Der Wissenschaft folgen, Risiken reduzieren (K 13/02)

Ich werde auf meinem Blog nicht vorgaukeln, weiterhin strengste Vorsichtsmaßnahmen mit Null Risikoinkaufnahme einzuhalten, die ich selbst dann nicht lebe. Das Risikoprofil der Menschen ist verschieden und damit auch die Art und Weise, wie mit der aktuellen Situation umgegangen wird. Dritte nicht gefährden ist dabei die rote Linie für mich.

So wie ich auf hohe Abwasserwerte und viele symptomatische Personen im Umfeld reagiere, indem ich die Zügel fester anziehe, reagiere ich auch auf niedrige Abwasserwerte und gehe für mich vertretbare Risiken eher ein. Ich möchte das hier am Beispiel Restaurantbesuch erläutern. Persönlich lieber wäre mir in vielen Situationen Take-Away wie zu Lockdownzeiten bzw. die Möglichkeit draußen zu sitzen. Das Winterhalbjahr verläuft damit seit Ende der Schutzmaßnahmen recht eintönig – auch klassische Winterurlaube sind für mich nicht mehr umsetzbar. Dieses Ungleichgewicht ist belastend, wenn man ein halbes Jahr Freizeit und Urlaub nicht nutzen kann wie seine Kollegen. Das Höchste der Gefühle ist für mich daher ein gutes Auswärtsfrühstück oder eine Hütteneinkehr, zumindest aber in Verbindung mit einem Ausflug oder einer Wanderung auch auswärts essen gehen zu können, wenn ich schon auf Übernachtungen verzichten muss. All jene, die darauf keinen Wert legen, weil sie lieber zuhause essen oder sich gegenseitig bekochen, müssen ab hier nicht weiterlesen. Wenn das für Euch so passt, dann gibt es daran nichts zu kritisieren.

Risikofaktoren für Indoor essen gehen

Es hängt von mehreren Faktoren ab, nicht von einem Faktor alleine. Folgende Aufzählung ist keine Prioritätenreihung.

Abwasserwerte

Abwassermonitoring hinkt immer etwas den aktuellen Infektionen hinterher, aber es ist derzeit das beste, was wir haben, um abzuschätzen, wie viel Virus zirkuliert. Aktuell sind die SARS-CoV2-Werte in Wien so niedrig wie seit Mitte Juli 2023 nicht mehr. Das deckt sich auch mit den wöchentlich veröffentlichten Sentineldaten von Judith Aberle (Virologie Wien). Weniger als jede zwanzigste Infektion ist derzeit durch SARS-CoV2 verursacht.

Infektiösität des zirkulierenden Virus

Influenza und RSV sind deutlich weniger ansteckend als SARS-CoV2. Masern deutlich ansteckender. Humane Coronaviren und Rhinoviren sind ebenfalls weniger ansteckend. Bei gleicher Exposition wird man sich also seltener anstecken als in den Hochphasen der Pandemie. Das ist im Prinzip der Zustand “vor der Pandemie”, wo ich mich auch nicht bei jeder Indoor-Aktivität angesteckt habe. Jetzt muss ich SARS-CoV2 allerdings einbeziehen, das erhöht das Restrisiko. Daher kommen weitere Faktoren hinzu…

Eigener Impfstatus

Ich bleibe vorerst bei einem halbjährlichen Auffrischungsrhythmus. Der letzte XBB-Booster zeigt eine um 54% höhere Impfwirksamkeit gegen symptomatische Infektionen einschließlich JN.1 als bei jenen ohne Booster (Link-Gelles et al. 2024), sprich, der aktuelle Booster verhindert auch die Ansteckung selbst in jedem zweiten Fall. Mit den Monaten lässt dieser Schutz wieder nach, der vor Hospitalisierung bleibt.

Gegen Influenza bin ich auch geimpft und RSV verursacht bei Erwachsenen weniger/kaum Spätfolgen.

Zudem hat sich gezeigt, dass man nach einer Impfung, vorangegangenen Infektion oder beidem, gegen Ansteckung geschützt ist, wenn nur eine niedrige bis moderate Virusexposition gegeben ist. Bei hoher Virusexposition (z.B. Nachtclub, Karnevalsitzung, Kinder im Haushalt) verhindert die Immunität eine Ansteckung nicht (Lind et al. (2023).

“Geringe Virusexposition”:

Dazu zählen kurze Kontakte, etwa im Freien, Bedienung durch den Kellner, ein paar Minuten an der Kasse bei Selbstbedienung, oder bei Luftreinigung im Raum, wodurch die Viruslast generell reduziert wird.

Eigener Immunstatus

Dazu zähle ich die Anfälligkeit für Infektionserreger. z.B. angeborener Immundefekt, erworbene Immunschwäche, Immunsuppression wegen Medikamenten, geringe Antikörperbildung nach der Impfung, Infektanfälligkeit durch Lymphopenie, Infektanfälligkeit durch LongCOVID.

