
Seit 1969 ist MECFS von der WHO klassifiziert – MECFS ist die Abkürzung für Myalgische Enzephalomyelitis bzw. Chronisches Fatigue Syndrom. Es handelt sich um eine schwere Multisystemerkrankung, die bei den meisten Betroffenen zum Verlust der Arbeitsfähigkeit führt. 25% sind so schwer krank, dass sie Haus oder Bett nicht mehr verlassen können und auf Pflege angewiesen sind. MECFS-Erkrankte leiden unter ausgeprägter Zustandsverschlechterung nach körperlicher und geistiger Belastung (Post-Exertional Malaise (PEM), dazu gehören schwere Fatigue (krankhafte Erschöpfung), kognitive Störungen, Schlaflosigkeit, ausgeprägte Schmerzen, Überempfindlichkeit auf Reize, Störung und Überaktivität des Immunsystems sowie Störung des autonomen Nervensystems.
In Österreich sind 26000 bis 80000 Menschen betroffen – durch SARS-CoV2 kamen tausende Betroffene hinzu und werden immer noch mehr. Viele Betroffene sind zu krank, um selbst vor Ort mitzuprotestieren. Für sie stehen stellvertretend die leeren Schuhe am Platz. Erfreulicherweise waren auch einige Medienvertreter vor Ort, ORF, Puls24 und Radio Technikum (Bericht von Eva Maria Wohlfarter).
Trotz der massiven Auswirkungen der MECFS-Erkrankung gibt es weder Beratungsstellen noch ambulante Anlaufstellen oder stationäre Einrichtungen für Notfälle. Betroffene kämpfen mit Stigmatisierung und Verleugnung der Schwere ihrer Erkrankung. Mediziner haben häufig einen veralteten Kenntnisstand und schieben die Beschwerden auf die Psychoschiene. Schwerstbetroffene müssen monatelang oder jahrelang vor Gericht um ihre Rechte kämpfen, jeder Termin kann zu einem Crash und zu einer Verschlechterung ihrer Beschwerden führen. Die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) erklärt Betroffene trotz Bettlägerigkeit für Simulanten und arbeitsfähig, vielfach werden Präsenztermine verlangt.
Ein großes Problem der Berichterstattung ist der fehlende Konnex zur Prävention gegen Infektionskrankheiten. SARS-CoV2, Influenza und andere Viren zählen zu den Verursachern von Langzeitfolgen, die per definitionem nach sechs Monaten in MECFS übergehen können. Wir wüssten jetzt, was wir zur Infektionsprophylaxe tun könnten: Saubere Luft in Innenräumen, konsequente Isolation bei Symptomen und FFP2-Maske tragen. Damit verhindert man nicht nur die Ausbreitung von SARS-CoV2, sondern auch von anderen potentiell tödlichen oder chronifizierend krankmachenden Viren. PolitikerInnen fordern jetzt mehr Forschung, aber wo war die Aufmerksamkeit die letzten Jahre? MECFS-Betroffene haben schon im März und April 2020 frühzeitig vor chronischen Langzeitfolgen durch Covid19 gewarnt. Sie wurden ignoriert. Die westliche Impfstoffentwicklung zielte trotz der rasch wachsenden Zahl an LongCOVID-Betroffenen nur auf die Verhinderung von schweren Verläufen und Tod ab, nicht auf die Verhinderung der Ansteckung selbst (es war Zufall, dass die Impfstoffe bis zur Entstehung von OMICRON auch sehr gut gegen Ansteckung geschützt haben). Die Entwicklung von infektionsvermeidenden Impfstoffen schreitet viel langsamer voran jetzt – für Eile gibt es für die Regierungen keinen Anlass mehr, nachdem SARS-CoV2 kaum noch erfasst wird.
Eine Krankheit, die man niemanden wünscht

Verleugnung bringt nichts: SARS-CoV2-Viren verursachen MECFS!


Die Forschungsergebnisse sind eindeutig:
SARS-CoV2 verursachen ein breites Spektrum an Spätfolgen, die über einen längeren Zeitraum die gleichen Auswirkungen wie andere viral bedingten MECFS-Erkrankungen haben können. Für zahlreiche Symptome gibt es eindeutige Biomarker, das heißt, es gibt eine klar rückführbare Ursache für die Beschwerden – sie sind NICHT eingebildet.
Stigmatisierung ist ein großes gesellschaftliches Problem
Jeder mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung kennt es. Viele Leiden sind unsichtbar – man muss sich ziemlich engagieren, um sie einer breiten Öffentlichkeit bekanntzumachen. Das kostet Kraft und Energie alias “Löffel”, die viele Betroffene nicht haben. Manche schaffen es noch, via Social Media zu kommunizieren und auf ihre Erkrankung aufmerksam zu machen. Im Alltagsleben bleiben sie dennoch oft unsichtbar. Und was man nicht sieht, existiert bekanntlich nicht. Aus der Öffentlichkeit verschwindet man nicht nur durch Erkrankung, sondern auch durch Arbeitslosigkeit – gerade in diesen Zeiten mit massiver Verteuerung der Lebenserhaltungskosten ist es der Weg in die Armutsspirale.
