



Heute vor zwei Jahren schrieb ich meinen ersten Beitrag zur Pandemie. Das war kurz vor meinem letzten regulären Urlaub mit einer Alpenvereinsgruppe in den Seetaler Alpen, wo wir zwei Tage Schneeschuhwandern gingen. Eine ähnliche Zusammensetzung der Gruppe wäre ironischerweise am kommenden Wochenende geplant gewesen, worauf auch das Ende aller Maßnahmen (nicht aber die Pandemie! ) fällt. Damit hätte sich das Kapitel jetzt schließen können. Das wird leider nicht passieren.
Gestern sah ich im Live-Blog zur Kriegsberichterstattung der Tagesschau ein Interview zum Thema Sanktionen (23:25). Ob man nicht sehen wollte, dass in der Ukraine ein Krieg drohe:
Carlo Masala, Politikwissenschaftler:
“Weil es einfacher ist, Fakten zu ignorieren, wenn sie nicht sozusagen ins eigene, idealistische Weltbild passen. Man will sich nicht auf worst-case-Szenarien vorbereiten, weil das bedeuten würde, dass man Geld in die Hand nehmen muss. Das bedeutet, dass man unangenehme Entscheidungen treffen muss , die man letztendlich der Bevölkerung verkaufen muss. Von daher ist es einfacher, den Vorstellungen, die idealistisch gewesen sind, anzuhängen und jetzt ist der Zug komplett gegen die Wand gefahren.”
Damit ist eigentlich alles zum Ukraine-Krieg, aber auch zur Pandemiebekämpfung gesagt.
Der erste Weltkrieg fiel in die Pandemie der Spanischen Grippe und hat die Situation nochmals eskalieren lassen. Auch jetzt besteht die Gefahr, dass im Schatten der Pandemie die Aufhebung der Schutzmaßnahmen mit noch weniger Gegenwehr als ohnehin passiert, und sich durch den generellen Schockzustand in der Bevölkerung viele Menschen nicht mehr vorsichtig genug verhalten. Wie schon beim Terroranschlag in Wien im Herbst 2020 und nach der Flutkatastrophe in Westdeutschland im Juli 2021 besteht die Natur des Menschen darin, in Extremsituationen emotional zusammenrücken zu wollen, und genau das heizt die Pandemie weiter an.
Es sind aber auch die wirtschaftlichen Folgen des Krieges, die schon alleine durch die Pandemie ausgereicht hätten, um die Inflation auf hohe einstellige Werte zu bringen, jetzt aber eher in Richtung zweistellige Werte geht. Die wenigsten Menschen haben in den letzten 2 Jahren an Kaufkraft gewonnen oder den Status Quo halten können. Viele haben verloren, und die geschätzten 100 000 bis 200 000 Betroffenen durch Longcovid droht ein Absturz in die Armut. Mit einer weltweiten NoCovid-Strategie befänden wir uns jetzt in einer besseren Ausgangslage. Mit einer HighCovid-Sttategie (focused protection, Great Barrington) in den endemischen Zustand übergehen zu wollen, Covid19 wie eine Grippe zu behandeln und vulnerable Gruppen unter den Bus zu werfen, das ist Wahnsinn und einer zivilisierten Demokratie unwürdig.
Vergleiche zwischen dem Russlandkrieg und der Pandemie sind nicht besonders sinnvoll, aber es muss einem schon klar sein, dass wir mangels Ergreifung nachweislich wirksamer Maßnahmen wie Ventilation und Luftfilter und konsequentem Maskentragen in geschlossenen Räumen derzeit in ganz Europa tausende Tote pro Tag in Kauf nehmen, das sind dutzende Flugzeugabstürze oder Busunglücke. Und durch die schon in Kraft getretenen und weiterhin geplanten Schritte zum weitgehenden Abbau von Schutzmaßnahmen werden sich diese Zahlen vermutlich noch erhöhen, wie man aktuell am Beispiel Dänemark sieht, deren Übersterblichkeit steil ansteigt, seit sie den “Freedomsday” ausgerufen haben.

