Das Pandemieversagen in Österreich: Fatale Risikokommunikation (Teil 2)

Die pandemischen Wellen in Österreich als “Heatmap” der Altersgruppen seit Februar 2020.

Im ersten Teil bin ich auf globale Einflüsse, vor allem WHO und GreatBarringtonDeclaration-Vertreter, eingegangen und auf Versagen der Regierung selbst, im zweiten Teil soll es vor allem um die fatale Risikokommunikation gehen, die sich auf alle Ebenen der Pandemiebekämpfung erstreckt. Der Leiter der Öffentlichen Gesundheit der Gesundheitsbehörde AGES, Franz Allerberger (bis August 2021) sagte am 27. Februar 2020:

“Unser Problem ist, dass die WHO nach wie vor versucht, die Krankheit auszurotten, sicherzustellen, dass sie nicht bei uns bleibt und diese Versuche erfordern Anstrengungen.”

und im Beraterkollegium der Regierung am 14. März 2020, Beginn des ersten Lockdowns:

„Wir sollten versuchen, die derzeitige Sprachregelung bald zu ändern und möglichst schnell von der Botschaft ‘ganz gefährliches Virus’ wegkommen. Das Virus ist so weit verbreitet, dass alles andere dazu führen wird, alles lahmzulegen, was Kollateralschäden verursacht, die weit über Covid-19 hinausgehen.
Jede Botschaft, die als ‘ganz gefährliches Virus’ missinterpretiert werden kann, ist kontraproduktiv. SARS-CoV-2 ist für über 80% der Bevölkerung nicht gefährlich.“

Würde ich alle irreführende Aussagen aufzählen, die bisher gefallen sind, würde ich nicht mehr fertig werden. Nachlesen kann man das alles in meiner ständig aktualisierten Liste der Coronazitate.

Sagen wir, es reicht zu sagen, dass in den Führungspositionen seit Beginn an Verharmloser sitzen, die alles daran gesetzt haben, die effektive Eindämmung der Pandemie zu sabotieren. Der extrem wirksame erste Lockdown war sozusagen ein Kollateralschaden der Great-Barrington-Vertreter.

Lockdowns und Sinn von ZeroCOVID

Lockdowns sind streng genommen die ultima ratio, wenn alle anderen Maßnahmen versagt haben, oder wie es Genetiker Erin Segal am israelischen Weizmann-Institut am 20. Oktober 2020 ausdrückte:

“Lockdown is always indicative of failure to manage the pandemic in Israel, managing the pandemic based on the capacity of the health care system was the one major mistake from which all else followed. Define a capacity and you will reach it, at record levels and high death toll.”

Wenn man einen Lockdown setzen muss, hat man etwas falsch gemacht. Wenn man in der Öffentlichkeit “ZeroCOVID” bzw. “NoCOVID” erwähnt, folgt meist die reflexartige Antwort “Willst Du uns ewig einsperren?” Dabei hat etwa Taiwan die ganze Pandemie trotz ZeroCOVID-Strategie noch keinen Lockdown gebraucht, um die Fallzahlen niedrig zu halten. Was rückblickend vergessen wird: Ischgl im März 2020 – die viel zu späte Schließung der Skigebiete und Après-Ski-Lokale erst auf mehrfache Aufforderung der skandinavischen Länder und Island, deren Heimkehrer scharenweise positiv getestet wurden. Als chaotisch und überraschend die Abriegelung vom Arlberg verkündet wurde, flüchteten die Skitouristen panisch in ihre Heimatländer bzw. verteilten sich in Österreich.

Altersinzidenzen pro Bundesland (Grafik anklicken zum Vergrößern)

Die Inzidenzen pro Bundesland zeigen klar, dass die erste Welle vor allem in Tirol und Salzburg stattfand und kaum in den anderen Bundesländern, vor allem in Wien. Die Kontaktbeschränkungen waren darum auch so effektiv und radierten das Virus beinahe aus. Österreich vollzog in der ersten Welle eine lupenreine ZeroCovid-Strategie und hätte die Lockdown-Zeit nutzen müssen, um sich auf die Zeit nach dem Lockdown vorzubereiten: Contact Tracing und Test-Kapazitäten flächendeckend ausbauen, denn von fachlich versierten Virologen wie Drosten und Krammer wurde bereits im April in den österreichischen Medien verkündet, dass die zweite Welle im Herbst massiv ausfallen könne. Immerhin sei der Großteil der Bevölkerung noch (nicht nur) immunologisch naiv und hätte einer weiteren Welle keine Immunität entgegenzusetzen. Österreich fiel dagegen auf das Präventionsparadoxon herein und die Mehrheit der Verantwortlichen glaubte tatsächlich, die Pandemie wäre vorbei.