In meiner eigenen Wahrnehmung war ich bis zum Jobwechsel auf ein Büro mit sauberer Luft und/oder weniger Mitarbeitern ständig krank, danach fast nicht mehr. Zwischen 2016 und 2020 hatte ich lediglich einen Atemwegsinfekt. An Weihnachten 2022 habe ich mich bei meinen symptomatischen Angehörigen mit einem humanen Coronavirus infiziert (Labortest veranlasst), seitdem gab es keinen weiteren Infekt mehr.

Das Immunsystem kann man nicht trainieren, aber ein geschädigtes oder geschwächtes Immunsystem ist anfälliger für Infekte.

Raumbelegung

Vorsicht – hier spricht der #ActuallyAutistic aus mir. Ich habe schon vor der Pandemie wegen Reizüberflutung volle Lokale gemieden. Ich sitze auch am liebsten am Rand statt mittendrin, weil ich mich dann nicht so eingeschlossen fühle und die Akustik besser ist, sollte ich mich unterhalten mit jemandem. Zudem bevorzuge ich den Fensterplatz und wenn möglich, ein gekipptes oder offenes Fenster. Mit diesen Vorgaben reduziert sich die Auswahl an Lokalen schon einmal deutlich. Ich reserviere nie, sondern entscheide spontan. Reservierungspflicht heißt, es wird voll, und das will ich weiterhin vermeiden. Ich gehe unter der Woche bzw. zu Randzeiten und nicht dann, wenn alle gehen.

Im günstigen Fall herrscht zwischen meinem Platz und größeren Gruppen viel Abstand. Wir alle wissen, dass Abstand alleine nicht reicht. Für die Ferndistanzübertragung wird daher umso wichtiger …

CO2 Messungen

CO2-Messung mit dem Aranet4 im Frühstückslokal An-Do am Yppenplatz neben dem Haupteingang, die beiden gelben Ausreißer über 700ppm stammen von der Anfahrt mit der Straßenbahn

Ich hab mein Aranet4 immer einstecken, wenn ich unterwegs bin und zeichne über eine App auf. Bei Werten unter 600ppm ist die Luft fast so gut wie draußen, dann herrscht effektive Frischluftzufuhr, entweder über eine eingebaute Raumabluftanlage oder weil die Wände bzw. Fenster schlecht isoliert sind. Zugluft stört mich nicht, weil man dadurch nicht erkranken kann. Bei Werten zwischen 600 und 800ppm ist das Risiko auch noch gering. Liegt es längere Zeit darüber, sollten zusätzliche Maßnahmen bestehen, wie etwa Luftreiniger oder mein ToGo-Filter. Dieser bringt aber aufgrund seiner geringen Größe nur etwas, wenn ich die gefilterte Luft einatme. Ich halte das Ding dann also im Schoß.

Genauso wie ich hastig fertigesse und zahle, wenn sich im Schanigarten ein Raucher gegenüber hinsetzt und mich vollqualmt, esse ich auch schnell fertig, wenn es mir indoor zu eng wird, benachbarte Tische mit symptomatischen Gästen besetzt sind oder die CO2-Werte zu stark ansteigen. Das ist dann halt so. Shit happens.

Conclusio

Wer bis hierhin durchgehalten hat: Mir geht eine Menge durch den Kopf, bevor ich das Indoor-Risiko für ein bisschen kulinarischen Genuss oder Sozialleben eingehe. Die CO2-Messungen befriedigen meine wissenschaftliche Neugier über die Luftqualität und ich habe schon viel gelernt – etwa, dass Berghütten oft zu gut isoliert sind und horrende CO2-Werte (> 2000ppm) aufweisen können. Pionierarbeit geht zwangsläufig mit erhöhten Risiken einher, aber meine CO2-Messungen sollen dazu beitragen, mehr Freiheitsgrade zu ermöglichen und nicht weniger. Das heißt nicht, dass ich dafür jedes Risiko eingehen würde. So sehr mich eine Messung im engen Jazzkonzertkeller interessieren würde, aber dieser Zug ist wohl abgefahren.

Für die einen werde ich mir durch obige Überlegungen viel zu viele Gedanken machen. Sie sagen dann: “Du bist jetzt sieben Mal geimpft. Man kann sich auch zu Tode fürchten.” Für anderen wird es bereits zu sorglos sein: “Jede Infektion ist ein Risiko. Das ist kein Indoor-Essen wert.

Dazwischen werde ich zerrieben und muss mich ständig rechtfertigen für meine Entscheidungen. Für mich ist die bloße Anzahl von Impfungen nicht ausreichend, um völlig auf Vorsicht zu verzichten, aber ich ignoriere auch mein erlangtes Wissen zu Immunität, Luftqualität und aktueller Viruszirkulation nicht. Das ist letztendlich auch der Grund, weshalb ich nicht aufhöre, mich über die Virusevolution mit neuen Varianten zu informieren. Ich will schließlich wissen, wann die nächste Welle droht und ich mein Verhalten entsprechend anpassen muss.

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