Warum tut man nichts dagegen: Der Variantenmanagementplan

Grippale Infekte und Grippemeldungen in Wien (links oben), gemeldete Scharlachfälle in Wales (oben mittig), Kinderhospitalisierungen wegen Influenza in Kanada (rechts oben) und Infektionszahlen verschiedener Viren in Kanada (unten)

Gegen alle Infektionskrankheiten, die über die Atemwege in den Körper eindringen, hilft das Masken tragen. Trotzdem tun wir es nicht. Bis zur DELTA-Welle im Herbst 2021 wurde argumentiert, dass man nur dann einen Lockdown verhängen darf, wenn die Intensivstationen kollabieren. Die halbherzigen Maßnahmen seit Welle zwei bzw. dem zweiten Lockdown mit zahlreichen Ausnahmen haben stattdessen dazu geführt, dass die Fallzahlen immer nur langsam gesunken sind. Die Folge: Schleichend hohe Krankheitslasten und Akkumulation von Todesfällen – wobei man ein paar tausend dabei “übersehen” hat.

Es gibt also keinen Covid-Notstand mehr, indem eine kritische Zahl von x Covid-Patienten ins Spital eingeliefert wird, sondern einen Notstand durch Personalmangel, Krankenstände, Covid-Patienten, Influenza-Patienten und andere Patienten. Der Notstand ist nicht direkt auf Covid19 zurückzuführen, sondern durch die Gleichzeitigkeit der Wellen und dem Massenexodus des Gesundheitspersonal bedingt. Da kann man dann wohl nichts machen.

Wenn ein Kleinkind an einem heißen Sommertag am Rücksitz eines Autos bewusstlos liegt, dann überleg ich auch nicht, ob mich die Autobesitzerin klagt, weil ich die Scheibe eingeschlagen hab, sondern dann schlag ich die Scheibe ein und rette das Kind. Später wird man erkennen, dass ich völlig richtig gelegen bin. Menschenleben retten vor materialem Schaden. Da gibt es nicht einmal eine Diskussion. Wenn wir jetzt wieder wie im Vorjahr, übrigens erneut verschuldet durch die Untätigkeit der Regierung, einen dreiwöchigen Lockdown beschließen, und so die enorme Krankheitslast aus dem Gesundheits-, aber auch Bildungswesen nehmen würden, dann wäre der furchtbarste Kollateralschaden, dass nochmal Coronahilfen in die Betriebe fließen müssten. Aber es würde viele Leben retten. Trotzdem tun wir es nicht, weil die Torpfosten verschoben wurden, eine beliebte PLURV-Strategie. Früher wurde ja auch gestorben, wo kämen wir denn hin, wenn wir jetzt anfangen würden, auch Influenzatote zu vermeiden. Dabei könnte man da viel tun, etwa Impfung in allen Altersgruppen bewerben, gilt für Covid und Influenza.

Nun kann also nicht einmal eine Maskenpflicht in Verkehrsmitteln oder im Handel eingeführt werden, weil angeblich kein Covid-Notstand herrscht. Begründet wird das mit dem Variantenmanagementplan.

Der Variantenmanagementplan – Legitimation der Untätigkeit

Auf Seite 6 steht die Prioritenliste der Pandemiebekämpfung:

  1. Priorität des Schutzes von Gesundheit und Leben
  2. Möglichst geringe Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte
  3. Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung
  4. Ausgleich negativer gesellschaftlicher Auswirkungen für größtmögliche soziale Gerechtigkeit

Schutz von Gesundheit und Leben steht ganz oben, aber die Gesundheitsversorgung nur an dritter Stelle. Ein Widerspruch.

Auf Seite 7 das “leitende Prinzip”

„So viel wie nötig, so wenig wie möglich“.

Ich bin eher für “Better safe than sorry.”

“Die Gesundheit aller in Österreich lebenden Personen muss geschützt werden, egal welcher Gruppe sie angehören: jener, für die
eine Infektion mit COVID-19 eine große Gefahr darstellt, oder jener, für die die gesundheitlichen Risiken der Maßnahmen die der COVID-19-Infektion übersteigen (psychologische Folgen, Einschränkungen der medizinischen Versorgung, etc.).”

Die medizinische Versorgung von Nichtcovidpatienten ist seit über einem Jahr schon über kürzere und längere Perioden durch den hohen Infektionsdruck eingeschränkt. Wie aber stellt man objektiv (!) fest, ob psychologische Folgen von Maßnahmen* die einer Infektion übersteigen?