Sie sterben einen ebenso sinnlosen Tod wie durch den Krieg, sie sterben durch unser Verhalten, egal ob es sich um das Werk eines Wahnsinnigen handelt, oder um das Verhalten von demokratischen Regierungen, die das Ende von Public Health erklärt haben.
“The illness went from acute to chronic and then worsened in 2021, but I will always remember 2022 as the year public health died. And, as these things do, it went out not with a bang but a gasping, gurgling whimper.”
Tara Haelle, Gesundheitsjournalistin, 23.02.22
Plötzlich werden jene Menschen zu Bremsklötzen, die sich weigern, freiwillig durchseucht zu werden, sie werden in ihrem Umfeld ausgegrenzt und gemobbt, ihre berechtigten Ängste und Sorgen heruntergespielt. OMICRON wurde als Virusvariante verkauft, die so ansteckend wäre, dass es jeden erwischen würde. Viele haben aufgegeben, selbst die zuvor vorsichtigen Menschen. Der Regierung geht das nicht schnell genug. Je mehr Leute es “hinter sich haben”, desto weniger Widerstand gibt es gegen fehlenden Schutz für Risikopersonen. Dazu kommen die üblichen Hilfeschreie: “Aber der Tourismus!”, “Aber der Handel!”, “Aber die Gastronomie!” Dazu kommt politische Taktik, die Ablenkung von Skandalen. Keiner redet mehr über die Sideletters und die Chats. Es kommen Landtagswahlen. Schadensbegrenzung. Die Impfgegner und Verharmloser sollen wieder ins Boot geholt werden. Darum schweigt auch die SPÖ. Die meisten Gewerkschaften machen das die ganze Zeit schon, sträuben sich gegen Masken, gegen Tests, gegen Impfen. Kollektive Verleugnung eben. Mit dem Krieg vor der Haustür der EU reduzieren sich die wenigen Proteststimmen noch weiter.
Das irrationale Verhalten der Regierung zwingt mich zu kniffligen Entscheidungen, wie ich mit der realen Gefährdung durch die Pandemiesituation umgehen soll. Seit vielen Tagen liegt die Inzidenz in ganz Österreich über 2000, das sind rund 30 000 Neuinfektionen am Tag. Im vergangenen Jahr zog ich die dritte Impfung nach 7 Monaten vor, um in der absehbaren DELTA-Welle, bei der die Regierung keine Anstalten machte, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, bestmöglichst geschützt zu sein. Und die wissenschaftlichen Daten zur dritten Impfung waren vielversprechend – 90% Schutz vor symptomatischer Infektion, nach aktuellen Daten sogar 99% vor Hospitalisierung (inklusive OMICRON). Damit wäre ich bereit gewesen, mehr Risiken einzugehen, danach plante ich meinen Urlaub im Spätwinter.
Nur zwei Wochen nach meinem Pfizer-Booster kam OMICRON und zerstörte die aufkeimende Hoffnung auf Entspannung. Wir wussten schon früh, dass OMICRON auch dreifach Geimpfte anstecken kann und diese das Virus weitergeben können. Wir wussten spätestens seit Jahresbeginn, dass es nicht viel ansteckender als DELTA war, aber durch den Immun Escape wieder die ganze Bevölkerung infizieren konnte, einschließlich Covid-19-Überlebenden vorheriger Varianten und Mehrfachgeimpften. Wir wussten, dass zwar rund ein Dreiviertel weniger Hospitalisierungen zu beobachten waren, aber dennoch schwere Verläufe und Todesfälle auftreten, großteils Ungeimpfte, aber auch ältere und schwer immunsupprimierte Menschen.

