
Zugegeben war es suboptimal, meine Urlaubswoche am Geburtsort von Jörg Haider ausgerechnet am Wahlsonntag für die Nationalratswahl in Österreich enden zu lassen. Als ich gestern Abend ins Hotel zurückkehrte, flogen im ganzen Ort die Böller, auch vor dem Hotel. Verstörend. Ich hatte ja keine Ahnung. Im Grunde kam nichts überraschend. Ich schrieb in epischer Länge bereits 2021 einen Blogtext dazu, wie die Regierung (vor allem die ÖVP) die Pandemie instrumentalisierte, um die Bevölkerung zu spalten und den Staat nach Vorbild Ungarn umzubauen. Die FPÖ hat weiterhin auf das Reizthema Corona gesetzt, während sich ÖVP und Grüne seit 2022 bemüht haben, die Fehler der Vergangenheit rasch in Vergessenheit geraten zu lassen. SARS-CoV2 ging zwar nicht weg, aber sozial wurde die Pandemie beendet und damit nicht nur die Schutzmaßnahmen gegen Corona, sondern gegen ALLE Infektionskrankheiten. Der FPÖ und kleineren Splitterparteien reichte das aber nicht. Sie wollten Vergeltung für die beschlossene, aber nie umgesetzte Impfpflicht und vor allem für den Lockdown für Ungeimpfte, der zu diesem Zeitpunkt – das kann man ruhig zugeben – bereits wissenschaftlich gesehen völliger Schwachsinn war. Bezüglich Lockdowns per se setzt die selektive Erinnerung der Rechtswähler aus, denn Kickl forderte zu Beginn der Pandemie einen strengen Lockdown, der keinen Aufenthalt zu Erholungszwecken im Freien vorgesehen hätte. Diesen gab es übrigens nur dank der Grünen (Anschober).
Ich will irgendwelchen Wählerstrom- und Wahlmotivanalysen nicht vorgreifen. Die Staats- und Demokratiekrise ist hausgemacht, auch wenn großzügige Förderer russischen Hintergrunds bei den Rechten sicher eine wichtige Rolle spielen. Die Medien hängen an der Nabelschnur von staatlichen Förderungen, die es nur dann gibt, wenn die Berichterstattung die jeweilige Regierung im besten Licht dastehen lässt. Die Chefredakteure der großen Zeitungen wurden seit der Ära Kurz umgefärbt, Nehammer hat das nur fortgesetzt. Zuletzt ist auch der ehemals linksliberale STANDARD gefallen. Im ORF verbirgt man die tendenziöse Berichterstattung seit geraumer Zeit nicht mehr. Zur Ukraine, zu Israel, zur SPÖ, zum Klimaschutz, es gibt neben der Pandemie längst unzählige Beispiele, wo man nicht mehr von objektiver Berichterstattung sprechen kann, siehe auch die umfassende DOSSIER-Recherche zum Netzwerk Sobotka in Niederösterreich und die Einflussnahme der ÖVP auf das ORF-Landesstudio und die Wochenzeitung Niederösterreichische Nachrichten (NÖN). Selbst ohne den innerparteilichen Zwist großkotziger Narzissten hatte Babler nie eine reelle Chance gegen die Übermacht an ÖVP-nahen Medien. Die Rechnung der ÖVP ging jedoch nicht ganz auf. Zwar hat man die SPÖ auf Platz drei verwiesen, aber die FPÖ hat der ÖVP schlicht den Rang abgelaufen. Und das ist jetzt wirklich nicht neu, dass man zum Schmied und nicht zum Schmiedl geht. Die ÖVP hat massiven migrationsfeindlichen Wahlkampf betrieben und damit gerade die Themen der FPÖ befeuert und ständig am Köcheln gehalten.
Die Intention war wohl, gemäßigte Rechte zurückzuholen, aber stattdessen hat die ÖVP an die FPÖ verloren. Wie gesagt, es wird Wahlmotivanalysen geben, warum enttäuschte Parteiwähler gewechselt sind. Bei den Grünen mag die Pandemiepolitik eine kleine Rolle spielen, aber nicht die Hauptrolle. Die Covid-Awaren Menschen kann man in Österreich gefühlt anhand der Twitterblase bestimmen. Wesentlich größer dürfte der Anteil an Betroffenen von Longcovid/MECFS und deren Angehörigen sein, die von der Pandemiepolitik der Grünen enttäuscht waren und sind. Sonst haben die Grünen natürlich der ÖVP jahrelang bei Themen die Stange gehalten, wo es gegen die Werteanschauung der Grünen ging, von Moria über nächtliche Kinderabschiebungen bis zur Chataffäre der ÖVP, wo die Grünen die Vertrauensfrage hätten stellen können. Daneben auch diverse Kuhhandel wie ORF-Stiftungsratsmehrheit der ÖVP und Klimaticket. Zuletzt die Causa-Schilling, die manche Grünen-Wähler sehr übel genommen haben, lanciert wurde das vom DerStandard, der damit seiner Stammklientel schadete. Ich halte es dennoch für naiv zu glauben, dass die Verluste der Grünen vor allem auf Rauch und Co zurückzuführen waren. Das ist nicht mein Eindruck im Alltag gewesen, dass das auch nur irgendwer durchschaut hätte. Man erntet man maximal ein “Wer in Europa hätte das besser gemacht?” Es ist schon eine sehr kleine Blase auf X, die sich da tiefergehend mit beschäftigt hat. Ich wünschte, es wäre anders, aber die breite Health Literacy, die Konsequenzen bei Wahlen folgen lässt, existiert in Österreich nicht. Nicht vergessen darf man, dass ein Teil der Longcovid-Betroffenen glaubt, ihre Beschwerden würden von der Impfung kommen, was die reaktionären, antiwissenschaftlichen Propagandamedien der Rechten erfolgreich indoktriniert haben. Die Bundesregierung hat nicht widersprochen und sich im Gegenteil noch hingestellt und davon gesprochen, dass es ein Fehler gewesen wäre, die Schulen zu schließen – mehrfach. Auch die Impfpflicht bereute man öffentlich, aber aus den falschen Gründen – statt wissenschaftlich zu argumentieren, redet man sich auf die Spaltung aus. Doch was hat überhaupt erst in die Situation gebracht? Falsche Krisenkommunikation, mangelhafte Aufklärung zur Impfung und den Impfstoffen und dass sie kein Allheilmittel gegen eine (symptomatische) Infektion darstellen.