*Natürlich deutet man hier die Folgen der Schulschließungen an – siehe dazu meinen kürzlichen Faktencheck, doch man könnte auch Maskenpflicht und Luftreiniger verwenden, um Schulschließungen zu vermeiden oder so kurz wie möglich zu halten. Die psychologischen Folgen würden sich in Grenzen halten, wenn Erwachsene (Eltern, Lehrer, Politiker) ein gutes Vorbild abgeben. Jetzt sind Kindergärten, ganze Klassen immer wieder von Ausfällen aufgrund der vielen Krankenstände betroffen. Krank lernt es sich aber nicht so gut, während man mit Maske oder mit Hybridunterricht weiter zuhören könnte.

“Sie müssen vorrangig die Bedürfnisse jener Menschen im Blick haben, die sich selbst nicht schützen können. Dies gilt sowohl für medizinisch, sozial oder ökonomisch vulnerable Gruppen, als auch für Orte und Bereiche des öffentlichen Lebens, an denen sich Menschen aufhalten müssen, wie beispielsweise am Arbeitsplatz, in einem Alten- und Pflegeheim oder in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Deswegen hat Gesundheitsminister Rauch die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln trotz BA.5-Welle aufgehoben?

Ab Seite 11 werden die einzelnen Szenarien vorgestellt – hämische, vor allem auch unwissenschaftliche Seitenhiebe auf ZeroCovid-Länder durften dabei nicht fehlen:


“Auswirkungen neuer Varianten sind „harmlos“, jedoch in Ländern mit Null-COVID-Strategie eventuell intensiver durch Erstinfektionen.”

Der Erfolg einer ZeroCovidstrategie bemisst sich bei anhaltend hoher Hintergrundinzidenz weltweit darin, wie hoch die Durchimpfungsraten sind. Neuseeland hat z.B. eine hohe Durchimpfungsrate erreicht. Dort gab es deutlich weniger Tote als etwa in Hong Kong, das bei Älteren nur niedrige Impfraten erzielt hat.

Bei den Drittimpfungen ist vor allem bei der mittleren Altersgruppe Luft nach oben, bei den Viertimpfungen schaut es noch schlechter aus, was allerdings auch daran liegen kann, dass sich viele nach der dritten Impfung infiziert haben.

Szenario 2, der günstige Fall

“Neue Varianten sind in ihren Auswirkungen ähnlich wie die bisherigen durch Omikron oder Delta verursachten Wellen. Schwere Verläufe und damit auch eine Intensivbehandlung bleiben vorwiegend auf vulnerable Gruppen, ältere Personen und Personen mit unzureichender Immunisierung begrenzt”

DELTA war bisher die schwerste Virusvariante von der Eindringtiefe her in die Lunge. Vulnerable Gruppen machen rund 40% der Gesamtbevölkerung aus, nicht eingerechnet die neuen Vulnerablen, die durch eine Covid19-Infektion irreparable Spätfolgen erlitten haben.

“In den klimatisch gemäßigten Zonen kann sich ein saisonales Muster von Ausbrüchen herausbilden”

Logarithmischer Inzidenzverlauf in Österreich bis 17. Dezember 2022 – von Saisonalität keine Spur.

Szenario 3 – Ungünstiger Fall

“Weitverbreitete jährliche Impfung mit aktualisierten Impfstoffen für alle Bevölkerungsgruppen; als Folge des Selektionsdrucks werden neue, zukünftige Varianten die Immunität zum Zeitpunkt des Auftretens wieder umgehen.”

Also so wie derzeit mit den konvergenten Varianten und rund ein Drittel Reinfektionen.

“Aufgrund der hohen Immunevasion sind allerdings möglicherweise auch NPIs wieder verstärkt notwendig”

Wenn es nicht so tragisch wäre, müsste man in Lachen ausbrechen angesichts der Füllwörter, die andeuten, wie politisch darum gerungen wurde, jede klare Formulierung zur Forderung nach Schutzmaßnahmen abzuschwächen.

Szenario 4 – Sehr ungünstiger Fall

“Der Anteil von infizierten Personen, die von Langzeitfolgen betroffen sind, steigt. Es wird weiterhin eine Übersterblichkeit und eine Abnahme der durchschnittlichen Lebenserwartung verzeichnet.”

Auch diese Passage zeugt von massiver Unkenntnis der Pandemiefolgen. Denn in den anderen Szenarien werden Langzeitfolgen gar nicht erwähnt, doch wissen wir aufgrund der bisher bekannten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Long COVID, dass potentiell JEDE Infektion Langzeitfolgen verursachen kann – im Ausmaß von 5 bzw. 10% auch weiterhin bei geimpften bzw. ungeimpften Personen. Wieso werden Langzeitfolgen bei den vorherigen Szenarien nicht thematisiert?

