Mythen rund um die „Erkältungszeit“ – Folge 2: Zugluft löst keine Infektionen aus, nur Viren

Bei knapp zweistelligen Minusgraden und Sturmböen am Gipfel.

„ich bin im Regen mit dem Rad gefahren, deshalb jetzt krank.“

„Das war die kalte Klimaanlage im Büro“

„Die Zugluft beim Autofahren.“

“Ich saß mit nassen Haaren draußen.”

“Ich hab so stark geschwitzt und dann gefroren.”

“Der Luftreiniger wars, der so gezogen hat.”

Gängige Mythen in der Bevölkerung, wie Erkältungen zustandekommen

Es ist tatsächlich sehr verlockend zu glauben, dass ein kalter Luftzug und Frieren bereits der Auslöser für nachfolgende “schwere Verkühlungen” sind, schließtlich heißt es ja auch Erkältung, englisch common cold. In der kalten Jahreszeit häufen sich zudem Erkältungskrankheiten, weshalb der Zusammenhang naheliegt, dass nasskaltes Schmuddelwetter diese bedingt. Ich erinnere mich an eine Wanderung im März 2016. Auf der Rückfahrt blies mich die Klimaanlage unangenehm kalt an. Am Folgetag lag ich krank im Bett und dann mehrere Tage flach mit hohem Fieber. Ich erinnere mich an eine Radfahrt im Frühling in Innsbruck im kurzen Leiberl, aber warm war nur der Föhn und als dieser später abriss, fror ich erbärmlich. In den Folgetagen streckte mich ebenfalls eine Infektion nieder. Können Kälte, Zugluft und Frieren alleine Infektionen auslösen?

Die kurze Antwort: Nein. Es sind ausnahmslos Ansteckungen mit Viren notwendig.

Viren verursachen Erkältungskrankheiten

Im Winterhalbjahr zirkulieren vor allem RSV, Influenza und die humanen Coronaviren. Rhinoviren und SARS-CoV2 sind ganzjährig anzutreffen – beide weisen eine hohe Mutationsrate auf, sodass die Immunität gegen erneute Ansteckung kurzlebig bleibt. Nebenbei gibt es noch andere Viren mit typischen respiratorischen Symptomen wie Parainfluenzaviren oder humanen Metapneumoviren. Die “Sommergrippe” wird nicht durch Grippeviren verursacht, sondern durch Enteroviren.

Saisonalität respiratorischer Viren (Moriyama et al. 2020)

Wer jetzt in der warmen Jahreszeit Atemwegssymptome entwickelt, leidet mit hoher Wahrscheinlichkeit unter einer Infektion mit Rhinoviren oder SARS-CoV2-Viren. Beide Viren befinden sich in der Gefährlichkeit allerdings am gegensätzlichen Ende des Spektrums. SARS-CoV2 kann in den Gefäßen, im Gehirn, im ganzen Körper weiterrandalieren, während Rhinoviren meist zum “harmlosen Schnupfen” führen und folgenlos ausheilen.

Die hier aufgezählten Viren werden überwiegend durch virusbeladene Aerosole übertragen, die beim Ausatmen entstehen und über die Luft zum empfänglichen Wirt gelangen. Schmierinfektion als Übertragungsweg ist nicht direkt belegt, denn Voraussetzungen sind ausgestoßene virusbeladene Tröpfchen, die sich auf Oberflächen (Hände, Türschnallen) ablagern, berührt und anschließend in Nase oder Augen gerieben werden. Viel wahrscheinlicher ist die Inhalation der Aerosole selbst (siehe vorheriger Blogtext). Erst nach dem Kontakt des Körpers mit den Viren, spielen Zustand des Immunsystems und Umgebungsfaktoren eine Rolle. Immungeschwächte Menschen, etwa durch angeborene Immunschwäche, erworbene Immunschwäche (AIDS) odere medikamentöse Unterdrückung des Immunsystems (Cortison, Rheuma-Medikamente, Chemotherapie), sind anfälliger für Erkältungsviren.

