“Nach der Coronakrise”, “nach Corona”, “nach dem Ende der Pandemie”, “wisst ihr noch…. in der Coronazeit…”
Sowohl politisch, medial als auch im Alltag sind diese Phrasen bei vielen Menschen in Fleisch und Blut übergegangen. Insbesondere durch voreilige “wenn, dann…” Ableitungen wie “die Pandemie ist vorbei, wir können alle Maßnahmen aufheben“. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es eine akademische Diskussion, ob es sich um eine Pandemie, Epidemie oder einen endemischen Zustand handelt. Es gibt hierfür keine allgemein gültige Definition und die Interpretationen sind mannigfaltig. Einig sind sich aber alle dahingehend, dass SARS-CoV2 bleiben wird. Entsprechend befinden wir uns nicht “nach Corona” – diese Welt haben wir mangels Eindämmung der Pandemie bereits 2020 verlassen. Wir leben zwar “nach SARS-CoV1” – der Pandemie von 2002/2003, aber weiterhin “in der Coronazeit“, oder auch “in der Coronakrise“, denn die derzeitigen Entwicklungen kann man kaum anders bezeichnen. Es besteht auch wissenschaftlicher Konsens darüber, dass mit endemischem SARS-CoV2 dieser Krankheitsschwere dauerhaft Gegenmaßnahmen etabliert werden müssen, so wie Moskitonetze gegen endemische Malaria.
Unter Verkennung der Realität sind vor allem neoliberale und autoritäre Regierungen davon ausgegangen, dass wir dank Impfung und Medikamente und hoher Bevölkerungsimmunität durch wiederholten Viruskontakt sehr gut mit endemischen SARS-CoV2 leben können. Die Annahme war, dass die Mehrheit der gesunden, jungen Bevölkerung weder regelmäßige Impfungen noch antivirale Medikamente benötigt, weil die wiederholten Viruskontakte genügend Immunität gegen schwere Verläufe aufbauen würden – zumal sie ohnehin ein geringeres Risiko für schwere Verläufe haben. Unter dieser Grundannahme würde man eine wiederholte Durchseuchung der Bevölkerung zulassen können, um Gegenmaßnahmen so schnell wie möglich abzuschaffen. Es zeigen sich frappierende Parallelen zu den Ergebnissen eines im Jänner 2021 erschienenen Fachartikels von Lavine et al. 2021:
Darin wird genau diese Hypothese beschrieben, dass SARS-CoV2 mit wiederholtem Viruskontakt immer milder werden würde. Endemisch wird hier gleichgesetzt mit Erstinfektion in der Kindheit – eine klassische Kinderkrankheit also, die im Erwachsenenalter nicht mehr zu schwereren Verläufen führt, mit Ausnahme in der älteren oder immunsupprimierten Bevölkerung (Immunoseneszenz, Immunschwäche). In diesem Modell war eine Infektion demzufolge sogar erwünscht, um schneller den endemischen Zustand erreichen zu können. Wie wir heute wissen, entwickelte sich die Pandemie in eine andere Richtung. Im Laufe des Dezembers 2020 kam die erste Virusvariante, ein Jahr später Omicron und zahlreiche Subvarianten, die weitere pandemische Wellen auslösten. Reinfektionen wurden mit Omicron häufiger und das Ausmaß von LongCOVID wurde 2021 sichtbar – zumindest in medizinisch-wissenschaftlichen Kreisen. Die Ausgangsbedingungen haben sich geändert, die Hypothese vom Jänner 2021 wurde damit hinfällig. SARS-CoV2 hat sich spätestens im April 2020 als systemische Gefäßentzündung entlarvt (Varga et al. 2020) und Schätzungen zeigen, dass weltweit hunderte Millionen Menschen von Spätfolgen betroffen sind (Chen et al. 2022 ,Woodrow et al. 2023, Kuang et al. 2023). Ähnlich wie bei SARS-CoV-1 (Li et al. 2023) sind bei Betroffenen auch drei Jahre nach der Infektion noch die Lebensqualität einschränkende Symptome vorhanden (Zhang et al. 2023).