In anderen Ländern wird wesentlich klarer darüber berichtet: LongCOVID und Arbeitslosigkeit hängen zusammen (Melissa Suran 2023), mehr als die Hälfte der LongCOVID/MECFS-Betroffenen ist nach zwei Jahren Erkrankung arbeitsunfähig, auch die Vollzeitfähigkeit sinkt (Trujillo et al. 2022). 95% der Betroffenen berichten von Stigmatisierung aufgrund ihrer Erkrankung (Pantelic et al. 2022).
In Bayern erschwert LongCOVID die Aufnahme in die private Krankenversicherung. In Österreich ist SARS-CoV2 ab Juli 2023 per Gesetzesänderung nicht mehr meldepflichtig. Damit können weder Erkrankungen der Kinder in den Kindergärten und Schulen noch die von Erwachsenen am Arbeitsplatz als Arbeitsunfall gemeldet werden wie bisher. Bei einer Anerkennung als Arbeitsunfall/Berufskrankheit gibt es umfangreichere Kassenleistungen bzw. Anspruch auf Rente bei dauerhafter Erwerbsunfähigkeit.
“Die Meldung als Berufskrankheit-Verdacht soll auch dann erfolgen, wenn die Erkrankung einen milden Verlauf genommen hat (…). Diese Anerkennung dem Grunde nach ist für eventuell später auftretende Krankheitsfolgen wichtig.”
Quelle: AUVA
Wer in Österreich an den Folgen einer Covid19-Erkrankung leidet und nicht arbeitsfähig ist, von der Krankenkasse aber trotzdem gesund geschrieben wird, kann sich an die Volksanwaltschaft wenden: post (at) volksanwaltschaft.gv.at
Finanzielle Absicherung ist ein wichtiges Thema – Genesung wird aber nicht dadurch gefördert, wenn die Belastung durch Existenzangst und Gerichtsverfahren hinzukommt. Da muss von der PVA ein Umdenken kommen, was Arbeitsfähigkeit betrifft.
Prävention hilft auch den jetzt Betroffenen und verhindert neue
“There is a strange disconnect whereby health ministers are now talking about the gravity of long COVID, but it features nowhere in the considerations on which they base their pandemic policy” (Quelle)
Laura Spinney, Autorin von “1918. Die Welt im Fieber. Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte.”
Die Berichterstattung zu LongCOVID/MECFS ist vorhanden, auch der ORF berichtet, z.B. bei Familie Hermisson und deren schwerstbetroffene Tochter Mila, oder das Interview mit Yvonne Anreitter, die mir im ersten Lockdown meine ersten Stoffmasken genäht hat und seit der zweiten Welle – noch vor der Zulassung der Impfung – LongCOVID und nun schweres MECFS entwickelt hat. Auch Neurologe und MECFS-Spezialist Dr. Stingl wurde interviewt.
Doch ein entscheidender Schalter müsste bei der Berichterstattung, aber auch beim Engagement etwa des Gewerkschaftsbunds umgelegt werden: Die Forderung nach PRÄVENTION – PRÄVENTION – PRÄVENTION.
Primärprävention ist entscheidend:
Verhindern, dass man sich überhaupt ansteckt, und zwar egal ob SARS-CoV2, Influenza oder andere Viren. In den meisten Fällen geschieht die Übertragung über Aerosole – damit schützt saubere Luft in Innenräumen. Es braucht in allen öffentlichen Gebäuden und am Arbeitsplatz moderne Lüftungsanlagen, öffentlich einsehbare CO2-Messungen, über die man sein individuelles Risiko abschätzen kann, mobile Luftfilter oder Luftreiniger und generell ein Bewusstsein für mehr Raumlufthygiene wie regelmäßiges Lüften auch dann, wenn es draußen kalt ist. Weg vom Mythos Zugluft, hin zu sauberer Raumluft, in der das Infektionsrisiko so gering wie möglich ist.
Man hätte aus der Pandemie lernen können und krank zuhause bleiben, schon gar nicht mit Symptomen auf Urlaub fahren, in Restaurants gehen oder am Arbeitsplatz andere anstecken. Man hätte lernen können, bei Symptomen wenigstens eine FFP2-Maske aufzusetzen, wenn man auf bestimmte Aktivitäten nicht verzichten kann. Man hätte lernen können, sein krankes Kind nicht in den Kindergärten oder in die Schule zu schicken, wodurch andere Kinder bzw. ErzieherInnen krankwerden und die Ausfälle dann für alle Auswirkungen haben. Man hätte lernen können, dass man sich wortlos aus Höflichkeit und Respekt eine Maske aufsetzt, wenn man auf andere MaskenträgerInnen trifft. Vieles hätte einem der Hausverstand sagen können, bei anderem braucht es behördliche Vorgaben und klare Gesetzesregelungen, sodass kein Nachteil für alle entsteht, die pflichtbewusst zuhause bleiben, wenn sie Krankheitssymptome aufweisen oder positiv getestet sind und präsymptomatisch übertragen können.