Was hat es mit der Kälte auf sich?

Der Hauptgrund für vermehrte Ansteckungen und Erkältungswellen in der kalten Jahreszeit ist unser Lebensstil: Wir halten uns überwiegend in geschlossenen Räumen auf. Überall dort, wo viele Menschen über längere Zeit auf engem Raum zusammen sind, können sich Viren effektiv verbreiten. Moment … so wurde es doch von SARS-CoV2 berichtet?! Die Erinnerung trügt nicht. SARS-CoV2 war zum Ausbruch der Pandemie 2020 ein neuartiger Erreger – bis dahin nicht im Menschen nachgewiesen. Durch Menschenmassen auf engstem Raum wie im berühmten Kitzloch oder in Klassenzimmern verbreitete sich das Virus clusterförmig (Superspreader Events). Im Freien verbreitet sich das Virus viel schlechter. Es ist nicht gänzlich ausgeschlossen, aber deutlich unwahrscheinlicher, weil die Aerosole mit den Viruspartikeln draußen rascher austrocknen, verdünnt oder durch Sonnenlicht inaktiviert werden.

In die kalte Zeit fallen außerdem die Wintersportzeit, Weihnachtsfeiern, die Weihnachtsferien mit Familienzusammenkünften und mehrere Wochen lang durchgehend Unterricht.

Der wesentliche Grund für die effektive Verbreitung liegt also darin, dass wir uns bei Kälte häufiger drinnen aufhalten. Unglücklicherweise lüften wir die Räume bei Kälte auch deutlich seltener als bei Wärme. Wegen der geringen Temperaturdifferenz ist Lüften bei warmen Außentemperaturen weniger effektiv als Kälte. Wir würden uns also einen Gefallen tun, wenn wir regelmäßig lüften, aber sorgen mit den geschlossenen Fenstern und Türen dafür, dass wir uns noch leichter anstecken!

Ein weiteres Problem von Innenräumen ist zu trockene Luft, entweder durch Heizung oder Klimaanlage. Sie beeinträchtigt die Reinigung der Schleimhaut (“mucociliary clearance”), indem Partikel in der Atemluft mit Hilfe des Schleims aus der Lunge befördert werden. Dadurch steigt die Gefahr der Virusreplikation. Am besten funktioniert die Reinigung bei 37°C und 100% relative Feuchte (Bustamante-Marin and Ostrowski 2017).

Völlig nebensächlich ist kalte Luft aber nicht, denn sie beeinträchtigt die Funktion der Nasenschleimhaut zur Immunabwehr (Huang et al. 2022). Rhinoviren z.B. können sich in der Nase effektiver bei 33°C als bei 37°C vermehren. Maskenträger beugen also nicht nur der Inhalation von Viren vor, sondern wärmen mit einer dichtsitzenden Maske zugleich die Nasenschleimhaut und machen sie damit resilienter in der Virusbekämpfung.

Und Frieren?

Frieren ist nicht der Auslöser für einen Virusinfekt, sondern häufig schon das erste Symptom nach der Ansteckung!

Abbildung aus der Österreichischen ÄrzteZeitung (ÖÄZ) vom November 2010

Bei Rhinoviren berichten nur 10% von einem Frösteln, bei der echten Grippe bis zu 90%. Spannenderweise war die Körpertemperatur zu Beginn einer SARS-CoV2-Infektion ein aussagekräftiger Prädikator für die Sterblichkeit in der Frühphase der Pandemie. Die Impfung verringerte später die Sterblichkeit auch bei Unterkühlungssymptomen (Uchiyama et al. 2023).

