Umweltmediziner Hutter propagierte Händewaschen als beste Schutzmaßnahme gegen Infektionen. Der aktuelle Stand der Wissenschaft widerspricht: am effektivsten sind Masken und Luftfilter.
Kommentar der anderen
In Österreich wird oft mit veralteten wissenschaftlichen Erkenntnissen gearbeitet, die eine Eindämmung, zumindest aber eine Reduktion der Infektionswellen verhindern, sagt Meteorologe und Citizen Journalist Mag. Felix W. in seinem Gastkommentar.

Österreichs Geschichte der Pandemie ist eine der vergebenen Möglichkeiten. In entscheidenden Phasen mit steigenden Infektionszahlen wurden immer besonders vorsichtige oder besonders daneben liegende WissenschaftlerInnen interviewt. Infektionswellen wurden ab dem Zeitpunkt heruntergespielt, wo die Intensivstationen nicht mehr kollabiert sind. Die hohe Krankheitslast der Langzeitfolgen wurde geflissentlich ignoriert. Mittlerweile sind es schon die Journalisten selbst, die LongCOVID von sich aus ansprechen, etwa die PRESSE-Journalistin im Interview oder neulich in Ö24 mit Virologe Nowotny. Die Experten greifen das Thema jedoch nicht auf, bzw. setzen es nicht in den Zusammenhang mit Prävention.
Dieser Kommentar erschien nicht in der Sektion “Kommentar der anderen” im STANDARD, so könnte er aber etwas gekürzt aussehen von einem Mediziner oder Epidemiologen.
Im PRESSE-Interview mit Anna Wallner am 16. August behauptete Hutter also, dass Händewaschen die beste, wichtigste Maßnahme sein würde, sich nicht anzustecken. Das war der Stand vom März, 2020 wohlgemerkt, nicht 2023. Für Tröpfchen- und Schmierinfektion gibt es keine direkten Belege – nahezu jede Situation mit mutmaßlicher Schmierinfektion lässt sich durch Aerosol-Übertragung erklären! Das Risiko wurde anfangs übertrieben (Goldman 2020), das Risiko ist sehr gering (Mondelli et al. 2020, Port et al. 2020, Zhang et al. 2021, Rocha et al. 2021, Butot et al. 2022, Zhang et al. 2022, Pan et al. 2023). Das gilt übrigens nicht nur für SARS-CoV2, sondern auch für andere Viren, die über die Luft übertragen werden.
Historisch betrachtet geht das Konzept der Tröpfchenfektion bei engem Kontakt auf den amerikanischen Epidemiologen Charles Chapin zurück, der Aerosol-Übertragung bei kurzer Distanz ausschloss. Dieser Fehler wird bis heute von der WHO und zahlreichen Infektiologen gemacht. Der Kardinalsfehler war zu postulieren, dass Infektion im Nahbereich auf Tröpfchen hinweist, weil infektiöse Aerosole damals technisch unmöglich nachzuweisen wären. Chapins Paradigma wurde zum Dogma bei Infektionskrankheiten. Heute wissen wir, dass Masern und Lungentuberkulose ausschließlich über die Luft übertragen werden. Händewaschen wirkt hingegen gut gegen das Norovirus (Canales et al. 2019), doch darum ging es in der Sendung nicht.
Die Wirksamkeit von Masken ist hingegen mehrfach bewiesen, speziell von FFP2-Masken (Lindsley et al. 2020), auch als epidemiologische Maßnahme, um Infektionen in Schulen (Chernozhukov et al. 2021), im öffentlichen Verkehr (Ku et al. 2021, Bridget and Kuehn 2022) und in Spitälern zu reduzieren. Die Maskenpflicht im Gesundheitswesen hätte nie zurückgenommen werden dürfen, weil die vulnerable Bevölkerungsgruppe einer Infektion im Spital schutzlos ausgeliefert ist (Chow et al. 2023).
“Sicherheit sollte keine Frage des Glücks” sein, sagt der australische Anästhesist Andrew Miller. Er spricht mit Fakten hinter sich: Im australischen Bundesstaat Victoria starben mehr als 600 Patienten, nachdem sie sich Covid19 während dem Spitalsaufenthalt eingefangen haben. FFP2-Masken schützen nicht nur vor Covid, sondern auch vor anderen Viren, die bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen zu Todesfällen und häufigeren LongCOVID-Folgen führen können (Klompas et al. 2023).
Was hindert uns also am Maske tragen? Es sind vor allem soziale Normen und Gesetzesregelungen, aber auch fatale Risikokommunikation. Wien hat im Gegensatz zu anderen Bundesländern am längsten eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln behalten, woran sich die Mehrheit auch gehalten hat. Als Gesundheitsminister Rauch die Maskenpflicht im Sommer 2022 in den anderen Ländern aufhob, sank die Bereitschaft der Wiener Bevölkerung, weiterhin Maske zu tragen, sukzessive ab. Es kam zu widersinnigen Szenen, als Reisende im selben Verkehrsmittel ab Stadtgrenze ihre Maske ab- oder aufsetzten, weil es so vorgeschrieben war. Zwar gab es Empfehlungen, weiterhin Maske zu tragen, die öffentliche Kommunikation ging aber oft in die Gegenrichtung: Masken als Bestrafung, wer nicht geimpft war, Maske als Verkehrsbeschränkung statt Isolation zuhause, Maske für jene, die sich nicht testen lassen wollten. Maske war immer eine alternative und keine zusätzliche Käsescheibe, um die Übertragung zu verringern. So war es eine logische Folge, dass die Menschen sich ab Stadtgrenze die Maske vom Gesicht rissen wie kurz vorm Ersticken. So manch einer, mich eingeschlossen, glaubte naiverweise, dass in Wien auch nach dem Ende der Maskenpflicht noch eine signifikante Minderheit weiter Maske tragen würde. Es stellte sich aber heraus, dass die Wiener ihre Maske vor allem für Bürgermeister Ludwig getragen haben.
