Es war der Wechsel von DELTA zu OMICRON, mit dem die Regierung offenbar beschlossen hat, ihr millionenschweres PR-Budget zur Verharmlosung der Pandemie vollends abzurufen. Seit dem Jahreswechsel 2021/2022 hat die Flut an faktenwidrigen Darstellungen in den österreichischen Medien deutlich zugenommen. Es gab selten eine Richtigstellung, nie einen Faktencheck. Die Bevölkerung wurde mit Jahresbeginn auf Durchseuchung eingestimmt. Die Falschaussagen wurden immer schamloser, weil die Politik wusste, dass sie damit durchkommen. In Österreich gibt es keine Tradition des Investigativjournalismus mit großer Reichweite. Wer mit der Presse packelt, der hat die Meinungs- und Deutungshoheit. Das ist allgemein bekannt – Stichwort Ibiza, Inserate und Kronenzeitung. Österreich kennt keine Rücktrittskultur aus Anstand oder mit Eingeständnis von eigenen Fehlern. Hier wird nur zurückgetreten, um Schaden von der eigenen Partei abzuwenden, nicht aber von der Republik. Im Zusammenhang mit dem Tod der engagierten Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die durch anhaltende Bedrohungen durch Rechtsextreme, Impfgegner und Schwurbler in den mutmaßlichen Suizid getrieben wurde, hab ich an anderer Stelle die mangelnde Fehlerkultur in Österreich angeprangert. In Österreich wird vor allem verdrängt, geschwiegen, verleugnet oder das Thema gewechselt. Am Ende werden die Opfer zu Tätern gemacht “hättest Du Dich nicht so in der Öffentlichkeit exponiert, wäre das nicht passiert”, gleichbedeutend mit “hättest Du weniger Haut gezeigt, wärst Du nicht vergewaltigt worden”, “hättest Du die dunkle Gasse gemieden, wärst Du nicht überfallen worden” und Politiker heucheln Betroffenheit, während sie weiter verhöhnende Interviews geben.
Lisa-Maria Kellermayr war eine leidenschaftliche Ärztin, die sich für ihre Patienten in einem Ausmaß einsetzte, das einerseits Vorbildfunktion hatte, andererseits auf einen gravierenden Ärztemangel hindeute. Eine Ärztin sollte keine 60-90 Überstunden über die Woche schuften müssen, um Patienten zu versorgen. Die Pandemie hat das strukturelle Defizit weiter verstärkt, das sich am Land am schwerwiegendsten auswirkt, wenn die Bewohner zig Kilometer fahren müssen, wenn akut kranke Kinder lange auf den Notarzt warten müssen, weil es soviele Coronapatienten gibt, wie Kellermayr in der DELTA-Welle berichtet hat.
Es zeigt sich aber auch deutlich, wie sie von der eigenen Ärztekammer Oberösterreich im Stich gelassen wurde – die ihr vorwarfen, selbst schuld zu sein an den Drohungen. Die Ärztekammer Oberösterreich verbreitete in der zweiten Welle denselben Unsinn wie Coronaleugner – Stichwort “Labor-Tsunami”. Aktuell fordert Infektiologin Apfalter, Mitglied der Ärztekammer OÖ und mutmaßliche Beraterin von Bildungsminister Polaschek (ÖVP), gemeinsam mit den Corona-Verharmlosern Sprenger und Raunig in einer Petition offene Schulen ohne Schutzmaßnahmen im Herbst. Über den Einfluss von Leerdenkern und Great-Barrington-Ideologie auf zentrale Schaltstellen der Pandemiebewältigung habe ich früher berichtet. Zahlreiche weitere Zusammenhänge finden sich in meinem Blogarchiv.
