

Dichtung (rechts) im Variantenmanagementplan der Bundesregierung und Wahrheit (links) für die Betroffenen LongCOVID/MECFS-Patienten
Vielleicht die gute Nachricht zuerst: Ich habe mir die Mühe gemacht, von einigen Ländern und Städten die öffentlich einsehbaren Abwasserdaten herauszusuchen, und diese zeigen derzeit ein einheitliches Bild: Die Abwasserwerte sind vielfach so niedrig wie seit dem Sommer 2021 nicht mehr, zum Teil seit Sommer 2020, sofern seitdem Abwasserwerte existieren. Die bedingt durch die vielfach abgeschafften Testangebote niedrigen Inzidenzen stimmen also mit den niedrigen Abwasserwerten überein. Es zirkuliert aktuell wirklich sehr wenig SARS-CoV2. Das zeigen auch die Sentinelproben in Österreich mit ca. 2% SARS-CoV2, sonst Adenoviren (8%), Enteroviren (11%) und Rhinoviren (17%).
Während die Zahl der Neuinfektionen in Europa also tatsächlich niedrig ist, sind sie in Japan deutlich höher, etwa in Sapporo, wo die Abwasserwerte so hoch wie im Winter 2022/2023 sind. In Okinawa ist die Notfallversorgung zusammengebrochen. Zwei Drittel der Patienten sind älter mit hohem Fieber (über 40°C) und kamen direkt in die Klinik. Rund 70% der Patienten wurden positiv auf SARS-CoV2 getestet. Virusvarianten gibt es natürlich weiterhin und weil das Virus jetzt frei zirkulieren kann, wird es weitere Varianten geben, die sich früher oder später wieder bei uns ausbreiten. Ein Kandidat ist z.B. EG.5.1, welche 30% aller Fälle in China ausmacht (Stand 02.07.23) und 55% Wachstumsvorteil aufweist. Die entscheidende Mutation ist F456L mit erhöhtem Immun-Escape-Potential. Es wird also nicht so bleiben.
Aktuell: Der Patientenverein MECFS in Österreich führt eine Erhebung zur sozialen Absicherung durch – mitmachen können alle mit MECFS-Diagnose: Link zur Umfrage
Weiterhin hoher Bedarf an LongCOVID-Anlaufstellen
Auch wenn die Ansteckungsgefahr aktuell niedrig ist und es kaum noch Neuinfektionen gibt, ist der Zulauf an LongCOVID-Patienten in die neurologischen Ambulanzen ungebrochen. Die Ruhephase in der Pandemie sorgt lediglich für eine Verkürzung der Wartezeiten. Entgegen der Berichterstattung in Österreich werden LongCOVID-Anlaufstellen dadurch aber nicht obsolet! Die Betroffenen sind immer noch da und bei vielen lautet die Diagnose nun MECFS mit unterschiedlichen Schweregraden entsprechend der Bell-Skala.
Unterdessen herrscht seit Ende Mai auch an der LongCOVID-Ambulanz vom AKH Wien Aufnahmestopp. Die LongCOVID-Ambulanz KH Hietzing ist ebenfalls geschlossen, vom Wiener Gesundheitsverbund auf Nachfrage damals auf Twitter irreführend als “Infodrehscheibe” bezeichnet. Letztendlich kann man kompetente Fachärzte, die sich mit LongCOVID auskennen, an einer Hand abzählen. Viele LongCOVID-Betroffene kommen kränker und invalide aus der verpflichtenden Reha als sie hineingegangen sind. Viele Haus-, Fach- und Spitalsärzte wollen Betroffenen psychosomatische bzw. psychiatrische Ursachen andichten statt sich mit körperlichen Ursachen auseinanderzusetzen. Fakt ist nun einmal, dass LongCOVID auf eine Covid19-Infektion zurückzuführen ist, und es längst Biomarker für einige Subsets von LongCOVID gibt. Long COVID ist ein Spektrum verschiedenster Symptome und Symptomcluster (Syndrom), vom Herzinfarkt wenige Wochen nach der Infektion über die chronische Infektion bei Immungeschwächten bis zur Reaktivierung von Herpes- oder Adenoviren, die sich in Fatigue-Symptomen zeigen.
