Wie soll ich mit der Vergangenheit umgehen?

Manchmal fühlt man sich ertappt.

Rückblickend bin ich nicht mit allen Blogeinträgen glücklich, die ich die letzten Jahre geschrieben habe. Was mir im Moment des Schreibens richtig erschien, ist mir heute teilweise unangenehm, teils schäme ich mich für geäußerte Vorwürfe und Unterstellungen – insbesondere PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen gegenüber, aber auch bei JournalistInnen war ich nicht immer zimperlich im Tonfall. Ich ließ mich anstacheln und aufstacheln, aber ich bin ein erwachsener Mensch und selbst verantwortlich für mein Handeln.

Short cut:

Ich hab hier in epischer Breite gebloggt, auch Aussagen getroffen, zu denen ich heute nicht mehr stehe. Soll ich ganze Blogtexte entfernen, einzelne Passagen entfernen oder sie mit einem Kommentar versehen? Ich kann es im Prinzip beantworten, da ich einzelne Blogeinträge bereits entfernt habe. Schließlich soll der Blog kein Archiv für Desinformation sein. Aus Zeitgründen schaff ich es leider kaum, jeden einzelnen Beitrag nochmal auf Herz und Nieren zu überprüfen. In der Wissenschaft ist es übrigens normal, dass man mit fortschreitender Erkenntnis Meinungen ändert und anpasst. Manchmal müssen eingereichte Fachartikel auch zurückgezogen werden, etwa weil es gravierende Methodik- oder Datenmängel gibt.

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Stellungnahme zu diversen Vorwürfen

Es ist schwierig auf Vorwürfe und Unterstellungen zu reagieren, wenn man nicht mehr auf der Plattform ist oder geblockt wurde. In den letzten Monaten musste ich mir einiges gefallen lassen, etwa, dass ich zu bequem sei, andere zu schützen, dass ich nicht mehr Covid-vorsichtig sei, dass ich Infekte jetzt gut finden würde, dass ich nur aus sozialem Druck keine Maßnahmen mehr mittragen würde und unter anderen beruflichen Voraussetzungen weiterhin Teil von TeamVorsicht sei, oder dass ich LC nicht mehr für ein Problem hielte, weil ein Freund mit LC wieder gesund wurde. Mein Original-Beitrag hier wurde als “kontraproduktiv” empfunden und ich würde den vorsichtigen Menschen einen Bärendienst erweisen. Mehrmals hörte ich auch, ich solle meinen “Sinneswandel” gefälligst für mich behalten, was ich ehrlich gesagt für übergriffig und auch undankbar empfinde.

Denn meinen missionarischen Eifer, über die Pandemie und ihre Folgen aufzuklären, obwohl ich weder einen medizinischen noch biologischen Fachhintergrund habe, und dass ich viele Jahre meiner Freizeit dafür verwendet habe, aufklärerisch unterwegs zu sein, und mein eigenes Wohlbefinden, meinen Job und Wohnungssuche hintangestellt habe, und dabei mehrfach nahe dran war, meinen Job aufs Spiel zu setzen, – das hat man wohlwollend genommen und geflissentlich übersehen, dass darunter auch fehlerhafte Informationen waren – eben schlicht wegen dem mangelnden Hintergrund und dem Setzen auf Pseudoexperten, die es nicht nur unter Pandemieleugnern gibt. Außenstehende haben bisweilen zurecht Zweifel gehabt, “einem Meteorologen” Glauben zu schenken – speziell nach dem Jahr 2022, als die Schutzmaßnahmen schrittweise aufgehoben wurden. Ich möchte daran erinnern, wie ich vor der riesigen XBB.1.16-Welle gewarnt hatte, die dann vollständig ausblieb – was niemanden überraschte von den echten ExpertInnen.

Mein Blog begann hier als therapeutisches Verarbeitungsinstrument, um die ersten Wochen der Pandemie mental bewältigen zu können. Das hab ich öffentlich gemacht, ein privates Tagebuch hätte auch gereicht. Der innere Drang und die Neugier, daraus eine wissenschaftliche Begleitung der Pandemie zu machen, gewürzt mit einer gehörigen Portion Aktivismus, kam erst später und hat sich dann verselbständigt. Bis 2022 hatte ich eine ordentliche Reichweite aufgebaut und zunehmend Kontakte zu diversen, meist seriösen WissenschaftlerInnen. Daraus hab ich die Legimitation gezogen, den Blog weiterzuführen und zahlreiche Themen rund um die Pandemie anzusprechen. Mit dem politischen Ende der Pandemie 2023 haben aber immer mehr meiner Wissenschaftlerkontakte begonnen, sich wieder ihrem daily business zuzuwenden. Viele schrieben jetzt von der postpandemischen Zeit, während es für große Teile von TeamVorsicht “mitten” in der Pandemie war. Diese kognitive Dissonanz ist über die letzten Jahre immer weiter gewachsen – wie konnten ausgerechnet jene ExpertInnen, von denen ich großteils meine Infos bezog, behaupten, dass die Pandemie hinter uns lag und auf öffentlichen Veranstaltungen keine Maske mehr tragen? Ich bemerkte, wie diese ExpertInnen zunehmend aggressiv angegangen und diffamiert wurden, und das ließ mich nachdenklich werden – denn ad hominem-Angriffe kannte ich bisher nur von der Leugnerseite.

