
Ich war auch einmal ein Kind und ging in den Kindergarten, in die Schule. Es gibt zweifellos Unterschiede zwischen der Kindesperspektive und der Elternperspektive. Die Sorgen und Nöte der Eltern bekamen wir als Kinder zwar mit, aber sich so richtig in sie hineinzuversetzen geht wohl nur als Elternteil, als Erziehungsberechtigter, der die Verantwortung, aber auch den hohen sozialen und finanziellen Druck erlebt, ein Kind großzuziehen. Sobald das Kind in der Schule ist und die Gruppendynamiken (Stichwort: Mobbing) zunehmen, bekommen die Eltern vieles nicht mehr mit. Insbesondere weil das Kind nicht mehr alles erzählt. Schulkarrieren verlaufen dann sehr unterschiedlich, je nachdem, wie das Umfeld des Kindes ist, wie sehr aufeinander Rücksicht genommen wird, und wie engagiert Schuldirektion und Lehrer sind, dass das auch so bleibt. Ich möchte damit sagen, dass die Kindheit alleine auf die Schulzeit bezogen nicht linear verläuft. Das können innere Faktoren wie Gruppendynamiken sind, aber auch äußere Faktoren wie die Krisen, die wir derzeit erleben.
Mein Zugang zur Pandemie war von Beginn an ein wissenschaftlicher. Im Laufe der Monate und Jahre änderte ich gelegentlich meine Ansichten und passte mich damit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen an. Manchmal waren es auch nur meine neuen Erkenntnisse – schließlich bin ich kein hauptberuflicher Alleswisser. Es war mir dank der Corona-Podcasts mit Virologe Drosten frühzeitig klar, dass Kinder ähnlich ansteckend sind wie Erwachsene und nicht aus der Übertragungsdynamik herausgenommen werden konnten, wie es das Hopium der Mehrheitsgesellschaft war. Die Kenner der Wahrheit waren ebenfalls von Beginn an mit hartem Widerstand konfrontiert. Wir erinnern uns: Schweden ließ die Schulen offen, um schneller Herdenimmunität zu erreichen – sie wussten sehr wohl, dass sich das Virus über Kinder und Jugendliche rasch in der Gesamtbevölkerung ausbreitete. Ebenso äußerte Epidemiologe Tegnell damals klar, dass Bildungseinrichtungen (Aufbewahrungsanstalten) offen bleiben mussten, damit die Eltern arbeiten können. Gleichzeitig fühlten sich die Eltern schutz- und machtlos gegenüber einer Ansteckung durch die Kinder, vor allem bei Kleinkindern, die keine Maske tragen konnten und gefühlt dauerkrank waren. Sie hofften daher sehr, dass Kinder von der Pandemie weniger oder gar nicht Teil des Infektionsgeschehens waren und nahmen jede Äußerungen von überheblichen oder ideologisch verbohrten Wissenschaftlern und Medizinern bereitwillig auf.
Nun ist, bzw. war es aber sehr wichtig, dass wir uns in der allgemeinen Bewältigung von Krisen nicht von Emotionen und Wunschdenken leiten lassen, sondern von wissenschaftlichen Faktoren und bewährten Konzepten. Wir sahen durchaus auch, dass die Schutzmaßnahmen in Bildungseinrichtungen funktioniert haben, von den halben Klassen über FFP2-Tragepflicht im Unterricht über Distance Learning im ersten Pandemiejahr. Es konnten sich aber auch die Erwachsenen nicht aus der Gleichung nehmen – sie waren zunehmend nicht mehr bereit zu verzichten. Hauspartys gab es schon im ersten Lockdown ebenso wie Garagentreffen und offene Hinterzimmer in den Gasthäusern. All das hat zugenommen in weiterer Folge, nachdem infolge des Präventionsparadoxons nicht erklärt wurde, weshalb wir so geringe Infektionszahlen gesehen hatten. Zurück zur Elternrolle: Wir hatten niederschwellige Testmöglichkeiten, FFP2-Masken, Isolationspflicht, Quarantäne, telefonische Krankschreibung, Pflegefreistellung, Homeoffice und noch ein paar Möglichkeiten mehr, die Infektionszahlen niedrig zu halten. Leider hat die ständige Desinformation dazu beigetragen, dass Kinder unter 10 Jahren nicht mehr getestet wurden. Das Ergebnis: Siehe Schweden. Im Herbst 2021 hat man lange gewartet, überhaupt eine Maskenpflicht am Sitzplatz einzuführen, von Distance Learning redeten wir da schon gar nicht mehr. Zur Erinnerung: Für Kinder unter 12 Jahren wurde die Impfung erst Ende November 2021 zugelassen – etwa zeitgleich mit der ersten Sequenzierung der Omicron-Variante. Kinder waren also vollkommen ungeschützt in der schweren Delta-Welle. Mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung hatte noch keine zweite Impfung zu einem Zeitpunkt, wo wir aufgrund der Delta-Variante bereits eine hohe Durchimpfungsrate mit drei Impfdosen gebraucht hätten.