“Coronaviren zerstören Endothelzellen. Das Endothel ist mehr als nur eine Zellschicht, es ist fast ein eigenes Organ innerhalb der Gefäße. Es reguliert den Stoffaustausch vom Blut in umliegende Gewebe, reguliert den Blutdruck und damit die Versorgung mit Blut, Sauerstoff und Stoffwechselprodukten. Ein kaputtes Endothel ist die Grundlage für Bluthochdruck, Schlaganfälle und Herzinfarkte.”
Och nö, schon wieder Covid? (Doccheck, 19.12.23)
Welche Lehren ziehen wir aus der Pandemie?
Wir reden nur darüber, welche Maßnahmen wie geschadet haben sollen (und meistens stimmt das nicht einmal, siehe Schweiz), aber nicht darüber, wie viele Opfer wir damit verhindert haben. Wir sollten vielmehr darüber reden, warum wir weiterhin zulassen, dass neben SARS-CoV2 auch Influenza und RSV jährlich so viele Opfer fordern und ebenfalls Spätfolgen auslösen. Wir hätten so viel lernen können.
Ich hab meine Lehren schon im November 2022 ausführlichst verbloggt.
- wenn symptomatische Menschen zuhause bleiben würden statt arbeiten zu gehen, ins Wirtshaus, ins Hotel oder zu sozialen Anlässen, könnte man bereits die Verbreitung von vielen Infektionskrankheiten reduzieren (Isolation)
- wenn es sich zum respektvollen Miteinander einspielen würde, dass man im Gesundheitswesen eine FFP2-Maske trägt, könnte man Infektionen, die im Krankenhaus stattfinden und zu 100% gerade oder dauerhaft Vulnerable gefährden, deutlich reduzieren
- wenn man, sofern es unumgänglich ist, doch mit Symptomen das Haus verlassen muss, sollte man bei Menschenansammlungen sowie generell in Innenräumen eine FFP2-Maske tragen
- wenn man kürzlich Kontakt zu jemandem mit Symptomen oder nachweislicher Infektion hatte, sollte man in bestimmtem Abstand testen oder vorsichtshalber Maske tragen
- in öffentlichen Verkehrsmitteln erspart einem die Maske alles, was dort an Viren herumfliegt
- Weihnachtsfeiern sind ideale Keimschleudern, um sich das Weihnachtsfest oder den Urlaub vermiesen zu lassen
- mit Luftfiltern kann man viel erreichen, und sei es die Auswirkungen der eigenen Hausstaubmilbenallergie im Schlafzimmer deutlich abzuschwächen, es bringt aber auch etwas gegen andere Infektionskrankheiten und reduziert neben Allergenen auch Viren, Bakterien, Pilze, Ultrafeinstaub.
- regelmäßige Impfungen sind nicht nur gegen Corona sinnvoll, sondern auch gegen Influenza und andere Infektionskrankheiten
- wenn ich krank bin, dann geh ich nicht unter Menschen – vielen immungeschwächten Menschen sieht man ihre Grunderkrankung nicht an. Für manche kann ein banaler Infekt lebensgefährlich werden.
- wenn ich mich selbst richtig auskuriere, beuge ich Folgeschäden vor, die mangels Schonung entstehen, etwa Herzmuskelentzündungen oder chronische Lungenprobleme
- was man telefonisch oder per Mail erledigen kann, sollte man beim Arzt anfragen, so spart man sich die Seuchenstätte Wartezimmer
Der Staat hätte natürlich allgemeingültige Regeln für das künftige Zusammenleben aufstellen können, die die ehemalige Patientenanwältin Sigrid Pilz hier zusammengefasst hat, und auch für die Arbeitgeber hätte längst ein Umdenken stattfinden können, ohne dass man Mitarbeiter ausbrennt, die jahrelang auf notwendige Schutzmaßnahmen hinweisen und dafür noch ins Lächerliche gezogen werden.