Exit-Strategie von ZeroCOVID

Egal, wie umfangreich die Anstrengungen sein müssen, um ZeroCOVID durchzuhalten – Inseln wie Island, Neuseeland, Taiwan oder Halbinseln wie Südkorea fiel es leichter, während es etwa in Uruguay, Mongolei, Vietnam oder in Australien aufwändiger wurde, sie können nicht ewig gehen. Das war allen klar. Manche Länder haben zu früh aufgegeben, etwa Uruguay und Mongolei, die bei zu niedriger Impfquote öffneten und von DELTA überrannt wurden.

Hong Kong und Neuseeland, Neuinfektionen und Todesfälle pro Million Einwohner

Und dann liegt der Unterschied am Ende darin, welche Altersgruppen die höchste Impfquote haben. In Neuseeland sind alle Altersgruppen sehr gut durchgeimpft, während Hong Kong bei den 80+ nur etwa die Hälfte geimpft hat. Diese trifft nun eine Virusvariante (BA.2), die von der Gefährlichkeit her zwischen ALPHA und DELTA einzustufen ist, also tödlicher ist als das Ursprungsvirus, und bereits da betrug die Sterblichkeit bei den höheren Altersgruppen bis zu 10%. Neuseeland hat gewartet, bis die Impfquote hoch genug ist, und dann ihre ZeroCOVID-Strategie aufgegeben. Sie werden mit wenig Todesfällen, aber wahrscheinlich einigen tausend LongCOVID-Fällen trotz Impfung durchkommen. Wenn sie ihre strikte Maßnahmenpolitik durchziehen, können sie aber Wiederanstiege eindämmen, bis variantenspezifische Impfstoffe zur Verfügung stehen.

In Ländern wie Österreich haben die monatelang hohen Fallzahlen und die Dauerbelastung seit Juli 2021 für über 15000 Tote und hunderttausende LongCOVID-Fälle gesorgt. Dazu kommen wirtschaftliche Folgen und psychosoziale Folgen. Ebenso wird in der Bilanz häufig vergessen, wie viele Kollateralschäden die ewig hohe Belastung des Gesundheitspersonals erzeugt hat. Verschobene OPs für Wochen und Monate, was dazu geführt hat, dass Patienten mit schweren Erkrankungen inzwischen verstorben sind. Verlust an Lebensqualität durch verschobene Behandlungen, weil die Betten mit Covid-Patienten gefüllt sind, und erschöpftes Personal, weil viele der Dauerbelastung nicht mehr standhielten und gekündigt haben, oder seit OMICRON selbst erkrankt sind. Schon davor sind Pfleger*Innen und Ärzte*Innen teils schwer erkrankt, teils dauerhaft arbeitsunfähig durch LongCOVID.

Das Totschlagargument war immer: Wir sind keine Insel, sondern ein Binnenstaat mit vielen Pendlern, der vor allem vom Tourismus lebt. Wir können uns nicht abschotten.

Tatsächlich funktionieren die Basismaßnahmen überall: Masken tragen, konsequentes Contact Tracing, Testen, Isolieren, Quarantäne und damit Infektionsketten unterbrechen. Bei lokalen Clustern hätte man regionale Lockdowns verhängen können, auch die lokale Durchimpfung wie in Tirol (Schwaz) bei BETA war erfolgreich. Das Zauberwort heißt Konsequenz.

