CRASH-Symposium im Künstlerhaus Wien: MECFS sichtbar machen

Auswirkungen von MECFS im Alltagsleben der Betroffenen je nach Schweregrad der Erkrankung

Seit dem 11. August und noch bis 27. August 2023 läuft im Künstlerhaus Wien die Ausstellung “CRASH” über das Myalgische Enzephalitis/Chronic Fatigue-Syndrom MECFS. Am 18. August fand ein Symposium mit Vorträgen, Lesung und Performance statt. Ich bin zwar nicht selbst betroffen, kenne aber über die Online-Community MECFS-Betroffene und auch schwer LongCOVID-Betroffene. Es ist wichtig, dass sich die Mitstreiter und “Allys”, die mehr Ressourcen haben als die Betroffenen, einsetzen wie Andrea Strohriegel in ihrer Videobotschaft betont hat. Das versuch ich im Rahmen meiner Möglichkeiten zu tun – auf Twitter, mit diesem Blog, mit finanzieller Unterstützung für die Österreichische Gesellschaft für MECFS-Hilfe, mit einem MECFS-T-Shirt, um im Alltag darauf aufmerksam zu machen, und mit Kalender-Spendenaktion. Das Thema darf nicht untergehen. Die Betroffenen gab es schon lange vor der Pandemie, die Untätigkeit der Regierung ist himmelsschreiend ignorant.

Der Künstler Matthias Mollner und seine betroffene Partnerin Judith Schoßböck reflektieren in dieser Ausstellung die mit ME/CFS verbundene Lebensrealität. Projektpartner sind die Tempi-Stiftung und die MECFS-Hilfe, sowie die MECFS-Foundation Weandmecfs, die von dem Bäckereiunternehmen Ströck gegründet würde, die zwei von MECFS- betroffene Brüder haben. Neben Mollner moderierte auch Joachim Hermisson die Veranstaltung, dessen Tochter Mila schwerst an MECFS erkrankt ist. (Sprachnachricht von Mila).

Weitere Bilder im Tweet der Ö.Ges. für ME/CFS

Alle Redebeiträge jetzt auch beim Youtube-Kanal BlackFerkStudio (seit 06.09.23)

Die Veranstaltung begann mit einer Lesung der Filmjournalistin und Autorin Barbara Kaufmann, die als schwer von Migräne betroffene Person mitfühlen kann, wie es ist, für Wochen einsam in einem dunklen Zimmer zu liegen. Sie erzählte darin wie es als chronisch kranke Person und v.a. auch als Frau ist, ständig dankbar sein zu müssen, dass einem zugehört wird, die Schmerzen aushalten zu müssen, dass man nicht zu viel Kritik üben darf, nicht zu viel lamentieren. Kranke sollen nicht stören, am besten unsichtbar sein.

Der erste Vortrag kam vom Neurologen Martin-Komenda-Lett, der die Herausforderungen bei der Behandlung von MECFS-Patienten aber auch die Probleme innerhalb der Ärzteschaft darstellte.

Ein großes Problem in Österreich ist, dass MECFS in der Neurologie-Ausbildung weiterhin keine Rolle spielt, es steht auf den Universitäten nicht am Lehrplan. Es gibt kaum auf die Krankheit spezialisierte Fachärzte, keine auf MECFS spezialisierte Einrichtungen oder Kompetenzzentren, die aber Voraussetzung wären, um Grundlagenforschung mit Patienten betreiben zu können. Es gibt keine für MECFS zugelassenen Medikamente und der Umgang mit den Behörden ist schwierig (vielfach erniedrigend), aufgrund der geringen Bekanntheit und Anerkennung der nicht seltenen Krankheit (ca. 25 000 vor der Pandemie, ca. 60 000 jetzt).

Vor allem ältere Fachärzte haben häufig kein Interesse an Fortbildung, wollen ihre eigene Komfortzone nicht verlassen (z.B. für Hausbesuche oder auf MECFS-Patienten eingestellte Warteräume). MECFS-Patienten sind zeitaufwendig und werden als schwierig empfunden, speziell, da sie oft mehr wissen als der Arzt selbst, was einige Ärzte immer noch als Kardinalsünde empfinden. Es kommt häufig zu Medical Gaslighting und toxischer Positivität (“positiv denken”, “das wird schon wieder”). Die Betroffenen werden als psychisch krank abgewertet. Ein Problem ist aber auch die Fließbandmedizin und dass zu wenig Zeit für Betroffene da ist. Daher wären Spezialzentren so wichtig, denn Hausärzte können adäquate Anamnese und Diagnostik nicht leisten.

Der nächste Vortrag wurde von Jennifer Blauensteiner gehalten, die an micro RNAs am FH Johanneum Graz forscht. Bei MECFS sind Energiestoffwechsel/Mitochondriale Dysfunktion, Immunsystem, Autonomes Nervensystem, Neuroinflammation, Virus-Reaktivierung und Herz-Kreislauf-System betroffen. Sie konnte mithilfe der microRNA-These nachweisen, dass die Gefäßinnenwände (Endothel) bei Betroffenen tatsächlich geschädigt sind, weil wesentlich mehr micro RNAs gefunden werden als bei Nichtbetroffenen (Blauensteiner et al. 2021). Um das jetzt genauer zu erklären, müsste ich den Vortrag noch einmal hören ;)

