

Links: Fallprojektion pro Tag für Singapur, Pentagon bezeichnet die konvergenten Varianten wie BQ, XBB, etc., versus ablaufende BA.5-Welle. Rechts: Genom-Überwachung in Österreich durch AGES/IMBA, Stand 02. Dezember 2022
Derzeit zeigen die Abwasserdaten in den Bundesländern starke Anstiege und wesentlich mehr “fiktive” Ausscheider als die Zahl der positiven Tests wiedergibt. Seit dieser Woche ist die Subvariante BQ.1.1 in Österreich dominant geworden, aber auch andere Varianten holen auf, darunter die gefährliche CH.1.1-Variante, die in Vorarlberg durch starkes Wachstum auffällt. Bei mehreren Personen wurde die Spike-Mutation P681R nachgewiesen, die bereits DELTA hatte. Sie kann sowohl einen Wachstumsvorteil durch höheren Immun Escape bringen (Liu et al. 2021), als auch mit schwereren Akutverläufen einhergehen (Saito et al., 2021). Ob die leichtere Ansteckungsfähigkeit auch mit mehr Reinfektionen bzw. höherem Risiko von LongCOVID einhergeht, wissen wir nicht. Ebenso ist unklar, wie gut die angepassten Impfstoffe WT/BA.1 bzw. WT/BA.5 wirken. Im Oktober und November waren jedenfalls rund 30% aller Neuinfektionen bereits Reinfektionen.
Die Aussage Drostens in Richtung baldiges Pandemieende, die von Politikern und Medien wohlwollend aufgegriffen wurde, wird in der Fachwelt kontrovers gesehen. Angesichts der hohen Inzidenzen mit vielen Sublinien sieht etwa Virologe Björn Meyer keine “virologische Sackgasse”. SARS-COV2 verhält sich weiterhin wie eine Driftvariante, entwickelt sich nicht immer aus der vorherigen Variante weiter, sondern querbeet auch aus früheren Varianten. Zudem hat Drosten schon Anfang Jänner 2022 das Ende der Pandemie verkündet und musste diese Aussage Ende Juni 2022 korrigieren. Lustig et al. (2022) haben gezeigt, dass eine chronische Infektion bei immungeschwächten Patienten sich nicht zu einem milderen Virus weiterentwickelt. Anhaltend hohe Viruszirkulation führt wie erwartet bei steigender Bevölkerungsimmunität zu neuer Variantenbildung (Tan et al. 2022).
Die WHO sagt jedenfalls, dass das Ende der Pandemie noch nicht erreicht ist und warnt gleichzeitig vor einer Masern-Pandemie aufgrund nachlassender Durchimpfungsraten und schwächelnder Überwachung.
Risikogruppen sind ungeschützt – zurück an den Pandemiebeginn
Wenn wir uns an den Pandemiebeginn zurückerinnern, dann ging es uns – so hat es die Politik jedenfalls begründet – vorrangig um den Schutz der Geschwächten in der Bevölkerung: Senioren, immunkranke Menschen und Kinder. Kindergärten und Schulen wurden geschlossen (Notbetreuung war in Österreich aber immer möglich und wurde auch genutzt). Im dritten Pandemiejahr haben Kinder die niedrigsten Impfraten der Gesamtbevölkerung, die bis BA.2 noch wirksamen therapeutischen Antikörper, auf die immungeschwächte Personen angewiesen sind, wirken gegen BQ.1.1 und weitere neue Varianten nicht mehr (Arora et al. 2022), und bei Senioren ist die Rate der Auffrischimpfungen zu niedrig. Hinzu kommt, dass der gesunde Teil der Bevölkerung erst nach einer Infektion weiß, ob ein erhöhtes Risiko für LongCOVID bestand. Tendenziell ist es bei jungen Frauen höher als bei Männern.
Mit täglich 5000 Neuinfektionen und hoher Dunkelziffer ist die Pandemie noch lange nicht vorbei. Dazu kommt jetzt die Zunahme von anderen Viren, die durch den Wegfall aller Schutzmaßnahmen und Normalisierung der Reisetätigkeit wieder stärker zirkulieren: Influenza, Rhinoviren, RSV und Erkältungsviren. Die Gesamtsumme an Infektionen sorgt für eine enorme Belastung der Spitäler, aber auch der Betriebe durch Krankenstände.