Konsequente Maßnahmen

Es hätte eine Erfolgsgeschichte sein können – 7-Tages-Inzidenzen logarithmisch (Quelle: Erich Neuwirth)
  1. Maskenpflicht – ein ewiges Hin und Her

Im April 2020 wurde die Maskenpflicht eingeführt, zunächst mangels besseren Wissens mit Stoff- oder OP-Masken. Aber besser als nichts. Der Effekt war schwer messbar, weil die Inzidenz so gering war, dass die Wahrscheinlichkeit, auf einen Infizierten zu treffen, ebenfalls gering war. Bereits Mitte Mai 2020 forderten Tiroler Pseudoexperten wie Günter Weiss oder Cornelia Lass-Flörl die Aufhebung der Maskenpflicht mit Ausnahme des Gesundheitswesens. Mitte Juni 2020 wurde tatsächlich die weitgehende Aufhebung der Maskenpflicht angekündigt. Die Pandemie wurde für beendet erklärt und das exponentielle Wachstum auf niedrigem Niveau blieb den führenden Landes- und Bundespolitikern lange Zeit verborgen. Im Oktober widerlegte endlich eine *eigene* Studie den Nutzen von offenen Gesichtsvisieren oder “Spuckscheiben” am Kinn getragen. Der Zirkelschluss, dass nicht die Tröpfchen-, sondern vor allem Aerosole die Übertragung vorantrieben, setzte sich allerdings nicht durch. Es blieb bei Abstandsregeln und Plexiglasvorrichtungen. Mit der infektiöseren ersten Variante ALPHA begründete man den Umstieg auf FFP2-Masken im Jänner 2021, um davon abzulenken, dass FFP2-Masken auch vorher schon höchst effektiv gewesen wären. Zudem wurde der Abstand auf 2m erhöht, was in geschlossenen Räumen wegen der Aerosolakkumulation natürlich immer noch zu wenig war. Die Kombination aus Lockdown im Osten und Erstimpfungen sorgte höchstwahrscheinlich für die lange sinkenden Fallzahlen im Frühling 2021 trotz erster Öffnungen. Erneut wurde die Pandemie für beendet erklärt, die Impfungen wurden als Gamechanger gesehen und die Maskenpflicht im Sommer 2021 erneut weitgehend aufgehoben.

Zwei Studien hätten hellhörig machen sollen:

Durch die infektiösere Variante ALPHA war bereits im März 2021 klar, dass die Schwelle für Herdenimmunität unerreichbar hoch wurde. Impfung alleine würde nicht mehr reichen, die nonpharmazeutischen Maßnahmen waren weiterhin notwendig: Masken, Lüften und Tests, ggf. Kontaktbeschränkungen.

Im Juli 2021 kam eine eine zweite Erkenntnis hinzu: Kinder und Jugendliche müssen ebenfalls durchgeimpft werden, um Herdenimmunität zu erreichen. Zu diesem Zeitpunkt war die Impfung für diese Altersgruppen aber noch nicht zugelassen. Dem Vorsichtsprinzip folgend hätten wir die Distance Learning und Maskenpflicht (auch in der Klasse am Sitzplatz!) beibehalten müssen, bis die jungen Menschen ausreichend geimpft wurden. So lange wollte man nicht warten.

Inmitten der OMICRON-Welle am Übergang von BA.1 zu BA.2 setzte die österreichische Regierung entgegen dem Rat der GECKO-Kommission und zahlreicher Experten, selbst solcher, die sich oft verharmlosend geäußert haben, die Maskenpflicht weitgehend aus, in der Schule, aber auch im Handel. Jetzt bräuchte es die erneute Einführung der Maskenpflicht, was die Regierung aber nicht eingestehen will und stur an diesem fatalen Fehler festhält.

Die FFP2-Maskenpflicht ist effektiv und niederschwellig, die Kosten gering, Todesfälle durch Maskentragen gibt es keine. Die konsequente Durchsetzung hätte die Akzeptanz erhöht, nicht erniedrigt. Verunsicherung und Ärger schafft es dann, wenn man sie zwischendrin immer wieder abschafft und dann wiedereinführt, während gebetsmühlenartig betont wird, wie harmlos COVID doch sei, wie mild OMICRON und wie stabil die Auslastung der Intensivstationen. LongCOVID wird ignoriert.

Und das ist das Grundproblem der ganzen Risikokommunikation:

Man schafft keine Akzeptanz für Maßnahmen gegen ein Virus, wenn man die Folgen immer wieder herunterspielt:

Kinder können nicht schwer erkranken (wozu dann impfen?), schwere Verläufe gibt es nur bei Vorerkrankungen (warum soll ich mich als Gesunder dann schützen?), die Intensivstationen sind kaum belastet (OMICRON ist mild, warum soll ich mich vor einem Schnupfen fürchten?), etc.