“Neue Varianten könnten die Aktualisierung der Impfstoffe überholen und erfordern einen entsprechend konsequenten Einsatz von NPIs”

Was wir seit Beginn der Impfungen erleben. Das lange Zeitfenster, um DELTA im Keim zu ersticken, wurde im Jahr 2021 nicht genutzt. BA.1/BA.2 überholten die dritte Impfung. Die BA.1-Impfstoffzulassung wurde politisch verzögert, weil die Intensivstationen nicht kollabiert sind (Quelle). BA.5 im Sommer traf immer noch auf Wildtyp-Impfung, erst im Laufe der zweiten BA.5-Welle im Frühherbst kamen BA.1 und BA.5-bivalente Impfstoffe gleichzeitig. Nun sind aber wieder neue Varianten da, die die Immunantwort noch besser umgehen können. Gleichzeitig wird deutlich, dass weitere Auffrischimpfungen gegen das OMICRON-Spikeprotein notwendig sind, um die Immunantwort zu verbessern. Bei dem hohen Infektionsdruck werden das viele nicht mit der Impfung erreichen.

Ab Seite 18 werden nichtpharmazeutische Interventionen besprochen:

“Die FFP2-Maskenpflicht als gelindes und effektives Mittel sollte stets zeitnah eingesetzt werden, sobald ein substanzieller Aufwärtstrend von Hospitalisierung verzeichnet wird.”

Außer man ändert ständig die Kriterien, was substanziell bedeutet.

Seite 19 unter Punkt 5.3 Maßnahmen – Bildungseinrichtungen zählen also nicht zu sensiblen Bereichen

Laut den aufgezählten Maßnahmen je Szenario befinden wir uns also in Szenario 2, dem günstigen Fall – wir erinnern uns, das angeblich saisonale Muster. Langzeitfolgen spielen in Szenario 2 KEINE Rolle.

Aus dieser Fehleinschätzung des Szenarios ergeben sich Folgefehler, etwa beim Testangebot (S. 21ff):

“Grundsätzlich gilt, dass dem Testen innerhalb der optimistischeren Szenarien 1 und 2 ein geringerer Stellenwert zukommt, als bei den pessimistischen Szenarien 3 und 4.”

In der Logik der Regierung befinden uns also im optimistischen Szenario, wodurch das Testangebot gering bleibt.

Zum Contact Tracing wird ab S.23ff geschrieben:

“SARS-CoV-2 ist eine anzeigepflichtige Erkrankung, bei der Fall- und Kontaktpersonennachverfolgung gemäß Epidemiegesetz (EpiG) verpflichtend sind.”

Contact Tracing ist also verpflichtend, wird aber im Text nicht mehr beschrieben, wie es umgesetzt wird. Also missachtet man die gesetzliche Verpflichtung. In Szenario 1 kommt es übrigens zur “Abschaffung der allgemeinen Anzeigepflicht.

Zu Therapien wird ab S. 30ff geschrieben:

Von den genannten Medikamenten wirken… (Arora et al. 2022, EMA 09.12.22)

  • Evusheld nicht mehr gegen BQ.1.1.
  • Sotrovimab wirkt noch mäßig
  • Casirivimab und Imdevi-
    mab kaum gegen BQ.1.1.
  • Regdanvimab
  • Anakinra muss früh gegeben werden
  • Remdesivir dürfte noch wirksam sein
  • Tocilizumab (RoActemra) ist nur für beatmungspflichtige Patienten gedacht
  • Paxlovid wirkt gut, wird aber zu selten verschrieben.

Mithilfe von Therapien soll LongCOVID vermieden werden (S.31), wäre es nicht einfacher, Infektionen zu vermeiden?

S.33 erwähnt dann endlich LongCOVID.

“Bislang fehlt allerdings eine einheitliche internationale Long COVID Definition”

Wie wärs mit der WHO-Definition?

“Post COVID-19 condition occurs in individuals with a history of probable or confirmed SARS-CoV-2 infection, usually 3 months from the onset of COVID-19 with symptoms that last at least 2 months, that cannot be explained by an alternative diagnosis. Common symptoms include fatique, shortness of breath, cognitive dysfunction but also others with generally have an impact on everyday function. Symptoms may be new onset following initial recovery from an acute COVID-19 episode or persist from the initial illness. Symptoms may also fluctuate or relapse over time. A separate definition may be applicable for children.” (06.Oktober 2021)

Der auf S.34 genannte Versorgungspfad funktioniert nicht.

