Tag 30: Stichproben, Öffi-Revival und Auszeit

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Heute hätte ich nach Oberösterreich fahren sollen, mit der Seilbahn auf den Dachstein und über Ostern schneeschuhwandern. Manchmal kommt es anders als man denkt und statt im Schnee zu watscheln, schnappte ich mein Fahrrad und fuhr nach Kaltenleutgeben, vom zweiten Bezirk eine halbe Weltreise, genauer gesagt 25,7km. Von dort ging ich zu Fuß weiter in die Rodauner Berge, drehte aber wegen der mühsamen Anfahrt (teils schlecht beschilderte Radwege, unendlich viele Ampeln, immer noch viel Verkehr, und doch einige Höhenmeter bergauf) nur eine kurze Runde. Nebenbei meine längste Radfahrt seit über 10 Jahren. Den Urlaubstag würdig genutzt. Continue reading

Tag 29: Nichts ist mehr wie vorher

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Leer gefegter Michaelerplatz am Donnerstagvormittag

Zu den gesellschaftlichen Verwerfungen hat eine Freundin bereits einen trefflichen Text geschrieben. Die Verdrängungsmechanismen funktionieren nur stunden- oder tageweise, leider unterbrochen von den täglichen Pressekonferenzen der Regierung mit mehr oder weniger glaubwürdigen Informationen. Man gibt uns nicht viel Zeit, sich auf etwas einzustellen. Ich hätte damit leben können, wenn sich bis Ende April nichts am status quo ändert (abgesehen von der überfälligen Öffnung der Bundesgärten und Zurechtweisung der außerhalb jeder Erlässe strafenden Polizei), um neue Routinen aufzubauen. Stattdessen kommt im Schnitt alle drei Tage eine Änderung. Die letzte Stichprobe hat ergeben, dass von 422 Supermarkt-Mitarbeitern kein einziger infiziert sei. Maskenpflicht? Aber sei es wie es sei. Solange man nur Zahlen erfährt und nicht, wie sie zustandegekommen sind, glaube ich der Regierung kein Wort mehr. Ich habe die letzten Wochen exzessiv viele wissenschaftliche Artikel und Zusammenfassungen gelesen, und wenn eine repräsentative Statistik/Studie so aufbereitet werden würde wie die Heinsberg-Protokolle, dann müsste man in Österreich nicht soviel Kaffeesud lesen und hätte mehr Vertrauen in die Entscheidungen der Regierung. Ich hab leider gar keines mehr. Kurz missbraucht die Ausnahmesituation, um seine Vorstellungen eines feudalen Ständestaats weiter voranzutreiben, die Verteilung geht weiterhin von unten nach oben. Mangels Versammlungsfreiheit kann derzeit niemand öffentlichkeitswirksam protestieren. Continue reading

Tag 28: Rausgehen und Abstand halten

Quelle: Dr. John Campbell, der sich auf das folgende Paper beruft: https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2763852

Ich hab eine neue Routine gefunden, die darin besteht, die meist täglichen Updates von Prof. Hendrick Streeck und Dr. Christian Drosten (beides Virologen) sowie von Dr. John Campbell (Krankenschwester-Ausbilder, pensioniert) anzuhören und zusammenzufassen. Deren Erläuterungen und Bezüge auf wissenschaftliche Artikel widersprechen sich mitunter und das ist gut so. Ein bis vor wenigen Monaten unbekanntes Virus kann nicht ausschließlich unisono Aussagen hervorbringen, das wäre beunruhigend. Der Screenshot im Teaser stammt aus dem letzten Youtube-Update von Campbell.

Wie lange große Tröpfchen mit signifikanter Viruslast (und das ist noch ungeklärt, wie viel Virus es braucht, um einen Menschen zu infizieren) in der Luft bestehen bleiben können, hängt von den Umgebungsbedingungen ab: Temperatur, relative Luftfeuchte und Wind. Grundsätzlich gilt: Je mehr Frischluftzufuhr (große Raumluftumwälzer, geöffnete Fenster, outdoor), desto stärker verdünnt sich die Tröpfchenwolke. Je heißer und trockener, desto rascher verdunsten die Tröpfchen. Die Hoffnung besteht ja darin, dass es in der warmen Jahreszeit zu einer Verlangsamung der Ausbreitung kommt. Dem gegenüber gestellt wird oft, dass es auch in heißen Ländern zu einer Verbreitung kommt, aber ich frage mich, ob da nicht kulturelle und Platzgründe eine größere Rolle spielen, etwa in Spanien oder Lateinamerika mit generell engerem Kontakt zwischen den Menschen, oder in Afrika mit beengten Wohnverhältnissen und größeren Menschenansammlungen. Die aktuellen Wetterverhältnisse in Mitteleuropa, mit Temperaturen über 20 Grad und einer Luftfeuchte von teils unter 20%, in Wien mit lebhaftem Südostwind verbunden, würden ein gutes Freiluftlabor simulieren, um festzustellen, wie rasch die Viruslast in der Luft verdünnt wird, wenn jemand spricht, hustet oder niest.

Aus der obigen Abbildung lässt sich ableiten, dass der “Meter Abstand” in Österreich klar zu wenig ist, jedenfalls in geschlossenen Räumen (Laborbedingungen!). Zwei Meter sind Minimum. Ohne Maske. Alles, was darüber hinausgeht, lässt sich zum Glück durch Masken abfangen. Und man kann es nur zum hundertsten Mal betonen: Es geht darum, andere nicht mit seiner potentiell viralen Spucke anzustecken!

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Tag 27: Die neue Unfreiheit

Heute ist mein erster Arbeitstag am Dienstort, was bedeutete, dass ich um 5.25 aufstehen musste und mit der U-Bahn bis Landstraße fahren, und weiter mit der S Bahn. Die war relativ voll.

In der Bäckerei in Landstraße darf man nur einzeln eintreten. Ich rundete wieder für die Mitarbeiterin auf. Das werde ich jetzt immer machen.

Zur open source App des Heiligen Österreich wurde hier ein guter Text geschrieben, wichtiger ist eine europäische App, sollte man je die Grenzen wieder öffnen wollen. Österreichs Rechtsökoregierung verfolgt aber einen anderen Weg.

Einen wirklich erschütternden Text eines Public Health Experten, der auch die Regierung “berät”, dessen Meinung aber anscheinend genauso “egal” ist wie die der “spitzfindigen Juristen” (BK Kurz gestern abend in der #zib2) habe ich gestern noch vor dem Einschlafen gelesen. Das war keine gute Idee.