Um die Akzeptanz zu erhöhen, muss man also bei der Wahrheit bleiben und nicht bei Wunschdenken oder bewussten Unwahrheiten, um Maßnahmen möglichst lange hinauszuzögern, etwa wenn die Belastung des Schul- und Gesundheitswesens herunterspielt.

Der neue Gesundheitsminister hätte die Gelegenheit nutzen sollen und müssen, offener und ehrlicher zur Bevölkerung zu kommunizieren, um auch die von der Coronakommission geforderte Wiedereinführung von präventativen Maßnahmen (z.B. FFP2-Maskenpflicht) nachvollziehbarer zu machen. Stattdessen war seine Aussage:

“Es gibt jetzt keine Überlastung des Gesundheitssystems.” (Ö1-Mittagjournal, 12.03.22)

2. Zuverlässig der Tests – Antigentests kein Instrument zum Freitesten

Als im Herbst 2020 die ersten Antigentests aufkamen und als Massentest-Instrument eingeführt wurden, um eine Alternative zu Lockdowns zu bieten, hat man wesentliche Grenzen dieser Testart nicht ordentlich erklärt. Viele Menschen dachten, ein negativer Antigentest würde bedeuten, man wäre nicht infiziert, dabei ist es bloß ein Indikator für die Infektiösität. Niedrige Viruslasten erkennt der Test weiterhin schlecht, mit wenigen Ausnahmen bei einzelnen Herstellern. In Verbindung mit langer Gültigkeit (2-3 Tage) konnte also eine infizierte Person mit niedriger Viruslast negativ getestet werden, aber am nächsten Tag schon hochansteckend sein. Positive Antigentests wurden meist mit positivem PCR-Test bestätigt. Der Test war daher vor allem geeignet, um symptomatischen Personen rasch Gewissheit zu verschaffen, ob ihre Symptome von Corona oder einem anderen Infekt herrührten. Er war aber nie dafür gedacht, symptomfreie Personen “freizutesten”, weder von Quarantäne noch als Zutrittstest für Gastronomie oder Veranstaltungen. Eine höhere Sicherheit hätte es hier geboten, wenn man die Tests unmittelbar vor Eintritt gemacht hätte und nicht mit langen Gültigkeitszeit.

Mit der 3G-Regel ab Sommer 2021 ging man noch einen Schritt weiter und erklärte bereits Genesene und Doppeltgeimpfte automatisch für immun gegen Infektion und damit ansteckungsfrei. Tatsächlich zeichnete sich DELTA dadurch aus, dass es den Immunschutz umgehen konnte. Geimpfte waren zwar meist kürzer ansteckend, aber zum Zeitpunkt der höchsten Infektiösität bestand kaum Unterschied zu Ungeimpften. Das hieß: In einem Wirtshaus mit 3G-Regel konnten Ungeimpfte mit zu weit zurückliegendem negativen Antigen- oder PCR-Ergebnis sitzen, Genesene und Doppeltgeimpfte und jeder von ihnen konnte gerade infiziert und ansteckend sein. Weil der Kardinalfehler aber darin bestand, zu sagen, dass das Virus nur für “vulnerable Personen” gefährlich war, nutzte die Mehrheit der Bevölkerung die 3G-Regel unreflektiert aus und es kam zu Ansteckungen, “obwohl ich mich an alle Regeln gehalten habe.” Die Impfung reduziert reduzierte zwar das LongCOVID-Risiko bei DELTA um die Hälfte, aber bei den hohen Inzidenzen betraf das immer noch eine Menge an Personen.

Mit fortschreitender Impfquote und dem “Lockdown für Geimpfte” führte man die 2G-Regel ein, sie war aber weder bei DELTA noch OMICRON sicher genug, um das Ansteckungsrisiko niedrig zu halten. Sie reduzierte die Zahl der Ansteckungen, aber für das individuelle Risiko war das zu wenig. So wurde das aber nie kommuniziert. Was erlaubt ist, wird gemacht, egal ob es vernünftig ist oder nicht. Was soll auch passieren “ich bin doch geimpft”, und für viele trifft das auch zu. Nur: Ob man vulnerabel ist, wissen viele vermeintlich Gesunde erst hinterher. Bei LongCOVID trifft es auch vorher völlig Gesunde, vor allem aber Frauen, die anfälliger für Autoimmunerkrankungen sind als Männer.