Mangelnde Daten- und Versorgungslage
Im Paywall-Interview mit der Kleinen Zeitung spricht Kathryn Hoffmann, seit Februar Leiterin der Primary Care Medicine Abteilung der MedUni Wien, von rund 300000 Menschen mit LongCOVID-Symptomatik in Österreich. 20-30% der Betroffenen wrden langfristig betroffen sein, also rund 60000 Menschen. Prävention wie Luftfilter, CO2-Sensoren, Maske tragen oder angepasste Impfstoffe werden auf der Webseite explizit erwähnt.
In Österreich ist nicht nur die Versorgungslage schlecht, sondern auch die Datenlage. Darin wird sich auch bis auf weiteres nichts verbessern – nicht nur, weil kaum noch sequenziert wird und etwa nur jeder fünfte positive Antigentest mit einem PCR-Test bestätigt wird, sondern weil in der Novelle des Epidemiegesetzes
“ausdrücklich klargestellt [wurde], dass wissenschaftliche Einrichtungen im Rahmen der Registerforschung keinen Zugang zu (…) verknüpften Daten haben”
Die Häufigkeit von LongCOVID wird ebenfalls unzureichend erfasst, weil in der Krankenstandsmeldung in der Regel nicht LongCOVID steht, sondern “viraler Infekt” oder “Schwindel, Herzrasen”. Dazu kommen Fehldiagnosen wie Angsterkrankung oder Depressionen. Viele sind zudem nicht im Krankenstand, sondern mitversichert, in Karenz, in Bildungskarenz, arbeitslos gemeldet, in Pension, in Teilzeit, im Homeoffice. Betroffene sind oft zu krank zum arbeiten, aber zu gesund für Invalidenpension, oder zu gesund für Rehageld, aber zu krank für Wiedereingliederung.
Hausärzte können die aufwendige Differentialdiagnose oft nicht leisten. Dafür reichen die pro Patient veranschlagten Behandlungsminuten bei weitem nicht aus. Teure Diagnostik ist oft gedeckelt, die Kasse übernimmt die Kosten für teure Diagnostik, aber auch Medikamente nicht. Betroffene Patienten sind dafür überproportional von Armut betroffen und können sich keine Wahl- oder Privatärzte leisten. Pflegekräfte sind rar und haben dazu seit Juli das Problem, regelmäßig zu testen – auch ohne Symptome, weil es keine gratis PCR-Tests mehr gibt. Pflegekräfte alleine wiederum muss man sich erst einmal leisten können. Auch pflegende Angehörige, oft die Eltern, müssen ihre Jobs aufgeben. Was ist, wenn die Eltern selbst pflegebedürftig werden? Viele Betroffene fürchten sich vor diesem Zeitpunkt. Wer setzt sich für sie ein?
“Wir schreiben den 4.7. How it’s going: vulnerable Verwandte hat Symptome und bekommt in Apotheken und beim Hausarzt KEINEN pcr Test. Apotheken (mehrere) schicken sie ins Labor. Macht 40 Euro. Herr Johannes Rauch, so sieht Ihr Plan dann in Realität aus.”
Julya Rabinowich am 04. Juli 2023
Die Antwort von Gesundheitsminister Rauch:
“Personen mit Symptomen bekommen bei niedergelassenen Ärzt:innen kostenlose Antigen-Tests. Ihre Verwandte sollte also auf jeden Fall beim Hausarzt getestet werden können. Jeder 5. positive Antigen Test wird im Rahmen der Ganzgenomsequenzierungen dann mittels PCR-Test bestätigt.”
