Tag 100: Kein Abgang mit Stil

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Flucht in die Berge ist meine einzige Strategie, um nicht den Lebensmut zu verlieren 

Zur Erinnerung – Tag 0 war für mich der 11. März, ironischerweise der 9. Jahrestag der Fukushima-Reaktorkatastrophe. In meinem allerersten Beitrag über Corona am 26. Februar (!)  schrieb ich diesen Satz:

Wenn das Coronadingsbums jetzt schrittweise die Infrastruktur weltweit lahmlegt, könnte man ja mal grundsätzlich hinterfragen, ob man weiter sehenden Auges mit Vollgas in den Untergang reiten will oder ob man – fünf vor zwölf – zu nachdenken anfängt, ob das klug ist, was wir gerade machen.

100 bzw. 114 Tage später stelle ich fest, nachdenken ist weiterhin nicht en vogue.

Klimaerwärmung: die irreparable Ökopandemie

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2m-Temperaturabweichung vom monatlichen Mittel für Mai 2020 in der Arktisregion. 

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Vorhergesagte 2m-Temperaturabweichung vom 1981-2010-Mittel für den 24. Juni 2020 (5-Tages-Prognose), Quelle beider Karten: http://www.karstenhaustein.com/climate

Wenn man sich die aktuellen Temperaturabweichungen im Polarkreis anschaut, dann kämpfen wir gegen drei Pandemien gleichzeitig: ein medizinisches, wirtschaftliches und ökologisches Desaster. Über 20 Grad Temperaturabweichung nach oben in weiten Teilen Sibiriens und Kanadas sind eben nicht nur abnormal, sondern besorgniserregend. In etlichen Regionen brechen wie schon im Vorjahr wieder große Brände aus, die nicht unter Kontrolle gebracht werden können. Der Permafrostboden taut auf und setzt große Mengen an Methangas frei. Die Kipppunkte wurden bereits überschritten – aufhalten lässt sich dieser Prozess nicht mehr, allenfalls verlangsamen, aber das würde eine gemeinsame Anstrengung insbesondere der größten CO2-Sünder voraussetzen, was mit der aktuellen politisch-ideologischen Besetzung nicht passieren wird.

Sorglosigkeit und Unterschätzung der Spätfolgen

Die derzeitigen Untergangsführer schaffen es nicht einmal, im eigenen Land die Bevölkerung vor dem Virus zu schützen, indem sie die einfachsten Maßnahmen durchsetzen, wie z.b. Maskenpflicht. Die Inkompetenz reicht von Trump bis Kurz. Die Welt lobt vorschnell und überschwänglich Österreichs medizinische (!) Bewältigung der ersten Welle, übersieht aber, dass seit Juni ohne Not und entgegen wissenschaftlicher Evidenz die Maskenpflicht wieder aufgehoben wurde. Kanzlervirologe Kurz deutet das Ende der Coronakrise an, während Gesundheitsminister Anschober zurecht warnt, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei. Zwei Drittel der letzten Infektionen verliefen (zumindest anfangs) symptomfrei, darunter auffallend viele junge Menschen, was auf die gestiegene Mobilität und wohl auch eine gewisse Sorglosigkeit hindeutet.

Über die Spätfolgen wird zu wenig berichtet. Die Mehrheit der Betroffenen mit mildem oder symptomfreien Krankheitsverlauf zeigen in einer Studie pathologische Veränderungen des Lungengewebes. Selbst, wenn man die Infektion also unbemerkt an einem vorüber gegangen ist, kann sich das auf die Leistungsfähigkeit der Lunge niederschlagen. Das bleibt aber mitunter lange unbemerkt, wenn man nicht regelmäßig seine Sauerstoffsättigung misst. Ein weiteres Problem sind monatelang deutlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit und extreme Müdigkeit, vergleichbar mit dem CFS/ME-Syndrom.

Unterm Strich bleibt: Gar nicht erst anstecken, um sicherzugehen!