Weiters braucht es bessere Impfstoffe, die einen langlebigen Schutz vor Infektion bieten, denn – laienhaft, aber deutlich ausgedrückt – die T-Zellen-Immunität nützt einen Scheißdreck gegen LongCOVID. Aus sogenannten milden Verläufen sind viele LongCOVID/MECFS-Fälle entstanden. Die Vermeidung des Spitalsbesuchs ist zwar jetzt auch relevant, aber aus anderen Gründen, weil das Spitalssystem zusammengebrochen ist. Einen schweren Akutverlauf bei Covid19 vermeiden ist leider kein Garant für folgenlose Genesung. Das wissen wir schon seit drei Jahren. Die katastrophale Berichterstattung zur Pandemie und Impfstoffentwicklung sorgt derzeit aber für Rückschritte, es wird immer weniger geimpft, auch gegen andere Infektionserreger mit potentiellen Langzeitfolgen, vor allem Kinder werden kaum geimpft, und es ist fraglich, wer beim nächsten Impfupdate noch eine Impfung bekommen kann und darf.
Es braucht weiterhin einen Gratis-Zugang zu PCR-Tests für die allgemeine Bevölkerung, denn viele MECFS-Patientinnen und -Patienten müssen gepflegt werden. Die Angehörigen müssen aber selbst dafür Rechnung tragen – literally, dass sie die Betroffenen nicht infizieren. Erneute Infektionen verschlechtern nämlich bei 80% der LongCOVID-Betroffenen die Symptome, und bei 60% kommt es nach zwischenzeitlicher Genesung zu erneutem Auftreten. Natürlich braucht es den Gratis-Zugang auch für all jene, die kein LongCOVID bekommen wollen – also prinzipiell jeder, aber auch bei LongCOVID gibt es bestimmte Risikofaktoren, u.a. schlechter Schlaf im Monat vor der Infektion (Paul and Fancourt 2022), chronische Grunderkrankungen wie Asthma, chronische Verstopfung, Reflux, rheumatoide Arthritis, SLE, MS, saisonale Allergien, Depressionen und Angsterkrankungen (Jacobs et al. 2023).
Es braucht einen breiteren Zugang und vor allem besser aufgeklärte Mediziner, was Medikamente betrifft. In den USA ist Paxlovid bereits ab dem Alter von 12 Jahren zugelassen und in jeder Apotheke frei käuflich. Paxlovid reduziert das LongCOVID-Risiko um rund 25% (Xie et al. 2022), das Diabetiker-Medikament Metformin sogar um 42% (Bramante et al. 2022). Hilfreich sind außerdem auch H1/H2 (Histamin)-Blocker (Glynne et al. 2021).
Schlusswort
Was es aber ganz besonders braucht: Verständnis und Anerkennung der betroffenen Patienten, die Entstigmatisierung chronischer Erkrankungen, nicht nur bei MECFS – die begrenzte Leistungsfähigkeit und Energie der Betroffenen im Alltag.
Im ersten Coronawinter veranstaltete ich eine Kalenderaktion für die MECFS-Hilfe in Österreich. Seitdem bin ich mit meiner Dauerspende auch als Sponsor gelistet. Im Februar 2021 gründete ich den @longcovidAT-Twitteraccount, den ich später aus Zeitgründen LongCOVID-Betroffenen überließ. Das Thema ist mir weiterhin wichtig genug, um dafür Bewusstsein zu schärfen – auch an meinem heutigen Urlaubstag.
Es ist gewissermaßen Folge der Pandemie, dass ich nicht weggefahren oder geflogen bin, denn die Ansteckungsgefahr ist immer noch real und wer einmal Langzeitfolgen davon trägt, dem wird nichts geschenkt – der wird schlimmstenfalls noch von Krankenkassen, Versicherungen und Arbeitgeber diskriminiert und schikaniert. Bisher überwiegen für mich die Folgen einer SARS-CoV2-Erkrankung dem Erholungswert einer längeren (Auslands-) Reise, die schnell zu Ende sein kann, je nachdem, wo man sich ansteckt.
Ich werde auch weiterhin auf MECFS und LongCOVID aufmerksam machen. Denn während der Großteil der Gesellschaft die Normalität simuliert, ist für die Betroffenen nichts mehr so wie vorher – und für die Mehrzahl wird das leider auch so bleiben.