Ich werde den Text so oft verbreiten wie nur möglich. Er zeigt minutiös das Totalversagen der Regierung bei der Bewältigung der Pandemie auf. 3 Wochen Lockdown für NICHTS.

Edit: Nach vielseitiger Kritik am Wording: Totalversagen klingt etwas hart, zugegeben. Die Maßnahmen haben ja gewirkt, die Kapazitäten konnten bisher gehalten werden, es muss keiner sterben, weil er kein Intensivbett bekommt. Was mich durch und durch erschüttert hat, ist, wie wenig an harten Fakten bisher herauskam, was man alles versäumt hat. Gerade in Italien gab es viel mehr verwertbare Daten, offen für alle in der Bevölkerung. Ohne eine gute Datengrundlage kann man keinen so detaillierten Fahrplan erstellen, wie ihn die Regierung jetzt gemacht hat. Entweder verheimlichen sie uns etwas oder es wird schlicht Politik mit sehr hohem Risiko gemacht, aufgrund des Drucks der Wirtschaft.

Das ganze Interview ist zitierenswert, ich greife mir zwei Aspekte heraus:

Wir dürfen nicht vergessen, dass das Sterben ein Teil des Lebens ist. Bis vor kurzem wurde noch anonym gestorben. Niemand hat sich dafür interessiert wie jene 84.000 Menschen letztes Jahr gestorben sind, ob alleine, oder im Kreis ihrer Familie, friedlich oder mit Schmerzen. Plötzlich verfolgt die österreichische Gesellschaft das Sterbegeschehen auf Dashboards, informiert sich täglich über die aktuellen Zahlen und kann es nicht fassen, dass auch in Österreich gestorben wird.

Und was mich persönlich betrifft:

Ganz klar sind die Infektionswege noch immer nicht, aber Nähe und Kontakt spielen sicher eine wichtige Rolle. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass es bei Einhaltung von einem Meter Abstand zu irgendwelchen Infektionen im Freien kommt. Darum halte ich auch alle Einschränkungen der Bewegung im Freien, das Schließen von Parks und Wandergebieten für falsch und nicht nachvollziehbar.

Damit entlasse ich Euch in den Tag. Kiwarei hab ich keine gesehen am Hinweg.

Zwischenstand: Es ist eine beklemmend stille Atmosphäre am Flughafen:

beklemmend

Parkplatz und Bushaltestellen verwaist

Vor einem Monat herrschte hier noch Normalbetrieb, der Parkplatz war gefüllt, die Busse standen an ihrem Platz, geschäftiges Treiben dazwischen. Bei jeder Kreuzung musste man Taxifahrern und anderen Autofahrern ausweichen. Dazu je nach Windrichtung ein penetranter Kerosingeruch und eine Dauergeräuschkulisse von landenden und startenden Flugzeugen bzw. startenden Triebwerken. Die Ankunftshalle war voll, Slalomlauf zum Supermarkt angesagt. Jetzt herrscht Stille, es ist ruhiger als in Wien. In der Ankunftshalle vereinzelte Touristen und eine koreanische Crew beim Einkauf. Die meisten Geschäfte haben geschlossen, verkauft werden nur Prepaidhandys mit Service und Lebensmittel im Supermarkt. Die Schutzmaske ist dort immer noch gratis. So schnell ändert sich das subjektive Empfinden. Vor einem Monat hat mich das hektische Treiben der Menschenmassen noch gestresst, heute erzeugt die apokalyptische Stille einen beklemmenden Knoten in der Brust. Vor drei Jahren hatte ich mit einem Kollegen geredet über die Arbeit am Flughafen. Er sagte, er schätze den Arbeitsplatz auch, weil die Menschen dort oft gut gelaunt seien, sich auf ihren Flug bzw. Urlaub freuen. Jetzt freut sich dort niemand mehr, allenfalls das befreiende Lachen vereinzelter Touristen, die froh sind, dass sie zurückkehren konnten, ist noch zu vernehmen. Man spürt, wieviel davon abhängt, dass der Flugverkehr eines Tages wieder zurückkommt. Eine halbe Million Arbeitsplätze hängt alleine vom Flughafen Wien und damit verbundene Unternehmenslogistik ab. Selbst wenn der Binnenlandtourismus wieder floriert, dank der Bewohner, die im eigenen Land Urlaub machen, wird der Flughafen noch lange schleppend anlaufen. Es hängt alles davon ab, wie die An- und Abflugdestinationen die Krise bewältigen. Und vor allem hängt es weltweit davon ab, ab wann ein Impfstoff für knapp 7,8 Mrd. Menschen (abzüglich der bereits Erkrankten und auf natürliche Weise immunisierten) weltweit zur Verfügung steht. So lange steht der Flughafen nicht völlig still – essentielle Transporte (Frachtflüge) finden weiterhin statt, die Abfertigung und Flugsicherung behalten ihre Daseinsberechtigung.

Tag 26: Neue alte Erlässe, Maskenpflicht, Hochfahren ohne Reisefreiheit

Leute, es ist wirklich mühsam. Jeden Tag andere, oft widersprüchliche Informationen. Ich mag nimmer. Ignorieren geht auch nicht, weil sonst steht man vor dem Supermarkt und darf ohne Maske nicht hinein, obwohl die Maskenpflicht noch gar keine rechtliche Grundlage hat. Statt mal für ein paar Tage still zu halten, musste Kurz am Wochenende wieder große Interviews führen, um von einer verpflichtenden App zu sprechen, während das Rote Kreuz sagt, ihre App muss freiwillig bleiben. Sobotka ruderte zurück, die Grünen stellten klar, dass die App nicht verpflichtend sei. Gleichzeitig arbeitet die ÖVP an einer neuen App mit externer Überwachungssoftware und Bluetooth-Schlüsselanhängern Fußfesseln.

Über die psychosozialen Folgen spricht niemand – was passiert mit den Menschen, wenn sie tag und nacht das Handy bei sich haben müssen? Es könnte ja jederzeit eine Warnung kommen, dass man mit einem infizierten Menschen Kontakt hatte? Vor zwei Wochen hat der Kinderpsychiater Dr. Dierssen auf einen Blogtext von mir kommentiert, dass exzessives Vitalmonitoring (Überwachung der körperlichen Funktionen auf eine mögliche Infektion, z.b. Blutdruck, Fieber, Puls, etc…) kontraproduktiv sei, es würde zu erhöhter Anspannung und Ängsten führen. Was geschieht bei exzessiver Überwachung der Sozialkontakte eines Menschen? Ich habe aufgrund der bewiesenen Grundbösartigkeit der Regierung, vor allem des ÖVP-dominierten Anteils, ein Grundmisstrauen entwickelt.