Problem: Antigentests sind weniger sensitiv als PCR-Tests. Perfide: Das Gesundheitsministerium schreibt weiterhin auf ihrer Webseite (abgerufen am 06.07.23) zu PCR-Tests:
“Den Goldstandard für die Frühdiagnostik einer Infektion bildet, gemäß wissenschaftlicher Evidenz und internationalen Empfehlungen, der direkte Erregernachweis mittels qualitätsgesichertem PCR-Verfahren bzw. anderer molekularbiologischer Verfahren. Dieser direkte Nachweis von SARS-CoV-2 erfolgt über das Virusgenom (Erbgut).”
Da steht FRÜHDIAGNOSTIK. Und gerade vulnerable Personen profitieren von antiviraler Behandlung und monoklonalen Antikörpern umso effektiver, je früher sie von ihrer Infektion wissen – bestenfalls VOR den ersten Symptomen. Antigentests können bei den ersten Symptomen auch mal negativ ausfallen, speziell, wenn sie schlecht abgenommen wurden, etwa ein Nase kitzeln statt ein tiefer Rachenabstrich. Vulnerable verlieren so wertvolle Zeit, weswegen ein PCR-Test treffsicherer ist. Auch LongCOVID-Ambulanzen setzen weiterhin einen PCR-Nachweis der Infektion voraus, wenn man auf die Warteliste möchte. Die Ct-Werte sind darüber hinaus auch wichtige Indikatoren dafür, ob immer noch Virusgeschehen im Körper vorhanden ist. Selbst bei negativem Antigentest würde ich mich bei positivem PCR-Test weiter größtmöglichst schonen, um keinen Rückfall zu riskieren. Aus Erfahrung wissen wir, dass der PCR-Test bis zu drei Wochen positiv sein kann – bei SARS-CoV2 ein durchschnittlicher Zeitraum für eine Krankschreibung.
Wenn ich vulnerable Gruppen meine, dann sind auch LongCOVID/MECFS-Patienten gemeint. Ich weiß nicht, woher der hoffnungsfrohe oder nur ignorante Glaube im Gesundheitsministerium kommt, dass die Betroffenen sich a) nicht mehr anstecken könnten und b) keine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands erfahren.
Tendenziöse Berichterstattung im ORF

“Rund 36 Millionen Menschen weltweit kämpfen mit schweren gesundheitlichen Folgen, das meldet die WHO.”
Die erste Falschaussage. Nicht weltweit, sondern alleine in Europa. Auf Nachfrage hieß es, dass es sich um einen Versprecher gehandelt hätte.
“Zu den sogenannten LongCOVID-Erkrankungen wie extreme Erschöpfung gibt es bereits viele Forschungen, die genauen Ursachen sind aber noch unklar.”
Das tönen sie seit über zwei Jahren schon, und dabei weiß man schon seit März/April 2020, dass SARS-CoV2 in erster Linie eine Entzündung der Gefäße ist und kein reiner Atemwegsinfekt. Mit vaskulären Erkrankungen geht eine ganze Reihe von Folgesymptomen einher.


Übersicht über LongCOVID-Symptome und Ursachen – und hunderte Artikel dazu
Warum kann man so ein einfaches Schaubild wie rechts nicht für zehn Sekunden einblenden?
“Nach Schätzungen sind in Österreich mindestens 60 000 Menschen betroffen. Dazu kommen jene rund 30 000 Menschen, die schon davor durch andere Infekte an MECFS, dem chronischen Fatigue-Syndrom erkrankt sind.”
Diese Zahl stimmt so nicht. Es sind über 300 000 Menschen von LongCOVID betroffen, davon werden rund 60 000 als weitere MECFS-Patienten aufschlagen. Und es könnten noch viel mehr werden, wenn jetzt die letzten Versorgungsstrukturen zerschlagen werden. Denn ohne adäquate medizinsiche Versorgung und ausreichend Schonung verschlimmern sich viele Verläufe. Die Betroffene Alexa Stephanou im Beitrag spricht vom kaum bewältigbaren Ärztemarathon.