Ist die Gefahr also vorbei? Nein, mitnichten. Weder ist SARS-CoV2 ein harmloses Erkältungsvirus geworden noch können wir auf alle Schutzmaßnahmen verzichten – völlig unerheblich davon, ob es offiziell Pandemie oder Endemie genannt wird. Das ist die Kurzfassung – mehr zu den Hintergründen:
1 Virusevolution
Die Entwicklung von Virusvarianten bei SARS-CoV2 war durchaus vorhergesagt. So hat man menschliche Blutseren aus den 80er und 90er Jahren gegen spätere Virusstränge des humanen Coronavirus 229E getestet und festgestellt, dass sie dieses schlechter neutralisieren konnten. 229E hat also sein Spike-Protein kontinuierlich verändert, um der Immunantwort besser zu entkommen (Eguia et al. 12/2020 preprint).

Die kontinuierlichen Veränderungen im Spike-Protein und teilweise auch in anderen Bereichen führen dazu, dass die Immunantwort auf das eindringende Virus immer wieder aktualisiert werden muss. Virologen unterscheiden hier zwischen shift und drift (siehe Erläuterungen hier). Antigenische Drift führt zu leicht veränderten Antigenen, wobei das Immunsystem aber nicht völlig umgangen wird, weil noch Kreuzimmunität gegen Bestandteile der veränderten Variante besteht. Das ist bisher bei allen Virusvarianten von SARS-CoV2 der Fall gewesen, wobei die von der WHO inzwischen als separate “Variant of Interest” eingestufte JN.1-Variante die bis dato immunflüchtigste ist (Yang et al. 2023). Bei einem shift-Ereignis wird ein Virus mit einem komplett neuen Antigen erzeugt, etwa mit dem Influenzavirus, das in den Jahren 1918 (Spanische Grippe), 1957 (Asiatische Grippe), 1968 (Hong Kong Grippe) und 2009 (H1N1, “Schweinegrippe”) jeweils eine Pandemie ausgelöst hat.
Die Voraussetzungen für eine Pandemie sind demnach dann erfüllt, wenn ein neuartiger Erreger auf eine immun-naive Bevölkerung trifft – im Unterschied zur saisonalen Influenza, die jährlich während einer bestimmten Jahreszeit auftritt und typischerweise weniger schwere Erkrankungen verursacht, weil es von vorhergehenden Virussträngen Kreuzimmunität gibt.
Im Unterschied zu Influenza mutiert SARS-CoV2 wesentlich häufiger (Markov et al. 2023) und die antigenische Drift führt gemeinsam nachlassender Immunität zu mehreren Wellen pro Jahr (Albright et al. 2023). Es hat sich auch nicht bewahrheitet, dass SARS-CoV2 mit fortschreitender Virusentwicklung und Bevölkerungsimmunität nurmehr “Miniwellen” verursachen würde (Callaway 05/2023). Diese und andere Aussagen wie von Virologe Drosten (“virologische Sackgasse”, Die Zeit 11/2022) scheinen mir mehr auf den jeweils damaligen Ist-Zustand zu passen, aber nicht als zuverlässige Prognose.
2 Impfung als alleine Strategie unzureichend
Im März 2021 wurde erstmals modelliert, dass Herdenimmunität durch die Impfstoffverteilung alleine nicht mehr erreichbar sein würde, sondern Gegenmaßnahmen weiterhin notwendig wären (Moore et al. 2021), bzw. nur mit Impfung der Kinder und Jugendlichen (Li et al. 2021). Am 2. Jänner 2021 (deutsche Übersetzung in meinem Blogtext vom 1.10.22) hat der Virologe Paul Bieniasz auf Twitter gewarnt, was passiert, wenn man hohe Infektionszahlen auf eine nur teilweise geimpfte Bevölkerung loslässt – dass nämlich der Selektionsdruck zunimmt und sich impfstoffresistente Varianten bilden würden. Genau das passiert seit der Ankunft der Omicron-Varianten und jetzt auch mit JN.1 (Tan et al. 2022, Duerr et al. 2023). Besonders problematisch dabei ist, dass wir keine Impfkampagnen mehr fahren und die Entwicklung angepasster Impfstoffe bei der hohen Mutationsrate von SARS-CoV2 zu lange dauert. Wir könnten die Mutationsrate erheblich verlangsamen, wenn wir dauerhafte Gegenmaßnahmen etablieren würden. So hat man im ersten Pandemiejahr nicht nur eine erhebliche Zahl an Toten und Schwerkranken verhindert, sondern auch eine frühzeitige Mutation des Virus in Richtung mehr Immun Escape. Jetzt bräuchten wir erneut Maßnahmen, damit die Impfstoffentwicklung mit der Virusevolution mithalten kann und noch effektiver Infektionen selbst verhindern kann. Denn es ist weiterhin so, dass völlig gesunde Menschen Spätfolgen entwicklen können und vorerkrankte Menschen nicht auf einer Raumstation leben, sondern Angehörige, Freunde, Familie haben und durch diese gefährdet sind.