Die Regierung versäumt es leider, beruhigende Signale im Hinblick auf die geltenden Grundrechte auszusenden:

  • Zurechtweisung der Polizei, die Verhältnismäßigkeit zu wahren
  • Menschen, die Abstände nicht einhalten, nicht als “Gefährder” mit Terroristen gleichzusetzen
  • Contact-Tracing darf nicht über die Hintertür verpflichtend werden

Einschub Pressekonferenz

  • Ausgangsbeschränkungen bis 1. Mai verlängert.
  • Ab 14. April können Geschäfte unter 400 m2, Bau- und Gartengeschäft öffnen
  • ab 1. Mai alle anderen Geschäfte, Einkaufszentren und Friseure öffnen.
  • ab 15. Mai sukzessive Restaurants und Hotels
  • Öffnung der Bundesgärten nach Ostern, mit Eingangskontrolle

Alles unter besonderen Sicherheitsauflagen.

  • Keine Veranstaltungen in ganz Österreich bis mindestens Ende Juni. Über Veranstaltungen im Sommer wird noch entschieden
  • Familienfeiern oder Ausflüge zu Ostern sind grundsätzlich untersagt. Schulen bleiben bis Mitte Mai geschlossen, die Matura wird stattfinden, Unis bleiben das ganze Semester zu.
  • Ab Ostermontag Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und in allen Geschäften. Kurz spricht vom öffentlichen Raum (gewichtiger Unterschied), aber Anschober hat bekräftigt, dass damit Öffis und Geschäfte gemeint sind.
  • Zuwachsrate bei den Infektionen derzeit unter 2%, seit einer Woche einstellig (falls die Tests stimmen)
  • Rücknahme des Oster-Erlasses, weil Ausgangsbeschränkungen weiterhin gelten
  • Zu Reisefreiheit kommen gesonderte Informationen, erst mit Impfstoff, d.h. mindestens vor Herbst nicht im Ausland, im Binnenland wohl sehr eingeschränkt

Wenn es heißt, wir sitzen alle im gleichen Boot, stimmt das eben nicht. Bei manchen hat das Boot kein Ruder mehr, bei manchen fehlt die Luft, bei anderen dringt schon Wasser durch den Rumpf.

Update, 20.20: 

Ich war dann das erste Mal einkaufen, ohne Handschuhe, mit Stofftasche. Leider muss man jetzt im den kleinen BILLA-Supermarkt ums Eck einen Einkaufswagen benutzen. Damit steht man sich nur im Weg, kann nicht ausweichen und muss enger aneinandervorbei als ohne Wagen. Es war ein Spießrutenlauf. An der Kassa hab ich bar bezahlt, weil ich Trinkgeld geben wollte. Ich rundete auf, sie bedankte sich herzlich. Ich hab den Einkaufswagen zurückgeschoben und draußen meine Hände desinfiziert mit dem wenigen Desinfektionsmittel, was ich noch habe. Ideal ist das alles nicht. Das haben sich wieder hirnrissige Experten ausgedacht, die nur in Mega-Supermärkten einkaufen gehen.

Allerdings ist das auch ein Grundproblem der Regierungsarbeit. Es fehlen die Grundlagen. In einem der ORF-Reportagen wurde von einem Fachmann für Kommunikation gesagt, dass die Bevölkerung eher Maßnahmen befolgt, wenn sie eine Grund dafür sehen, warum sie es tun sollen. Es gibt bis dahin keine Studien aus Österreich, wo erhoben wurde, wie die Infektionsketten aussehen, ob Oberflächen kontaminiert sind in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Supermärkten. Jetzt müssen in öffentlichen Verkehrsmitteln und Supermärkten Masken getragen werden. Anders in Deutschland, da wird aktiv und transparent geforscht. Da finden sich erhellende Aussagen, die im Widerspruch zu den österr. Maßnahmen und vor allem ihrer polizeilich harter Durchsetzung stehen:

“Wir haben Viren auf Gegenständen oder Türklinken gefunden. Auch einmal im Toilettenwasser, wenn jemand Durchfall hatte. Es ist uns aber in keinem Fall gelungen, daraus intakte Viren anzuzüchten.”

“[…] bisher seien keine Infektionen beim Friseur, beim Busfahren oder beim Einkaufen nachgewiesen worden.”

“Es gab keine Übertragung im Restaurant, der Taxifahrer hat sich nicht infiziert und niemand in öffentlichen Verkehrsmitteln. Und das, obwohl diese Frau hochinfektiös gewesen zu sein scheint.”

ZEIT ONLINE: Sie haben sich aber noch aus anderen Gründen gegen eine strikte Ausgangssperre ausgesprochen. Warum?

Streeck: Ein Grund ist, dass wir gerade alles tun, was schlecht für unser Immunsystem ist. Wir hängen zu Hause rum und gehen nicht raus in die Sonne. Nur zu viert im Park auf einer Decke zu sitzen, ist schon verboten. Aber auch da schauen wir nicht auf die Fakten. Sars-CoV-2 ist eine Tröpfcheninfektion und keine, die über die Luft übertragen wird. Wären es Masern und wir hätten alle keinen Immunschutz, dann würde auch ich dazu raten, öffentliche Verkehrsmittel zu meiden. Auch bei Pocken würde ich mich anders verhalten.”

Stattdessen ist es bei uns verpönt, mit Bargeld zu zahlen, obwohl es gegenwärtig keine Belege dafür gibt, dass man sich darüber einem erhöhten Risiko, sich zu infizieren, aussetzt (jedenfalls nichts, was man nicht durch gründliches Händewaschen und sich nicht ins Gesicht fassen, verhindern könnte).

Die sehr umfangreiche FAQ des Sozialministeriums klärt viele Fragen, nur eine Frage fehlt dezidiert:

Wann darf man wieder uneingeschränkt (mit Mundschutz) öffentliche Verkehrsmittel benutzen?

Das betrifft immerhin etliche Wiener ohne Auto bzw. Führerschein. Mich.