Aktuell bin ich in einer Übergangsphase angekommen: Im Alltag ist die Pandemie lange Vergangenheit. Die mediale und politische Aufarbeitung sehe ich weiterhin mit großer Sorge, dass die falschen Lehren gezogen werden. Die Wissenschaftscommunity schreibt kaum noch über neue Erkenntnisse, zu präsent sind die gravierenden Umwälzungen durch das Trump-Regime in den USA, gleichzeitig ist die Viruszirkulation niedrig und Spitalsaufenthalte betreffen meist ältere Menschen, die sich zuhause nicht mehr versorgen können und vorsorglich eingeliefert werden. Ich bin nicht ganz vom Schuss, habe meine Listen und informiere mich regelmäßig über den Status der Virusvarianten-Evolution. Ich war bisher auch noch alle halbe Jahre impfen und meines Wissens kein einziges Mal symptomatisch infiziert, bei unklaren Symptomen teste ich. Das auch zum Vorwurf, ich würde auf jeden Schutz pfeifen und andere anstecken. Ja, ein Freund hatte eine unerkannte Lungenembolie durch Covid und wurde dank Blutverdünner wieder gesund, aber ich habe andere Bekannte und Freunde, die nicht mehr gesund wurden und ich sehe die Betroffenen mit MECFS – man muss schon sehr selektiv lesen, um daraus zu konstruieren, ich würde Long Covid für kein Problem mehr halten.

In anderen Punkten, was die Vermeidung aller respiratorischer Infektionen für immer und ewig betrifft, bin ich skeptischer geworden, ebenso meinen Umgang damit und meine Äußerungen dazu auf Social Media und am Blog. Ich hab mir vor zwei Jahren mit großer Selbstsicherheit den Janeway gekauft, ein großes Fachbuch über Immunologie, musste dann aber kleinlaut schon bei der Einleitung aufgeben, denn ich verstand nichts davon – dafür studiert man Biologie und spezialisiert sich auf Immunologie oder Virologie, und dann versteht man etwas davon. Wie sollte jemand, der nicht über die Einleitung hinauskommt, anderen erklären können, wie schädlich respiratorische Infektionen (allgemein) wirklich waren oder reihenweise Fachartikel zitieren, ohne Methodik und Limitationen tiefer verstehen zu können?

Ich weiß, was jetzt kommt: Diese Form der Selbstkasteiung mag peinlich beschämen – sich so in Selbstzweifel zu ziehen, aber ich nenne es eine reife Form der Selbstreflexion und auch eine gewisse Demut vor dem studierten Wissen Dritter – ein bisschen googeln (OSINT), anonyme Pseudoexperten auf Social Media lesen und selbst Fachartikel überfliegen reicht nicht, um etwa in Immunologie bestehen zu können. Damit wird nicht alles falsch, was ich die letzten Jahre geschrieben habe. Ich hab übrigens meinen Blogtext, welche Lehren aus der Pandemie gezogen werden sollten, immer noch nicht abgeschlossen – der würde viel Wind, ich hätte mich komplett gedreht, aus den Segeln nehmen.

Abschließend lautet mein Appell, sich durchaus öfter selbst zu hinterfragen und nicht dem Confirmation Bias auf den Leim zu gehen. Diese Form der statistischen Verzerrung ist die gefährlichste durch Social Media und gilt für alle Themen, mit denen man sich intensiv beschäftigt. Ich könnte das wieder weitreichend ausführen und erläutern, weshalb ich die Vorwürfe für ungerechtfertigt empfinde und es mich ebenfalls verletzt, ich würde hier scheinbar grundlos die Seite gewechselt haben, aber ich lass das jetzt. Mir war und ist immer wichtig, mein eigenes Handeln begründen zu können – etwas nach bestem Wissen und Gewissen zu tun. Daran hat sich nichts geändert – ich bin jetzt wieder etwas klüger geworden als vor einigen Jahren. Letztendlich waren unsere gemeinsamen Berührungspunkte der Umgang mit der akuten Pandemiebedrohung und jetzt trennen sich unsere Wege wieder, außer man hat weitere gemeinsame Interessen.

Zuletzt möchte ich daran erinnern, dass ich die letzten Monate trotz schwindender gehaltvoller Infos auf Social Media weiterhin über die aktuelle Viruslage aufgeklärt gehabe, und somit auch Gelegenheit gab, sich um Boosterimpfungen rechtzeitig zu kümmern – statt rein auf die öffentliche “im Herbst impfen”-Strategie zu setzen.

PS: Und weil viele, die mich rein virtuell kennen und offenbar wenig von meiner Lebensrealität wissen, nun geäußert haben, sie seien enttäuscht, schockiert, entsetzt von meinen Aussagen – was glaubt ihr, wie es die letzten Jahre den Menschen ging, die mich persönlich kannten und kennen, und ich jeden, der sich räuspern oder husten musste, mit finsterer Miene angeschaut habe, als wolle er mich absichtlich umbringen? Und ich selbst Leute, die immer Maske trugen, aber ständig unterwegs waren, als unsolidarisch abwertete? Ich merke bis heute die Kluft im realen Leben, und das sind nun mal die Menschen, mit denen ich täglich zu tun habe, und die sich mit etwas Abstand betrachtet überwiegend vernünftig verhalten haben..