Wenn man also wissen will, wie es dazu kommen kann, dass sich über zwei Jahre hinweg ein Netzwerk an gewaltbereiten Extremisten aufbauen konnte, der kommt nicht umhin, sich mit der rechten Szene zu beschäftigen. Experten haben wiederholt davor gewarnt, diese zu unterschätzen. Es ist bekannt, dass Oberösterreich eine Hochburg der rechten Szene ist. Der aktuelle Geschäftsführer sowie der Aufsichtsratschef der AGES sind Mitglieder der rechtsextremen Burschenschaft “Oberösterreicher Germanen Wien”. Diese treffen sich seit 1931 regelmäßig am Attersee – wo Kellermayr ihre Praxis hatte. Erstmals aufgefallen ist die fragwürdige Besetzung den Journalisten im April 2022, als das Wirtschaftsmagazin ECO darüber berichtet hat. Gesundheitsminister Rauch erklärte darin auf Nachfrage, dass er gar nicht gewusst habe, dass die beiden in dieser Burschenschaft seien. Das Land Oberösterreich wird von einer schwarzblauen Koalition regiert. In der DELTA-Welle hat man – wie schon im Vorjahr wegen der Wien-Wahl – mit Maßnahmen und Impfkampagnen gewartet, um nicht Stimmen an die FPÖ/MFG zu verlieren. Diese Wartezeit hat später tausenden Menschen das Leben gekostet und viele langzeitkrank gemacht – Leben, die durch einen früheren Lockdown und eine ÖVP-gestützte Impfkampagne im Sommer 2021 gerettet hätten werden können. Nach der Wahl hätte Landeshauptmann Stelzer (ÖVP) die Wahl gehabt, mit den Grünen statt der FPÖ zu koalieren. Er hat sich erneut für die FPÖ entschieden – eben jene Partei, die unter der Schüssel-Regierung Allerberger zum Leiter der Öffentlichen Gesundheit in der AGES machte und diesen auch im Gesundheitssausschuss im Februar 2021 nominierte, die unter Gesundheitsministerin Hartinger-Klein den Chef und Aufsichtsratschef der AGES ernannten.
Was ist seitdem passiert? Der scheidende Gesundheitsminister Mückstein unterzeichnete noch den “Freedooms Day” am 5. März, als die meisten Maßnahmen mit einem Schlag aufgehoben wurden. Gesundheitsminister Rauch, der dann übernahm, bezeichnete das als Fehler, wollte diesen aber nicht rückgängig machen. Am 9. März 2022, dem Tag mit einem Rekord an Neuinfektionen, wurde die Impfpflicht ausgesetzt. Viele Impfgegner, aber auch Impfskeptiker, die sich hätten impfen lassen, um den Job nicht zu verlieren, feierten das Aus der Impfpflicht. Am 10. März empfahl die Corona-Ampelkommission erneute Präventivmaßnahmen wegen Überlastung der Normalstationen. Das Kanzleramt intervenierte, die Formulierung wurde abgeschwächt. Nach Ostern wurden die Schul-PCR-Tests reduziert, das erfolgreiche Testsystem in Wien wurde abgedreht, das Testangebot deutlich verkürzt, was sich am stärksten in den Bundesländern auswirkte, wo die Positivraten seitdem deutlich gestiegen sind. Im Juni wurde die Maskenpflicht abgeschafft, ebenso verpflichtende PCR-Tests in Schulen. Das Epidemiegesetz wurde am 8. Juni geändert und die Abschaffung der Isolationspflicht vorbereitet – mit Verweis auf das “Best case scenario” im Variantenplan der Arbeitsgruppe Future Operations, in der teilweise auch regierungsnahe WissenschaftlerInnen vertreten sind. Mangels Transparenz ist unklar, wer die Schlussfassung des Papers bestimmt. Am 9. Juni wurden die Ampelfarben angepasst, um dem “milden Omicron” Rechnung zu tragen, die Positivrate wurde nicht mehr eingerechnet. Wer mehr testete, stand plötzlich schlechter da, wie Wien. Am 23. Juni wurde die Impfpflicht endgültig abgeschafft. Die ZiB1 berichtete plötzlich nurmehr von “mit Corona” verstorbenen, nicht “an/mit” wie vorher. Am 24. Juni wurde das Projekt ACPP (Austrian Corona Panel Project) mit Daten und Zahlen zur Einstellung der Bevölkerung beendet. Am 3. Juli kündigten die Salzburger Landeskliniken als Entlastung für medizinisches Personal die “dezentrale Covid-Betreuung. Corona-Patienten sollten so lange wie möglich zuhause bleiben. Erinnerungen wurden wach an den “schwedischen Weg”, Covid-Patienten in Pflegeheimen alleine sterben zu lassen, um Personal nicht anzustecken. Am 26. Juli wurde beschlossen, die Isolationspflicht durch (unkontrollierbare) FFP2-Maskenpflicht zu ersetzen. Am 28. Juli wurde das Contact Tracing eingestellt, am 29. Juli der Krisenstab personell verkleinert, am 30. Juli ein Maulkorb für Expertengremien wie NIG und GECKO verhängt, weil NIG-Vertreter ohne Absprache mit dem Gesundheitsminister Impfempfehlungen abgaben.