Update, 21.15

Virologe Streeck: Anstreckung über die Luft extrem unwahrscheinlich

Eine ähnliche Studie wie in Heinsberg läuft derzeit auch in Bergamo. Problem aller Medikamente ist derzeit, dass es keine gesicherten Studien gibt – zu hohes Risiko von Nebenwirkungen/keiner Wirkung. Thema Maskenpflicht: Einschnitte ins tägliche Leben für unbestimmte Zeit, Einschränkung des Gesichts versus Bewegenfreiheit, müssen Juristen, Psychologen, Soziologen beurteilen. Thema Virenverbreitung in der Luft: COVID19 ist Tröpfcheninfektion (kleine Tröpfchen Sekret werden durch spucken, niesen, husten, feuchte Aussprache werden durch die Luft übertragen). Spucke fällt sofort runter, halten sich nicht lange in der Luft. Je kleiner, desto länger halten sie sich in der Luft, aber je kleiner, desto weniger Virenpartikel sind darin, die ab einer bestimmten Menge nicht mehr ausreichen, um einen Menschen zu infizieren. Frage ist, wie nah muss man an einem Menschen sein, damit noch genug Virenpartikel in der Luft sind, um sich zu infizieren. Nahezu keine Gefahr ab Abstand von 1,5m-2m. Nicht wahrscheinlich, dass man sich im Raum mit anderen infizierten Personen infizieren kann, aber nicht ausgeschlossen, dass es passieren kann.

Virologe Drosten: Neue Argumente für Maskenschutz, keine Flächendesinfektion im Haushalt nötig

Generelle Maskenpflicht ad hoc ist komplex, rein logistisch, kulturell nicht verankert und eingeübt. Kaum wissenschaftliche Evidenz dafür, dass Selbstschutz durch einfache Masken funktioniert. Medizinische Masken erfordern medizinische Voruntersuchung, um sie tragen zu dürfen, z.b. Lungenfunktionstests. Einfache OP-Masken, die man sich selbst nähen kann. Es gibt Anfangsevidenzen für den Fremdschutz, aber: Jeder muss die Masken tragen. Zwei interessante Arbeiten:

Nature Medicine – was gibt eine infizierte Person von sich in der ausgeatmeten Luft? Patient hat einfachen Mund-Nasen-Schutz aufgesetzt bekommen, andere Gruppe ohne Maske. 17 Personen hatten normale Corona-Erkältungsviren (eher obere Atemwege), 43 hatten Influenza und 54 Rhinoviren (Schnupfen), alles junge und mittelalte Erwachsene. 30min lang wurde Absaugvorrichtung vor der Person aufgebaut, Atemluft und Hustenluft wird gesammelt und im Labor getestet. Große Tropfen sind Teil der Tröpfcheninfektion, fällt im Radius von 1,5-2m zu Boden. Aerosole (Partikelgröße unter 1-5 Mikrometer) trocknen aus, werden kleiner und schweben länger, das Virus trocknet aber auch irgendwann aus. [Bei der Studie mit 3 Std. Beständigkeit in der Luft spezielle Laborsituation] Ergebnisse eindeutig: 11 Patienten mit Coronaviren mit Maske wiesen keine Virenpartikel über die gesamten 30min auf, in der anderen Gruppe ohne Maske waren es 10 Patienten, mit nachweisbarem Virus.

Studie aus Singapur, im Pre-Print, kleinere Studie, aber mit Covid19. Bei 2 Patienten mit viel Virus in den oberen Atemwegen konnte man Virenpartikel in der Raumluft nachweisen. Kleintröpfiger Bereich in trockener Raumluft – Tröpfchen stehen in der Raumluft, sind noch eine gewisse Zeit infektiös. außer in Räumen mit technischer Raumluftumwalzungen (viele Supermärkte haben das!) mit erheblicher Austauschrate. Bei Luftübertragung (“airborne virus”) hilft die einfache Schutzmaske nicht mehr. Nebenbeobachtung zu Singapur: Wischproben in 30 verschiedenen Krankenzimmern mit Covid19 von allen möglichen Oberflächen, viel deponierte RNA gefunden, z.b. Fußboden (gröbere Tröpfchen), alle Proben waren nur in der ersten Symptomwoche positiv, nicht mehr in der zweiten nicht mehr, keine nennenswerte Viruskonzentration mehr in der Raumluft. Patienten geben später in der Erkrankung weniger Virus von sich. Wichtig für die Vorstellung: Wann ist der Patient infektiös?

Ansteckung über Oberflächen selbst: etwa 10% funktionieren höchstens darüber. Maßnahmen in der Öffentlichkeit sind auf Tröpfchenübertragung ausgerichtet. Luftübertragung auch in den Studien unrealistisch, weil sich Luft im Raum auch bewegt.

Flächendesinfektion im Haushalt nicht nötig. Im Krankenhaus kann eher noch Kontaktinfektion (früher: Schmierinfektion) eine Rolle spielen. Ausfall von Geschmacks- und Geruchsinn, ganz bestimmte Art von Zellen in der Nase werden vom Virus betroffen. Iranische Wissenschaftler haben Umfrage gemacht mit 15000, davon hatten 10000 einen Ausfall/Beeinträchtigung des Geruchsinns, 76% hatte plötzlichen Ausfall. 75% hatten influenza-ähnliche Symptome, 83% hatten Geschmacksverlust – davon hatten 12% hatten ebenfalls Atemwegserkrankung, davon mussten 7,8% ins Spital, aber 48% im Haushalt, da hat 1 Familienmitglied auch Ausfall des Geruchsinns.

Bemerkenswert, solche großen Zahlen und plötzlichen (bemerkbaren) Ausfall des Geruchsinns zu sehen. Ratsam, sich selbst zu isolieren, wenn dies auftritt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Tag 25: Abwechslung

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Schönungsteich in der Schwarzlackenau, im Hintergrund Lepoldsberg und Kahlenberg

Heute kleiner Radausflug ans andere Ufer. Tat gut.

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Frühlingsadonis

Während ab morgen Maskenpflicht in den Supermärkten herrscht, erhalten die behandelnden Ärzten in den Spitälern zu wenige Schutzmasken. Im AKH fehlt selbst der Nachschub an einfachen OP-Masken. Sie holen sich sich das gratis Modell beim SPAR oder nähen selbst. Gleichzeitig werfen viele Supermarktkunden die Masken nach zehn Minuten tragen weg, im Glauben, es gäbe eh genug und das Gesundheitspersonal sei versorgt. Erschreckend. Laut Virologe Streeck, der eine großangelegte Studie im deutschen Corona-Hotspot Heinsberg (40000 Einwohner) gemacht hat, konnte übrigens keine einzige Infektion auf einen Supermarkt zurückgeführt werden. Vielleicht hätte es ausgereicht, weiterhin gründlich die Hände zu waschen, Abstand zu halten, in die Armbeuge zu niesen und die zahlreichen Masken den Ärzten und Pflegern zu überlassen? Es bleibt Spekulation.

