The first frame wins.

Von der Langfassung des insgesamt informativen und durchaus alarmierenden Interviews mit Virologe Drosten brachte der Tagesspiegel am Vortag nur eine (frei zugängliche) Zusammenfassung und griff dabei die am wenigsten relevante Schlagzeile “Nach meiner Einschätzung ist die Pandemie vorbei.” heraus.

Drosten präzisierte vor ein paar Tagen seine Aussage, dass wir uns seiner Einschätzung jetzt in Richtung endemischer Zustand entwickeln, die Pandemie aber noch nicht vorbei wäre. Das würde man erst hinterher wissen. Die Richtigstellung kam zu spät. Sämtliche Politiker und Medien feierten rauf und runter, dass die Pandemie vorbei wäre, Endemie, alles gut. My ass.

Drostens Aussage im selben Interview zum geschwächten Immunsystem bei Kindern fand keine Beachtung:

“Derzeit bekommen Immunologen Befunde, die suggerieren, dass diese Alterung des Immunsystems bei Kindern nach Coronainfektion viel fortgeschrittener ist, als man es erwarten würde. Man kann sich nun zugespitzt fragen, ob ein ungeimpftes Kind nach Infektion vielleicht mit 30 das Immunsystem eines 80-Jährigen haben wird. Die Durchseuchung der Kinder wäre dann ein riesiger Fehler gewesen. Das wäre ein extremes Szenario, das man aber mit erwägen muss. Allerdings haben wir keine Infektionskrankheit so gut erforscht wie Sars-Cov-2. Gut möglich, dass es sich bei anderen Infektionen auch so verhält und das Phänomen nach zwei, drei Jahren verschwindet, weil gerade junge Kinder noch naive Immunzellen nachproduzieren können. Wir wissen all dies noch nicht. Ich hatte aus Vorsicht immer für die Impfung und den Infektionsschutz von Kindern plädiert.”

Tagesspiegel, 27.12.22

Es gibt keine Immunschuld und Drostens kommunikative Fettnäpfchen

Wissenschaftliche Fakten las man selten, etwa in der Kleinen Zeitung von Martina Marx (16.12.22) oder von Umweltmediziner Hutter in Puls24 (29.12.22) – letzterer widersprach zudem offen Drostens Aussage zum Pandemie-Ende. Ja, Widerspruch, manchmal lehnt sich Drosten mit seinen Einschätzungen auch zu weit aus dem Fenster. Er rechnete bereits letztes Jahr mit einem Übergang in den endemischen Zustand und musste dies im Juni 2022 korrigieren. Am 23.11.22 sagte er der ZEIT, dass das Virus in einer evolutionären Sackgasse feststecken würde. Der deutsche Virologe Björn Meyer widersprach am 24.11.22 auf Twitter:

“Höre mal wieder viel von Viren gelangen in eine “Sackgasse” – da geh ich nicht mit. Inzidenzen von rund 180 mit nem guten dutzend an Sublinien gleichzeitig schreien nicht grad Sackgassen für mich. Inzidenzen/Infektionen können auch mal geringer ausfallen, ohne dass das Virus in einer Sackgasse steckt.”

Im NDR-Podcast unterlief Drosten das nächste Fettnäpfchen. Die Medien schrieben: “Maske für Drosten nicht mehr so effizienter Schutz.” – Was Drosten meinte: Wenn sie nicht mehr getragen werden, können sie auch nicht so gut wirken. Individuell bieten sie weiterhin einen sehr guten Schutz, weil sich die Physik der Übertragungswege auch mit den Varianten nicht geändert. Der Hauptmodus sind Aerosole, und die werden von einer FFP2-Maske durch die elektrostatischen Kräfte aufgeholten, bevor sie eingeatmet werden können. Sie würden auch gesamtgesellschaftlich wirken, wenn man sie denn als Pflicht anordnen würde.