Mit Omicron wurde in Kindergärten und Schulen rasch die Quarantäne gelockert, die Maskenpflicht schrittweise aufgehoben und schließlich die Testpflicht. Die Kinder wurden in vielerlei Hinsicht instrumentalisiert: Als Vektor für schnelle Herdenimmunität, mit offenen Schulen als Garant für aufrechterhaltene Arbeitsleistung der Eltern, als Infektionsradar, um die aktuelle Verbreitung des Virus abzuschätzen, aber auch ihre “psychische Belastung”, um gegen weitere Lockdowns oder sogar Maskenpflicht argumentieren zu können. Gegen diese Instrumentalisierung gab es nie Protest – im Gegenteil! Während es in Deutschland zumindest einzelne NoCovid-Initiativen gab, die für Schutzmaßnahmen in den Schulen eintraten, gab es in Österreich schon in der zweiten Welle Petitionen, die Schulen offen zu halten – allerdings mit unzureichenden Schutzmaßnahmen – dank der konsequenten Verharmlosung. Die NoCovid-Petition in Österreich erhielt wenige tausend Unterschriften.
Ich habe für vieles Verständnis, zumindest Mitgefühl, weil es eben viele Graustufen gibt. Das reicht von all jenen, die kein Homeoffice machen können (“Systemerhalter”) bis hin zu all jenen in beengten Wohnverhältnissen, sprich kein Platz, damit Kinder separat von den Eltern lernen können, kein eigenes Kinderzimmer, keine technische Ausstattung für Heim- oder Fernunterricht. Es geht da auch um die Arbeitsverhältnisse der Eltern in einem Land, wo man im Krankenstand leicht gekündigt werden kann – die sich eben nicht leisten können, mit kranken Kindern daheim zu bleiben oder selbst krank daheim zu bleiben. Das sind soziale Themen, an denen die ÖVP nie ein Interesse hatte und das war von Beginn an klar und nicht anders erwartbar. Anschober war damals nicht nur Gesundheits-, sondern auch Sozialminister und einer von vielen schweren strukturellen Fehlern war, beide Ministerien nicht zu trennen, mit einem Staatssekretär, der die Sozialagenden betreut, und in weiterer Folge einem Sekretär speziell für Pandemieagenden. Die andere Frage war natürlich der Spielraum mit einem türkisen Innen- und Wirtschaftsminister, aber passiert ist zweifellos zu wenig. In meinem Faktencheck zur ORF-Reportsendung über Schulschließungen im Herbst 2022 habe ich hervorgehoben, dass die ÖVP mit ihrer priviligierten Wählerschaft den Diskurs bestimmte, wie schmerzhaft die Schulschließungen waren – da geht es um die Stresstoleranz priviligierter Kinder und nicht um das bare Überleben von Kindern aus Migrantenfamilien, die finanzielle Sorgen haben, die überproportional von schweren Verläufen betroffen waren und für die Leistungsdruck in einer Pandemie noch schwerer zu bewältigen war als mit Eltern mit hohem Bildungsabschluss, die die Lehrerrolle besser ausfüllen konnten. Dieser Aspekt der Pandemie kommt zweifellos zu kurz, weil er nicht die Wählerklientel der ÖVP und großteils nicht der Grünen betrifft.