LongCOVID bleibt eine ernstzunehmende Gefahr.
Entgegen der Vernebelungstaktik von Politikern, Journalisten und Regierungsberatern wissen wir über LongCOVID schon sehr viel, wie auch ein kürzlicher Übersichtsartikel von Astin et al. (2022) gezeigt hat. Wir haben keine “one size fits all”-Wunderpille, die alle LongCOVID-Patienten heilen kann. Viele Behandlungen sind offlabel und werden von den Krankenkassen nicht übernommen. Weil aber mit LongCOVID das Risko für Arbeitslosigkeit bzw. Einkommensverluste steigt (Trujillo et al.2022), können sich viele Betroffene “trial and error” nicht leisten. Wir wissen nur, was bei vielen LongCOVID-Fällen eine Verbesserung bringen bzw. vor nachhaltiger Verschlechterung schützen kann: Pacing – nicht über die Belastungsgrenzen gehen. Das steht aber in einer neoliberalen Leistungsgesellschaft diametral zu den geforderten Ansprüchen: Längere Auszeiten, um sich richtig auszukurieren, sind darin nicht vorgesehen. Darum steigt die Zahl der schweren LongCOVID/MECFS-Fälle weiter an, ohne dass die ärztliche Versorgung mithalten kann. Hinzu kommt eine schwere Krise durch Mangel an Medikamenten.
In den vergangenen bald drei Jahren habe ich zahlreiche LongCOVID-Artikel gesammelt:
- Berichte in den Medien aus dem In- und Ausland
- Wissenschaftliche Artikel und Kommentare
- Diagnostik und Prävention
- sowie Definitionen und Überschneidungen mit MECFS
Häufigkeit, wissenschaftliche Methoden, anekdotische Evidenz und sonstige Bias-Faktoren kann man alles diskutieren, in der Summe ist das Ergebnis aber doch eindeutig. Ich werde nie verstehen, warum Journalisten und wissenschaftliche Berater weiterhin so eine Vernebelungstaktik fahren, sobald LongCOVID thematisiert wird. “Unzureichend verstanden”, “Mechanismen noch nicht klar”. Es ist jedenfalls klar, dass LongCOVID von Covid19 kommt. Wer Covid19 vermeidet, hat den besten Schutz vor LongCOVID. Insbesondere die häufig geforderte “focused protection” von Vulnerablen geht an der Definition von vulnerabel vorbei. Vulnerable, die als Schattenfamilien mitten im Leben stehen, das Damoklesschwert LongCOVID auch für gesunde Menschen, die danach nicht auf staatliche Unterstützung setzen brauchen und sich ihre Grundbedürfnisse rechtlich erstreiten müssen, wie viele chronisch kranke und behinderte Menschen vor der Pandemie auch schon – nun jedoch in der Energiekrise noch unter finanziell verschärften Bedingungen.
Zensur in den gebührenfinanziertem Staatsmedien

Der Wiener Patientenanwalt Gerhard Jelinek sieht die Sicherheit der Patientinnen und Patienten in Gefahr. Hauptgrund dafür ist der Personalmangel im medizinischen Bereich, in den Spitälern und im niedergelassenen Bereich. Er spricht von „einer besorgniserregenden Situation“.
Quelle: https://wien.orf.at/stories/3183952/, 29.11.2022
Ich hab den Artikel erst auf Hinweis einer Twitteruserin gesehen. Er ist nämlich um 5 Uhr online gegangen und dann bald wieder von der Startseite verschwunden, wie die Screenshots von 06.44 Uhr (links) und 10.22 Uhr (rechts) zeigen.
Kein Einzelfall. Zuschauermanipulation ist leider an der Tagesordnung – ob Schulschließungen, Grafik-Tricksereien oder die generelle Berichterstattung zu ZeroCovid in China. Schon vor der Pandemie hat man unliebsame Sendungen, etwa zu Alltagsrassismus in Österreich aus dem Programm gestrichen bzw. ins Nachtprogramm verschoben.
Kinder sind jetzt am stärksten belastet: Was tun wir dagegen?
