Widersprüche tolerieren lernen – meine Lehre aus der Pandemie

Die Pandemie hat zweifellos einen tiefen Riss in der Gesellschaft hinterlassen. Vielfach verläuft er mitten durch Familien und Freundeskreise. Meist wird über die Pandemie nicht mehr gesprochen. Manche testen bis heute nicht, andere sagen bis heute Bescheid, wenn es sie erwischt hat und sie zuvor Sozialkontakte hatten. Wieder andere isolieren sich von der eigenen Familie, tragen Maske, lüften viel, verwenden Luftreiniger.

Viele Familien haben sich damals an den Streitfragen gespalten: Erscheint man beim Weihnachtsfest mit oder ohne Maske? Hält man sich an die Regeln oder setzt man sich über manche hinweg, weil sie einen nicht zu betreffen scheinen? Das hat für viel Ärger, Frust und Leid gesorgt (Historikerin Ute Frevert in der TAZ, 28.12.25)

Die Pandemie war eine gesamtgesellschaftliche Krise, deren Folgen bis heute nicht überwunden wurden. Das Virus ist selbstverständlich nicht Geschichte und es wäre mehr Prävention möglich, angefangen von krank nicht unter Leute gehen bis hin zu mehr politischen Willen für Impfaufklärung und -kampagnen. Viele Viren abseits von Covid sind weit weniger ansteckend. Maske während epidemischer Wellen sinnvoll, sonst nicht unbedingt notwendig. Im Vergleich zum Vorjahr sehe ich jetzt quer durch alle Altersgruppen mehr Maskenträger in den Öffis. Eine gewisse Gedankenlosigkeit sieht man weiterhin, umgekehrt habe ich schon länger keine blöde Bemerkung bekommen. Das dazu.

Für mich war das Jahr 2025 ein “eye opener” – ein Verlust an Gruppenzugehörigkeit, aber zugleich ein Gewinn an Lebensqualität. Es hat lange gebraucht, aus der “ZeroCovid-Sekte” herauszukommen, aber ich bereue es nicht, diesen Schritt gesetzt zu haben. Es ist übrigens kein Widerspruch, sich von Fanatismus zu distanzieren und gleichzeitig Empathie für Betroffene von Langzeitfolgen zu empfinden und mehr Bewusstsein schaffen zu wollen.

Sauberes Handwerk gilt auch im Bürgerjournalismus

Ich habe mir zu Beginn der Pandemie nicht gerade leise auf die Fahnen geschrieben, dass ich eine naturwissenschaftliche Vorbildung habe. Wissenschaft bedeutet für mich ein hinreichendes Maß an Objektivität und “bottom-up” approach, das heißt, Daten sichten und daraus Schlussfolgerungen ableiten, und nicht “top-down” – von einer Hypothese ausgehen und dafür Beweise finden. Ich habe mehrfach PLURV zitiert, also Desinformations-Strategien, erstmals erwähnt in einem Podcast des Virologen Drosten. PLURV gab es aber nicht nur bei Impfgegnern und Coronaleugnern. PLURV bedeutet auch, alles, was der eigenen Hypothese widerspricht – erweitert gedacht – der Gruppenidentität – zu ignorieren, kleinzureden. Das Ergebnis ist Rosinen picken. Ich kann das nicht bei anderen kritisieren, wenn ich es selbst tue. Solche Widersprüche fielen mir zunehmend auf.

Der Chemiker und Wissenschaftsjournalist Lars Fischer, von dem ich immer viel gehalten habe, schrieb zum Thema Journalismus heute auf Bluesky folgendes:

Wenn du ordentlichen Journalismus machst, ist deine politische Meinung übrigens ziemlich egal, weil’s im Journalismus nicht um deine verdammte Meinung geht, sondern um sauberes Handwerk. Nein, deine Privatmeinung ist kein Journalismus, auch wenn du es “Debatte” oder “Kommentar” nennst.