Inmitten der großen Winterwelle der OMICRON-Variante XBB.1.5 riskierten zahlreiche Öffinutzer die Gesundheit ihrer Mitreisenden, vor allem all jener, die sich nicht eigenverantwortlich schützen können: Säuglinge und Kinder. Die Begründung für die Abschaffung der Maskenpflicht zielte auf die falsche Zielgröße ab: Die Überlastung der Spitäler. Tatsächlich sind viele LongCOVID-Patienten mit fortschreitendem Krankheitsverlauf (MECFS) zu schwach und krank, um ein Spital zu besuchen. Gestorben wird auch weiterhin, vor allem ältere und immunsupprimierte Menschen können nach wie vor an einer Coronainfektion versterben.
Zurück zu den Normen: Der soziale Mensch wird von zwei Arten von sozialen Normen regiert: injunktive (auffordernde) Normen, die dem Menschen vorschreiben, was er tun sollte, und deskriptive Normen, die reflektieren, was Menschen tatsächlich tun. Anhand von zweijährigen Daten aus den USA wurde der Einfluss dieser Normen auf kooperatives Verhalten wie dem Masken tragen untersucht. Langzeittrends zeigten, dass Normen und Verhalten eng gekoppelt waren und sich rasch als Reaktion auf Öffentliche Gesundheitssempfehlungen änderten. Zusätzlich zeigten Modellierungen, dass deskriptive Normen zusätzlich zum Maske tragen beitrugen, während auffordende Normen seltener und allgemein schwächer zum künftigen Maske tragen beitrugen. Heiman et al. (2023) schlussfolgerten, dass in unsicheren Zeiten kooperatives Verhalten stärker davon getrieben wird, was andere tatsächlich tun, als davon, was andere denken, was getan werden sollte.
In einem toxischen Umfeld wie vor allem im deutschsprachigen Raum verbreitet lässt sich auch die Theorie der Noelle-Neumann-Schweigespirale anwenden:
Die meisten Menschen fürchten soziale Exponiertheit und orientierten sich daher daran, ob andere Menschen in der Öffentlichkeit und ihrem Umfeld Maske tragen oder nicht. Es reicht hingegen einziger weiterer Maskenträger aus, um das zu tun, was das Bauchgefühl lange sagt: Wenn es drinnen eng wird, lieber mit Maske! In der Gruppe fühlt man sich eben sicherer, auch wenn man vorher schon im Recht war.
In der “Kleinen Zeitung” sagte der von mir sehr geschätzte Virologe Florian Krammer:
“Man kann sich schützen, wenn man will, da ist mittlerweile viel Eigenverantwortung dabei”
Hier irrt Krammer. Gelebte Eigenverantwortung setzt korrekte Informationen voraus, kein “Omicron ist mild. Pandemie vorbei. Corona reiht sich in die anderen Erkältungskrankheiten ein.” Der soziale, gesellschaftliche, Gruppendruck ist aber oft ebenso entscheidend, ob die Menschen ihre Eigenverantwortung ausleben können. Kinder haben diese Wahl nicht und können nicht geschützt werden ohne Vorgaben von Behörden und Gesetzesregelungen, die saubere Luft in Innenräumen vorschreiben müssten, wie es die Initiative für Gesundes Österreich (IGÖ) schon länger fordert. Im öffentlichen Raum werden MaskenträgerInnen mitunter verbal attackiert, machmal kommt es zu Übergriffen (an die Maske fassen, Maske herunterreißen). Anekdotisch sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Im Gesundheitswesen herrscht oft blankes Unverständnis vor, weshalb Patienten weiter Maske tragen wollen, sogar wenn es sich um Hochrisikopatienten handelt. Wenn Gesundheitspersonal mit schlechtem Beispiel vorangeht, werden die Patienten überwiegend folgen, insbesondere wenn sie die Maske ohnehin eher als lästig, beschwerlich oder unsinnig empfunden haben.
Die OMICRON-Varianten XBB* und EG.5.1 sorgen seit Juli wieder für steigende Infektionszahlen, ab September kommt der Schulbeginn hinzu. Selbst wenn die dominierenden Varianten die Spitäler nicht überlasten, herrscht dort erstens akuter Personalmangel und zweitens bleibt LongCOVID ein reales Risiko mit jeder Infektion. Neben COVID19 drohen signifikante Krankenstände auch von anderen Infektionskrankheiten wie RSV, Influenza, Scharlach oder aktuell noch Rhinoviren. Daher sollte man zu einer Maskenpflicht in den Spitälern und im Öffentlichen Verkehr zurückkehren. Jede weitere Person, die sich pflichtgetreu wieder ans Masken tragen hält, verringert den sozialen Druck, gegen das Bauchgefühl keine Maske zu tragen.