Ich habe auch Verständnis dafür, dass man irgendwann als Elternteil resigniert – so wie man vor der Pandemie schon resigniert hat, wenn die Kinder alle paar Wochen den nächsten Infekt aus Kindergarten und Schule nach Hause schleppten. Zu den Zeiten der vorhandenen Infrastruktur für niederschwellige Tests war es leicht, jeden Schnupfen zu testen, aber jetzt ist es das nicht mehr. Schon in den ersten Pandemiejahren hat man mit Gewalt versucht, den Schulstoff durchzupressen, der Leistungsdruck war immens und der Druck wuchs auf die Eltern, die Kinder auch mit Symptomen in die Schulen zu schicken, damit sie nicht den Lernstoff für die Klassenarbeiten verpassten. Es wäre die Aufgabe des Bildungsministeriums und der Bildungsdirektion gewesen, hier mehr Druck herauszunehmen – aber auch das passte nicht ins neoliberale Weltbild der ÖVP. Hier hätte ich mir ebenso mehr Proteste von Eltern erhofft, denn dann hätte man auch Schutzmaßnahmen wie Kinder länger zuhause zu lassen eher umgesetzt.
Was kann man als Elternteil im Jahr 2024 tun mit wiederkehrenden Infektionswellen – nicht nur SARS-CoV2?
Wir haben hier ein Dilemma, denn wir wissen, dass sich das Virus auch dann überträgt, wenn man noch keine Symptome hat. Das gilt übrigens auch für Influenza! Ebenso wissen wir, dass wir auch ohne Fieber ansteckend sein können. Kinder mit Husten, Schnupfen, Hals- und Kopfweh in die Schule oder den Kindergarten schicken ist bereits ein No-Go. Gleichzeitig ist klar, dass sich mit den Gesetzen weder Eltern langen Krankenstand oder Pflegefreistellung noch Kinder lange Unterrichtsabwesenheit wegen dem Leistungsdruck leisten können. Das ist mir vollkommen bewusst und ich verurteile Eltern nicht, wenn sie krank arbeiten oder ihr Kind krank in die Schule schicken müssen, weil sie keine andere Wahl haben, insbesondere auch alleinerziehende Elternteile.
Dennoch gibt es auch hier Graustufen zwischen völliger Resignation, Verdrängung und Egoismus und “Kinder wegen jedem Schnupfen einsperren”. Zur Erinnerung: Kinder, die lange krank sind oder ständig krank, verpassen ebenso Schulstoff. Kinder mit schwerem LongCOVID können mitunter gar keinem Unterricht mehr folgen. Mit leichtem LongCOVID würde Fernunterricht noch gehen. Auch krank in der Schule sind Kinder weniger konzentriert und leistungsfähig. Kranke Lehrer können nicht unterrichten. Unterrichtsausfälle tragen nicht zur Verringerung des Leistungsdrucks bei. Aushilfslehrer ohne angemessene pädagogische oder fachliche Ausbildung steigern die Qualität nicht. Infektionskrankheiten ungebremst durchlaufen zu lassen hat eben auch seine Kehrseiten. In England war (und ist?) die Zahl der Fehlzeiten bei Kindern nach Ende der Schulschließungen höher als vor der Pandemie.
Auch wenn man Infektionen in Bildungseinrichtungen nicht völlig verhindern kann, gibt es doch mehr als “Schulen ständig zuzusperren”. Obwohl es politisch extrem polarisiert wurde, erwähne ich es trotzdem:
- Kinder-FFP2-Masken – wenigstens dann tragen, wenn die Kinder Symptome haben, um es nicht weiterzuverbreiten, wenn man die Kinder trotz Symptome in die Schule schickt.
- Luftreiniger in allen Unterrichtsräumen: Das reduziert die Gesamtzahl der Keime, aller Krankheitserreger und die Gesamtzahl der Infektionen. Es bleibt natürlich ein Restrisiko, aber es kann bereits dafür sorgen, sich nur 1-2x im Jahr mit irgendeinem Erreger anzustecken als zehn bis zwölf Mal im Jahr.
- Moderne Lüftungsanlagen mit Frischluftzufuhr sind wichtig, weil stickige Luft (Kohlendioxid) die Konzentration- und Leistungsfähigkeit behindert. Fenster öffnen reicht oft nicht oder wird bei Kälte nicht toleriert.