Das trifft auch auf Bürgerjournalismus zu. Der Übergang in Aktivismus ist naturgemäß fließend, und das ist auch nicht verwerflich. Problematisch wird es immer dann, wenn man sich auf einseitige Daten stützt, also nicht mehr objektiv argumentiert. “TeamWissenschaft” war ab dem Zeitpunkt nicht mehr wissenschaftlich unterwegs, sondern aktivistisch. DerStandard hat mich damals abgelehnt, zu interviewen, weil mein Blog zu aktivistisch war (wörtliche Begründung). Damals hab ich das nicht verstehen wollen, heute denk ich, dass sie Recht hatten. Ich war schon mehr ein politischer Meinungsmacher als Erich Neuwirth und Alex Brosch, die einfach nur Daten visualisierten und damit die Lücke füllten, welche die schlecht aufgestellte AGES/Gesundheitsministerium hinterlassen hatten. Sauberes Handwerk war wichtig und der Ton macht dabei die Musik. Das ändert nichts an der inhaltlichen Kritik am Journalismus in der Pandemie und wie Pandemierevisionismus später zu sehr in den Vordergrund gerückt wurde – Artikel wie oben in der TAZ sind eher selten im dt.-sprachigen Raum. Dabei wäre weniger “Pseudowissenschaft” dringend notwendig – in jede Richtung. Eine starke Leseempfehlung für den Blogtext von Dr. Andrea Love darüber, wie man Desinformation am besten bekämpfen kann – auch im Familien- und Freundeskreis.

Widersprüche im Menschen aushalten lernen

Darf man Menschen nett finden, deren Einstellung zur Pandemie man zum Kotzen fand? Welche rote Grenzen zieht man? Ich habe mir diese Fragen heuer öfter gestellt. In der Pandemie zog ich die Linie sehr strikt und erklärte jeden zum Feind, der nicht streng alle Regeln befolgt hat. Da ging es nicht einmal um die offiziellen Regeln, sondern um jene von “#TeamWissenschaft”. Einen Hashtag kann sich jeder ins Profil klatschen, deswegen ist es keine homogene Gruppe. Doch #TeamWissenschaft liegte die moralische Messlatte sehr sehr hoch und wertete alle ab, die diese nicht erreichen konnten oder wollten. Das ging weit über “asoziales Verhalten” hinaus! Rückblickend war eben nicht jeder Mensch, der husten oder niesen musste, automatisch krank und ansteckend und wusste davon und hat mutwillig andere gefährdet. Diese von mir getroffene Annahme wurde mehrfach widerlegt. Im Gegenteil erwies sich die Mehrheit als rücksichtsvoll und natürlich habe ich selbst mehrfach nicht wahrhaben wollen, dass mein vermeintlicher Reflux schon das Halsweh-Symptom eines beginnenden respiratorischen Infekts war! Bei anderen war es eben die vermeintliche Allergie oder der Staub in der Luft. Wenn man sich sonst noch gesund fühlt, denkt man einfach nicht daran. Das ist menschlich und nicht egoistisch. Viren setzen auf dieses Unbewusstsein. Deshalb gab es die Pandemie durch SARS-CoV2, während Influenza eine sehr kurze Inkubationszeit hat und meist ein rasches, starkes Krankheitsgefühl hervorruft. Ich kann bis heute Reflux-Halsweh nicht von respiratorischen Infekthalsweh unterscheiden, werde aber aus Schaden klüger und teste früher auf Covid.

Nennen wir es Gruppe A. Vor der Pandemie kam ich mit allen Mitgliedern von A gut aus. Natürlich gibt es politische Differenzen, aber entweder spart man das Thema aus oder man toleriert die Differenzen, aber versteht sich sonst gut. In der Pandemie zeigte sich ein sehr unterschiedlicher Umgang innerhalb A mit der Ausnahmesituation, mit der Akzeptanz von Regeln und gesundem Menschenverstand. Gerade mit sehr sympathischen Mitgliedern rasselte ich regelmäßig zusammen, da ich meine strikte Meinung hatte und diese – vermeintlich – auf Fakten aufbaute. Viele Fakten in der Frühphase der Pandemie waren aber preliminary data, vorläufige Fakten also, die sich wieder ändern konnten mit breiterer Erforschung, die zumindest einer vorsichtigen Ausdrucksweise bedurften und einer Differenzierung. Im Verlauf der Pandemie blieb ich strikt und monothematisch, während in der Gruppe A viele Themen aufkamen. Mein Absolutismus stieß zunehmend sauer auf und ich machte mir damit keine Freunde. Zwar auch keine Feinde, aber ich spürte eine zunehmende Distanzierung, die bis heute anhält.