Wann ist die Pandemie vorbei?
Die WHO hat den SARS-CoV2-Ausbruch am 30. Januar 2020 offiziell als Internationalen Gesundheitsnotstand (PHEIC) ausgerufen und diesen am 5. Mai 2023 beendet. Die Pandemie wurde am 11. März 2020 ausgerufen. Im Statement zur Beendigung des PHEIC wurde festgehalten, dass das Coronavirus selbst nicht vorbei ist:
“it no longer fit the definition of a PHEIC. This does not mean the pandemic itself is over, but the global emergency it has caused is, for now.”
“This virus is here to stay. It is still killing, and it’s still changing. The risk remains of new variants emerging that cause new surges in cases and deaths. The worst thing any country could do now is to use this news as a reason to let down its guard, to dismantle the systems it has built, or to send the message to its people that covid-19 is nothing to worry about.”
WHO-Chef Tedros am 05. Mai 2023, Pressekonferenz
Die Kriterien für ein PHEIC sind dann erfüllt, wenn
- ein außergewöhnliches Ereignis vorliegt
- ein öffentliches Gesundheitsrisiko für andere Staaten durch internationale Verbreitung besteht
- ein international koordiniertes Vorgehen erforderlich ist
SARS-CoV2 ist nicht mehr außergewöhnlich und das Virus ist de facto schon überall präsent, sodass auch mit geschlossenen Grenzen Verbreitung stattfinden würde. Ein international koordiniertes Vorgehen wäre nurmehr dann erforderlich, wenn es wieder ein shift-Ereignis gibt und ein neuer Virusstrang entstehen würde, dem auch die bestehende Immunität durch Impfung und Infektion nichts entgegensetzen könnte.
Die Ausrufung und Beendigung des PHEIC hat mehr rechtliche Konsequenzen für die Staaten als gesundheitliche für den Einzelnen. Zudem wurde das Ende der PHEIC unter Wissenschaftlern durchaus kritisch gesehen, wie diese Zusammenstellung des britischen Science Media Centres zeigt – es würde lediglich die politische, aber nicht die epidemiologische Realität widerspiegeln.
Virologen wie Krammer und Drosten sehen mit dem Ende des PHEIC auch die Pandemie beendet, wobei Krammer im Gegensatz zu Drosten regelmäßige Infektionen nicht als erstrebenswert ansieht:
“Die beste Infektion ist keine Infektion.” (Twitter, 19.12.23)
Krammer begründet seine Meinung damit, dass wir auf Influenza bezogen dann sagen müssten, dass wir immer noch in der 1968er H3N2-Pandemie sein würden. Auch saisonale Influenza würde jährlich 290 000 bis 650 000 Tote hervorrufen, ein Großteil davon durch H3N2. Nur durch den Umstand, dass das Virus weiterhin zirkuliert und enorme Schäden anrichtet, hätten wir viele Pandemien, die immer noch andauern. Die WHO sei diesbezüglich inkonsequent, wann eine Pandemie vorbei sei und wann nicht (siehe HIV vs. Influenza, die HIV-1-Pandemie ist formal nicht beendet). Er würde dafür auch Faktoren wie die Fallsterblichkeitsrate (CFR), verfügbare Gegenmaßnahmen und Vorliegen eines Internationalen Gesundheitsnotstands betrachten. Eine große Welle wie jetzt JN.1 wäre noch kein Beleg für eine Pandemie, das hätte es 1947 auch mit der “pseudopandemischen” Influenza gegeben.
