Dunkle Wolken am Horizont: Nach XBB.1.5 kommt XBB.1.16

Genomsequenzierung vom Team Ulrich Ellings für Österreich, 11. Kalenderwoche. XBB.1.5 ist weiterhin dominiert mit über 70% Probenanteil. Die BA.5-Variante, auf die der letzte angepasste Impfstoff zugeschnitten wurde, ist de fakto nicht mehr existent. In Österreich breitet sich zudem derzeit EG.1 (XBB.1.9.2.1) aus, wird aber wahrscheinlich nicht imstande sein, XBB.1.5 die Pole Position streitig zu machen. Dafür wurden zwei weitere Fälle XBB.1.16 detektiert – das uns ein böses Frühlingerwachen bescheren kann.

Rückblickend betrachtet habe ich mich leider selten geirrt, was die folgenden Infektionswellen betroffen hat. Sie kamen meist etwas später als gedacht, die Talsohle war oft länger, aber sie sind gekommen. Ich habe in den letzten Jahren nie geschrieben, dass die Pandemie nach der Variante X vorbei sein würde, oder dass wir dank Impfung und “breiter Immunisierung” zur Normalität zurückkehren könnten. Ich bin aber nur ein Laie und thematisieren konnte ich meine Kassandra-artigen Prophezeiiungen höchstens im Kollegen- und Freundeskreis. Naturgemäß stößt der Überbringer schlechter Nachrichten nie auf besonders viel Gegenliebe. Doch ebenso wenig wie ich in meinem Beruf Vorhersagen basierend auf fehlerhaften Daten und Wunschdenken machen kann, trifft das auch auf die Pandemie zu.

Seriöse Expertinnen und Experten aus Infektiologie, Virologie, Biologie, Epidemiologie hielten sich immer an die Fakten und trafen realistische Einschätzungen. Positiv erwähnen möchte ich hier für Österreich u.a. Mikrobiologe Michael Wagner, Virologin Judith Aberle, die Mikrobiologen Sigrid Neuhauser und Florian Krammer, den pensionierten Epidemiologen Robert Zangerle, Molekularbiologe Ulrich Elling, Virologe Lukas Weseslindtner, Gesundheitsökonom Thomas Czypionka und Infektiologe Richard Greil. Sie alle haben seit Pandemiebeginn durchwegs solide Einschätzungen und Aussagen getroffen über den Pandemieverlauf. Hier und da mag es Meinungsverschiedenheiten geben, was die Auswirkung der Pandemie betrifft (insbesondere bezüglich Kinder und Long COVID), aber sonst sieht man einen roten Faden bei ihren Äußerungen.

Kurzzusammenfassung des heutigen Beitrags:

XBB.1.5 hat den Peak nun auch im Abwassersignal überschritten, während sich im Hintergrund XBB.1.16 aufbaut, das nicht nur weitaus ansteckender ist, sondern derartige Mutationen aufgesammelt hat, dass es mitunter die erste Reihe der Immunabwehr effektiver ausschalten kann – sodass es dem aufgebauten Immunschutz noch leichter entkommen kann. Grippale Infekte und Influenza sind weiterhin auf erhöhtem Niveau. Die Folgen der ungebremsten Durchseuchung werden wir auf allen Ebenen der Gesellschaft spüren. Die vollständige Abkehr von Public Health wird nicht aufrechtzuerhalten sein.

Tragt weiterhin Eure beste Maske (FFP2 oder FFP3), Männer – rasiert Eure Bärte ab, damit die Maske dicht sitzen kann – und haltet Euch von Menschen fern, die keine Maske tragen, und von denen ihr nicht wisst, ob sie Maske tragen, regelmäßig testen und wo sie sich zuletzt aufgehalten haben. Wer finanziell dazu in der Lage ist, empfehle ich, sich mobile Luftfilter/Luftreiniger anzuschaffen – speziell mit Kindern im Haushalt, aber auch vor Zusammenkünften.

Noch ein wichtiger Hinweis: Die Initiative Gesundes Österreich (IGÖ), die sich für saubere Luft in Österreichs Schulen einsetzt, veranstaltet am kommenden Dienstag, 21. März 2023, in 1010 Wien eine Pressekonferenz im Presseclub Concordia, Großer Saal, 10 Uhr.