Im ersten Pandemiejahr hatte ich mir noch gedacht, dass es auch einen Systemwandel braucht, wie Ferienzeiten gesetzt werden. Denn in einer Zeit mit dauerhaft erhöhtem Infektionsrisiko sollten wir die warme Jahreszeit besser nutzen, wo Innenräume häufiger gelüftet werden. Mehr Ferien also im Winter als im Sommer. Natürlich äußerst unpopulär. Mit zunehmenden Wärmeperioden in der kalten Jahreszeit durch die globale Erderwärmung (siehe sommerlichen Oktober 2023) erübrigt sich diese Option ohnehin bald.
Was ich mir von Eltern wünschen würde:
Die Situation derzeit ist wie sie ist. Wiederkehrende Infektionen sind nicht verhinderbar, mit all dem damit verbundenen Leid, aber auch folgenreichen Ansteckungen vulnerabler Verwandter, die daran versterben können, oder infiziertes Gesundheitspersonal, das dann vulnerable Patienten ansteckt, die versterben können. Es ist nicht für alle Eltern bzw. Kinder einfach umsetzbar, das Kind ständig zuhause zu lassen, ständig zu testen, auf keine Kindergeburtstage mehr zu schicken, hermetisch abzuschotten, um jede Infektion zu vermeiden. Es schafft auch nicht jedes Kind mental, als einziges Kind eine Maske zu tragen in der Schule, und bei Kleinkindern geht es sowieso nicht, wenn man nicht gerade in Singapur aufwächst (Aerosole sind auch bei Kleinkindern nicht größer, insofern ist der Nutzen von Stoffmasken da fraglich).
Was aber möglich ist: Sagen, was ist. Das Thema nicht verdrängen, verleugnen, Infektionen verheimlichen, andere nicht zu informieren, dass das Kind gerade positiv ist. Für all jene, die sich weiter schützen müssen und wollen ist es eine große psychische Belastung, mit niemanden darüber reden zu können, abgeblockt zu werden, ignoriert zu werden bis hin zu Gaslighting und aktiver Blockade von sinnvollen Maßnahmen wie Lüften, Luftreiniger und Maske tragen. Das trifft Erwachsene natürlich genauso im (Berufs-)Alltag, ebenso wie Patienten im Gesundheitswesen.
Eltern können Infektionen kaum vermeiden, aber sie können für Schutzmaßnahmen eintreten, die realistisch sind. Luftreiniger kosten ein Bruchteil dessen, was wir durch Korruption und Freunderlwirtschaft im Staat jährlich verlieren. Es ist sehr wohl möglich, auf diesem Weg die Gesamtzahl der Infektionen, von denen eine einzelne folgenreich sein kann, zu verringern. Das ist das Ziel. Da liegt der Fokus.
Kernbotschaft:
- zugänglich bleiben für Gespräche und Diskussionen, wie man Kinder besser schützen kann und warum man Infektionen vermeiden sollte
- aktives Engagement und sei es nur durch kleine finanzielle Beiträge für Initiative und Vereine, die für den Schutz eintreten (z.B. bei der Initiative Gesundes Österreich)
- selbst diesen Schutz leben, so es möglich ist – man muss sein Kind nicht von Kindergeburtstagen fernhalten, aber man kann sie in die warme Jahreszeit verlegen, sodass sie dabei draußen sind
Ich denke gerade an diese zwei komischen Monate zurueck, vor vier Jahren, Januar und Februar 2020, wo man vielerorts wie ein Reh im Scheinwerferlicht da stand und zugeschaut hatt. Auch an 2002-2003, wo ich ab und zu in den Nachrichten was von SARS hoerte, und damals null Interesse daran hatte. 2020 als bereits aelterer Mensch dann schonn. Haetten wir ein paar Wochen vorher im Dezember 2019 die klare Ansage schon bekommen, SARS ist wieder unterwegs, verbreitet sich dieses mal auch asymptomatisch, haette es glaube ich so gut wie keinen Unterschied gemacht.
Dass auch viele Kinder nicht nur an dem Drummherum der Pandemie leiden, sondern auch an den direkten Folgen von Erkrankungen, ist finde ich sehr wichtig drueber zu berichten. Danke sehr!
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