Rauch hat vor allem von einer Seite Beifall bekommen: Aus den eigenen Reihen, den “Grünen gegen Impfpflicht”, die sich in widerwärtiger, menschenverachtender Weise zum Tod der Ärztin äußerten, Coronaverharmlosern, Impfgegnern, Rechtsextreme – und von der Wirtschaft, die den Wegfall aller Maßnahmen zunächst begrüßten. Einige ruderten später zurück, als sie sahen, dass jetzt die Arbeitgeber Krankenstandsausfälle bezahlen müssen.
Keinen Beifall bekam er von Gesundheitspersonal, von Lehrer:Innen, von allen “vulnerablen” Gruppen, von aufgeklärten Menschen, die eine Infektion vermeiden wollen wegen der bekannten Langzeitfolgen, deren Risiko durch wiederholte Infektion nicht geringer wird, von Eltern, deren Kinder noch kein impfbares Alter haben oder selbst schwerkrank und durch eine Infektion akut gefährdet sind. Leider zählen all diese Menschen, selbstverständlicher Teil der Bevölkerung, für den Gesundheitsminister Rauch nicht mehr, der offen Arbeitsverweigerung betreibt und die Pandemie nicht mehr interessiert – wie Nehammers ÖVP.
Wir haben eine Atmosphäre des Mobbings geschaffen, die nicht nur in der Schule sichtbar ist – Österreich war schon länger europaweit führend bei Schulmobbing – sondern von der Regierung abwärts gelebt wird. Wie zynisch in diesem Zusammenhang Rauchs wiederholte Behauptung, Schulschließungen würden ausschließlich schädlich für Kinder sein. Jeder fünfte Schüler:In in Österreich war schon Opfer von Schulmobbing – wie erleichternd muss das Homeschooling/Distance Learning für die Betroffenen gewesen sein? Um Mobbing geht es auch, wenn bedrohten Ärzten nicht geglaubt wird, wenn ihre Ängste heruntergespielt oder gar ins Gegenteil verkehrt werden. Österreich hat hier vieles aufzuarbeiten, aber eine Regierung, die mit ihrer Politik von oben herab mobbt, diskriminiert und vernünftiges Verhalten kriminalisiert, hat jeglichen Anspruch verloren, diese Aufarbeitung zu veranlassen. Sie muss zurücktreten, um eine unabhängige Aufarbeitung zu ermöglichen. Nur das wäre glaubwürdig.
Morgen wird eine von seriösen Wissenschaftlern und Juristen heftig kritisierte Verordnung in Kraft treten, die den Zusammenhalt der Gesellschaft weiter schwächen wird. Sie wird ein Umfeld schaffen, in dem es vernünftige Menschen noch schwerer haben, in dem durch Covid gefährdete Menschen weitgehend von der Gesellschaft ausgeschlossen werden – und sich doch nicht schützen können, speziell, wenn sie Kinder haben, die in den Kindergarten gehen oder in die Schule. Querdenker bekommen durch diese Politik Bestätigung, Auftrieb und viel Aufmerksamkeit, sie werden ermutigt, weiterzumachen. Auf Einsicht und Insichgehen der verantwortlichen Politiker wartet man leider vergebens.
Das dürfen wir als Gesellschaft nicht hinnehmen. Wir müssen der Politik – und damit ist auch die zahnlose Opposition eingeschlossen – die rote Linie aufzeigen, die sie klar überschritten haben. Mit stillem Gedenken ist es nicht getan – der Protest muss sichtbar werden, er muss außerhalb der viel kritisierten Twitterblase stattfinden, in die Mitte der Gesellschaft getragen werden, denn jeder von uns hat Freunde und Verwandte, die an Covid verstorben oder durch Covid langzeitkrank geworden sind, hat Ärzte, die von Coronaleugnern bedroht werden, ist angewiesen auf ein funktionierendes Gesundheits- und Bildungswesen, das die Dauerdurchseuchung nicht mehr durchstehen kann. Das kann so nicht weitergehen – auch im Hinblick auf die sich ausbreitenden Affenpocken, auf die Rückkehr von durch Impfung vermeidbare Infektionskrankheiten wie Polio, Masern, Diphterie – und auf die sich verschärfende Energiekrise, die den Zusammenbruch der Infrastruktur noch beschleunigen kann.