Erst nach Diagnosestellung (Differenzialdiagnose) sollte von Long COVID (im Sinne von funktionellen Folgen) gesprochen werden, denn nicht jede COVID-19-Langzeitfolge (wie beispielsweise organische Folgen aufgrund von krankheitsbedingten
Komplikationen bzw. eines schweren Verlaufs
, aufgrund Auswirkungen von Lockdowns, etc.) ist mit Long COVID zu erklären.

Häh? Was ist LongCOVID anderes als eine “krankheitsbedingte Komplikation”? Bei schweren Verläufen spricht man wohl das Post-Intensive-Care-Syndrom (PICS) an. Was die Auswirkungen von Lockdowns da zu suchen haben, wenn es um nachweislich infizierte Personen geht, ist auch so eine interessante Frage.

Es gibt erste Anzeichen, dass eine COVID-19-Impfung präventiv gegen Long COVID wirkt, allerdings ist aktuell noch unklar, ob mildere Verläufe einer COVID-19-Erkrankung bei geimpften Personen hierfür ursächlich sind oder ein direkter Einfluss
der Impfung auf das Auftreten von Langzeitfolgen vorliegt
.”

Nachdem LongCOVID häufig aus milden Verläufen heraus entsteht, liegt es wohl eher an direkten Folgen, etwa geringere Viruslast und raschere Virus Clearance aus dem Körper.

Puhach et al. 2022

Von Prävention ist keine Rede bei 10.3 Maßnahmen (S. 36)

“Da es sich bei Long COVID um Langzeitfolgen der Pandemie handelt, sind keine szenarienabhängigen Maßnahmen
vorgesehen. Vielmehr muss laufend der aktuelle Wissensstand, die aktuelle Bedarfs- und damit Versorgungssituation beobachtet und evaluiert werden und die Kapazitäten von den jeweils für die Gesundheitsversorgung zuständigen Stakeholder:innen (Ländern und SV) entsprechend angepasst werden.”

Bei der psychosozialen Gesundheit kommt LongCOVID in Szenario 1 vor, bei Szenario 3 steht “Post COVID” – wirkt ein wenig wie schlampig hingeworfene Schlagwörter.

Das Kapazitäten-Thema ist sehr kurz abgehandelt und geht überhaupt nicht darauf ein, dass es wie im aktuellen Fall zur Gleichzeitigkeit mehrerer Wellen kommt. Was hier zudem völlig fehlt, ist die psychische Gesundheit und Belastbarkeit des Gesundheitspersonals.

Kommunikation ab S. 48 ff.

  • rasche, umfassende und transparente Information der Bevölkerung, die frei von Widersprüchen ist
  • konsistente, verlässliche, vertrauensfördernde Botschaften

*prust*

“Nach zweieinhalb Jahren der Pandemie tritt nun verstärkt die maßnahmen-begleitende und präventive Kommunikation in den Vordergrund, um die Bevölkerung adäquat zu informieren. Krisenkommunikation sollte nur beim Eintreten neuer krisenhafter Ereignisse erfolgen.”

Etwa überlastete Kinderspitäler und Triage in den Spitälern generell?

“Faktenbasiert: Die Kommunikation gibt den Stand der Wissenschaft weiter. Kommuniziert werden Fakten, nicht Vermutungen. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden in für die Allgemeinheit verständlicher Form vermittelt. Die Wissenschaftler:innen selbst sind glaubwürdige Vermittler:innen des aktuellen Stands der Forschung.”

Nein.

Schule ab S. 51ff

“Wie bei anderen Infektionskrankheiten (beispielsweise Masern) kann die Gesundheitsbehörde jedoch weiterhin vorübergehende
Schließungen einzelner Klassen oder Schulstandorte veranlassen.”

Im Szenario 1/2 ist keine PCR-Testung vorgesehen, nur anlassbezogene AG-Tests, und befristete Maskenpflicht, in Szenario 3 Maskenpflicht nur außerhalb des Unterrichts, erst ab Szenario 4 in der Klasse.

Die schweren psychosozialen Folgen der Maßnahmen gelten also nicht nur mehr für Lockdowns, sondern auch Masken. Wieder verschobene Torpfosten.

Die Maßnahmen im Arbeitsumfeld, Wirtschaft, Tourismus kommen nicht über Empfehlungen und Begleitmaßnahmen hinaus, Maskenpflicht nur bei AMS-Kursen in Szenario 3.

Referenzen, Belege, Literaturhinweise gibt es keine im Dokument.

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