Zwischenfazit:

“Pandemie vorbei, Masken bringen nichts mehr” ist das – was ankam, bzw. was Rosinen picken ankommen ließ. Seuchenminister Lauterbach kündigte an, die Maskenpflicht im Fernverkehr zum 2. Februar aufzuheben, knappe zwei Monate früher als geplant, u.a. auf Druck der 5%-Partei FDP, die in Deutschland mit absoluter Mehrheit zu regieren scheint. Dabei sind das die gleichen Hanseln, die sich fürchterlich über Maßnahmen wie Tempo 100 aufregen – also eigentlich sind sie militante Autofahrer, sorgen aber jetzt dafür, dass behinderte und immungeschwächte Menschen nicht mehr sicher reisen können, ebenso wenig alle, die sich die letzten Jahre informiert haben und wissen, dass das Virus schwerwiegende Langzeitfolgen macht.

Gebt Drosten bitte einen Pressesprecher. Im gestrigen FAZ-Podcast mit Drosten kam übrigens heraus, dass er sich 2022 schon zwei Mal infiziert hat. Fehlt also nurmehr ein drittes Mal, dann hat er seine angekündigte “Schleimhautimmunität”, die Jahre halten soll. Leidet er unter dem Survivor Bias? Auch Virologe Nowotny hat sich schon zwei Mal infiziert. Drosten wollte nicht “Mr. Strange” sein und als Einziger in einer Gruppe Maske tragen. Ich kann dazu nur ermutigen. Man tut seiner Gesundheit damit etwas Gutes.

Immunschwäche versus alle Covid-Maßnahmen abschaffen

In den Medien wurde wochenlang der rechtsesoterische “Immunschuld”-Beef herangezogen, also die Schuld den Maßnahmen gegeben, dass die Erkrankungswellen jetzt so hoch ausfallen. Zuletzt in der ZiB2 im Schernhammer-Interview. Der interviewende ZiB2-Anchor Martin Thür rechtfertigte ihre Aussagen mit Verweis auf ihre Stellung “Chefin der Epidemiologie der größten Medizinuniversität des Landes” – inhaltlich gab es natürlich nichts zu rechtfertigen.

Am 12. Jänner kam im Früh- und Morgenjournal von Ö1 dann ein Beitrag zur COVID-19 bedingten Immunschwäche, der auch auf Science-ORF verlinkt ist. Die Anmoderation war taktisch wieder unklug (siehe Titel meines Blogbeitrags):

“Eine schon bekannte mögliche Erklärung ist, dass das Immunsystem nach Jahren strenger Coronamaßnahmen und Maskenpflicht einiges nachzuholen hat. Neue Studien legen aber nahe, dass vielfach auch …. ”

Falsch! Das Immunsystem hat nichts nachzuholen, das ist keine mögliche Erklärung. Zudem muss man hier unterscheiden zwischen Updates, die das Immunsystem durch Impfung oder Infektion enthält – wobei natürlich bei gefährlichen Viruserkrankungen wie Influenza und Covid19 die Impfung immer vorzuziehen ist, bei RSV gibt es noch keine Impfung, sie ist aber schon in klinischen Studien weit fortgeschritten, und schwereren Verläufen, wenn das Immunsystem vorher geschwächt wurde. Es ist aber in Wahrheit viel komplizierter. RSV ist z.B. nur eine Saison ausgefallen, bereits 2021/2022 begann sie früher als normal und viel stärker aus, ebenso 2022/2023 – wo der RSV-B-Strang dominiert wie noch nie. Dieses Muster gab es aber auch in Schweden zu beobachten, wo es nie Maßnahmen gegeben hat.

Die Influenza fiel 2020/2021 aus, was gut ist, weil es wegen der niedrigen Impfquote in Österreich häufig schwere Verläufe und Todesfälle gibt. Sie fiel 2021/2022 schwach aus, was gut so war, weil es eine Driftvariante war, auf die der Impfstoff nicht gut gepasst hätte. Das ist dieses Jahr anders, die Impfung wirkt sehr gut – umso frustrierender, dass die Impfquote laut Aussage von Medizinern noch niedriger ist als in den Vorjahren. Die ständige Verharmlosung hat ganze Arbeit geleistet.