In den letzten vier Jahren sind so viele Fehler passiert, und viele davon habe ich am Blog dokumentiert, dass es die FPÖ sehr leicht hatte, mit dem Corona-Thema durchzumarschieren. Die Esoteriker und antiwissenschaftlichen Denker ziehen sich quer durch alle Parteien, über “ich umarme den Baum”-Strolz von den Neos zur “man kann ja auch eine Eieruhr benutzen” Hamann von den Grünen zu den SPÖ-Landesorganisationen in Salzburg und Oberösterreich, die Pandemieleugner und -verharmloser auf ihre Parteiveranstaltungen eingeladen haben. Die ÖVP ist diesbezüglich schwer greifbar, denn Kurz folgte lange Zeit eher Drosten als Allerberger, und in einzelnen ÖVP-Gemeinden von Niederösterreich wurden frühzeitig Luftreiniger für Schulen angeschafft. Die ÖVP argumentierte halt mit der Wirtschaft, um die Maßnahmen frühzeitig abzuschaffen, dabei schädigen sie die Wirtschaft so auf Jahrzehnte durch die gestiegene Krankheitslast und zunehmende Arbeitsunfähigkeit. Die Grünen bemerkten die Abspaltungen in der eigenen Partei mit den “Grünen gegen die Impfung” und der MFG und wollten “Gräben zuschütten”, aber getan haben sie das Gegenteil. Sie haben die Pandemieleugner legitimiert und die gesundheitlich Betroffenen ihrer Politik vor den Kopf gestoßen. Das Schlechteste aus beiden Welten. Dafür hätte man sich einen deutlicheren Verlust bei den Grünen erwartet, doch dafür ist die Gesundheit eben nicht das einzige Thema. Sonst gibt es keine Partei, die klar pro Klimaschutz auftritt – was man nach dem verheerenden Hochwasser ja als Anreiz hätte nehmen können, sein Wahlverhalten zu überdenken.
Meine Blogs coronawissen.com und coronafakten.com sind Zeitzeugen der Geschichte, wie sie die Verlierer erlebt haben – also wir, die mit der verfehlten Pandemiepolitik und dem Rückfall ins Mittelalter, eine Zeit, wo es noch keine Impfstoffe gab und dafür eine hohe Kindersterblichkeit, leben müssen, denn es sieht weit und breit nicht nach Mehrheiten aus, die die Geschichte so erzählen, wie sie passiert ist. Tote können nicht protestieren gegen Geschichtsverklitterung. Bettlägerige oder hausgebundene Betroffene mit Longcovid können nicht lautstark aufschreien gegen die vielen Corona-Demonstranten und die Medienübermacht, die auch vier Jahr nach Beginn der Pandemie Verharmlosern eine Bühne bietet. Ich weiß, wie sich die Pandemie wirklich zugetragen hat – kenne die Daten und Fakten, die Studien. Dieses Wissen wird nie mehr verloren gehen. Damit leben zu müssen, dass sich das Umfeld nicht mehr auf wissenschaftliche Fakten einlassen will, ist die große Bürde der Zukunft, speziell, wenn man weiß, dass 1. Corona nicht vorbei ist, sondern sich 2. zu den anderen Viruserkrankungen dazugesellt, und 3. weitere Pandemien im Anmarsch sind, etwa die Vogelgrippe, dazu die laufenden Epidemien von Keuchhusten und Mycoplasmen, stark steigende Masernzahlen und klimaerwärmungsbedingt Dengue und Westnilfieber eine immer größere Rolle einnehmen werden. Prävention ist in Österreich kein Zugpferd – das ist eine schmerzvolle Erkenntnis, nicht nur als Citizen Journalist in der Pandemie, sondern auch als Berufsmeteorologe, der die akute Klimakrise direkt auf die Wetterkarten abgebildet sieht.


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