Aus rechtlicher Sicht ist es leider nicht egal, wann eine Pandemie als beendet erklärt wird, denn Pandemiepläne und entsprechende Gegenmaßnahmen basieren auf diesen formalen Erklärungen.
Die australische Epidemiologin Raina MacIntyre ist der Überzeugung, dass SARS-CoV2 niemals endemisch sein kann, weil es sich um eine epidemische Krankheit handelt, die wiederkehrend hohe Infektionswellen verursacht. Es wird nicht möglich sein, mit COVID zu leben, sondern Impfstoffe und öffentliche Gegenmaßnahmen müssen vorhanden bleiben, um das Virus zu kontrollieren.

Demnach wird die Phase “Postpandemisch” dann erreicht, wenn die Viruszirkulation saisonal wird. Da sind wir aber noch lange nicht, wenn man sich die aktuelle JN.1-Welle betrachtet, die auch auf der Südhalbkugel zu Wiederanstiegen führt.
Folgerichtig bezeichnet die WHO die Situation nach Ende des PHEIC weiterhin als Pandemie:
“While the international public health emergency may have ended, the pandemic certainly has not.”
Hans Henri P. Kluge, Regionaldirektor für die WHO Europa, 12.06.23
Für die WHO spielt es daher keine Rolle, wie ansteckend und krankmachend das Virus ist und wie viel Bevölkerungsimmunität da ist. Pandemie herrscht, wenn das Virus mehrere Länder abdeckt. Endemisch wird es dann genannt, wenn es auf eine bestimmte Region begrenzt ist, wie Malaria etwa in manchen afrikanischen Ländern. Eine Pandemie kennt keine Grenzen, während eine Epidemie innerhalb einer bestimmten Region wütet, aber meist eingedämmt oder kontrolliert werden kann.
WHO-Exekutivdirektor Mike Ryan geht noch einen Schritt weiter. In den meisten Fällen endet eine Pandemie wahrhaftig erst dann, wenn die nächste beginnt. Ryan sagt, dass es keinen Zeitpunkt geben wird, wo die WHO herkommt und sagen würde, die Pandemie sei beendet. Infektiologe Anthony Fauci, Ex-Berater der US-Regierung stellte klar, dass das Wesen des Notfalls vorüber sei, und das würde die Leute jetzt verwirren. Es bedeutet nicht, dass wir damit aufhören sollten, sich zu impfen oder unter bestimmten Umständen Maske zu tragen. Immunsupprimierte Menschen sehen keinen Unterschied zu vor, in einer US-Umfrage denkt nahezu die Hälfte von ihnen nicht, dass ihr Leben jemals wieder zur Normalität von vor der Pandemie zurückkehren würde (USA Today).
Für wen ist die Pandemie nicht vorbei?
Dies zeigt auch den wesentlichen Unterschied in der Berichterstattung zwischen Österreich und dem Ausland (hier: USA) auf. Dort kommen auch jene Minderheiten zu Wort, die hierzulande totgeschwiegen werden. Für wen ist der Notfallzustand nie vorbei auf unabsehbare Zeit? Für Kinder, die sich regelmäßig infizieren und dadurch gesunde Lebensjahre verlieren, für Immunsupprimierte, die aufgrund ihrer Medikamente kein Paxlovid bekommen können und bei denen die Impfung keine langlebige Immunantwort stimuliert, für all jene Menschen mit Risikofaktoren, die sich nicht dauerhaft schützen können, schon gar nicht mit Kindern im Kindergarten oder Schule oder bei regelmäßigen Terminen im Gesundheitswesen, oder einfach generell nicht, wenn man weiterhin soziale Teilhabe ausüben will. Die Pandemie wird nie vorbei sein für alle, die Spätfolgen entwickeln, von Diabetes Typ I über Herzinfarkte und Schlaganfälle, über kognitive Einschränkungen, Geruchsverlust bis Fatigue und MECFS. Das sind alleine in Europa schon über 40 Millionen Betroffene, weltweit eher hunderte Millionen. Das ist nichts, was vernachlässigt werden, geschweige denn aufgefangen werden kann durch unsere marode gewordenen Gesundheitssysteme.