Wie soll das Immunsystem also etwas nachholen, wenn die Dominanz des jeweiligen Virenstrangs pro Saison einer hohen Variabilität unterliegt? Wir müssen froh sein, dass wir mit den Maßnahmen in der DELTA-Welle die Influenza erneut unterdrücken konnten, weil das angesichts der Driftvariante möglicherweise viele Opfer gegeben hätte.

Es wäre besser gewesen, wenn man die geschilderte Immunschwäche anmoderiert hätte und vor dem langen Beitrag noch ein paar erklärende Sätze zur vermeintlichen Immunschuld, was aber längst widerlegt ist, weil es nie gegolten hat – weil das Immunsystem eben kein Muskel ist. Das wäre “Truth Sandwichmethode” gewesen.

Leider wurde weder in ZiB1 noch in ZiB2 über die Immunschwäche durch Covid19-Infektionen berichtet. Es tritt auch nach anderen Viruserkrankungen auf, etwa Influenza oder Masern. Aber natürlich betrifft das pro Saison viel weniger Menschen. Die Nachricht hätte bei einem unabhängigen Sender mit fähigen Journalisten einschlagen müssen wie eine Bombe. Die Regierung ist seit der zweiten Welle die Strategie Durchseuchung gefahren – über offene Bildungseinrichtungen die Bevölkerung durchinfizieren, gemeinsam mit den Impfwilligen hätte das Herdenimmunität ergeben und die Pandemie raschest beenden sollen. Die vielen Varianten haben diesen Ansatz vereitelt. Nun mehren sich die Studien und Stimmen, die sagen, Covid19 macht zumindest vorübergehend anfälliger für bakterielle und virale Erkrankungen, die auch schwerer ausfallen können. Der logische Schluss wäre: Die Durchseuchung ist falsch – und im Anbetracht der noch ansteckenderen XBB.1.5-Variante müsste man alles dafür tun, die Krankheitslast zu reduzieren.

  • Saubere Luft in Innenräumen würde gegen alle Krankheiten helfen, die über die Luft übertragen werden
  • Maske würde gegen alle Krankheiten helfen, die über die Luft übertragen werden
  • Massive Aufklärungsarbeit zur Impfung würde helfen, die Sterblichkeit bei Influenza und SARS-CoV2 zu verringern und das LongCOVID und “Long Influenza”-Risiko deutlich zu reduzieren

Das ist das Mindeste was man tun kann, was man gelernt haben sollte aus den letzten drei Jahren.

Chronologie einer Sensationsmeldung

Am Vormittag steht der Hinweis auf den Science-ORF-Artikel erstmals auf der ORF-Startseite – leider nicht unter den Headlines (mit Grafiken), wo er aufgrund seiner Bedeutung hingehört hätte.
Mittags steht der Artikel immer noch da.
Mittags kommt eine wichtige Ergänzung zur deutlich gestiegenen Sterblichkeit, übrigens auch Übersterblichkeit.
Um kurz vor 14 Uhr, sind alle Artikel weg – Immunschwäche, Sterblichkeit und der Artikel zu Medikamenten und potentiellen Resistenzen (von Paxlovid).

Entgegen mancher übermütiger Kritiker sind die Artikel nicht gelöscht worden, sie sind lediglich in ihrer jeweiligen Rubrik “versteckt”. Man stößt also nur darauf, wenn man aktiv danach sucht. Aber warum sollte eine große Mehrheit etwas suchen, von dem sie gar nicht weiß, dass es existiert? Der Punkt ist – so wird keine Reichweite dieser Sensationsmeldung generiert! Die Navigation auf der ORF-Seite ist zudem etwas verschachtelt, man findet dort nicht so leicht hin.

Die Immunschwäche ist längst vergessen, zwei Tage später kommt nämlich der Knaller …

“Rauch will heuer alle CoV-Gesetze abschaffen”

“Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) will heuer alle Coronavirus-Gesetze und -Verordnungen abschaffen. Covid-19 wäre damit keine meldepflichtige Erkrankung mehr. Mit der Rücknahme der Gesetze und Verordnungen wäre die Coronavirus-Pandemie in Österreich legistisch vorbei.”

Wien will mitspielen. LongCOVID wie üblich kein Thema mehr.