Lange Zeit störte mich diese Entfremdung kaum – ich hatte ja Recht und war #TeamWissenschaft. Gruppenidentität war wichtiger als persönliche Kontakte. Wenn ich dann doch mal Leute persönlich traf ohne Vorkehrungen, schrieb ich nicht groß darüber. Schrieb ich doch darüber, kam oft Verwunderung bis Ablehnung. Es verstieß gegen die Prinzipien von #TeamWissenschaft. Nachdem ich Mitte 2023 an eine Person geriet, die den Fanatismus auf die Spitze trieb und mich gegen andere regelrecht aufhetzte, erkannte ich meinen grundlegenden Irrtum und legte den Rückwärtsgang ein. Virtuelle Kontakte und Gruppenidentität waren eben kein Ersatz für zwischenmenschliche Bedürfnisse. Ich bin ohnehin oft alleine und war zunehmend einsam in der Spätphase der Pandemie, als sich viele von mir abwendeten. Manche blockten mich oder schalteten mich stumm, weil ich zu viel über Covid schrieb. Darunter auch Menschen, die ich mochte, auch Menschen, die mich sonst sympathisch fanden, aber das nicht aushalten konnten. Ich kann das verstehen. Ich war schon immer ein Vielschreiber und bin es heute noch. Das kann nerven. Ich nehme meine eigene Stummschaltung nicht krumm.

Die zentrale Erkenntnis, die ich auch in meinem englischen Text vor einem Monat mehrfach zum Ausdruck brachte, war, dass Gesundheit auch soziale Gesundheit bedeutet, nicht nur die Abwesenheit von Covid. Das haben rückblickend betrachtet viele immunsupprimierte Bekannte viel früher erkannt und umgesetzt als ich als sonst gesunder, immunkompetenter Mensch. Sie trafen zwar ihre Vorkehrungen, waren in ärztlicher Behandlung (etwa monoklonale Antikörper), aber gingen trotzdem unter Leute, sperrten sich nicht ein. Sie lebten ein wenig Normalität weiter, während ich im dauerhaften Ausnahmezustand war und glaubte, ich müsste Immunsupprimierte eine öffentliche Stimme geben und in Watte packen. Dabei wollten viele das gar nicht! Jedenfalls nicht im direkten Bekanntenkreis. Falsch verstandener Paternalismus also.

Ich möchte auch ein konkretes Beispiel geben, weshalb mich mein eigenes damaliges Verhalten heute noch so belastet. Morgen geht ein in der Gruppe A sehr beliebter Kollege in Pension. Ich kam mit ihm bis zur Pandemie sehr gut klar, machte mir zu Beginn aufgrund seiner USA-Reise noch Sorgen, dass er gut zurückkam. Er war ja schon älter und kratzte an der alterstypischen Risikogruppe. Doch selbst nahm er alles locker und in meinen Augen bald zu locker und befolgte nur das, was absolut notwendig war. Über Jahre hinweg hatte ich meine Probleme mit seinem Verhalten und regte mich furchtbar darüber auf. Er war zwar nie krank im Dienst, aber es widersprach allen Prinzipien meiner Gruppenidentität, die ich glaubte, auch in der Gruppe A hochhalten zu müssen. Ich hielt es gar nicht aus, als er sagte, dass China ZeroCovid auch irgendwann beenden musste und die Maßnahmen dort auch fallen würden wie sonst überall. Zurück zur Normalität eben. Ich war noch 2022/2023 überzeugt, dass es Zero Covid brauchen würde – also anhaltende, dauerhafte Maßnahmen. Ich konnte das in diesem engen ideologischen Korsett nicht sehen, dass die Pandemie zu Ende gehen würde, dass die Immunität innerhalb der Bevölkerung weiter zunimmt und schwere Krankheitsfolgen immer weniger werden. Dann griff er mir während einer Übergabe noch scherzhaft an die Maske, er meinte es nicht böse, und war seit jeher bekannt für seinen Redefluss. Ich legte es als Mobbing aus und versteifte mich darauf, verzichtete aber zum Glück auf eine Meldung. Ich stellte auch bald fest, dass die anderen das eher locker nahmen. Ein privater Feldzug hätte viel böses Blut gemacht und Null Verständnis innerhalb Gruppe A.

