Covid und Social Media: Eine destruktive Beziehung

“Audience capture is a disease” sagte jemand über den britischen Krankenschwesterausbilder Dr. John Campbell, der anfänglich einen informativen Podcast zu Covid hatte und die allerersten Studien und Daten v.a. aus UK dazu für ein Laienpublikum erklärte. Von Beginn an war er allerdings schon sehr auf die angebliche Wirksamkeit von Vitamin-D zur Vorbeugung und Behandlung von Covid-19 fixiert. Im Laufe des Podcasts wurde er immer populärer und zog eine breite Followerschaft an. Er ließ Zuhörer zu Wort kommen wie bei einer Talkshow und es wurde immer mehr Blablabla daraus. Damit hat er mich dann verloren und außerdem war der NDR-Podcast von Virologe Drosten viel gehaltvoller. Später wechselte er zur “anderen Seite” und behauptete, die Zahl der Covid-Toten sei übertrieben worden, er machte falsche Aussagen zu Ivermectin als Covid-Medikament und irreführende Aussagen zur Sicherheit von Covid-Impfstoffen. Außerdem zog er Parallelen zwischen dem Ausbruch der Affenpocken 2022 und Covid, indem er einen Laborunfall nahelegte (sehr ausführlich mit vielen Quellen auf Wikipedia).

Audience capture” hat viele User auf Twitter, später Bluesky, befallen, die mutige Aussagen gegen den Strom treffen. Dagegen spricht grundsätzlich nichts, wenn man seine Aussagen gut begründen kann, und zwar so, dass es jedermann nachvollziehen kann. Aussagen wie “es gibt Schäden nach jeder Infektion, sie sind nur unsichtbar.” sind nicht nachvollziehbar und erinnern an die Homöopathie, wo ein zig verdünntes Nichts eine Wirkung haben soll. “MIR hat es aber geholfen” ist das Totschlagargument, da fährt dann die Eisenbahn darüber. Genau deswegen gibt es objektivierende Studien, um das subjektive Anekdotenelement zu eliminieren, um statistisch signifikante Aussagen treffen zu können über Korrelation und Kausalität. Hat es wirklich geholfen oder war es der Placebo-Effekt? Stammen die Schäden wirklich von einer unbemerkten Covid-Infektion oder einer anderen Erkrankung?

Ich bin immer noch in der Aufarbeitungsphase der Pandemie und kann vorweg sagen, dass dazu noch einige selbstkritische Beiträge erscheinen werden. Das mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass ich Bluesky weiterhin nutze und mein Account durch Covid-Infos erst richtig populär wurde. Über 8000 Follower hatte ich auf Twitter, bevor ich den Account unter Musk kübelte. Meine Blogtexte wurden immer länger (und waren seit jeher viel zu lang, was befreundete Journalisten auch gut gemeint kritisierten) und ich stellte die ein oder andere steile These auf bzw. übersetzte sie ohne kritischen Blick direkt ins Deutsche. Die Audience Capture Disease erfasste letztendlich auch mich und wurde dadurch verstärkt, dass mich FollowerInnen als “Institution” oder gar “Experte” der Pandemie überhöhten. Das ist mir nicht das erste Mal in meiner langjährigen Social Media/Forumskarriere passiert, wie ich eingestehen muss. Es war nur schon zu lange her und die Isolation während der Pandemie hat diese Dynamik befeuert, ohne darauf hingewiesen zu werden. Das stimmt wohl so auch nicht ganz, denn ich wurde sicher mehrfach darauf hingewiesen, habe es aber ignoriert oder Accounts geblockt.

Für all jene Leserinnen und Leser, die glauben, dass SARS-CoV2 airborne HIV sei und eine dauerhafte Immunschwäche auslösen würde, kann ich nur sagen: Diese Behauptung ist unwahr und erweist all jenen, die um Aufklärung über Covid, Impfstoffe, Long Covid und Prävention bemüht sind, einen Bärendienst. Sie ist nicht nur sachlich falsch, sondern auch schädlich und kann letztendlich Menschenleben kosten, weil sie das Vertrauen in wissenschaftliche Instutitionen und Ärzte untergräbt, aber auch in die Impfung als echter Gamechanger in die Pandemie. Impfstoffe machen für viele gefährdete Personen buchstäblich den Unterschied zwischen Leben und Tod – bis heute profitieren sie davon, und damit auch das Gesundheitswesen. Gerade während der Grippezeit hilft eine hohe Durchimpfungsrate der drei schwersten respiratorischen Virenerkrankungen (Influenza, Covid, RSV), die Belastung im Gesundheitswesen zu senken und damit die Behandlung anderer, mitunter ebenso schwerwiegender Erkrankung zu ermöglichen. Wiederholt las und ich lese ich, dass airborne AIDS Anhänger behaupten, dass die Impfstoffe Infektion und Übertragung nicht wesentlich reduzieren würden. Dabei macht eine regelmäßige Auffrischung wirklich einen Unterschied. Wenn man seinen individuellen Nutzen einmal hintan stellt, dann bedeutet es auch auf Gemeinschaftsebene einen signifikanten Nutzen. Dieser wird aber durch Aussagen wie “die Impfung hat die Pandemie nicht beendet” oder “die Impfung reicht zur Kontrolle von SARS-CoV2 nicht aus” konterkarikiert.