“Die meisten Experten haben schon vor Wochen die Corona Pandemie für beendet erklärt”

behauptete man in der ZiB1 am 14.01.23, was eine Lüge ist. Nur die WHO kann die Pandemie für beendet erklären, was sie aber nicht getan hat – im Gegenteil, die kollektive Verdrängung in Eropa wird beklagt. Die WHO hat erst vor kurzem ihre Richtlinien für Masken, Behandlungen und Nachsorge angepasst.

“Isolation of people with COVID-19 is an important step in preventing others from being infected.”

Die Abschaffung der Isolationspflicht war also ein Fehler.

Das ECDC bewertet das Risiko der “Variant of Interest” XBB.1.5 als “niedrig”.

“Ein mäßiges bis hohes Risiko bestehe dagegen je nach Immunität gegen das Coronavirus für gefährdete Personen wie Ältere, Nichtgeimpfte und Immungeschwächte.”

Eine ausgesprochen zynische Aussage ganz im Sinne der Great Barrington-Advokaten: “Das Virus ist für die meisten Menschen harmlos, außer für Vorerkrankte”. Aber das kümmert uns ja nicht mehr, stimmts?

Nur, wer fällt in die obige Gruppe? Senioren, Kinder (22% Erstimpfungsrate, 6% Booster) und u.a. auch die neuen Vulnerablen, die nach einer Covid19-Infektion Immungeschwächten! Und daher wäre es so wichtig gewesen, den Science-ORF-Artikel einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen – und die wichtigsten Medien im Land sind nun einmal die Abendnachrichten!

Kein Wort vom ECDC übrigens zu LongCOVID. Nach der Aussage eines Hausarztes aus dem Dachsteingebiet hat er derzeit kürzlich drei junge Patienten mit der XBB-Variante “die sind richtig krank”. Wo bleibt das Vorsichtsprinzip? Und vor allem, warum wird das kollabierende Gesundheitssystem nie erwähnt?

“Nach drei Jahren Pandemie haben wir in Österreich eine hohe Immunisierung in der Bevölkerung erreicht. Die Corona-Impfung hat maßgeblich dazu beigetragen. Wie viele andere EU-Länder auch bereiten wir nun die Rückkehr in den Regelbetrieb vor. Impfungen, Tests, COVID-19-Medikamente: All das ist derzeit bis 30.6. befristet. Die juristischen & organisatorischen Vorbereitungen laufen, um diese Leistungen in die regulären Strukturen im Gesundheitssystem zu integrieren. Ich bin optimistisch, dass uns das im 1. Halbjahr gelingt. Klar ist für mich, dass Tests für bestimmte Personengruppen wie bisher kostenlos zur Verfügung stehen.”

Seuchenminister Rauch am 14.01.23, Twitter
  • Immunisierung wogegen? Schwere Verläufe? Siehe hohe Sterblichkeit
  • Immunisierung gegen LongCOVID? Siehe hohe Übersterblichkeit, übervolle LongCOVID-Ambulanzen mit langen Wartezeiten
  • Regelbetrieb in anderen EU-Ländern? Siehe deren Gesundheitssysteme, Spitäler am Kollabieren, egal ob Frankreich, Irland, Deutschland, Schweiz, überall Übersterblichkeit, auch Dänemark, Schweden
  • Tests sollen künftig nur noch bei Symptomen gratis sein – damit gefährdet man “vulnerable” Menschen am meisten, die möglichst früh wissen müssen, ob sie infiziert sind, weil nur dann die Therapie effektiv wirkt
  • Alle monoklonalen Antikörper, die Immunsupprimierten zur Verfügung stehen sollen, wirken nicht mehr gegen XBB
  • Paxlovid kann Resistenzen entwickeln, dann gibt es NICHTS mehr.
  • Wer sich keinen Test leisten kann, hat nichts vorzuweisen, wenn er wegen LongCOVID arbeitsunfähig wird, bzw. berufsunfähig, oder zum Spezialisten muss, wo ein positiver PCR-Test Pflicht ist.

Mehr mag ich heute nimmer darüber schreiben. Außerdem lesen es jene, die es lesen sollten, sowieso nicht.

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