Die am 26. März 2021 für alle Wiener eingeführten gratis PCR-Tests von Lead Horizon (“Alles Gurgelt”) hätten österreichweit ausgerollt ein Gamechanger sein können und die teilweise erschreckend wenig sensitiven Antigentests ablösen können. Anhand der Zeitleiste sieht man aber, dass die gratis PCR-Tests lange Zeit auf Wien beschränkt blieben und in den Bundesländern weiterhin mit Antigentests gearbeitet wurde. Erst im Zuge der DELTA-Welle im Herbst 2021 rollte man die PCR-Test-Strategie auf ganz Österreich aus, die dabei zum Zug kommenden (ÖVP-nahen) Labors glänzten aber seitdem nicht mit Abnahmequalität. Immer wieder kommt es zu qualitativen Problemen mit hochpositiven Antigentests (bei Symptomen) und negativen PCR-Tests. Das liegt in manchen Fällen auch an unterschiedlichen Ct-Schwellenwerten, um noch als positiv zu gelten, wodurch schwach positive Proben übersehen wurden. Das konnte genauso bei gepoolten Tests passieren. Einheitliche Labor-Standards existieren unverständlicherweise nicht. Die Bevölkerung weiß das aber nicht.

Ab Anfang April sollen die Gratistests aus Kostengründen abgeschafft werden. Dabei hatte der GECKO-Vorsitzende im Jänner 2022 noch verkündet, dass ab April ein flächendeckendes Angebot kommen soll, damit sich das Chaos von überlasteten Teststraßen und überlangen Wartezeiten auf Ergebnisse vom Winter 2022 nicht mehr wiederholt. Damit würde eine Wiener Erfolgsgeschichte zu Ende gehen, das lange Zeit die niedrigsten Inzidenzen von Österreich aufwies, und das nicht nur Beschäftigen, sondern auch “vulnerablen Personengruppen”, vom Kind mit Herzfehler über die herztransplantierte Lehrerin bis zum Physiker mit Immundefekt und der Oma, die auch nach drei Impfungen kaum noch Antikörper vorweisen kann, davor bewahrt, auf ungetestete Kontaktpersonen oder Angehörige zu treffen.

3. Sinn der Impfpflicht

Keine klare Strategie also erkennbar, weder bei Masken und Tests und zuletzt auch noch die Impfpflicht. Inmitten der DELTA-Welle angekündigt, in der OMICRON-Welle eingeführt, dabei aber ausgerechnet jene Personen ausgenommen, für die eine Impfung notwendig wäre: Kinder und Jugendliche bis 18 (siehe Studie oben) und etliche vulnerable Personengruppen, denen vom Nationalen Impfgremium ausgerechnet besonders eine Impfung nahelegt wurde. Das passte nicht zusammen und sorgte für einen Aufschrei bei den entsprechenden Fachärzten. Wenige Tage nach der Einführung der Impfpflicht wurde sie von Wissenschaftlern und Politikern wieder in Frage gestellt. Die eiligst gegründete Impfpflichtkommission entschied wie gewünscht für eine Aussetzung der Impfpflicht. Man wollte das Narrativ, dass OMICRON mild sei und unaufhaltsam und die ganze Bevölkerung durchseucht werden sollte, aufrechterhalten. Tatsächlich zeigte sich bald, dass OMICRON ein eigener Serotyp war, der Immunschutz nicht für andere Varianten galt und selbst bei OMICRON-Infizierten nur kurzzeitig anhalten sollte. Vor allem jüngere und ungeimpfte Menschen können sich mehrfach infizieren. In einigen Fällen verlaufen die Reinfektionen schwerer als die Erstinfektion. Die Abschwächung zum Schnupfen war Wunschdenken. Ebenso war klar, dass die Impfpflicht nur im März geltend dafür sorgen würde, dass bis zur nächsten saisonal gestützten Welle im Herbst ausreichend Menschen die aus drei Impfungen bestehende Grundimmunisierung abgeschlossen hätten.

Rauch dazu im Mittagjournal:

“Und ja, es wird jetzt darum gehen, den Leuten zu vermitteln, es ist nicht vorbei. Und die Impfung schützt. Und wir haben die Impfpflicht nicht abgeschafft.”