Ich halte die bisherigen Maßnahmen übrigens für richtig, nur in der Ausformulierung und Umsetzung teilweise für katastrophal. Parks geöffnet, Bundesgärten (größere Fläche) geschlossen. Genügend Masken im Supermarkt, aber nicht in den Spitälern. Spazieren gehen erlaubt, hinsetzen nicht und drakonische Strafen (500 Euro) teilweise für Einzelpersonen, die  von der Begrifflichkeit her plötzlich mit Terroristen (“Gefährder”) gleichgesetzt werden. Obwohl man nicht einmal weiß, ob sie überhaupt infiziert sind. Privat-Fahrten mit dem PKW erlaubt, aber keine gesperrten Fahrspuren in der Stadt. Auch kann man die Bedeutung des Öffinetzes von Wien nicht mit anderen Städten vergleichen. Man hätte auch dafür eine Lösung finden können, etwa Beschränkung der Personenzahl pro Waggon, Durchsagen, Kontrollen, aber keine pauschale Sperre. Jetzt finden sich manche von uns in der eigenartigen Situation, dass sie zur Arbeit mit den Öffis fahren müssen, aber zur Erholung nicht mit den Öffis in den Wienerwald/Stadtrand dürfen.

Gleichzeitig mache ich mir schon Gedanken darüber, wie es mittelfristig weitergeht. Die Regierung wiederholt mantraartig, dass es ihnen um den Schutz der Alten und Risikogruppen geht.

Das hat bisher ja super funktioniert. #not

Die chronisch Kranken müssen derzeit auf Behandlungen verzichten, die Folgeschäden zeigen sich nicht unmittelbar, sondern erst später. Und viel später kommt die vierte Welle mit Trauma, psychischen Erkrankungen, Arbeitslosigkeit und Burnout.

Es wäre Aufgabe der Regierung, gegenzusteuern, indem sie Sicherheit bzw. Absicherung bietet. Der 38 Mrd-Rettungsschirm reicht nicht aus. Denn die meisten dürften sehen, dass es mit diesem Jahr nicht ausgestanden sein wird. Gefasel von “neuer Normalität” schafft nur Ängste und Ohnmachtsgefühle. Die Menschen brauchen eine Perspektive.

COVID19-Tests verstehen (Übersetzung)

Das Original stammt von Edsel Maurice Salvana, Mediziner für Infektionskrankheiten und Molekularbiologe auf den Philippinen.

Warnung: Dein Kopf wird davon rauchen, falls Du keinen wissenschaftlichen Hintergrund hast. Teufel noch mal, auch mein Kopf raucht davon, aber ich kann es nicht anders erklären.

1. Die Masse testen bedeutet nicht, jeden zu testen. Es handelt sich um “risikobasiertes” Testen. Grundsätzlich testet man Menschen mit zunehmendem Risikoradius: teste die Verdachtsperson (PUI, Person under investigation), die engen Kontakte, dann die Gemeinschaft. Es ist kein Schrotflintenprinzip, weil kein Land jeden einzelnen Bürger auf COVID-19 testen kann. Daher müssen wir unsere Prioritäten für Tests herausfinden und WELCHEN TEST wir verwenden. Du kannst nicht 100 Millionen Menschen testen, aber jene mit dem HÖCHSTEN RISIKO.

2. Verstehe die Grenzen vom Testen. KEIN TEST ist zu 100% genau. Es gibt Abstriche. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Test positiv ist, wenn die Erkrankung TATSÄCHLICH vorhanden ist, wird SENSITIVITÄT genannt. Die Wahrscheinlichkeit für ein negatives Testresultat, wenn KEINE ERKRANKUNG gegeben ist, wird SPEZIFIZITÄT genannt.

3. Gute Sensitivität bedeutet, dass es einen Test gibt, der großteils eine Erkrankung erkennen kann, falls sie beim Patienten auftritt. Ein negatives Testergebnis im Fall einer vorhandenen Erkrankung wird FALSCH-NEGATIV genannt. Mit anderen Worten: Der Test hat dabei versagt, eine kranke Person zu erkennen.

4. Gute Spezifizität bedeutet, dass ein Test großteils negativ ist, wenn beim Patienten keine Erkrankung vorhanden ist. Bei einem positiven Testergebnis trotz abwesender Erkrankung spricht man von FALSCH-POSITIV.

5. FALSCH-NEGATIVE Tests sind schädlich, weil Du sagst, dass jemand kein COVID-19 hat, obwohl er tatsächlich betroffen ist. Dieser Patient kann also ungehindert die Erkrankung verbreiten.

6. FALSCH-POSITIVE Tests sind schädlich, weil Du einen Patienten OHNE COVID19 ins Krankenhaus bringst, möglicherweise gemeinsam mit ECHTEN COVID-19-Patienten, sodass der Patient sich infizieren kann, oder unnötigerweise isoliert wird.

7. Wie gut sind die Tests jetzt? Es gibt zwei Tests, die wir für COVID-19 verwenden können: RT-PCR und Antikörpertests.

8. RT-PCR wird als der beste Test für die Diagnose LAUFENDER (AKUTER) Covid-19-Infektionen betrachtet. PCR selbst ist sehr sensitiv und spezifisch, über 90% für beide. Jedoch können ART der Probe und Stadium der Erkrankung (wie viele Tage mit Symptomen) beeinflussen, wie oft ein Test positiv ausfällt. Für RT-PCR werden Nasen-Rachen-Abstriche verwendet. Bei einem Patienten MIT Erkrankung beträgt die Wahrscheinlichkeit für einen positiven Test nur 63%, verglichen mit einer Bronchoskopie (BAL-Proben, von bronchoalveoläre Lavage) bei 93%. Man verpasst also tatsächlich 37% aller positiven Fälle. Deshalb können wir den Test nach 48 Stunden WIEDERHOLEN, wenn ein zunächst NEGATIV getesteter Patient stärkere Symptome entwickelt, die wie COVID-19 ausschauen.Die GEFAHR eines RT-PCR ist ein FALSCH-NEGATIVER Test und Du schließt jemand aus, der tatsächlich infiziert ist. Das kann bei BIS ZU EINEM DRITTEL DER TATSÄCHLICH POSITIVEN PATIENTEN geschehen, daher ist es kein perfekter Test.

9. RT-PCR ist außerdem ein hochtechnischer Prozess, der nicht nur voraussetzt, die richtigen Maschinen und Testkits zu haben, aber auch geeignete SICHERHEITS-INFRASTRUKTUR wie ein BSL2-Labor. Viele Labore und Spitäler HABEN RT-PCR-Maschinen, aber keine Biosicherheitsinfrastruktur.

