keiner erkennen mag. Wenn weiter links stehende Parteien die Narrative der Rechten übernehmen und deren Forderungen umsetzen, dann legitimiert das rechte Parteien und schwächt sie nicht. Sie wählen dann erst recht weiter rechte Parteien, denn die Strategie ging schließlich auf. Und ohne dass die rechte Partei in der Koalition war, wurde rechte Politik umgesetzt. Auch die Medien spielen bereitwillig mit und setzen ihre abstruse False-Balance-Doktrin, die sie sich in der Pandemie entwickelt haben, fort, und stärken damit die Ränder. In Deutschland treffen sich die Ränder bei zentralen Positionen, in Österreich gibt es auf Bundesebene keinen ernstzunehmenden linken Rand, wodurch der Diskurs ohnehin seit Gründung der Zweiten Republik nach Rechts verschoben ist, die Kreisky-Ära vielleicht ausgenommen, wobei ich da auch an die SPÖ-Minderheitenregierung unter Toleranz der FPÖ denke (und nicht weiter ausführen will, weil ich zu wenig darüber weiß). Die Strategie des Virus hat sich unterdessen nicht geändert. Es mutiert weiter und zwingt zu einer dauerhaften Adaption der Lebensweise. Und alle, die sich nicht anpassen wollen, sondern so leben wollen wie vor der Pandemie, infizieren sich eben wiederholt – freiwillig und unfreiwillig. Gegen hochansteckende Infektionskrankheiten helfen nur bevölkerungsübergreifende Schutzmaßnahmen, da gibt es für Zahnrädchen eines großen Getriebes keine individuellen Lösungen. Das Zahnrädchen kann sich nicht in die andere Richtung drehen, wenn sich das Getriebe in eine Richtung bewegt.

Die WHO wird die Pandemie nicht beenden, epidemiologisch gesehen befinden wir uns im endemischen Stadium auf inakzeptabel hohem Niveau, das heißt, fast alle hatten schon Kontakt mit dem Virus und/oder der Impfung. SARS-CoV2 ist nicht mehr neu, aber mutiert inakzeptabel schnell, sodass sich nur eine kurzlebige Immunität ausbildet. Daher haben wir ständig Viruszirkulation, unabhängig der Jahreszeit. So lässt sich auf Dauer nicht leben und eigentlich müsste auch dem Dümmsten der kontinuierliche Abfall der Lebensqualität auffallen, die die ständigen Krankheitstage verursachen – zumal ja seit Ende aller Schutzmaßnahmen und des Hausverstands auch andere Infektionskrankheiten mit voller Wucht zurückgekehrt sind. 10000 Keuchhustenfälle in 9 Monaten sind nicht nichts. Sommerwellen werden als “jährliche Sommergrippe” heruntergespielt, aber es war eben früher nicht normal, dass so viele während oder nach ihrem Sommerurlaub krank wurden. Ebenso müssten die ständigen Absagen von Kulturveranstaltungen auffallen, weil die Künstler und Musiker erkrankt sind. Auch das war vor der Pandemie in dieser Häufigkeit nicht der Fall. Zu guterletzt auch die teilweise dramatischen Szenen bei großen Sportveranstaltungen und die dauerhaften Rückzüge von Profi-Athleten, aber auch Künstlern, die an Longcovid erkrankt sind. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Für die verbliebene Minderheit an aufgeklärten Menschen, die sich weiterhin schützen wollen, um ihre (Rest-) Gesundheit zu erhalten und die ihrer Angehörigen, brechen schwierige Zeiten an. Nicht nur spielt Öffentliche Gesundheit mit diesem Rechtsruck keine Rolle mehr, sondern es werden auch wesentliche Errungenschaften der letzten Jahrzehnte rückgängig gemacht. Inklusion, Recht auf Selbstbestimmung und Eigenverantwortung wie weiterhin im öffentlichen Raum eine Schutzmaske tragen. Selbst ohne direkte Verbote dürfte das in den Bundesländern, wo Rechtsextreme und Pandemieleugner über ein Drittel der Stimmen kassiert haben, schwierig werden und nicht nur verbale Attacken drohen. In weiterer Folge droht auch eine weitere Einschränkung von Impfstoff-Angeboten, sodass selbst das absolute Minimum, sich gegen Infektionen und Krankheiten zu schützen, wegfällt. Starke Rechte schüchtern auch die Medien ein, beeinflussen die Berichterstattung und sorgen dafür, dass die Health Literacy weiter abnimmt. Ein gruseliges, aber leider sehr realistisches Szenario und letztendlich nur eine Fortsetzung und Akzentuierung der anti-wissenschaftlichen Narrative, die demokratische Regierungsparteien während der Pandemie begonnen haben.