Zwar redet er von Vorbereitungsarbeiten, um die Impfquote ohne Impfpflicht zu heben, aber genau dafür war ja die Impfpflicht gedacht. Nicht einmal der kleinste gemeinsame Nenner, eine Impfpflicht im Gesundheitswesen, ist für ihn vorstellbar, weil er nicht einzelne Gruppen herausgreifen will. Damit setzt man “vulnerable” Personengruppen aber bewusst der Gefahr einer Ansteckung aus, die noch größer ist bei den Inzidenzen und noch schwerer einschätzbar wird, wenn die Testmöglichkeiten eingestellt werden und man sich auf aktuelle Inzidenzen nicht mehr verlassen kann.

Der Wegfall der Impfpflicht bedeutet einen wesentlichen Erfolg der Impf- und Impfpflichtgegner, deren lautstarke Proteste und aggressiven Demonstrationen mit Drohungen an Pfleger, Impfärzten und selbst an den Gesundheitsminister offensichtlich gefruchtet haben. Sie werden jetzt bestärkt und machen weiter, wesentlich gestützt von Rechtsextremen, die den Systemsturz nach russischem Vorbild wollen und die Pandemie lediglich als Vehikel benutzen.

Wo ist die Solidarität aus der ersten Welle geblieben?

Wir erinnern uns daran, dass die gelebte Solidarität in der ersten Welle echt war, wenn auch damals schon nur in Teilen vorhanden. Erzählungen nach hieß es am Land oft, dass das Virus nur in Wien wäre, am Land gabs keine Pandemie. Es gab die Garagenpartys, die Wirtshaushinterzimmer und in Wien kamen die Hauspartys bei jungen Menschen auf. Es gab die benachteiligten Familien in der Stadt ohne Balkon und Auto, die priviligierten Reichen am Stadtrand, mit Wald und Park in der Nähe, während die Bundesgärten geschlossen blieben. Die erste Welle und der erste Lockdown wurden höchst unterschiedlich wahrgenommen je nach Status und Job. Die sogenannten Systemerhalter erhielten zwar viel Applaus von den Balkonen, sahen beim Coronabonus aber oft durch die leeren Finger. Die Ungleichheiten hat der erste Lockdown hübsch herausgearbeitet, ohne dass es je eine politische Konsequenz nach sich gezogen hätte. Migranten wurden später als Sündenböcke gesehen, sie hätten das Virus wieder hereingeschleppt, sie würden mehrheitlich auf den Intensivstationen liegen, aber Berufsgruppen mit Infektionsrisiko verknüpfen verhinderte angeblich der Datenschutz. Tatsächlich wollte man für sie einfach keine Präventivmaßnahmen ergreifen.

In der ersten Welle blieben auch die Kinder und Jugendlichen zuhause, die Schulen waren bis auf Notbetreuung geschlossen. Oma und Opa wollte man schützen, man wusste aufgrund der schrecklichen Bilder aus Norditalien, dass sie das höchste Risiko für einen tödlichen Verlauf hatten. Der Wildtyp hatte außerdem LongCOVID zur Folge, erste Berichte gab es bereits im April und Mai 2020 von langwierigen Genesungen selbst bei mildem Anfangsverlauf. Das besonders schwer von der ersten Welle betroffene UK, aber auch die USA brachten früh umfangreichere Berichte zu LongCOVID. Wer des Englischen mächtig ist, war bis Herbst 2020 ausreichend informiert, um Covid19 nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Dazu kamen auch zunehmend deutschsprachige Meldungen.

Warum hat man LongCOVID überhaupt so lange ignoriert? Selbst wenn man die Debatten um eine klare Definition und unterschiedliche Methoden bei Langzeitstudien einmal beiseite lässt, ist die Beweislast erdrückend, wie gefährlich das Virus wirklich ist:

Aufklärung über Aerosol-Übertragung und LongCOVID sind in meinen Augen die Gamechanger, um die Akzeptanz der Bevölkerung zu erhöhen und die Pandemie nachhaltig einzudämmen. Aerosol-Übertragung hätte aber die Verantwortung weg vom Individuum an die Politik übertragen, was einem neoliberalen Kurs entgegenläuft, der die Eigenverantwortung zelebriert. LongCOVID hätte vor allem die junge und gesunde Bevölkerung als Anreiz dienen können, sich impfen zu lassen, da einerseits das Infektionsrisiko sinkt und andererseits auch das Risiko von schweren und anhaltenden LongCOVID-Symptomen.