Ebenso war klar, dass die Impfung für die 5-11jährigen erst wenige Wochen vorher freigegeben wurde und die Impfrate sehr niedrig sein würde, bevor OMICRON über uns hinwegrollte. Und es war sowohl für den Gesundheits- als auch den Bildungsminister klar, dass die 0-4jährigen noch keine freigegebene Impfung nutzen konnten. Es wussten aber alle von LongCOVID und dem für Kinder gefährlichem Multientzündungssyndrom MIS-C. Nach aktuellen Studiendaten (Quelle wird nachgereicht) senkt die Impfung das Erkrankungsrisiko an MIS-C von 1:3000 bis :15000 vor der Impfung auf 1:1 000 000. Warum also setzt man die Kinder in Österreich jetzt einem unnötigen Risiko aus und LOCKERT die Maskenpflicht bei einer 5-14jährigen Inzidenz von 3800! Ich halte es auch für ausgesprochen zynisch zu sagen, dass die Impfung für diese Altersgruppe schon längst zugelassen wäre, denn Kinder sind darauf angewiesen, dass ihre Eltern diese Chance nutzen und der seit zwei Jahren andauernden Verharmlosungskampagne in Politik, Medien und durch Kinderärzte und selbst sogenannten Experten widerstehen. Und auch ein Kind mit Verschwörungseltern hat eine Chance verdient, etwa durch eine Impfpflicht für Unter 18jährige.
Aber zurück zu mir: Ich kenne inzwischen viele leichte Verläufe, ein paar mittelschwere Verläufe und einzelne schwere Verläufe trotz dreifacher Impfung. Schwer heißt in dem Fall, nicht Krankenhaus, aber schwere grippeartige Symptome und auch Wochen nach der Infektion noch körperliche Beschwerden und zum Teil neurologische Symptome. Selbst erkrankte Ärzte sagen, dass sie das [OMICRON] kein zweites Mal brauchen. Andere, die stärker bedient waren, sagen, dass sie das nie wieder haben wollen. Berichte sprechen zum Teil von Reinfektionen bei BA.2 nach BA.1, manche sind schon ein drittes Mal seit Pandemiebeginn infiziert. Der Schutz vor Infektion lässt also nach, und es ist nicht gesichert, dass drei Impfungen plus Infektion ausreichen werden. Zudem ist unklar, wie gut der Immunschutz auf Dauer vor LongCOVID und anderen Spätfolgen schützt. In Summe zu viel Unwägbarkeiten, um jetzt nach bald 4 Monaten Abstand zur dritten Impfung sorglos in die aktuelle Infektionslage zu gehen. Daher hab ich mich für eine 4. Impfung mit MODERNA entschieden, das noch die beste Impfwirksamkeit gegen OMICRON vorweist, nach aktuellem Stand mindestens gleich gut wie ein OMICRON-spezifischer mRNA-Booster. Ich sollte mir keine Wunder erwarten – zwar bringt er die Antikörper auf das Level kurz nach der dritten Impfung, aber für die B-Zellen-Abwehr bringt er kaum einen Mehrwert mit sich (Goel et al., 22.02.22). Der Mangel an Alternativen lässt mir keine andere Wahl. Die Impfung wird nicht schaden und damit werd ich meine Chancen bestenfalls verbessern, wenn ich mich nach den weitreichenden Lockerungen Anfang März wahrscheinlich infizieren werde. Für Immunsupprimierte ist die 4. Impfung ohnehin vom NIG empfohlen, für ältere Menschen soll noch eine Empfehlung kommen. Das bezieht sich aber *nur* auf schwere Verläufe mit Hospitalisierung. Über LongCOVID-Prävention redet niemand.
Ich könnte jetzt noch lange schwadronieren über die politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und medialen Verfehlungen, aber darüber hab ich seit Monaten schon geschrieben. Es ist nicht absehbar und durch den Krieg in noch weitere Ferne gerückt, dass ein Umdenken in Österreich einsetzen würde. Die Wissenschaft hat geliefert, vor dem zu frühen Übergang in den endemischen Zustand wurde gewarnt.
Eines ist klar: Zurück zur Normalität bleibt ein realitätsfernes Narrativ der Regierung(en), es gibt kein Zurück mehr, und angesichts des Krieges wird sich die Freude selbst bei denen, die die Schutzmaßnahmen als Zumutung empfinden, in Grenzen halten.