Mit Virusvariante XBB.1.16 geht die Pandemie weiter

Wenn Infektionswellen aus anderen Kontinenten überschwappen, spricht man per definitionem immer noch von einer Pandemie und nicht von einem endemischen Zustand des Infektionsgeschehens. XBB.1.5 ist vom Nordosten der USA auf Europa übergesprungen und XBB.1.16 ist jetzt in Indien dominant geworden. In Indien gab es innerhalb von zwei Wochen eine 281%ige Zunahme bei den Fallzahlen und 17% Zunahme bei den Todesfällen. In Singapur steigen trotz hoher Durchimpfungsrate die Intensivbettenbelegungen durch Covid19.

XBB.1.16 hat einen Wachstumsvorteil von 140% über XBB.1.5. Es besitzt drei zusätzliche Spike-Mutationen (E180V, K478R und S486P), aber auch begleitende Mutationen ORF9b:I5T und ORF9b:N55S – die offenbar beim starken Wachstumsvorteil eine wichtige Rolle spielen. Speziell die ORF9b-Mutationen können das angeborene und adaptive Immunsystem effektiver ausschalten – sozusagen jenen Teil der Immunantwort, die erstmals vor dem Virus warnt (Interferon).

Wenn das Interferonsignal durch SARS-CoV2 (hier: XBB.1.16?) manipuliert wird, dann fehlt dem Immunsystem der Startschuss. Da helfen auch keine Gedächtniszellen, weil die durch diesen Startschuss normalerweise erst aktiviert werden.” (Quelle: Birgit Jü)

Es heißt, dass wir bessere Impfstoffe brauchen – aber das ist jetzt schon der Fall, weil LongCovid nicht ausreichend verhindert werden kann und die Immunität nach der Impfung gegen Ansteckung allenfalls Wochen anhält. Das heißt nicht, dass die derzeitigen Impfstoffe völlig nutzlos wären und keine schweren Akutverläufe mehr verhindern könnten.

Mikrobiologin Neuhauser:

“Stellt Euch das Immunsystem als Nachtclub vor und das Virus als jemanden, der hineinwill, um Ärger zu machen. Das erste Mal kommt der Unruhestifter einfach hinein, weil niemand weiß, was er anstellen will. Beim nächsten Mal hat er vielleicht Pech und der Türsteher erkennt ihn und er kommt nicht hinein. Vielleicht hat er aber Glück und es hat ein anderer Türsteher Dienst, der ihn nicht erkennt und er kommt hinein. ABER: Es gibt noch den Barkeeper, Sicherheitspersonal im Club, Clubbesucher, die ihn erkennen können und es an die Security melden, die ihn dann hinausbringen. Das kann unter Umständen etwas länger dauern, aber im Normalfall wird die Person erkannt und hinausgeworfen. Immunevasion würde bedeuten, dass wenn der Unruhestifter kommt (das Virus), niemand da wäre, der ihn erkennt – sprich, es müssten das gesamte Personal und alle Besucher anders sein.Das ist eher unwahrscheinlich.”

Es heißt außerdem, dass ähnlich zum Vorjahr mit BA.1 und BA.2 ein Zwillingspärchen an Virusvarianten den saisonal unterstützten (aber nicht bedingten, denn das Gleichgewicht aus vorübergehender Immunisierung und verdrängenden Varianten erscheint gewichtiger) Rückgang des Infektionsgeschehens erheblich strecken kann, weil XBB.1.16 rascher aufholt als XBB.1.5 abfällt.