Eugenisches Gedankengut

Vulnerable Menschen als Kostenfaktor

„Die Gesellschaft spricht kaum über diese Todesfälle. Wir haben gelernt mit Covid19 umzugehen. In vielen Fällen liegen schwere Vorerkrankungen vor, dann bekommen die Menschen die Infektion und sterben leider. Die wenigsten an der Infektion selbst. Auf der Intensivstation liegen relativ viele Ungeimpfte.“ (Gesundheitslandesrätin Bogner-Strauß, ÖVP-Steiermark, 13.03.22, Kleine Zeitung)

„Leichte Erkrankungen als wichtigen Teil des Lebens sehen ist das eine, Kinder schweren Erkrankungen auszusetzen ist eher irgendwo zwischen Sadismus („Ich musste das auch durchmachen“) und im schlimmsten Fall an der Grenze zur Eugenik, wo man annimmt, dass sowieso nur die Schwächsten sterben.” (Twitterthread eines Biologen zum Narrativ, dass es für Kinder besser wäre, die Erkrankung durchzumachen als geimpft zu werden)

Nationalsozialistische Rassenhygiene ist eine Teilmenge der Eugenik. Eine Form von Eugenik bestand bis weit ins letzte Jahrhundert u.a. in Zwangssterilisationen von geistig Behinderten in vielen Ländern, z.B. in Schweden bis in das Jahr 1976 oder in der Slowakei bis 2004. Auch der Schweizer Medizinhistoriker Flurin Condrau warnte bereits vor einem Jahr vor Eugenik.

Wenn man sagt, „Meine Familie, mich selbst wird es nicht so schlimm erwischen, wir sind schließlich gesund“, dann mach ich damit eine Unterscheidung zwischen „uns als gesunden Menschen“ und „denen, die krank werden können“. Der Gedanke, dass man Spitäler mit Menschen füllen könnte, die aufgrund ihrer Vorerkrankungen krank werden, ist eugenisches Denken. Das entspricht nicht unserem Rechtsstaat, der sagt, dass sich die Stärke vom Volk am Wohl des Schwächsten misst – wir sollten die Schwächsten also schützen und nicht „es erwischt nur die mit Vorerkrankungen“, das ist Eugenik“ (Michael Wiesmann, Videobotschaft Schweiz)

Gesundheitsminister Rauch im STANDARD, 10.03.22:

“Trotzdem kann ich die Maßnahmenplanung nicht ausschließlich daran ausrichten, was für die am meisten gefährdete Gruppe gerade notwendig ist.”

Doch, das ist seine Aufgabe als Gesundheitsminister.

Durchseuchung bedeutet Massenbehinderung, wie der finnische Familienminister zurecht feststellt, wenn er davor warnt, dass LongCOVID die häufigste chronische Erkrankung in Finnland zu werden droht.

Durchseuchung ohne Schutzmaßnahmen wirft ungeimpfte Kinder, Ältere und immunsupprimierte Menschen unter den Bus.

Die derzeitige Pandemiestrategie der meisten Regierungen im Westen ist:

  1. Abwertung jener Menschen, die weiterhin vorsichtig sein wollen und müssen
  2. Alle Maßnahmen, die der Öffentlichen Gesundheit dienen, aufheben.
  3. Überwachung und Tests beenden
  4. Finanzielle Unterstützung beenden
  5. Vorgeben, dass die Pandemie vorbei wäre.

Leidtragende sind die Schwächsten der Gesellschaft und all jene, die LongCOVID bekommen, aber aufgrund der Vielzahl an Betroffenen keine Anlaufstellen mehr finden. Betroffen sind aber auch all jene mit chronischen Erkrankungen, die immer schwieriger Fachärzte finden oder Operationen planen können, weil die anhaltend hohen Infektionszahlen für viele Krankenstände sorgen und immer mehr Ärztinnen Ärzte kündigen. Letzendlich trifft es alle, die sich keine Privatspitäler und Privatärzte leisten können, am stärksten. Die Risikokommunikation der Regierung müsste aber auch die Kollateralschäden im Auge haben. Warum tut sie das nicht?

Ende Teil 2. Im nächsten Beitrag geht es um das politische Versagen aller Parteien.

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