Was ich als Laie seit März gelernt habe: Es gibt Antikörper, aber davon gibts verschiedene und dann gibts neutralisierende Antikörper, und die gehen rasch zurück sowohl bei jenen mit als auch ohne Symptome. Die Hoffnung besteht darin, dass bei allen Patienten Memory B cells gefunden wurden, die Jahrzehnte bestehen können. Das ist anscheinend gut für die Entwicklung eines effektiven Impfstoffs, aber schlecht für lange gehegte Hoffnung, eine Durchseuchung der Bevölkerung würde eine anhaltende Herdenimmunität erzeugen. Eine weitere Studie zeigt, dass die sogenannte Kreuzimmunität durch gewöhnliche Erkältungscoronaviren keine beständige Immunität erzeugt. Bleibt die Rolle der T-Zellen, die sich nur aufwändig testen lassen (keine Massentests möglich), die auf normale antivirale Immunität schließen lassen. Aber ganz so einfach, wie es sich wir Laien uns anfangs gedacht haben, ist es leider nicht: Erkrankung durchgemacht, Antikörper, ewig immun oder mindestens bis zur Impfstoffentwicklung. Das scheint es nicht zu spielen, wobei bisher nicht bekannt ist, ob Reinfektionen notwendigerweise auch erneut zur Erkrankung führen und immer noch ein schwerwiegender Krankheitsverlauf zu erwarten ist, wenn man erneut krankt.

Unterm Strich bleibt: Gar nicht erst anstecken, um sicherzugehen!

Fremdverantwortung statt Eigenverantwortung

Glücklicherweise erlebe ich beides, ignorante Trottel, die die Maske ablegten, sobald es hieß, dass man sie nicht mehr tragen müsse, weil Eigenverantwortung für sie ein Fremdwort ist und überhaupt der falsche Begriff, denn tatsächlich handelt es sich um Fremdverantwortung wie zuvor das Maskentragen nicht den Träger schützen sollte, sondern eine gefährdete Person, sei es selbst in der Risikogruppe oder Angehörige/r eines krebskranken Kindes oder lungenkranken Freundes. Dann gibt es aber auch jene, die anfangs skeptisch waren, ob das Masken tragen etwas nützt, jetzt aber nurmehr den Kopf schütteln und vor allem Verfechter des Konzepts sind, dass man durch weiterhin Masken tragen andeutet, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist, ein Innehalten des Denkens, bevor völlige Sorglosigkeit und Fremdgefährdung Oberhand gewinnen. Ob das ausreicht, während eine Mehrheit in Österreich weiterhin denkunfähig und stumpfsinnig obrigkeitshörig ist, sei dahingestellt.

Drei weitere Wellen

Es ist nicht vorbei. Drei Wellen kommen noch. Eine weitere Infektionswelle, bei der wir es selbst in der Hand haben, ob wir eine Rücknahme der gewonnen Freiheiten haben wollen, indem wieder konsequenter Masken getragen werden und zudem Abstand gehalten wird. Jetzt ist noch nicht der Zeitpunkt für große Geburtstags- und Familienfeiern in geschlossenen, engen Räumen mit schlechter Ventilation. Eine Pleitewelle ungekannten Ausmaßes wird ab Herbst über das Land hinwegrollen und kaum eine Branche verschonen. Ob alle ÖVP-Wähler davon verschont bleiben, ist eher zweifelhaft – es muss offenbar erst die *eigenen Leute* treffen, bevor die gehirngewaschenen Sektenanhänger aufwachen und sich nicht mehr mit dem Sündenbock EU, Migranten, Flüchtlinge oder ähnlichem abspeisen lassen. Wenn wir das alles in die kommenden Jahren überleben sollten, dann kommt die Klimaerwärmungswelle, die über alle hinwegfegt und gegen die weder Privatversicherungen noch Spendengelder an die ÖVP helfen. Mit Geld kann man sich nicht alles kaufen. Ob ich den Zeitpunkt noch erlebe, wo in Österreich erstmals seit der Kreisky-Ära eine Art gesellschaftlichen Umbruchs stattfindet und die neoliberal-klerikal-faschistische Grundidee zu Grabe getragen wird, weiß ich nicht. Ich bin nicht einmal mehr erpicht darauf, ihn zu erleben.