Wir werden zudem noch mehr Rückkopplungseffekte erleben, die es die letzten Jahre nur abgeschwächt gegeben hat. Der Fall der Maskenpflicht im Gesundheitsbereich ab Ende April wird zu wesentlich mehr in Krankenhäusern erworbenen Infektionen führen. Die Betroffenen schlagen dann bei den niedergelassenen Ärzten mit LongCOVID auf, oder bleiben im Spital. Dadurch verknappen sich die Personalressourcen an allen Ecken und Enden weiter. Verzögerte Behandlungen verlängern die Krankenstände, der Druck auf die verbliebenen Mitarbeiter wächst, auch krank arbeiten zu gehen. Ein Teufelskreislauf. Wenn derart gefährliche Varianten ungebremst durchlaufen, erhöht sich aber auch der Mutationsspielraum weiter – zumal jetzt aufgrund des Wegfalls aller Schutzmaßnahmen auch vermehrt immungeschwächte Personen infiziert werden, in denen das Virus über viele Wochen und Monate mutieren und eine neue Variante ausbrüten kann.

Was sind die Folgen der ungebremsten Infektionswellen?

Darüber könnte man ein ganzes Buch schreiben. Ich möchte mich aus Platzgründen auf ein paar wenige aussagekräftige Grafiken beschränken.

Die schwerwiegendste Folge von Covid19 ist neben dem Tod die Gefahr von Long COVID. Die Grafik zeigt das Risiko für LongCOVID in Abhängigkeit von der Zahl der akkumulierten Infektionen (Reinfektionen). Das CDC schätzt das LongCOVID-Risiko auf 20%. Dann hätte man bereits nach fünf Infektionen ein 70%iges LongCOVID-Risiko. Kinder sind vielfach ungeimpft und haben durch Schule und Sozialkontakte das höchste Infektionsrisiko aller Altersgruppen, auf sie treffen die hier dargestellten Risiken eher zu als auf etwa mehrfach geimpfte Erwachsene, was das LongCOVID-Risiko senkt. So genau lässt sich das durch die Mischung aus Impfung, Infektion und Virusvarianten mit Immun Escape nicht mehr berechnen.

Unterm Strich bleibt aber das Fazit:

Ziel muss sein,

  • sich so selten wie möglich
  • mit so hohem Impfschutz wie möglich
  • mit so wenig Viruslast wie möglich bei Exposition

zu infizieren, um sein individuelles Risiko von Folgeschäden zu minimieren.

Anhaltend hohes Risiko für Infektionen: SARS-CoV2 wird nie wie die Grippe werden

Unser Abwassermonitoring zeigt, dass die Talsohle (Baseline) der Infektionswellen seit 1,5 Jahren kontinierlich ansteigt, das heißt, selbst in den “ruhigeren” Phasen ist das Infektionsrisiko sehr viel höher als vor dem Aufkommen der OMICRON-Subvarianten. Und wie JEDER aus seinem Umfeld berichten kann, macht Covid19 weiterhin richtig krank. Betroffene sind wochenlang matt. Pulsrasen bei einfachen Tätigkeiten wie Wäsche waschen, Duschen, Stiegen steigen mit dem Drang, sich danach hinzulegen und zu schlafen. Kein normales Erkältungsvirus erfordert so eine lange Erholungszeit über Wochen oder Monate hinweg – etwas, was sich viele alleinerziehende oder doppelt arbeitende Eltern nicht leisten können, ebenso viele Selbständige nicht.
Selbst die außergewöhnliche Influenzasaison 2022/2023 erreichte in England wesentlich weniger Krankenhausaufnahmen als die zahlreichen Infektionswellen, die die OMICRON-Subvarianten seit Ende 2021 verursachen. Zu beachten ist hierbeo vor allem, dass die Baseline nie auf Null herabkommt. Es herrscht also Dauerbetrieb mit Covid-Patienten auf hohem Niveau in England. Kein saisonales Erkältungsvirus macht so etwas.

Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass über 200 Millionen Betroffene weltweit nach einer SARS-CoV2-Infektion mit anhaltenden Symptomen zu kämpfen haben. Das bedeutet eine globale Krise der Öffentlichen Gesundheit biblischen Ausmaßes (Yang and Tebbutt, 10.03.23). Kanada investiert 20 Millionen Euro in LongCOVID-Forschung und 9 Millionen in die Entwicklung klinischer Richtlinien für Betroffene. Eine neue Studie von Song und Giuriato (2023) hat 800 000 Teilnehmer untersucht und folgende Risikofaktoren für LongCOVID gefunden:

  • höheres Alter
  • weibliches Geschlecht
  • Bluthochdruck
  • Adipositas
  • Depression
  • Diabetes
  • chronische Lungenerkrankungen

Rund 10% der LongCOVID-Erkrankten bleiben dauerhaft gesundheitlich eingeschränkt und entwickeln MECFS.