10. Antikörpertests beinhalten PRNT (Plaque-Reduktion-Neutralisations-Test, der Goldstandard), ELISA (enzym-gebundene immunosorbent Proben) und Teststäbchen (lateral flow) IgM/IgG. Bei den ersten beiden handelt es sich um Labor-basierte Proben, und beim letzten um patientennahe Schnelldiagnosetests (POC-RDT).

11. So sehr wir aus Bequemlichkeitsgründen Schnelltests (IgM/IgG) verwenden möchten, aber KEINER der Teststäbchenproben hat den Industriestandard PRNT als Goldstandard verwendet. Mit anderen Worten: Wir haben KEINE AHNUNG, wie gut sie trotz der behaupteten Sensitivität und Spezifizität sind. Die größte Gefahr besteht bei Patienten, die gerade erst Symptome entwickeln, weil es 5-10 Tage dauert, bis IgM-Antikörper entwickelt werden, was in einer hohen FALSCH-NEGATIV-Rate resultiert. Dadurch bekommst Du ein FALSCHES SICHERHEITSGEFÜHL und endest damit, das Virus an andere Leute oder Deine Familienmitglieder weiterzugeben.

12. Das andere Problem mit lateral-flow IgM/IgG besteht darin, dass es weitere MENSCHLICHE CORONAVIREN gibt, die die gewöhnliche Erkältung verursachen, und manche Antikörper gegen diese Viren können mit dem Test kreuz-reagieren, was zu einem FALSCH-POSITIVEN Ergebnis führt, was ebenfalls schlecht ist aus den bekannten Gründen.

Die Quintessenz ist: KEINER DIESER TESTS IST PERFEKT. Im Gegenteil, sie sind WEIT davon entfernt. Tests INFORMIEREN darüber, wie Du reagierst, aber sie müssen im richtigen Kontext INTERPRETIERT werden.

Laien gehen davon aus, dass positiv positiv bedeutet und negativ negativ. Für uns Ärzte und Wissenschaftler bedeuten sie GROSSE Vorsichtsmaßnahmen in der Behandlungsplanung. Es gibt Situationen, wo wir einem Testergebnis NICHT glauben werden, weil es NICHT mit dem klinischen Bild des Patienten übereinstimmt. Wenn wir uns selbst durch Testergebnisse in die Irre führen lassen, ohne UNSER GEHIRN ZU VERWENDEN, werden Menschen STERBEN. Das gilt gleichermaßen für öffentliche Gesundheitsstrategien und Massentests.

Ich hoffe, dies gibt der Öffentlichkeit einen Einblick darüber, wie komplex diese Entscheidungen sind. Wie sehr die Öffentlichkeit auch nach etwas rufen mag, es ist nicht immer in ihrem besten Interesse mehr als das umzusetzen, was wissenschaftlich haltbar ist.

Tag 24: Gegenwart und Zukunft

🙄😷🥴🤦‍♀️

Grün enttäuscht

Ich war gerade fast so weit, dass ich mir ein Buch auf den Balkon mitgenommen hätte, das erste in drei Wochen. Leider hat der Rasenmähermann gedacht, heute ist der ideale Tag, das spärliche Grün im Innenhof zu stutzen, und jetzt fehlt mir die Ruhe zum Lesen. Apropos Balkon. Meine Trauermückenplage vom letzten Herbst stammt aus der gekauften Blumenerde, wie ich beim Umtopfen gestern feststellte. Der vor zwei Wochen gepflanzte Schnittlauch hat schwarze Spitzen und wächst nicht mehr. Schätze, das war es mit Grün für mich, also nicht nur politisch. Die Grünen haben gestern ja gegen eine Verurteilung Ungarns gestimmt, ebenso gegen die Öffnung der Bundesgärten, obwohl sie laut Grünen-Chefin Maurer im Mittagsjournal heute eigentlich dafür sind.

Datenchaos

In den letzten Wochen nimmt die Abkehr von den eigenen Prinzipien zu, transparent ist das nicht. Politikwissenschaftler argumentieren mit dem Koalitionszwang, der auch die letzten 75 Jahre gegolten habe. Ich hab die Sinnhaftigkeit nie verstanden und die letzten 75 Jahre gab es keine Pandemie, keine Situation seit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg war so einschneidend für alle Bürger im Land. Jetzt sollten alle zusammenhelfen. Aber das scheitert bereits an den Grundlagen, etwa dem Datenchaos rund um die aktuellen Fallzahlen zum Virus. Nobody knows shit! Vergangene Woche wurde beiläufig erwähnt, dass es 40000 Tests mehr gab als bisher angegeben. Das warf sämtliche mathematische Modelle über den weiteren Verlauf der Pandemie über den Haufen. Der ORF bemüht sich redlich, aussagekräftige Grafiken zur Verfügung zu stellen. So sieht man in allen Graphen eine Abflachung, besonders wichtig die Abflachung bei den spitals- und intensivpflichtigen Patienten, denn die sind entscheidend dafür, wie lange die Freiheitsberaubung noch andauert. Auch der Bundesrettungskommandant vom Roten Kreuz verbreitet Hoffnung durch positive Zahlen bei den Zuwächsen.

Geht es aufwärts oder abwärts?

Besonders positiv überrascht bin ich, dass es seit Beginn der Maßnahmen gelungen ist, die Zuwachsrate unter 5% zu drücken. Allerdings muss man auch sagen, dass bei einer fünfstelligen Zahl an Infizierten eine geringe relative Zuwachsrate bereits ebenfalls hohe absolute Zahlen bedeuten. Letzendlich sind die Kapazitäten der Spitäler begrenzt, nur darauf kommt es an, und nicht, ob wir bei 10000 Infizierten 5% Zuwachsrate haben und bei 150000 vielleicht nur 2 %. Im Bezug auf den Titel dieses Blogtexts kann sich jeder also seine private Statistik zusammenzimmern, um seine Botschaft zu verkünden, nicht nur für message control, sondern auch ein top down-Approach. Maßnahmen lockern oder verschärfen – je nach gewünschter Botschaft verwendet man andere Zahlen.