“Das was uns unterscheidet ist nicht die Maske, sondern die Tatsache, dass ich nicht aufgehört habe mich umfassend zu informieren. Ich trage die Maske weder aus Spaß noch aus Angst, sondern einzig u. allein, weil es mit dem Wissen das ich habe, leichtsinnig wäre es nicht zu tun.”
@_ulmerspatz, 19.12.23 (Twitter)
Die Coronazeit, die Coronakrise wird auch für Menschen wie mich und andere vernünftige und vorsichtige Menschen nicht vorbei sein. Ich habe vielleicht keine schwerwiegende Grunderkrankung, aber großen Respekt vor den Folgen einer selbst leichten Coronainfektion. Ich sehe aus erster Hand, wie sich bei infizierten Personen im ähnlichen Alter und mit ähnlicher Fitness die Folgen zeigen, teilweise mit wochenlanger Rekonvaleszenz.
Und was ist jetzt das Ergebnis?
Es gibt valide Punkte, die Pandemie als beendet oder nicht beendet zu bezeichnen. Die WHO sieht die Pandemie weiterhin im Gange, wird sie aber offenbar nie als beendet erklären. Unter den Experten herrscht geteilte Meinung, ob wir immer noch eine Pandemie haben oder schon im endemischen Zustand sind. Rechtlich hat das sehr wohl Folgen, weil man erneute Maßnahmen ohne Anwendung des Epidemiegesetzes/des Pandemieplans nicht wiedereinführen will. Epidemiologisch hat sich nichts geändert. SARS-CoV2 zirkuliert weiterhin ganzjährig mit 3-4 Wellen. Immun-naiv ist die Bevölkerung zwar nicht mehr, aber ein großer Teil ist nicht auf dem neuesten Stand bzgl. Auffrischimpfungen. Ohne massentaugliche Impfkampagnen und andauerndem Mangel antiviraler Medikamente wie Paxlovid sowie ohne Schutzmaßnahmen rauscht jede Welle ungebremst durch die Bevölkerung wie vor Beendigung des Internationalen Notstands.
Als interessierter Laie, der das Infektionsgeschehen nun schon eine Weile begleitet und dokumentiert, befinden wir uns meiner Meinung nach weiterhin in einem nationalen Gesundheitsnotstand, und wenn ich nach Deutschland, nach UK oder in andere Länder blicke, gilt das dort genauso. Die akute Krankheitsschwere hat zwar abgenommen, damit werden weniger Patienten stationär behandelt wie noch zu Zeiten von BA.2 (damals teilweise Rekordzahlen bei den Normalbettenbelegungen) oder Delta, aber das Gesundheitssystem ist wesentlich weniger resilient als vor der Pandemie und es reichen die ständig hohen Krankenstände, auch durch LongCOVID, dass die Regelversorgung, in die wir jetzt angeblich zurückgekehrt sind, nicht mehr da ist. Statt Regelmedizin also vielmehr Krisenmedizin, hier und da Löcher stopfen, aber nicht mehr vorausschauend planen. Dadurch kommt es zu Kollateralschäden wie in der Zeit des aktiven PHEIC, mit verschobenen OPs, mit Infektionen im Krankenhaus, mit verspäteter Erstversorgung, aber auch zu Übersterblichkeit, wenn die Gefäßschäden zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führen – diese scheinen aber in keiner Statistik mehr covidbedingt auf. In Summe ist die Einstufung Gesundheitsnotstand weiterhin gerechtfertigt, aber weniger durch das Virus selbst als durch den Umstand, dass wir absolut nichts dagegen unternehmen wollen. Pandemie trifft es weiterhin besser, selbst wenn die bisherigen Varianten alle antigenische Drift zeigen und nicht mehr als neuartige Erreger gelten. Ein Ende der Pandemie wäre für mich dann gegeben, wenn man dauerhafte NPIs installiert und die Viruszirkulation tatsächlich einbremst und mit effektiveren Impfstoffen zusätzlich die Fallzahlen herabdrückt.