Die Umfrage in Norwegen fand zwischen dem 19. Juli und 1. Oktober 2018 statt, 586 Betroffene haben teilgenommen (Quelle). Bitte schaut Euch die Grafik einige Minuten an. Schwerstbetroffene schaffen es gerade mal ein paar Worte in Wochen zu sagen, täglich schaffen nicht einmal “mäßig” Betroffene eine der genannten Alltagsaktivitäten. In Österreich sind mehrere zehntausend Menschen von MECFS betroffen – durch SARS-CoV2 kommen weitere zehntausende Betroffene hinzu, häufig ohne korrekte Diagnose, ohne Anlaufstellen bei Ärzten und Schikane durch Arbeitsmarktservice, Pensionsversicherungs- und Gesundheitskassen.

Strohmann Impfpflicht

Die Impfpflicht wurde am 3. Februar 2022 beschlossen, am 9. März wieder ausgesetzt und nie vollzogen, bis sie am 29. Juli – wenige Tage nach dem Suizid der Haus- und Impfärztin Lisa-Maria Kellermayr – endgültig abgeschafft wurde. Jetzt soll es von der FPÖVP-Regierung in Niederösterreich mehr als 30 Millionen Euro für angebliche Impfschäden (dafür gibt es bereits ein Gesetz mit entsprechenden Entschädigungen) und vermeintliche Opfer der Schutzmaßnahmen geben. LongCOVID- und MECFS-Betroffene gehen leer aus.

Die Grafik zeigt die Entwicklung der Maßnahmenbefürworter und -gegner über den Zeitraum der gesamten Pandemie. Die Zahl der Maßnahmengegner hat auch mit Einführung der Impfpflicht bis zu dessen Abschaffung nicht zugenommen. Das liegt daran, dass die Gruppe der radikalen Gegner auch davor schon Impfung, Maske, Lockdowns und 3G-Regeln schlimm fanden.

“Der Fokus auf die Impfpflicht ist eine nachträgliche politische Erzählung”, sagt der Experte für politische Kommunikation Jakob-Moritz Eberl. Die Unzufriedenheit mit der Regierung wird nachträglich kanalisiert mit Lockdowns, Masken- und Impfpflicht. Dabei handle es sich aber um Pandemierevisionismus, da diese Gruppe schon immer gegen jede Art von Maßnahmen war.

Eberl auf Twitter:

“Wer sich jetzt also hinstellt und dieser Gruppe die Hand reicht, bestätigt diese Erzählung auch. Die Erzählung, dass man am besten nie etwas – nicht einmal kleinste Maßnahmen hätte setzen dürfen. Um Erzählungen zu brechen, muss man sich aktiv entgegenstellen, statt zu schweigen. Im Nachhinein kann sich herausstellen, dass manche Maßnahmen nichts brachten, alleine schon weil sie ihr Ziel nie erreichten und Umsetzung ausschließlich Reaktanz hervorrief. Wer aber zulässt, dass alle Maßnahmen in einen Topf geworfen werden, gefährdet Public Health langfristig. Und wisst ihr, was es leichter macht, dass solche politischen Narrative an Boden gewinnen? In dem man Forschungsprojekte, wie ACPP langsam auslaufen lässt. Keine Daten, keine Evidenz, die dem politischen Narrativ widersprechen kann. Wie haben uns über gesamte Pandemie bemüht, empirische Evidenz rasch & leicht verständlich zu kommunizieren (CoronaBlogs). Daten wurden zeitnah frei zur Verfügung gestellt (via @TheAUSSDA
). Es gibt https://woco.univie.ac.at/dashboard/, um einfache Zeitreihen mal schnell selbst nachzustellen. Das gab es in Österreich so noch nie. Große Frage wird bleiben, ob es sowas je wieder geben wird… Dafür müsste man entsprechende Sozialwissenschaftlicheforschungsförderung auf Schiene bringen. Wichtig wäre es jedenfalls.

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