Als ich letztes Jahr wieder vermehrt begann, auf gesellschaftliche Anlässe (Bier trinken) zu gehen, merkte ich schmerzhaft, wie viel ich verpasst hatte an Sozialleben. Während sich bei anderen der Gruppe A Bekanntschaften und Freundschaften vertieften, stand ich im Abseits. Ich kam auch mit dem Kollegen wieder gut aus und das unsichtbare Band zwischen uns wurde brüchiger. Die letzten Wochen vor seiner Pensionierung hatte ich große Schuldgefühle, wie ich über Jahre über ihn gedacht habe. Ich war die Abrissbirne meiner sozialen Beziehungen. Die erlangte Gruppenzugehörigkeit zu einer fanatischen Auslegung, sich vor allen übertragbaren Krankheiten schützen zu müssen, brachte keine dauerhaften Kontakte hervor, schon gar nicht persönliche Kontakte. Stattdessen bewertete man innerhalb der Gruppe ständig das Verhalten seiner Mitmenschen und wertete diese ab. Menschen als Infektionsquellen, nicht mehr als soziale Wiesen. Es war auch gar nicht notwendig, sich in dieser Intensität zu schützen, denn es gab die Impfung und viele weit weniger ansteckende Infektionskrankheiten als Covid. Schließlich waren wir damals auch nicht nach jedem Gasthausbesuch krank. Ich musste mich auch nicht rechtfertigen, die Maske sprichwörtlich abzulegen, denn ich ging halbjährlich gegen jede immunologische Empfehlung gegen Covid impfen. Das sprachen viele im direkten Umfeld an, sie wunderten sich auch, warum ich trotz halbjährlicher Impfung so viel Maske trug und weiterhin viele gesellschaftlichen Anlässe mied. Das schmälerte in der Außendarstellung mitunter die Wirksamkeit der Impfung. Genau das Gegenteil von dem, was ich erreichen wollte.

Ich hab den Widerspruch lange nicht aushalten können, dass ich Menschen symptomatisch finden kann trotz ihrer Haltung zu Themen, die für mich gerade am wichtigsten waren. Das kann man nicht nur auf die Pandemie beziehen, sondern auf viele Grundsatzthemen. Und doch ist es so. Das kann bis zu einem gewissen Grad gutgehen, solange man sich gegenseitig respektiert. Manchmal ist es auch notwendig für eine bloße Arbeitsgemeinschaft, aber gerade im Schichtdienst ist Teamzusammenhalt sehr wichtig – schließlich verbringt man viel Zeit miteinander und Sozialleben und Schichtdienst kollidieren per definitionem viel mehr als ein klassischer 9-17 Job mit freien Abenden, Wochenenden und Feiertagen. Ich hab das in der Pandemie zunehmend aus den Augen verloren und die Abwesenheit von Covid an oberste Stelle gesetzt, obwohl die getroffenen Maßnahmen bei uns ausgereicht haben. Es war kein akuter Handlungsbedarf gegeben, mehr zu tun. Es hat die Luftreiniger nicht gebraucht, weil die mechanische Lüftung ohnehin sehr gut war. Und letztendlich das Verhalten innerhalb Gruppe A mehrheitlich vorbildlich war. Jeder musste husten und niesen, wenn die Luft staubig war. Ich auch.

Jetzt werd ich den Kollegen vermissen und bedaure es, so viel der gemeinsamen Zeit in den letzten Jahren damit verbracht zu haben, zu hoffen, dass wir nicht gemeinsam Dienst haben, weil ich diese Widersprüche nicht ertragen konnte. Ähnliche Gedanken gelten auch für andere in meinem Bekannten- und Freundeskreis, nicht nur innerhalb Gruppe A. Ja, selbst erklärte Impfgegner und Wissenschaftsleugner können sympathische, teamorientierte Menschen sein. Manche wollen die Impfung einfach nicht, was ich für schön blöd halten kann, aber verhalten sich sonst umsichtig und respektvoll. Man glaubt, das kann nicht zusammengehen, doch es geht. Genauso wie es Menschen gibt, die bei der russischen Expansionspolitik blind sind, aber keine Wissenschaftsleugner oder Wähler rechtsextremer Parteien.

Ich möchte nochmals auf den oben verlinkten Artikel von Dr. Andrea Love verweisen – wenn man seine Grundsätze gefunden hat, sie guten Gewissens vertreten kann, sollte man jene, die man schätzt und eine gänzlich andere Haltung vertreten, die letztendlich der Gesellschaft und dem Einzelnen Schaden zufügen kann, nicht mit Fakten bombardieren und abwerten, sondern mit den vorgeschlagenen Methoden gesichtswahrend zeigen, dass es auch anders geht. Niemand gibt gerne Fehler zu, schon gar nicht in aller Öffentlichkeit.

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