Wenn der Körper friert, versucht er durch Muskelkontraktionen genug Körperwärme zu erzeugen, um Bakterien oder Viren einer beginnenden Infektion abzutöten. Ohne Viren oder Bakterien hat Frieren keinen nachhaltigen negativen Effekt auf die Gesundheit. Mir war das bis zur Pandemie auch nicht bewusst. Die letzten vier Jahre habe ich konsequent FFP3-Maske getragen und mich offensichtlich nie angesteckt. So saß ich die letzten Jahre mehrfach im Winter bei Sturm und Kälte auf der Hüttenterrasse, weil ich nicht in die volle Hütte gehen wollte. Ich schwitzte beim Aufstieg zuvor stark und fror entsprechend. Ich fror auch zuhause noch weiter, wenn ich nicht sofort eine heiße Dusche nahm. Kein einziges Mal wurde ich krank in den Tagen danach.

Der Selbstversuch zeigte mir, dass es eben mehr braucht als Kälte und Frieren alleine. Umgekehrt war es für die Hüttengäste viel wahrscheinlicher, ein Andenken in Form einer Virusinfektion nach Hause zu nehmen. Denn es hat sich leider im Verlauf der Pandemie nie eingebürgert, schon mit den ersten Symptomen konsequent zuhause zu bleiben. Seit meinen Erkenntnissen und eigenem Leben bin ich jetzt übrigens recht gelassen, wenn ich wieder einmal nassgeschwitzt friere, weil ich weiß, dass ich in den meisten Fällen gesund bleiben werde.

Die böse Zugluft

Luftzug (“breeze”) ist eher positiv besetzt, etwa wenn es heiß ist und ein Wind geht. Die Zugluft ist hingegen der Endgegner vieler Menschen, die glauben, sie würden auf diesem Weg krank werden. Neulich hörte ich dazu auch eine besonders originelle Theorie, nämlich, dass die Viren bereits im Körper sein würden, und erst mit der Zugluft würde die Immunabwehr geschwächt und die Krankheit bräche dann aus.

Vor einigen Wochen saß ich mit der Maske in einem Wartezimmer. Maskenpflicht gilt natürlich schon länger nicht mehr. Eine Mitarbeiterin ging vorbei und sagte mit Blick in meine Richtung, dass ich das Fenster jederzeit schließen könnte, wenn mir kalt wäre. Wir kennen die Reaktion, wenn man es wagt, ein Fenster zu öffnen, wie schnell es wieder zugeht, weil “es zieht”.

“None of us could understand any German and we had no idea what was going on until someone took the time to explain it to us. The explanation was that if we open the windows, the air would blow through the train. We explained that we realized this and it was for precisely that reason that we opened the windows in the first place.”

“What elsewhere is known as a breeze is, in the Teutonic realm, the grim reaper’s mocking breath.”

Die seltsame Angst der Germanen vor sich bewegender Luft (2007)

Um das klarzustellen: Zugluft reaktiviert keine Viren im Körper. Es befinden sich normalerweise auch keine schlafenden Erkältungsviren im Körper.

Einige wenige Viren schlummern im menschlichen Körper, etwa Varizella-Zoster-Viren nach einer Windpocken-Infektion. Sie können bei zunehmender Immunschwäche mit fortschreitendem Alter aktiv werden, aber auch durch Virusinfektionen wie SARS-CoV2 “aktiviert” werden. Gürtelrose (Herpes Zoster) ist die Folge. Gegen Gürtelrose und SARS-CoV2 kann man sich jedoch impfen lassen und so einen Ausbruch verhindern bzw. die Folgen deutlich minimieren.

Weitere Beispiele sind Herpes Simplex (HSV), die Herpes-Infektionen (Herpesbläschen) verursachen, Epstein-Barr-Viren können in seltenen Fällen später erneut zu Infektionen führen, die auch MECFS auslösen können, etwa durch eine vorausgehende Virusinfektion wie Influenza oder SARS-CoV2. Auch Cytomegaloviren (CMV) können bei immungeschwächten Menschen wie nach einer Krebsbehandlung oder Organtransplation zu Komplikationen führen, sind sonst aber harmlos und oft ohne Symptome. Zu der – bei erfolgreicher Behandlung – schlafenden Virengruppe zählt auch das HI-Virus, das lebenslang im Körper verbleibt.