Eine Gegenbewegung kann nur mit einer gewissen Einflussnahme und Reichweite ihre Wirkung entfalten, der Einzelne wird derzeit zermahlen durch den Major Consensus Narrative, die Deutungshoheit der Mehrheit, die deswegen aber nicht zwingend richtig liegt. Daher müht man sich auch oft vergebens ab, wenigstens lokale Schutzmaßnahmen aufrechtzuerhalten, die schon vor der Pandemie gegolten haben, geschweige denn die richtigen Lehren zu ziehen. Die Verdrängung ist übermächtig, und die Desinformation durch Politik und Medien ist zu durchdringend in alle Gesellschaftsschichten, sodass Ignoranz und Egoismus allgemein akzeptiert und legitimiert sind.

Ich weiß dafür keine zufriedenstellende Lösung. Viele schwerkranke Menschen können nicht einfach auswandern, haben hier ihre Wurzeln, ihre sozialen Kontakte, ihre Familien, haben keine Energie mehr, um hier wegzugehen. Sie müssen bleiben, egal, in welche Richtung sich das noch entwickelt. Auf sie darf nicht vergessen werden. Aber sie sind bereits vergessen worden ab dem Zeitpunkt, wo die Pandemie und – irreführenderweise – auch das Virus für beendet erklärt wurden. Praktischerweise sind die schweren Longcovid/MECFS-Fälle im öffentlichen Raum unsichtbar, weil sie haus- oder bettgebunden im dunklen Zimmer liegen, und die leichteren Longcovid-Fälle sind unsichtbar, weil sie ihre Einschränkungen maskieren, um weiterhin arbeiten zu können oder Stigmatisierung und Nachteile befürchten, wenn sie offen darüber reden. Deswegen können Regierung und Mehrheitsgesellschaft auch so gut mit diesem “Nach Corona” leben, weil “Corona” in Form von lebenslangen gesundheitlichen Einschränkungen kaum sichtbar ist – es ist bloß eine weitere, lästige Erkältung, “die sich zu den anderen Erkältungskrankheiten einreiht” (O-Ton Gartlehner, Drosten, Von Laer, Redlberger-Fritz, etc.) und denen nicht weiter Beachtung geschenkt werden müsse, schon gar nicht mehr mit harten Einschränkungen von Grundrechten, denn Graustufen kennt man schon seit Pandemiebeginn nicht. Es braucht erst Satire-Sendungen und einen X-Hashtag #Frauenticket, um endlich jene Aufmerksamkeit für Langzeitfolgen zu generieren, die die Spätfolgen von SARS-CoV2 schon seit über vier Jahren (siehe Absatz ganz unten) verdient haben, und MECFS schon viel länger.

Auffallend ist auch die mangelnde Solidarität unter Wissenschaftlern und Medizinern selbst, denn jene, die sich weiterhin für die Errungenschaften der Öffentlichen Gesundheit einsetzen, werden bedroht und eingeschüchtert, sodass wichtige Gegenstimmen in der zunehmend wissenschafts- und faktenfeindlichen Öffentlichkeit verstummen oder sogar ins Gegenteil umschlagen, wenn WissenschaftlerInnen glauben, sie könnten sich durch Übernahme der falschen Narrative aus der Schusslinie nehmen. Natürlich handelt es sich in Summe um einen frauenfeindlichen Akt, der hier sichtbar wird, denn die Mehrheit der Langzeitbetroffenen sind Frauen, denen dann nicht geglaubt wird, als sei das eine Glaubensfrage und nicht eine medizinischer Fakten und seriöser Anamnese, und die Mehrheit der Bedrohungen trifft ebenfalls Frauen, die sich weiterhin sichtbar mit einer Maske schützen wollen bzw. öffentlich aufklären, und damit zur Zielscheibe misogyner Rechte werden.