Transparenz und Kritik müssen erlaubt sein

Ich bin erleichtert, dass meine bisher geäußerte Kritik auf diesem Blog sich zunehmend auch in kritischen Kommentaren von Wissenschaftlern und Ärzten (“an der Front”) wiederfindet. Wann immer Kurz auf der Bildfläche auftaucht, wird es chaotisch, während Anschober vergleichsweise besonnen reagiert. Ihn trifft für mein Empfinden auch die geringste Schuld, denn die Generaldirektion für öffentliche Gesundheit wurde abgeschafft und damit all jene Strukturen, die es jetzt erleichtert hätten, zentrales, effektives und gut vorbereitetes Krisenmanagement zu betreiben. Auch eine große Kröte, wie die geplante Kontakt-Tracking-App, wäre leichter zu schlucken, wenn der Quellcode für alle transparent wäre, ebenso die zugrundeliegenden Annahmen und wissenschaftlichen Diskussionen dahinter. Vor allem aber wünscht sich die Mehrheit der Bevölkerung keinen starken Mann, sondern einen ehrlichen Umgang mit der Situation, einen selbstkritischen und auch einmal zuzugeben, wenn man es gerade nicht weiß. Masken erst wochenlang abzulehnen, sie dann einzuführen und gleichzeitig zu behaupten, das sei schon seit Wochen vorbereitet wurden, ist nicht glaubwürdig. Und dieser Vertrauensverlust sorgt eben für tiefes Misstrauen, wenn es um eine verpflichtende App geht, die Sobotka am liebsten an die Ausgangsbeschränkungen koppeln möchte.

Nicht, dass wir uns falsch verstehen – nach meinen Informationen von Wissenschaftlern und Veröffentlichungen müssen wenigstens zwei Drittel der Bevölkerung mitmachen, damit die App einen Sinn hat. Im gestrigen NDR-Podcast hat Drosten klar die Vorteile betont, dass etwa die Sensitivität der App je nach Situation erhöht werden kann, dass man Schritte wie das Testen sogar überspringt und potentiell infizierte Personen gleich in Quarantäne schickt. Die Digitalisierung hilft uns derzeit gerade, dass das verbliebene Wirtschaftsvolumen noch aufrechterhalten werden kann, durch Online-Handel, Zustellservice, etc. Warum sollte man nicht ausnutzen, dass ein Großteil ein Smartphone hat? Sofern damit keine Bewegungsprofile erstellt und die Daten nicht zentral gespeichert werden – deswegen ist es so wichtig, dass man den Quellcode einsehen kann. Nicht zuletzt können dann auch externe Verbesserungsvorschläge leichter umgesetzt werden.

Wie soll die “neue Normalität” aussehen?

Wir werden einige der geänderten Verhaltensweisen in der Zukunft beibehalten müssen, und wenn ein bisschen mehr Abstand, Händewaschen und einfachste Hygieneregeln einhalten (Niesen in die Armbeuge) dazu verhilft, dass sich auch andere Grippeviren nicht mehr so leicht weiterverbreiten, bin ich voll dafür. Ich teile aber nicht den Optimismus mancher Wissenschaftler, deren Modelle bis zu einem Jahr physical distancing vorsehen, wenn der Lockdown erst einmal aufgehoben wurde. Ich kann mir das punktuell und zeitlich begrenzt vorstellen, wenn etwa durch die Vorteile der Tracking-App “Nester” mit vermehrten Infektionen ausfindig gemacht werden, aber für die Gesamtbevölkerung ist es undenkbar. Es ist vor allem für mich persönlich undenkbar. Autismus hin oder her – ja, ein Freund von Händeschütteln war ich nie, aber Umarmungen gehören zum menschlichen Dasein dazu, die kann kein Skype-Gespräch oder Twitter-Thread ersetzen. Eine akzeptable Normalität herrscht für mich dann, wenn menschliche Nähe wieder möglich ist, ebenso, wenn Menschen ohne PKW/Motorrad wieder öffentliche Verkehrsmittel nutzen dürfen, um in die Natur zu kommen. Es ist schlimm genug für manche von uns, zu vereinsamen, aber noch schlimmer, wenn man keinen Trost bzw. keine Kraft mehr in der Natur finden darf.

Und ich bin müde geworden, das Bedürfnis nach Natur, Wald, Bäumen, Grün debattieren zu müssen. Schnell heißt es, man sei egoistisch, man wolle italienische Verhältnisse, die Städter seien zu doof und würden sich durch zu enge Eingangstore in die Gärten drängen (ist die Polizei fähig, den ganzen Prater zu überwachen, aber unfähig, drei Eingänge zu kontrollieren?). Dabei startet man nicht einmal einen Versuch. Es würde der ÖVP keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn sie für ein Wochenende die Gärten öffnen, Polizei zur Kontrolle bereitstellen und dann feststellen, dass es nicht funktioniert und sie wieder schließen. Hier zeigt man sich absolut kompromisslos. Ich bin Anrainer vom Augarten und direkt betroffen. Die beiden Kinder meiner Nachbarn sind Fußballspieler, sie trainieren jetzt täglich in der Wohnung statt draußen. In den Prater trauen sie sich auch nicht mehr. Meine Reiztoleranz wird auf eine harte Probe gestellt. Ich mach ihnen keinen Vorwurf.

Egoismus versus Stress

Aber eigentlich wollte ich auf etwas anderes hinaus. Egoismus heißt für mich in der jetzigen Situation, absichtlich eine Grillparty zu machen, absichtlich eine Wohnungsparty, absichtlich ein Lokal wiederaufsperren und im Keller feiern, absichtlich den Mindestabstand längere Zeit in geschlossenen Räumen zu unterschreiten, wohlwissend, dass das Risiko dadurch deutlich erhöht ist. Egoismus ist für mich aber nicht, wenn verzweifelte Eltern es nicht erwarten können, dass die Schulen wieder offen sind. Wenn arbeitslose Menschen oder solche, denen mit jeder Woche, in der dieser Lockdown andauert, Arbeitslosigkeit droht, darauf drängen, dass Geschäfte wieder aufsperren. Ja, wenn wir jetzt ein halbes Jahr beim Lockdown bleiben, wird das Coronavirus wahrscheinlich vollständig eingedämmt. Doch haben wir dann eine Millionen Arbeitslose, leere Budgets der Krankenkassen und Gemeinden und noch einige weitere Baustellen, die dafür sorgen, dass vielleicht nicht die aktuellen Risikogruppen bedroht sind, sondern hunderttausende mehr. Ich bezweifle persönlich, dass man so klar trennen kann, weil wie schon mehrfach geschrieben Stress und Einsamkeit negativ aufs Immunsystem wirken und die Menschen der Risikogruppe ebenso davon betroffen sind, und mehr oder weniger gut damit umgehen können. Es ist sehr vereinfacht davon auszugehen, dass eine monatelange Isolierung von Sozialkontakten bei einem Risikopatienten eine höhere Überlebensschance mit sich bringt als zurück zu einer Öffnung zu verfinden. Man könnte genauso Egoismus unterstellen, wenn Risikopatienten nun fordern, dass man Arbeitsplatzverlust nun einmal in Kauf nehmen muss, wenn man ihr Leben retten will. Ich würde gerne schreiben, dass die Regierung alles dafür tut, dass Arbeitsplätze nicht verloren gehen, aber eine Garantie gibt es eben nicht, zuletzt auch deswegen, weil Österreich vom Export lebt und vom Tourismus, und beides nachhaltig geschädigt ist. Meinem Empfinden nach spüren viele Betroffene, dass die Krise nicht ausgestanden ist, wenn die Maßnahmen gelockert werden. Die verringerte Kaufkraft und der riesige Schuldenberg werden zurückschlagen. Und deswegen sind ihre (Existenz-)Ängste genauso berechtigt wie die Ängste von Risikogruppen daran, schwer zu erkranken oder zu sterben. Das kann man nicht gegeneinander aufrechnen, und schon gar nicht kann man die Ängste Dritter kleinreden mit dem Totschlagargument Italien oder Spanien. Stattdessen sollte man viel eher gemeinsam – solidarisch – auf die Regierung einwirken, dass die Absicherung gegeben ist, etwa durch ein höheres Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe/Mindestsicherung und durch Förderungen von Minderheiten, die von schwarzblau besonders betroffen waren und jetzt noch größere Probleme haben, durchzukommen.