Hoffmann: “Momentan ganz ehrlich habe ich das Gefühl, es wird mal probiert mit Augen zu und durch. Das wird in dem Fall aber nicht funktionieren, weil es einfach viel zu viele PatientInnen sind.”
Danke, dass sie nach 40 Minuten Interview nur diese zwei Sätze von ihr gesendet haben. Prävention kam wie üblich wieder gar nicht vor. Und die Maske am Boden zu Beginn des Beitrags zeigt auch deutlich, dass man darin keinen Bedarf mehr sieht.
Zusammenfassung
Der Umgang mit SARS-CoV2 soll in die Regelversorgung wie andere Krankheiten überführt werden, hieß es zu Jahresbeginn. Was heißt das für die Gesamtbevölkerung, für LongCOVID-Patienten und für Risikogruppen im Besonderen?
Covid19-Antigentests dürfen seit 1.7.23 nur Kassenärzte durchführen. Wahl- und Privatärzte werden nicht im Gesetzestext erwähnt. Verrechnet werden dürfen die Tests nur, wenn Symptome liegen. Pro Test gibt es 25 Euro Honorar, jeder fünfte Test muss mit PCR bestätigt werden, zählt aber dann als ein Test. Für die Beratung z.B. zur Einnahme von Paxlovid (viele Wechselwirkungen!) gibt es kein pauschales Honorar mehr. Das Impfhonorar wurde von 25 auf 15 Euro herabgesetzt. Befristet ist diese Regelung bis Jahresende, also läuft ohne Änderung inmitten der Winterwelle aus. Es ist übrigens unerheblich, wie viel SARS-CoV2 im Winter zirkuliert. Bei respiratorischen Anfangssymptomen sollte man auf alles testen, weil SARS-CoV2 eben gefährlicher als Influenza oder RSV ist.
Immungeschwächte Patienten dürfen nach positivem Antigentest würfeln, welche Variante sie aufgerissen haben, denn je nach Variante wirken verschiedene monoklonale Antikörper schlechter oder besser.
Wer länger ins Spital muss, muss auf Glück hoffen, sich nicht anzustecken, weil die Maskenpflicht nurmehr in onkologischen oder intensivmedizinischen Bereichen gilt, und selbst das nicht mehr überall. Ein medizinethisches Verbrechen (Klompas et al. 2023), was sagt eigentlich unsere schlafende Bioethikkommission dazu?
Wie im vorherigen Beitrag geschrieben, wird es auch eine Herausforderung, an Paxlovid zu kommen. Viele Hausärzte sind da genauso blank oder skeptisch wie bei LongCOVID oder fürchten sich, den Wechselwirkungsrechner anzuwerfen. Manche Ärzte/Apotheken geben Paxlovid nach viel Überzeugungsarbeit auf Privatrezept (für 18 Euro) ab.
Prävention spielt keine Rolle mehr, Masken wurden verteufelt, das Wort Coronavirus aus dem allgemeinen Sprachgebrauch gestrichen. In Deutschland gibt es zumindest immer wieder Berichte, dass Promi-Fußballer oder berühmte Sänger ihre Karrieren vorzeitig wegen LongCOVID beenden würden. In Österreich gibt es nichts dergleichen.
Schon Ende August könnten die Fallzahlen mit Reiserückkehrern wieder steigen, mit denen Varianten mit mehr Immun Escape kommen. Die BA.5/XBB-Schleimhautimmunität ist brüchig und hält nicht ewig. Mit steigenden Fallzahlen kommen verzögert neue LongCOVID/MECFS-Patienten hinzu. Die Logik ist simpel: Wenn das Virus bleibt, muss auch die Versorgung bleiben. Und wenn man nicht will, dass die wenigen Spezialisten überlastet sind, braucht man beides: Prävention und Ausbau der Versorgung.