Schlüsselbotschaft ist, dass man da am Weg zu einem Biomarker für eine Untergruppe an MECFS-Patienten ist, die unter einer gestörten Endothelfunktion leidet – also ein körperlicher Nachweis, den man dann im besten Fall den ignoranten Gutachtern der Kasse oder der PVA vor die Nase knallen kann, wenn sie wieder einmal MECFS-Diagnosen in die psychiatrische Ecke umwandeln wollen. Die Pandemie war zwar an dem Abend weitgehend kein Thema (dazu später noch ein paar Sätze), aber ich musste spontan an Covid19 denken: Virologen wissen seit über 40 Jahren, dass Coronaviren alle Organe und die Gefäße schädigen und Langzeitfolgen auslösen können (Robb and Bond 1979). Seit den ersten Autopsien von Covid19-Patienten ist klar, dass es sich keinen Atemwegsinfekt handelt, sondern um eine systemische Gefäßentzündung (Varga et al. 20.04.2020), die schwere Mikrozirkulationszerstörungen auslöst. Dana G. Smith schrieb im Mai 2020, dass Covid19 eine Blutgefäßerkrankung sein könnte, „was alles erklärt“. Die britische Heart Foundation erläutert ausführlich, wie Corona die Gefäße schädigt (BHF 2023). Viele Studien haben seitdem diese Erkenntnisse untermauert, dass Gefäßerkrankungen und Thrombosen für zahlreiche Symptome verantwortlich sind (Libby and Lüscher 2020Lei et al. 2021Wygrecka et al. 2021Spudich and Nath 2022). Daher verursacht Covid19 auch weitere Patienten mit MECFS-Krankheitsverlauf.

Im letzten Vortrag kam der Psychologe Markus Gole zu Wort, der schilderte, wie eine korrekte Diagnosefindung ablaufen sollte, wenn MECFS-Betroffene zu ihm kommen:

Es gibt verschiedene Formen von Erschöpfung, aber die korrekte Diagnose für Betroffene (G93.3) wird nur selten vergeben.

Gole brachte eine aussagekräfte Übersicht, wie man die jeweiligen Diagnosen von MECFS klar unterscheiden kann:

Die Kernbotschaft seines Vortrags: Es gibt klare, anerkannte Diagnosekriterien für MECFS nach dem Institute of Medicin (IOM) 2015 (auf Deutsch) und den kanadischen Konsenskriterien (CCC). Leitsymptom ist die Post Exertion Malaise, die Belastungsintoleranz, die mindestens 14 Stunden lang anhält. So lässt sich MECFS klar von psychischen oder somatischen Erkrankungen unterscheiden:

Immer wieder kommt es leider vor, dass nach der Begutachtung durch die Kassen die Diagnose MECFS in eine psychiatrische Diagnose umgewandelt wurde. Gole rät dazu, kurz und prägnant den zeitlichen Verlauf der Erkrankung darzustellen. Wann waren die ersten körperlichen Beschwerden da? Erst danach zeigte sich etwa eine Depression als Reaktion auf den langwierigen Leidensweg. Die Reihenfolge müsse für den Gutachter klar ersichtlich sein. Statistiken zeigen außerdem, dass MECFS weder eine Frage des Persönlichkeitstyps ist, dass leistungsorientierte Menschen nicht häufiger betroffen sind und dass sich MECFS auch auf eine bestehende psychische Grunderkrankung draufsetzen kann.

Zum Abschluss lieferte Matthias Mollner noch eine Live-Performance ab, wo er sich mit Kleberollen fixierte, bis er sich nicht mehr bewegen konnte. Dazwischen rief er immer wieder “Stop” and “Go”. Die Performance symbolisierte den Leidensweg der Betroffenen, die ständig über ihre Belastungsgrenzen gezwungen werden, bis es ihnen durch die einsetzende PEM immer schlechter geht, bis sie sie schließlich haus- und bettgebunden sind.

Der formale Rahmen

Die Veranstaltung fand in einem Saal mit hohen Decken statt. Es waren etwa vierzig Personen anwesend. Es wurde aus Schutz der anwesenden MECFS-Betroffenen um das Tragen einer Maske gebeten. Daran haben sich fast alle gehalten, vereinzelte OP-Masken, die meisten FFP2, ein paar FFP3. Das war auch gut so, weil ein paar Personen durchgehend gehustet haben.

CO2-Messung mit dem Aranet4 im Zeitraum der Veranstaltung. Der Knick deutet die Pause an. Ausbaufähige Frischluftzufuhr.

Eine virologische Unsitte aus der Performance der Bundesregierung hat sich leider gehalten: Alle Vortragende setzten ihre Maske ab, während sie vor dem Publikum redeten, und setzten sie dann wieder auf, als sie schwiegen.

Hier steht der gelbe Balken für Aerosolproduktion durch Atmung. Pink ist sprechen und blau singen. Das Übertragungsrisiko einer infizierten Person, die nur atmet, ist allgemein gering. (Alsved et al. 2022)

Ich weiß, in Österreich haben das alle im Fernsehen so gemacht, aber es ergibt keinen Sinn: Maske tragen auch, gerade, vor allem, beim Sprechen, ist das richtige Signal hier. Mollner und Hermisson haben (bis auf die Performance von Mollner) durchgehend Maske getragen und waren mit Micro trotzdem gut verständlich.

Beim Mehlspeisenbuffet in der Pause gingen die einen zum Essen und Trinken vor das Gebäude, die anderen unterhielten sich ohne Maske beim Buffet. Genau das zeigt leider, dass der Sinn des Maske tragens nicht verstanden wurde. In Sachen Prävention und Vorbildwirkung können vor allem die vortragenden Ärzte und Wissenschaftler noch mit gutem Beispiel vorangehen. Ihr seid auch mit Maske verständlich – das kann man außerdem üben.

Denn eines darf man nicht vergessen: Die Pandemie läuft noch, Infektionen können in LongCOVID und bei langwierigem Verlauf in MECFS münden. Die Zuhörer von heute können die Patienten von morgen sein.

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