Ich weiß keine einfache Lösung, aber ich bin der Überzeugung, dass jede Sichtweise derzeit ihre Berechtigung hat, solange sie nicht obigem Egoismus dient.

Tag 23: Zuckerbrot und Peitsche

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Stadt im Dornröschenschlaf, Mittwoch, 01.04.2020

Heute hab ich gelernt, dass es mindestens eine große Verlierergruppe durch die Maskenpflicht gibt, die man nicht berücksichtigt hat, und zwar jene mit einer Hörbehinderung, die vorwiegend durch das Lippen lesen kommunizieren können. Die Lippen bzw. das Mundbild sieht man künftig praktisch nicht mehr.

Die Ansage von Gesundheitsminister Anschober im Nationalrat klang positiv: Zuwachsrate der Neuinfektionen heute (bisher) nur 4%, die Maßnahmen haben also gewirkt. Außerdem seien die Intensivkapazitäten nur zu 50% belegt, es besteht also noch viel Luft nach oben. Die aussagekräftigeren Statistiken vom ORF zeigen, dass die Zahl der Hospitalisierungen und Belegung der Intensivbetten nur noch langsam ansteigt. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Genesenen deutlich zu. Laut Anschober stehen in 1-2 Wochen flächendeckende Antikörpertests zur Verfügung. Continue reading

Demontierung des (demokratischen ) Sozialstaats während Corona

Vor zwei Jahren hab ich eine Auflistung aller Missetaten der türkisblauen Regierung gemacht, aber irgendwann aus Frustration gelöscht. Darunter waren dutzende Maßnahmen, die vor allem darauf abzielten, die Geldgeber der Regierung zu fördern und Minderheiten zu schikanieren, bzw. vor allem finanziell Schwache, Frauen, Behinderte, Migranten, Flüchtlinge, etc.

Dieses Mal werde ich sehr genau hinschauen und das auch stehen lassen, denn dieses Mal sitzen die Grünen mit im Boot und können sich aus meiner Sicht nicht daran abputzen, dass die Entscheidungen nicht in ihr Ressort fallen.

Die Liste wird laufend aktualisiert werden – Maßnahmen während der Coronakrise.

1. Soforthilfen, Härtefallfonds, “koste es, was es wolle”

  • Abwicklung über die Wirtschaftskammer statt übers Finanzamt, die WKO kommt damit an sensible Daten insbesondere von kleineren und mittleren Unternehmen, es gibt zu viel Kriterien, die erfüllt werden müssen, die Auszahlung dauert zu lange
  • -Betroffene: Soforthilfe hat während dem Jahrhunderthochwasser 2002 besser funktioniert.

2. Medienförderung nur für Print-Zeitungen

  • das meiste bekommt nach dem Berechnungsschlüssel der (aufhetzende) Boulevard, Onlinemedien bekommen nichts

3. Freistellung bzw. Homeoffice für Risikogruppen – durch Fall des Datenschutzes

Die Feststellung, ob man zu einer Risikogruppe gehört, soll über Krankenkassendaten erfolgen, genauer gesagt über verschriebene Medikamente, und nicht über den praktischen Arzt, der die Patienten genau kennt und am besten einschätzen kann, ob ein besonderer Schutz notwendig ist. Es obliegt dann nicht mehr der freien Entscheidung des Arbeitnehmers, sondern der Arbeitgeber erfährt mitunter von Erkrankungen, die der Arbeitnehmer aus guten Grund verschwiegen hat (mangelnder Kündigungsschutz)

Aber:

“Dass Gesundheitspersonal trotz Vorerkrankungen kein Recht auf Freistellung oder Homeoffice haben soll, ist für Heinz Mayer „klar verfassungswidrig“. Das Vorgehen der Regierung zeige „fehlendes Problembewusstsein“ (Quelle: DiePresse, 06.04.)

4. Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten

  • Es bleibt dem Arbeitgeber freigestellt, ob er Homeoffice anbietet. Je schlechter der Verdienst, desto eher muss sich der Arbeiter weiterhin dem Risiko einer Ansteckung am Arbeitsplatz bzw. beim Anfahrtsweg mit den Öffis aussetzen.
  • Viel Applaus und nette Worte für all jene “überwiegend” Nichtösterreicher, die jetzt die Hauptlast in der Grundversorgung tragen, vor allem Lebensmittelmärkte, Lieferanten, Warenkette, etc., aber keine Lohnerhöhungen, Prämien oder sonstige entgeltliche Wertschätzung verlautbart orden.
  • Den osteuropäischen PflegerInnen hat man vor zwei Jahren noch das Familiengeld gekürzt und ans Heimatland angepasst (EU-widrig), obwohl sie in Österreich gleich viel Steuern zahlen. Überwiegend handelt es sich um Frauen. Jetzt ließ man sie medienwirksam mit dem Flugzeug einfliegen, weil es an 24-Std.-Pflegekräften fehlt. Lohnerhöhung? Fehlanzeige.
  • Polizei mit immer weitreichenderen Befugnissen, die auch Hausdurchsuchungen erlauben