Ich lebe jetzt seit zwanzig Jahren in Österreich, bin hier aber nicht wahlberechtigt und muss mich auf auf meine wahlberechtigten Mitmenschen verlassen, am 29. September 2024 das Kreuz an der richtigen Stelle zu setzen. Was ich übrigens überhaupt nicht toleriere, sind Aussagen wie “Lieber geh ich gar nicht wählen als ein kleineres Übel oder einen Kompromiss wählen zu müssen”. Die kommende Wahl ist schon wie die EU-Wahl eine Schicksalswahl für die Demokratie, die weit über die Pandemie und ihre Folgen hinausgeht. Es geht auch um den Klimaschutz, die 2024 in nie dagewesener Form dramatischen Auswirkungen der bisherigen Erderhitzung, und um den notwendigen Beistand zur Ukraine im Kampf gegen den russischen Imperialismus. Die hybride Kriegsführung von Putin ist voll aufgegangen, Ungarn und Slowakei sind bereits gefallen, Teile Ostdeutschlands ebenfalls und Österreich ist zwar neutral, aber würde mit einer FPÖ-Regierung die russische Abhängigkeit und Unterstützung weiter ausbauen statt zurückzufahren. Unter zunehmenden russischem Einfluss kann man sich nicht nur eine lebenswerte Gesundheitspolitik einrexen, sondern auch die verbleibenden Grund- und Menschenrechte, die unter den demokratisch gewählten Parteien noch nicht zurückgestutzt wurden.

Um eine Demokratie muss man immer kämpfen, um eine Diktatur nicht. Viele haben das anscheinend vergessen oder nie gelernt. Vielleicht hat es den gesellschaftlichen Konsens nie gegeben. Vielleicht hat man dem verlorenen Krieg mehr hintergeweint als der erfolgreichen Überwindung des Faschismus. Frieden und Wohlstand haben Nachlässigkeit erzeugt, was die Gefahr politischer Ränder betrifft – das Präventionsparaxodon schlägt nicht nur im Gesundheitsbereich zu.

One thought on “Schwierige Zeiten

  1. Mein Nachbar Kurt ist eines der freundlichsten und hilfsbereitesten Menschen die ich kenne, aber er hatt auch seine exzentrischen Eigenschaften.

    Januar 2020: Das was da in Wuhan gerade abgeht kommt bestimmt nicht zu uns, das ist zu weit weg – ok Kurt, hoffentlich hast du Recht.

    Februar 2020: Also ich finde wir sollten keine Leute aus China reinlassen – tun wir aber Kurt, und nicht nur aus China. Das Virus ist sowieso schon überall. Du bist doch zum Beispiel von der grossen Drehscheibe Dubai und die ganzen glitzernden Springbrunnen und Einkaufszentren dort so begeistert. Da steigen Leute von überall nach überall um.

    September 2024: Also ich war jetzt gerade zwei Wochen auf der Intensivstation. Mann oh mann war das schlimm! Hätt ich nie gedacht, dass da echt so was dahintersteckten könnte. Ich hab mich ja zwangsweise damals impfen lassen, und hatte ja noch zusätzlich schon mindestens vier mal in der Zwischenzeit Corona, wo’s nicht ganz so schlimm war wie dieses mal. Da sind aber die ganzen illegalen Einwanderer drann schuld. Kennen halt keine Hygiene wie es bei uns üblich ist, und verbreiten viel gefährlichere Varianten als die, die wir sonst bei uns kennen. Ach so übrigens. Ich hatte im Krankenhaus mal ein bischen Zeit über die Klimaerwärmung von der du so oft redest im Internet zu recherchieren und muss zugeben, du hattest sogar zum Teil Recht. Aber nur zum Teil! Es gab tatsächlich vor einigen Jahren mal eine Klimaerwärmung, aber seit 2017 kühlt die Erde schon wieder ab, also brauchen wir uns keine Gedanken mehr drumm zu machen. Juhu! Ist ne super Webseite, kann ich dir gerne mal zeigen – nein danke Kurt, aber weiterhin gute Besserung.

    (Ok, mein Nachbar heisst nicht Kurt, und hatt nicht alles so gesagt wie ich es hier schildere. Aber ich habe das Gefühl ihn und leider auch schlimmeres täglich zu begegnen)

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