“Egal, was man über Häufigkeit/Notwendigkeit respiratorischer Infektionen bei Kindern denkt: Jetzt ist ein schlechter Zeitpunkt, mit seinem Kind in die Kinderklinik zu müssen. Wo ist die Diskussion, was man jetzt akut dagegen tun kann, dass kleine Kinder so schlecht versorgt sind?”
Virologin Isabella Eckerle am 04.12.22, Twitter
“Wir hatten eine Maskenpflicht für Kinder, weil sonst die Intensivstationen für Erwachsene zu knapp geworden wären. Jetzt werden die Stationen für Kinder knapp und ich vermisse auch nur den Hauch einer Debatte, was Erwachsene beitragen können, um das zu lösen.”
Erik Flügge, Kolumnist für den Kölner Stadtanzeiger, 03.12.22 (Twitter)
Die Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit in Österreich, Katharina Reich, wiegelt ab:
Eine Wiedereinführung der allgemeinen Maskenpflicht – auch die Corona- Fallzahlen steigen wieder – ist jedoch nicht in Sicht. “Die heben wir uns tatsächlich auf, für ja, schlimmere Situationen.“ (Ö1, Morgenjournal, 29.11.22)
Vor der Pandemie war noch völlig klar, was wir tun:

Heute werden Kindergärten und Schulen nicht mehr zur Vorbeugung geschlossen mit Verweis auf die psychische Gesundheit. Dadurch spielt soziale Teilhabe gegen Gesundheit aus. So verweigern manche Fachärzte sogar immunsupprimierten Kindern ein Attest für die Schule mit der Begründung
“Corona wird uns lebenslang begleiten. Ein Kind unter einen “Isolierschirm” zu stellen, ist nicht sinnvoll. Jedes Kind soll wie alle Kinder in die Schule gehen und die Gemeinschaft genießen.”
Nur wie sollen Kinder den Schulalltag genießen, wenn sie täglich der Gefahr ausgesetzt werden, sich anzustecken und aufgrund ihrer Immunschwäche schwer zu erkranken? Was macht das mit der mentalen Belastung der Kinder, aber auch der Eltern?
Wir könnten Kindern dadurch helfen, indem wir …
- hohe Durchimpfungsraten bei Influenza und Covid19 erzielen, wo es bereits zugelassene Impfstoffe für Kinder gibt. Bei Influenza sogar in Form eines niederschwelligen Nasensprays.
- Bei RSV stehen für Hochrisikokinder derzeit zwei passive Immunisierungen (Synagis und Beyfortus) durch monoklonale Antikörper zur Verfügung
- indoor Maske tragen und bei Symptomen zuhause bleiben, um die generelle Viruszirkulation eindämmen – das gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Weihnachtsfeiertage, wo man besonders vorbeugen sollte, wenn man nicht möchte, dass es das letzte Fest für die eigenen Eltern oder Großeltern wird.
- kranke Kinder zuhause lassen statt in Kindergärten oder Schulen zu schicken
- uns für langfristige Maßnahmen wie Luftreiniger, Luftfilteranlagen und CO2-Messungen einsetzen, um die Frischluftzufuhr zu regulieren
- bessere technische Ausrüstung insbesondere für sozioökonomisch schwächere Kinder, um Distance Learning bei Klassenschließungen (ob vorbeugend oder bei zu vielen Krankheitsfällen) zu ermöglichen
- Verschwörungsmythen wie Immune Debt – dass regelmäßige Infektionen notwendig sein würden, um das Immunsystem zu trainieren – entschieden entgegentreten. Wer das Immunsystem der Kinder nicht schwächen will, soll für ausgewogene Ernährung, Sport und Stressvermeidung sorgen – insbesondere letzteres ist aber ein strukturelles Problem unserer Leistungsgesellschaft und der hohen Mobbingraten in Österreich.
Update zu Kanada, 5.12.22
“Pediatric hospice discharges respite patients, so staff are redeployed to children’s hospital where there’s not enough staff for the surge in patients.”
https://www.cbc.ca/news/canada/calgary/rotary-flames-house-alberta-children-s-hospital-respite-1.6673186, siehe auch dieses Interview dazu