Manche airborne AIDS Anhänger glauben, dieser Vergleich sei legitim, weil man damit auf Long Covid aufmerksam machen würde und dieses nur durch totale Prävention wie in der Pandemiephase verhindern könn. Diese Agenda schädigt aber die Long Covid-Betroffenen selbst, weil sie niemand mit solchen an den Haaren herbeigezogenen Aussagen ernstnimmt. Laien lesen “dysregulation“, “immune exhaustion” oder “T cell exhaustion” und interpretieren daraus “Das Immunsystem wird geschwächt”.

Es ist unwissenschaftlich, seine Meinung mit Artikel-Schlagzeilen zu begründen, ohne den Artikel gelesen und verstanden zu haben. Das ist erst vor wenigen Wochen mit Elisa Perego passiert, eine der ersten Long Covid-Betroffenen der Pandemie, die den Begriff Long Covid daraufhin geprägt hat. In dem Schlagabtausch auf Bluesky wurde leider klar, dass Perego von den Überschriften her ins Narrativ passende Artikel zitierte, ihren Inhalt aber offensichtlich nicht verstanden hatte. Das hat mich zugegeben ein wenig schockiert und stellt für mich “patient-led research” (Forschung unter Beteiligung von Patienten) zwar nicht in Frage, aber man sollte eben genau hinschauen, ob nicht die eigene Betroffenheit den objektiven Blick mitunter verstellen kann. Womöglich macht es dabei einen Unterschied, ob man das Spezialgebiet der eigenen Erkrankung studiert hat oder als Quereinsteiger – sie kommt aus der Archäologie – hinzustößt und sich methodische Grundlagen (z.B. Immunologie oder Statistik) selbst beibringen muss. Perego verstand die Kritik an ihren Aussagen nicht und teilte den umstrittenen Artikel über angebliche “t cell exhaustion” danach erneut. Es ist keine Schande zugegeben, sich geirrt zu haben. Irren ist menschlich! Das kann jedem passieren kann, auch den Experten. Einige Virologen waren etwa überrascht, dass Covid so schnell zu mutieren begann, andere sahen Hinweise auf ein Ende der Pandemie und mussten sich später korrigieren. Sie taten es zumindest! Auch das ist übrigens Teil seriöser Wissenschaft – auf Basis neuer Daten und Erkenntnisse Meinungen und Theorien zu korrigieren. Nichts anderes tue ich seit einigen Monaten hier am Blog. Wobei diese Daten und Erkenntnisse dabei oft nicht einmal neu sind – ich habe sie nur jahrelang ignoriert, weil sie nicht in mein Narrativ gepasst haben.

Doch wozu führt das, wenn man auf seiner Meinung beharrt und Wissenschaftler diskrediert, die das anders sehen oder persönlich angreift? Welche persönlichen Auswirkungen diese Art von Aktivismus hat, habe ich sehr ausführlich hier beschrieben. Es hat aber sonst auch die Folge, dass man nicht mehr ernstgenommen wird. Ich kann nicht zählen, wie viele Wissenschaftler, Ärzte und Politiker mich auf X geblockt haben, teilweise wohl zurecht, weil ich nicht akzeptieren wollte, dass der Ausnahmezustand vorbei war. Heute bedaure ich meine rüde Umgangsweise – denn manchmal hatte und hätte ich Fragen, die ich nun nicht mehr stellen kann. In meinem persönlichen Rückblick habe ich auch geschrieben, dass man selbst zu kompetenten Personen für andere Lebensbereiche Vertrauen verliert, weil sie etwa keine Maske getragen haben, obwohl das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Das unterminiert etwa die Bewältigung eigener Krisen und man schadet damit nur sich selbst. Im Hintergrund mag ich bejubelt worden sein für meine Standhaftigkeit, mit Likes und Retweets, doch was hatte ich davon im Alltag? Nichts.