Erkältungsviren zählen nicht dazu. Die werden von Mensch zu Mensch übertragen und lösen erst eingeatmet Infektionen aus. Im Gegenteil, Zugluft ist sogar günstig, da im Raum konzentrierte virusbeladene Luft so verdünnt wird und das Ansteckungsrisiko sinkt. Auch die Zugluft, besser gesagt Luftzug, eines laufenden, mobilen Luftreinigers sollte positiv betrachtet werden: Der Luftreiniger zieht verbrauchte Atemluft an und ersetzt sie mit sauberer Frischluft. Wer also die Luft spürt, die vom Luftreiniger ausgestoßen wird, kann sich sicher sein, dass er gerade frische Luft einatmet und nahezu keine Ansteckungsgefahr zu befürchten hat.

Fenster öffnen und Luftreiniger sind also effektive Helferlein, um verbrauchte Luft zu reinigen und Frischluft zuzuführen – insbesondere dann, wenn die Allzweckwaffe gegen Infektionen über die Atemluft – eine dicht sitzende, saubere FFP2- oder FFP3-Maske – keinerlei Chance hat, von den anwesenden Personen getragen zu werden, weil man sie politisch so aufgeladen hat, dass ihre zahlreich bewiesene Wirksamkeit keinerlei Rolle mehr spielt.

Zusammenfassung

  • Die Außentemperatur steuert das Freizeit- und Lüftungsverhalten und hat Einfluss auf die Fähigkeit, der Immunabwehr Krankheitserreger abzuwehren
  • Die Umgebungstemperatur steuert die Stabilität der infektiösen Aerosole (Aerosoltröpfchen, Langlebigkeit)
  • Der Aufenthalt in Innenräumen erhöht die Wahrscheinlichkeit, auf infizierte Personen zu treffen, und die Häufigkeit von Übertragungen auf kurzem Weg (“enger Kontakt”) und bei längerem Aufenthalt
  • Überlagert sind großräumige saisonale Faktoren wie Schulferien und Reisezeit, sowie wiederkehrende Familientreffen (Ostern und Weihnachten)
  • Erkältungsviren werden immer von außen eingetragen (= infizierte Personen), dazu zählen auch Masern und SARS-CoV2, die in der Regel als Atemwegsinfekt beginnen, aber multisystemische Schäden anrichten und Monate im Körper verbleiben können.
  • Luftzug durch Lüften und Luftreiniger verringern das Infektionsrisiko durch den Verdünnungseffekt
  • Auch ein anfälliges Immunsystem muss nicht zur Ansteckung führen, wenn zuvor keinen Kontakt zu Viren hatte. Niedrige Schlafqualität erhöht das Risiko von Spätfolgen nach einer SARS-CoV2-Infektion (Paul and Fancourt 2022, Xue et al. 2023).

Wer jetzt häufiger krank ist, sollte genau nachdenken, wo er zuletzt mit anderen Menschen auf engem Raum zusammen war. Wer hatte Symptome, wer meldete sich später krank? Wer hat Kinder, die noch in den Kindergarten oder in die Schule gehen? Wie oft haben die Kinder Atemwegssymptome? Abstand zu den eigenen Kindern hält niemand, erst wenn sie erwachsen werden oder sind. Anfälliger für einige Zeit für bakterielle und virale Infektionen macht aber auch eine kürzliche Virusinfektion, vor allem nach Influenza und SARS-CoV2. Da lohnt es sich dann doch, in Lufthygiene zu investieren, in CO2-Messgeräte, in Luftreiniger, auf regelmäßiges Lüften, Maske tragen, um die Anzahl der Infektionen zu minimieren und dem Körper die Gelegenheit zu geben, sich ausreichend zu erholen.

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