Es untergräbt nicht nur die Bemühungen, über Long Covid aufzuklären, sondern auch über Prävention. Für Gesundheitsprävention gibt es viele gute Gründe, neben dem Aspekt der Infektionsvermeidung auch der Nutzen sauberer Luft und niedriger CO2-Werte an sich – wobei letzteres eben nur durch Frischluftzufuhr geht. Luftreiniger sind eine Notlösung und in staubigen Räumen ersetzen sie regelmäßiges Putzen nicht. Wenn man nun mit airborne AIDS argumentiert und eine totale Infektionsvermeidung fordert, dann verschiebt man die Torpfosten (PLURV) zu einem Ziel, das unerreichbar ist. Es ist nicht erreichbar, dass sich niemand mehr infiziert und alle geschützt werden können. In einer Pandemie sollte man darauf hinarbeiten und mit Abstrichen leben (so war die ZeroCovid-Strategie in Asien), aber außerhalb der Pandemie kann man noch so gut für Frischluftzufuhr in öffentlichen Einrichtungen sorgen, aber Infektionen geschehen weiterhin im Privatleben, mit Covid und mit anderen Erregern, die evolutionär darauf abgestellt sind, effektiv zu mutieren, dass sie sich über uns weiter verbreiten und wieder mutieren können.

Ich habe vor etwa 2 Jahren einen Artikel über kognitive Dissonanz von Mike Hoerger ersetzt, der sich auch ziemlich als Covid-Doomer entlarvt hat durch Manipulation und Fehlinterpretation epidemiologischer Grafiken. Es ist aber nicht kognitiv dissonant, in den Öffis Maske zu tragen und ins Wirtshaus zu gehen. Es ist als Risikoreduktion gedacht, nicht zur vollständigen Vermeidung von Infektionen – sonst dürfte man eben nie mehr ins Wirtshaus gehen. Warum ist es mir wichtig, dorthin zu gehen? Um Sozialkontakte zu haben. Das gehört zur Gesundheit dazu. Deswegen war die Pandemie für ältere Menschen so schwer erträglich, monatelang nicht ins zentrale Wirtshaus gehen zu können. Oder die Isolation in Alten- und Pflegeheimen. Deswegen haben viele ältere Menschen rasch wieder begonnen, “in die Normalität zurückzukehren”, auch zu einem Zeitpunkt, wo es noch unvernünftig war, aber soziale Gesundheit eben zur Gesundheit dazu zählt, speziell wenn das Ende des Lebens und Lebensqualität absehbar ist und man diese Zeit noch nutzen wollte. Aber es könnte auch sein, dass man durch die Maske eine Infektion in den Öffis verhindert hat, weil gerade nebenan ein sichtlich Kranker hustete und nieste, während beim Wirtshausbesuch niemand krank oder ansteckend war. Wir wurden damals auch nicht nach jeder Indoorfeier krank.

Addendum: Die hier geleistete Kritik am Blog an der Politik, an Medien und Public-Health-Kommunikation in Österreich steht weiterhin. Durch all das, was ich hier schrieb und vorher schrieb, wird diese nicht obsolet. Dass ein schwerwiegendes Versagen vorliegt, erkennt man an den schwindenden Impfraten für alle Erkrankungen seit der Pandemie. Da ging grundsätzliches Vertrauen verloren und führt zur Rückkehr von verschwunden geglaubten Erkrankungen (Masern, Diptherie, Keuchhusten, deutliche Zunahme von Hepatitis B, Polio, etc.).

Es wird auch recht oft behauptet, die Awareness krank zuhause zu bleiben, sei gestiegen. Das ist ein Zweiklassenproblem, wie es seit Beginn der Pandemie vorliegt. Nur jene mit Homeoffice oder sehr kulantem Arbeitgeber können es sich leisten, bei den ersten Krankheitsanzeichen zuhause zu bleiben. Für die Mehrheit des Arbeitsvolks in prekären Verhältnissen mit Präsenzpflicht ist das weiterhin nicht möglich und kann zur Kündigung führen oder die Karriere verbauen.

Oh, ich könnte darüber auch sehr viel schreiben, aber ich hab die Zeit dafür nicht mehr – das verlangt viel Recherche, und das kann ich neben dem Job nicht mehr leisten.

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